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Lokales
Mülheimer Demokratie an einem Tiefpunkt der Ratlosigkeit?
(Noch) ohne Kraft und Saft
Von Lothar Reinhard

Der Mülheimer OB-Wahlkampf dümpelt vor sich hin, vorbei an allen Problemen der Stadt. Beide Kandidaten sind wohl eher als „Parteisoldaten“ zu sehen, die kein eigenes Profil entwickeln wollen. Und der Zustand von SPD und CDU in Mülheim ist kein Ruhmesblatt, denn die Verwaltung hat sich fast vollständig verselbständigt, was die beiden großen Parteien anscheinend orientierungslos hinnehmen.


Sie wollen Mülheims Oberbürgermeister werden
Foto: Lothar Reinhard

Diese zwei Herren treten am 13. September 2015 zur Wahl des Oberbürgermeisters an: Ulrich Scholten (SPD) und Werner Oesterwind (CDU). Der wohlwollende WAZ-Lesebeirat-Kommentar zur OB-Wahl in der NRZ vom 27.08.2015 sieht das unter dem Link http://www.derwesten.de/staedte/muelheim/noch-ohne-kraft-und-saft-aimp-id11030978.html so:
"Bislang hat dieser Wahlkampf noch nicht die Aufmerksamkeit vieler Bürgern erreicht. Es wird wohl zurecht eine sehr niedrige Wahlbeteiligung erwartet. Diese Wahlmüdigkeit ist sicherlich kein spezielles Mülheimer Problem. Aber es lohnt sich dennoch genau hinzusehen, warum der Wahlkampf in unserer Stadt noch ohne Saft und Kraft ist. Die beiden Kandidaten sind sicherlich ehrenwerte Persönlichkeiten aus der Mitte ihrer Parteien, die bislang nicht zum politischen Führungszirkel in unserer Kommune gehörten und einen neuen Anfang wagen könnten. Es sind allerdings in diesem Wahlkampf weder eine Aufbruchstimmung noch sind Perspektiven für unsere Stadt sichtbar. Es bleibt der Eindruck: Egal wer gewählt wird, es wird schon irgendwie weitergehen. Die alten Probleme werden wohl auch die neuen sein. Allerdings stellt darüber hinaus die Zuwanderung von Flüchtlingen auch in unserer Stadt die größte Herausforderung dar. Viele Bürger sind besorgt und fragen sich, wie diese Herausforderung für alle erträglich bewältigt werden kann. Dazu erwarten die Bürger Antworten. Die Zuwanderung von Flüchtlingen muss endlich als eine gemeinsame Aufgabe von EU, Bund, Land und Kommunen verstanden werden. Im Augenblick besteht der Anschein, dass auch die Stadt Mülheim von Bund und Land keine ausreichende Unterstützung erhält. Vielleicht kann dieser Punkt beim Familienfest der SPD mit der Ministerpräsidentin Hannelore Kraft am 29. August offen zur Sprache kommen."
 
Noch erschreckender sind die Berichte vom Wahlk(r)ampf, etwa zum „Duell“ auf Radio Mülheim oder z.B. im WAZ-Artikel „OB-Kandidat erklärt 1,4 Milliarden“. Wer glaubt, der CDU-Kandidat würde Konzepte gegen die quasi-griechische Verschuldung vorstellen, der irrt, denn der Kandidat schreibt „die Nullen von 1,4 Mrd. auf Papier, um den Menschen deutlich zu machen, wie kritisch die Lage ist.“ Kommentar überflüssig.
 
Der „Gegenkandidat“ Scholten hat die Sprüche auf seinen Plakatwänden ausgetauscht. Statt „Verlässlichkeit“ für Mülheim muss man nun lesen „Wirtschaftlich stark für Mülheim“, was auch immer das bedeuten soll in einer auch bilanziell überschuldeten Stadt, in der mit RWE, Siemens, Tengelmann, Brenntag und selbst „seiner“ Firma, den Röhrenwerken, gerade die großen Standbeine wegbrechen oder zumindest gefährdet sind, noch weit bevor Weltmarkt oder der deutsche Wirtschaftsboom abflauen.
 
Derart viel hohles Herumgerede lässt den Leser zweifeln, ob, egal mit wem, auch nur ein einziger der aufgetürmten Problemberge angepackt werden soll. Alles soll anscheinend nur weiter laufen wie gehabt, auch wenn das erkennbar selbst für Laien nicht mehr geht. RWE-Abhängigkeit, gigantische Verschuldung, ÖPNV-Desaster, Verkehrsführung, Innenstadtkrise, Bauorgien in Grün- und Außenbereichen u.v.m. dulden aber eigentlich keinen weiteren Aufschub. Selbst zur VHS-Zukunft nur vages Geblubber von beiden. Über die durchaus bedeutsame Frage von Filz, Vettern- und Cousinenwirtschaft insbesondere in Mülheim redet ohnehin keiner. Und die Flüchtlings- und Zuwanderungsproblematik, die zusehends selbst wirtschaftlich viel gesündere Städte zu überfordern beginnt, gibt es auch noch, anscheinend aber nicht für die 2 Mülheimer OB-Kandidaten. Die vertrauen wohl auf Gott oder auf die Mülheimer Stadtverwaltung, die bekanntlich hocheffizient und ökonomisch hoch verantwortlich die Stadt fast an die Wand gefahren hat. Dieser hohle OB-Wahlkampf verbreitet ein Gefühl von Perspektiv- und Hoffnungslosigkeit, was alles andere als gut ist, selbst wenn die Welt drumherum nicht so unübersichtlich und problemgeladen wäre, wie sie es aber leider ist.
 
Irgendwie kommen Erinnerungen an die letzten Jahre der Weimarer Republik auf, als den Demokraten des ersten Deutschen Demokratieversuchs nichts mehr einfiel und sie mit Notverordnungen und dauernden Neuwahlen den Weg für die folgende Nazi-Barbarei ebneten.
 
Die Menschen sind nicht wirklich „wahlmüde“, sie sind der hohlen Sprüche überdrüssig. Man/frau ist auch nicht wahlmüde, wenn man von zwei ähnlich aussagelosen Kandidaten keinen wählen will und kann, bzw. wenn nicht einmal erkennbar ist, wer von beiden das kleinste, kleinere Übel darstellen könnte.
 
Kurzum: Der eigentlich überflüssige OB-Wahlkampf geht in Mülheim allen Problemen aus dem Weg und der Mehrzahl der Menschen ziemlich am Allerwertesten vorbei.
 
Ein Tiefpunkt für die ohnehin schwächelnde Demokratie in Mülheim nach über einem Jahrzehnt Mühlenfeld, die mit ihrem Festklammern an einem Jahr weitere (eigentlich geschenkte) OB-Regentschaft eine von der Kommunalwahl abgekoppelte OB-Wahl erzwungen hat zum Schaden von Stadt und Demokratie. (PK)
 
Lothar Reinhard ist Fraktionssprecher der Mülheimer Bürgerinitiativen (MBI) im Stadtrat, die keinen OB-Kandidaten aufgestellt haben.


Online-Flyer Nr. 526  vom 02.09.2015



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