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Krieg und Frieden
Auszüge aus einem von Ingrid von Heiseler übersetzten Buch
Spiritualität und Frieden (3)
Von Graeme MacQueen
Kürzlich erschienen ist die deutsche Übersetzung des Buchs "Spirituality and Peacemaking" des Kanadiers Graeme MacQueen. Sein deutscher Titel: "Spiritualität und Frieden". In dem Buch stellt der Autor Fünf Friedens-Spiritualitäten Asiens vor, dazu behandelt er Acht Aspekte von Friedensspiritualität. In der Einführung heißt es: „In diesem Buch verteidigen wir weder die Religion an sich noch greifen wir sie an. Zwar achten wir auf Fehler und Gefahren von Religion, aber wir geben sie nicht auf, weil wir viel Inspirierendes und Heilsames darin sehen […] Man muss umdenken, einen neuen Rahmen finden und neue Kategorien erfinden. Das haben wir getan […] Wir hoffen, dass auch Menschen, die sich nicht mit einer der traditionellen religiösen Traditionen identifizieren können, die aber meinen, dass ‚Spiritualität‘ sich auf etwas Gutes und Notwendiges beziehe, dieses Buch lesen und sich positiv am Dialog über Frieden, Religion und Spiritualität beteiligen werden.“ Die NRhZ bringt Auszüge aus dem Buch – in drei Folgen – hier Folge 3.
Immer deutlicher wurde erkannt, dass Konfliktlösung und Konflikttransformation in Regionen, in denen ein erbitterter Krieg geführt worden ist, gefährlich unvollständig sind, wenn man nicht Vergebung, Versöhnung und Heilung die nötige Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt. Spirituelle Traditionen haben mächtige Quellen zur Erreichung dieser Ziele, besonders in Form von heiliger Schrift, heiliger Narration, Ritual, Gebet und Meditation. Durch diese Quellen können Menschen Zugang zu Ebenen des Selbst finden, die der rationalen Problemlösung verschlossen sind.
Im heutigen Nordamerika haben Völker der Ersten Nationen die Notwendigkeit erkannt, dass Wunden, die die Europäer ihren Gesellschaften bei der Eroberung zugefügt haben und die die anhaltenden Übergriffe der herrschenden weißen Gesellschaft auf ihre Länder und ihre Kulturen ihnen weiterhin zufügen, psychisch und sozial geheilt werden müssen. Bei fast allen Zwischenfällen von bewaffnetem Konflikt zwischen indigenen Völkern und dem kanadischen Staat in den beiden letzten Jahrzehnten wurden während oder nach dem Konflikt eingeborene Heiler hinzugezogen.
Schon seit Jahrhunderten wurde in den Traditionen der Fünf Nationen die Notwendigkeit der Heilung als eines Bestandteils der Friedensstiftung erkannt. Im Deganawidah-Epos wird erzählt, dass Hiawatha dem Deganawidah erst dann als Friedensstifter zur Seite stehen konnte, als er von seiner tiefen Trauer über den Tod seiner Tochter geheilt war. Deganawidah, der das erreichen wollte, führte ihn durch ein Beileids-Ritual. Als seine Heilung erfolgt war, konnte Hiawatha mit Deganawidah gehen und den Geist des verrückten und gewalttätigen Onondaga-Hexers Adadarhoh heilen. Als sie die sieben Biegungen seines Körpers geradegebogen, die Schlangen aus seinem Haar gekämmt und seinen Geist geheilt hatten, wurde der Große Frieden endlich ausgerufen. Diese Geschichte wurde zur Grundlage des Beileids-Rituals. Dieses ist ein Mittel, mit dem die Fünf Nationen dem Töten aus Rache in der Konföderation ein Ende setzen und durch das sie den Großen Frieden bewahren wollten. Sie hatten verstanden, dass Rache und der sich daraus ergebende langwierige Krieg die Folge von nicht verarbeiteter Trauer waren. Die Beileids-Zeremonie wurde nicht nur von Mitgliedern der Konföderation, sondern auch als ein Mittel, Frieden mit Gruppen (z.B. den Franzosen) außerhalb der Konföderation zu schließen, praktiziert.
