Trauerrede für Kurt Holl
Lieber Kurt
Von Rainer Kippe, SSM
Ich spreche Dich so direkt an, weil ich spüre, dass Du mit Deinem Geist hier unter uns mächtig anwesend bist. Vielleicht lugst Du ja, wie der selige Willy Ostermann in „Heimweh noh Kölle“, vom „Himmelspötzje“ auf uns herab, vielleicht bist Du aber auch, wie weiland der Dienstmann Aloisius Hingerl in Ludwig Thomas Geschichte: „Ein Münchner im Himmel“, bereits mit einem göttlichen Auftrag zu uns herabgeschwebt und hast Dich - Deine Flügel unter der Jacke versteckend - weiter hinten im Saal ganz unauffällig unter uns gemischt, ganz aufmerksam und jederzeit bereit, vorzutreten und Fragen zu stellen.
Kurt Holl, mit Raimund Spekking
NRhZ - Archiv
So habe ich Dich ja kennengelernt, bei der Rektoratsbesetzung an der Kölner Uni 1968, als wir im heiligen Büro seiner Magnifizenz Rektor Hübner in dessen Sesseln saßen, seine Zigarren zwischen den Lippen, unsere Füße auf seinem Chippendale-Schreibtisch und auf die Polizei warteten.
Als dann der Assistent des Rektors, Herr Rechtsassessor Kauppen - die Magnifizenzen und Eminenzen hatten sich vor dem immatrikulierten Mob ins Max-Planck-Institut für Saatgutforschung geflüchtet - das Büro betrat und nach unseren Forderungen fragte, und wir anfingen, etwas von Öffentlichkeit und Drittelparität zu stottern, da ergriffst Du - locker an die Wand gelehnt - das Wort und beantwortetest die rektoralen Fragen mit einem studentischen Forderungskatalog von 14 Punkten, aus dem Stegreif und zum Mitschreiben.
Als wir 14 Tage später in den ebenso geheiligten Senatssaal eingedrungen waren, um zu hören, was da so wichtiges gesprochen werden sollte, warst Du auf einmal wieder da und bist auf den Händen den langen Konferenztisch hinabspaziert, und als dann auf einmal wirklich die Polizei eintraf und den Saal stürmte, um uns festzunehmen, da warst Du, vom Tisch herab, mit einer Rolle vorwärts durchs offene Fenster gesprungen, hinaus aufs Gerüst, das damals die Universität umgab und das uns einige Monate vorher schon als Baumaterial für die Barrikade am Hauptportal gedient hatte.
Und während wir, nach der Räumung wieder freigelassen, uns draußen vor dem Portal der Uni sammelten, konnten wir atemlos beobachten, wie Du, wie in einem Buster- Keaton- Film, hoch über unseren Köpfen über die Gerüstbretter ranntest, über und unter Dir Polizisten, von erregten Vorgesetzten aus sicherer Entfernung angefeuert.
Sie haben Dich nicht gekriegt, lieber Kurt, damals nicht und später auch nicht, bei Deinen tausend wunderbaren, mutigen und zauberhaften Aktionen, mit denen Du uns und die Öffentlichkeit in Deinen Bann geschlagen hast. Denn, das, lieber Kurt, habe ich bei Dir wieder erinnert, Charisma kommt von griechisch charizomai, und das heißt ganz schlicht: anderen eine Freude machen, sie beschenken.
Dann, lieber Kurt, kam eine Zeit, in der auch, wie jetzt, Bürgerkrieg in einem Nachbarland war, und auch damals kamen Menschen über die Grenze, die vor Krieg und Not geflohen waren, von hartherzigen Nachbarstaaten schlau weitergeschoben. Ich erinnere mich an Flüchtlinge, die aus Holland kamen, und in Schnee und Frost auf dem Butzweiler Hof in dünnen Zelten campierten. Ich erinnere mich daran, weil wir von SSK und SSM damals wieder mal ein leerstehendes Haus der Stadt Köln aufgemacht und Menschen ein Dach über dem Kopf gegeben haben, in der Bergisch-Gladbacher Straße in Köln Mülheim, getreu unserer Devise, mit der besseren Welt vor unserer Haustür anzufangen, und nicht irgendwo, möglichst weit weg, in anderen Ländern und noch besser auf anderen Kontinenten.
Diese Flüchtlinge hießen und heißen Sinti und Roma, und sie waren damals nicht erwünscht, und sind es auch heute nicht, trotz aller laut herumposaunten Willkommenskultur. Und auch damals fühlten wir Eingesessenen uns bedroht, zwischen Dom und Hauptbahnhof, allerdings nicht von Antänzern und Sexualtätern, sondern von den sogenannten Klaukids und deren Familien, und auch damals schon war unsere stolze Polizei so gänzlich und merkwürdig hilflos.
Und auch damals schon suchten rechte Rattenfänger ihren Vorteil daraus zu schlagen und machten mit Plakaten Jagd auf Nina Pampurova.
Du hast mit Deinen Freunden und Mitstreitern schon damals nicht nur kritisiert und die Verantwortlichkeiten offengelegt, sondern einen Weg gezeigt, wie man es besser machen kann, und der hieß und heißt Rom e.V. und Amaro Kher. Dafür, lieber Kurt, bist Du zu Recht zum alternativen Ehrenbürger dieser Stadt ernannt worden.
Ein anderer Umgang mit Zuwanderern und Minderheiten führt notwendig über deren Emanzipation und Integration, und das fordert Entschlossenheit und Fantasie. Es erfordert aber auch, dass wir unsere Herzen aufmachen. Das hast Du uns vorgemacht, und machen die von Dir mitgegründeten Vereine uns täglich weiter vor.
Im Dezember, lieber Kurt, waren wir beide verabredet zur Meditation bei einem Zen-Lehrer. Du fühltest Dich, sagtest Du, unruhig.
Am vereinbarten Tag lagst Du schon im Krankenhaus, das Du nicht wieder verlassen hast, lebendig jedenfalls.
Die Fragen, die Dich damals beschäftigt haben, sind jetzt, denke ich, beantwortet, so wie es Paulus von Tarsus in einem seiner Briefe sagt: „Wir sehen jetzt durch einen Spiegel, dann aber von Angesicht zu Angesicht.“
Lieber Kurt, Dir ist es gelungen, die Welt ein Stück weit zu verändern. Du hast sie besser gemacht, Du hast sie lebenswerter und menschlicher gemacht, und vor allem fröhlicher.
Dafür danke ich Dir.
Lieber Kurt, unser Kampf für Freiheit und Gerechtigkeit, für Emanzipation und Menschenwürde geht weiter. (PK)
Rainer Kippe ist einer der Gründer vom SSM
Online-Flyer Nr. 545 vom 13.01.2016