Ein fiktionaler Text, der die tiefe Verbindung zwischen Heilung und Friedensstiftung bei indigenen Völkern aufzeigt, ist Leslie Marmon Silkos bemerkenswerter Roman Ceremony / Gestohlenes Land wird ihre Herzen fressen. (4)
Christliche Organisationen waren besonders in Afrika sehr aktiv bei Versöhnung und Heilung. In Liberia hat die Christian Health Association Versöhnungs- und Trauma-Heilungs-Workshops durchgeführt. Damit hat sie zur Verdeutlichung der Verbindung zwischen Kriegstrauma und Gewalt und damit zu der Erkenntnis beigetragen, dass beide gleichzeitig bearbeitet werden müssten. In Mosambik widmeten sich die Kirchen dem Problem der Eingliederung heimkehrender Soldaten. Zu diesem Zweck erfanden sie ein Ritual, in dem der Soldat seine Waffe einem Vertreter der Gesellschaft übergibt. Dafür bekommt er einen Gegenstand, der die Menschenwürde fördert: ein Fahrrad, eine Nähmaschine oder eine Schreibmaschine. Zu diesem Prozess gehörte es auch, die Waffe auseinander zu nehmen und sie in einen sozial nützlichen Gegenstand umzuformen. Solche Rituale stellen die Wiedereingliederung des Kriegers in die Gemeinschaft, die Rückkehr vom Tod zum Leben, die Entschlossenheit, dem Krieg den Rücken zu kehren und die Gesellschaft neu aufzubauen, eindrucksvoll dar. In Südafrika hat die Wahrheits- und Versöhnungs-Kommission unter dem Vorsitz von Bischof Desmond Tutu in einem extrem schwierigen Kontext einen Weg erprobt, Rache und Schuldzuweisungen zu verhindern, indem sie denen, die ihre mit politischen Zielen im Konflikt in der Vergangenheit verbundenen Handlungen offen legten, Amnestie zusicherte. Den Unzulänglichkeiten und der unvermeidlichen Schwierigkeit, das Bedürfnis nach Versöhnung mit dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit in Einklang zu bringen zum Trotz, kann die Arbeit der Kommission anderen Gesellschaften, die Gewaltkonflikte hinter sich haben, als Vorbild dienen.
Das Zentrum für Frieden und Versöhnung in Kambodscha, an dessen Einrichtung vor allen anderen Buddhisten beteiligt waren, hat durch Training in Gewaltfreiheit, Friedensmärsche und andere Programme den Prozess der Heilung und Wiederherstellung einer Friedenskultur in Kambodscha in Gang gesetzt. In der Batticaloa-Region in Sri Lanka wurde ein Heilungs-Garten für durch die Kampfhandlungen traumatisierte Kinder eingerichtet. Der Garten sollte nicht an transzendente Religionen oder ethnische Teilungen erinnern, sondern er bezieht sich auf Symbole für Frieden und Ganzheit, die mit der Erde zu tun haben.
In den letzten Jahrzehnten arbeiten religiöse Organisationen, die sich der Versöhnungsarbeit widmen, enger als früher zusammen und tauschen sich über Strategien aus. Der Versöhnungsbund wurde 1914 von Christen gegründet, aber seitdem ist er eine interkonfessionelle Organisation geworden, der sich auch Gruppen wie Jewish Peace Fellowship und die Buddhist Peace Fellowship angeschlossen haben. Dies ist nur ein Beispiel für das Entstehen einer die Religionen übergreifenden Friedensspiritualität.
VIII. Errichten einer Tradition der Friedensspiritualität
Zwar ist Spiritualität eine Angelegenheit des Inneren des Menschen und widersetzt sich deshalb der Institutionalisierung, aber dennoch erhebt sich unvermeidlich die Frage: Was können wir tun, um sie zu erhalten, zu übertragen und zu verbreiten? Können wir dabei auf Traditionen der Friedensspiritualität aufbauen?
Eine soziale Gruppe, die Innerlichkeit, Kontemplation und dergleichen betont, muss ihren Mitgliedern und anderen, die sie erreichen möchte, die Werte, Symbole und Praktiken zur Verfügung stellen, die einen Zugang zum spirituellen Bereich ermöglichen. Dort, wo die herrschenden Kulturen diesen Bereich ignorieren oder sogar aktiv sein Vorhandensein leugnen, wenden sich Werte, Symbole und Praktiken gegen diese Kultur. Es ist durchaus normal, dass es Spannungen zwischen der herrschenden Kultur und der Kultur der Friedensspiritualität gibt. In der Zeit des Kalten Krieges geschah es oft, dass Staaten sehr viel Energie darauf verwendeten, die Bevölkerungen durch Staatsrituale und -mythen gegen den offiziellen Feind zu mobilisieren, während die, die sich der Friedensspiritualität widmeten, den genau entgegen gesetzten Weg einschlugen. In den 1980er Jahren wurden Glaubensbekenntnisse, Gebete und Rituale entwickelt, die staatliche Versionen direkt parodierten (z.B. John LaForges bereits erörtertes Glaubensbekenntnis), um eine alternative Vision lebendig zu erhalten.
Spirituelle Traditionen entwickeln sich durch die Auswahl an Texten, ein paar Übungen und Lehren und Organisationsregeln. Die Regeln können explizit und detailliert sein und sie können offen sein und sowohl mit spirituellen Praktiken als auch mit Themen der Macht und der Interaktion mit der säkularen Welt zu tun haben. Ordensregeln sind ein Beispiel für die Verbindung spiritueller und weltlicher Belange. Entsprechend ergänzt bei den Fünf Nationen das Große Gesetz (auch die Verfassung der Fünf Nationen genannt) die Erzählung von Deganawidah, indem es sie konkret umsetzt: Gespräch und Konsens beim Treffen von Entscheidungen, die Rollen von Frauen und Männern, die zulässige Anwendung von Zwang, das Vorgehen bei der Auswahl der Führer: Alles ist mit dem ausdrücklichen Ziel, den Großen Frieden zu bewahren, bis in alle Einzelheiten festgelegt. Ebenso hat die religiöse Gesellschaft der Freunde [Quäker] genau auf die Entwicklung von Organisationsformen, Diskurs, Verantwortung und Entscheidungen geachtet, die die obersten Werte der Gruppe nennen und Raum für spirituelle Einsichten lassen.
Einige spirituelle Traditionen sind so auf Innerlichkeit bedacht, dass sie sich damit begnügen, ihre Visionen zu bewahren und keinen Versuch unternehmen, die Welt zu verändern. Ein derartiger Quietismus war im frühen 19. Jahrhundert vor der Entstehung der modernen Friedensbewegung allgemein. In den beiden letzten Jahrhunderten hat die Friedensspiritualität einen Wandel durchgemacht. Sie begnügt sich nicht mehr damit, nur Zeuge in der Welt zu sein, sondern engagiert sich im Kampf für die Veränderung der Welt. Natürlich sind nicht alle Varianten der Friedensspiritualität gleich aktiv. Im asiatischen Buddhismus gibt es noch viele Kontroversen über die Rolle, die spirituellen Führern angemessen ist, und darüber, in welchem Ausmaß es ihnen akzeptabel erscheint, sich bei sozialen und politischen Angelegenheiten zu engagieren. Das Internationale Netzwerk engagierter Buddhisten ist eine Organisation, die gemeinsam mit Schwesterorganisationen ausarbeitet, wie ein sozial engagierter Buddhismus in der modernen Welt aussehen sollte. Die Organisation sponsert viele Projekte für Frieden und für soziale und Umwelt-Gerechtigkeit. Ebenso können wir in den historischen christlichen Friedenskirchen einige Ansichten darüber finden, welches Maß und welche Art des Engagements in der Welt angemessen seien. Die Bildung von Organisationen wie Christian Peacemaker Teams (am Sponsoring beteiligen sich auch die drei historischen Friedenskirchen), die aktiv in Gewaltkonflikte eintreten, um lokale Bemühungen um Friedensstiftung zu unterstützen, zeugen für eine beeindruckende Vereinigung von traditionellem Pazifismus mit sehr moderner Anteilnahme an politischer Strategie. Neuere Traditionen der Friedensspiritualität – z.B. die, die mit Feminismus und Umweltbewusstsein verbunden sind – widmen sich ausdrücklich dem Engagement in der Welt und sehen dieses als Ausdruck von Spiritualität.
Viele der aktivsten Nichtregierungsorganisationen, die sich der Unterstützung der Menschen in Kriegsgebieten und in anderen schwierigen Situationen widmen, entstanden durch die eine oder andere Form von Friedensspiritualität. Ebenso bezeugen Leben und Denken der UN-Generalsekretäre U Thant und Dag Hammarskjöld wie auch vieler anderer Beamten der Vereinten Nationen den Einfluss der Friedensspiritualität auf diese Organisation.
Zukunftsaussichten der Friedensspiritualität
Vom Standpunkt der praktischen Friedensstiftung sind die Schwächen, zu denen die Friedensspiritualität neigt, eng mit den Merkmalen verbunden, die ihr ihre besondere Stärke verleihen. Utopisches Gedankengut wird manchmal als große Naivität und Verneinung der Realität gesehen und führt in manchen Fällen zu intoleranten und sogar gewalttätigen Formen von Chiliasmus. Seine moralische Gewissheit kann einen Propheten daran hindern, die bei der Friedensstiftung manchmal notwendigen Kompromisse einzugehen. Dem Verweigerer ist vielleicht mehr an der Selbstreinigung und eigenen Vollkommenheit als an der konkreten Veränderung der Welt gelegen. Zwar wird Spiritualität oft betrieben, um das Sektierertum der institutionellen Religion zu überschreiten, aber sie kann leicht Grundlagen für Trennung neu schaffen, wenn sie ihre Gegner dämonisiert und ihre kreativen Energien in Übungen der Selbstlegitimierung vergeudet. Schließlich ist das Bedürfnis spiritueller Traditionen nach eigenen Symbolen, Narrationen und Praktiken dann problematisch, wenn diese für die Mitglieder der Gruppe, mit der man Frieden schließen will, bedeutungslos oder sogar abstoßend sind.
Andererseits können wir, wenn wir von der Entwicklung in den letzten hundert Jahren ausgehen, eine Zunahme der Kommunikation und Kooperation zwischen Menschen, die verschiedenen Formen von Friedensspiritualität angehören, erwarten. Viele, die an der Welt-Friedensbewegung teilnehmen, identifizieren sich inzwischen stärker mit dieser Bewegung als mit irgendeiner formellen Religion oder Ideologie. Für die Zukunft können wir mehr Austausch, Lernen, gegenseitige Inspiration und Kooperation erwarten. Spiritualität begünstigt direkte Erfahrung und reale Begegnung mit anderen Lebewesen. Sie wird sich als anpassungsfähiger und weniger gefährlich erweisen, als es unbewegliche religiöse Dogmen und politische Ideologien waren und sind, die die Geschichte der Menschen nur allzu oft beherrscht haben und beherrschen.
Der Autor
Graeme MacQueen wurde in Kanada geboren und wuchs dort auch auf. Er erwarb den "Ph.D. degree from Harvard University" (entspricht der deutschen Habilitation) in „Buddhistischen Studien“. 30 Jahre lang lehrte er in der Abteilung für Religiöse Forschung an der McMaster-Universität in Hamilton in Kanada. 1989 wurde er Gründungs-Direktor des Friedensforschungs-Zentrums an der McMaster-Universität. Danach war er Mitbegründer von Friedenskonsolidierungs-Projekten in verschiedenen Kriegsgebieten. Sein neuestes Buch ist The 2001 Anthrax Deception, Atlanta: Clarity Press 2014. Über das Buch:
http://www.claritypress.com/MacQueen.html (01.03.16)
Das Buch:
Spiritualität und Frieden
Kindle Edition $2.99
Von Graeme MacQueen, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Ingrid von Heiseler (1)
In dem Buch stellt der Autor Fünf Friedens-Spiritualitäten Asiens vor, dazu behandelt er Acht Aspekte von Friedensspiritualität. In der Einführung heißt es: „In diesem Buch verteidigen wir weder die Religion an sich noch greifen wir sie an. Zwar achten wir auf Fehler und Gefahren von Religion, aber wir geben sie nicht auf, weil wir viel Inspirierendes und Heilsames darin sehen […] Man muss umdenken, einen neuen Rahmen finden und neue Kategorien erfinden. Das haben wir getan […] Wir hoffen, dass auch Menschen, die sich nicht mit einer der traditionellen religiösen Traditionen identifizieren können, die aber meinen, dass ‚Spiritualität‘ sich auf etwas Gutes und Notwendiges beziehe, dieses Buch lesen und sich positiv am Dialog über Frieden, Religion und Spiritualität beteiligen werden.“
Letzter Teil des Buches:
Acht Aspekte von Friedensspiritualität (2)
Teil 1:
I. Moralische Grundlage
II. Visionen
III. Kritik
(a) Prophetie
(b) Verweigerung
Teil 2:
IV. Widerstand
V. Gewaltfreiheit
VI. Konfliktlösung und Konflikttransformation
Teil 3:
VII. Versöhnung (3)
VIII. Errichten einer Tradition der Friedensspiritualität
Fussnoten
1 http://www.amazon.com/Spiritualit%C3%A4t-Frieden-Ingrid-Heiseler-Ver%C3%B6ffentlichungen-ebook/dp/B01C44FPIQ/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1456504514&sr=8-1&keywords=ingrid+von+heiseler
http://ingridvonheiseler.formatlabor.net/?p=787
2 Vgl. Graeme MacQueen, "Spirituality and Peacemaking," in Encyclopedia of Violence, Peace, & Conflict (San Diego: Academic Press, 1999). pp. 351 ff.
3 Galtung, Johan e.a., Versöhnung. Die Vergangenheit aufarbeiten – die Zukunft aufbauen.
Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler.
Belm-Vehrte/Osnabrück: Sozio-Publishing 2014. http://ingridvonheiseler.formatlabor.net/?p=618
4 Silko, Leslie Marmon. Ceremony. (New York: Viking, 1977). -, Gestohlenes Land wird ihre Herzen fressen/"Ceremony". München: Rogner & Bernhard 1981 und Unionsverlag 1996.
Siehe auch:
Folge 1
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22585
Folge 2
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22604
Online-Flyer Nr. 553 vom 16.03.2016
Auszüge aus einem von Ingrid von Heiseler übersetzten Buch
Spiritualität und Frieden (3)
Von Graeme MacQueen
Kürzlich erschienen ist die deutsche Übersetzung des Buchs "Spirituality and Peacemaking" des Kanadiers Graeme MacQueen. Sein deutscher Titel: "Spiritualität und Frieden". In dem Buch stellt der Autor Fünf Friedens-Spiritualitäten Asiens vor, dazu behandelt er Acht Aspekte von Friedensspiritualität. In der Einführung heißt es: „In diesem Buch verteidigen wir weder die Religion an sich noch greifen wir sie an. Zwar achten wir auf Fehler und Gefahren von Religion, aber wir geben sie nicht auf, weil wir viel Inspirierendes und Heilsames darin sehen […] Man muss umdenken, einen neuen Rahmen finden und neue Kategorien erfinden. Das haben wir getan […] Wir hoffen, dass auch Menschen, die sich nicht mit einer der traditionellen religiösen Traditionen identifizieren können, die aber meinen, dass ‚Spiritualität‘ sich auf etwas Gutes und Notwendiges beziehe, dieses Buch lesen und sich positiv am Dialog über Frieden, Religion und Spiritualität beteiligen werden.“ Die NRhZ bringt Auszüge aus dem Buch – in drei Folgen – hier Folge 3.
Immer deutlicher wurde erkannt, dass Konfliktlösung und Konflikttransformation in Regionen, in denen ein erbitterter Krieg geführt worden ist, gefährlich unvollständig sind, wenn man nicht Vergebung, Versöhnung und Heilung die nötige Aufmerksamkeit zuteilwerden lässt. Spirituelle Traditionen haben mächtige Quellen zur Erreichung dieser Ziele, besonders in Form von heiliger Schrift, heiliger Narration, Ritual, Gebet und Meditation. Durch diese Quellen können Menschen Zugang zu Ebenen des Selbst finden, die der rationalen Problemlösung verschlossen sind.
Im heutigen Nordamerika haben Völker der Ersten Nationen die Notwendigkeit erkannt, dass Wunden, die die Europäer ihren Gesellschaften bei der Eroberung zugefügt haben und die die anhaltenden Übergriffe der herrschenden weißen Gesellschaft auf ihre Länder und ihre Kulturen ihnen weiterhin zufügen, psychisch und sozial geheilt werden müssen. Bei fast allen Zwischenfällen von bewaffnetem Konflikt zwischen indigenen Völkern und dem kanadischen Staat in den beiden letzten Jahrzehnten wurden während oder nach dem Konflikt eingeborene Heiler hinzugezogen.
Schon seit Jahrhunderten wurde in den Traditionen der Fünf Nationen die Notwendigkeit der Heilung als eines Bestandteils der Friedensstiftung erkannt. Im Deganawidah-Epos wird erzählt, dass Hiawatha dem Deganawidah erst dann als Friedensstifter zur Seite stehen konnte, als er von seiner tiefen Trauer über den Tod seiner Tochter geheilt war. Deganawidah, der das erreichen wollte, führte ihn durch ein Beileids-Ritual. Als seine Heilung erfolgt war, konnte Hiawatha mit Deganawidah gehen und den Geist des verrückten und gewalttätigen Onondaga-Hexers Adadarhoh heilen. Als sie die sieben Biegungen seines Körpers geradegebogen, die Schlangen aus seinem Haar gekämmt und seinen Geist geheilt hatten, wurde der Große Frieden endlich ausgerufen. Diese Geschichte wurde zur Grundlage des Beileids-Rituals. Dieses ist ein Mittel, mit dem die Fünf Nationen dem Töten aus Rache in der Konföderation ein Ende setzen und durch das sie den Großen Frieden bewahren wollten. Sie hatten verstanden, dass Rache und der sich daraus ergebende langwierige Krieg die Folge von nicht verarbeiteter Trauer waren. Die Beileids-Zeremonie wurde nicht nur von Mitgliedern der Konföderation, sondern auch als ein Mittel, Frieden mit Gruppen (z.B. den Franzosen) außerhalb der Konföderation zu schließen, praktiziert.
Ein fiktionaler Text, der die tiefe Verbindung zwischen Heilung und Friedensstiftung bei indigenen Völkern aufzeigt, ist Leslie Marmon Silkos bemerkenswerter Roman Ceremony / Gestohlenes Land wird ihre Herzen fressen. (4)
Christliche Organisationen waren besonders in Afrika sehr aktiv bei Versöhnung und Heilung. In Liberia hat die Christian Health Association Versöhnungs- und Trauma-Heilungs-Workshops durchgeführt. Damit hat sie zur Verdeutlichung der Verbindung zwischen Kriegstrauma und Gewalt und damit zu der Erkenntnis beigetragen, dass beide gleichzeitig bearbeitet werden müssten. In Mosambik widmeten sich die Kirchen dem Problem der Eingliederung heimkehrender Soldaten. Zu diesem Zweck erfanden sie ein Ritual, in dem der Soldat seine Waffe einem Vertreter der Gesellschaft übergibt. Dafür bekommt er einen Gegenstand, der die Menschenwürde fördert: ein Fahrrad, eine Nähmaschine oder eine Schreibmaschine. Zu diesem Prozess gehörte es auch, die Waffe auseinander zu nehmen und sie in einen sozial nützlichen Gegenstand umzuformen. Solche Rituale stellen die Wiedereingliederung des Kriegers in die Gemeinschaft, die Rückkehr vom Tod zum Leben, die Entschlossenheit, dem Krieg den Rücken zu kehren und die Gesellschaft neu aufzubauen, eindrucksvoll dar. In Südafrika hat die Wahrheits- und Versöhnungs-Kommission unter dem Vorsitz von Bischof Desmond Tutu in einem extrem schwierigen Kontext einen Weg erprobt, Rache und Schuldzuweisungen zu verhindern, indem sie denen, die ihre mit politischen Zielen im Konflikt in der Vergangenheit verbundenen Handlungen offen legten, Amnestie zusicherte. Den Unzulänglichkeiten und der unvermeidlichen Schwierigkeit, das Bedürfnis nach Versöhnung mit dem Bedürfnis nach Gerechtigkeit in Einklang zu bringen zum Trotz, kann die Arbeit der Kommission anderen Gesellschaften, die Gewaltkonflikte hinter sich haben, als Vorbild dienen.
Das Zentrum für Frieden und Versöhnung in Kambodscha, an dessen Einrichtung vor allen anderen Buddhisten beteiligt waren, hat durch Training in Gewaltfreiheit, Friedensmärsche und andere Programme den Prozess der Heilung und Wiederherstellung einer Friedenskultur in Kambodscha in Gang gesetzt. In der Batticaloa-Region in Sri Lanka wurde ein Heilungs-Garten für durch die Kampfhandlungen traumatisierte Kinder eingerichtet. Der Garten sollte nicht an transzendente Religionen oder ethnische Teilungen erinnern, sondern er bezieht sich auf Symbole für Frieden und Ganzheit, die mit der Erde zu tun haben.
In den letzten Jahrzehnten arbeiten religiöse Organisationen, die sich der Versöhnungsarbeit widmen, enger als früher zusammen und tauschen sich über Strategien aus. Der Versöhnungsbund wurde 1914 von Christen gegründet, aber seitdem ist er eine interkonfessionelle Organisation geworden, der sich auch Gruppen wie Jewish Peace Fellowship und die Buddhist Peace Fellowship angeschlossen haben. Dies ist nur ein Beispiel für das Entstehen einer die Religionen übergreifenden Friedensspiritualität.
VIII. Errichten einer Tradition der Friedensspiritualität
Zwar ist Spiritualität eine Angelegenheit des Inneren des Menschen und widersetzt sich deshalb der Institutionalisierung, aber dennoch erhebt sich unvermeidlich die Frage: Was können wir tun, um sie zu erhalten, zu übertragen und zu verbreiten? Können wir dabei auf Traditionen der Friedensspiritualität aufbauen?
Eine soziale Gruppe, die Innerlichkeit, Kontemplation und dergleichen betont, muss ihren Mitgliedern und anderen, die sie erreichen möchte, die Werte, Symbole und Praktiken zur Verfügung stellen, die einen Zugang zum spirituellen Bereich ermöglichen. Dort, wo die herrschenden Kulturen diesen Bereich ignorieren oder sogar aktiv sein Vorhandensein leugnen, wenden sich Werte, Symbole und Praktiken gegen diese Kultur. Es ist durchaus normal, dass es Spannungen zwischen der herrschenden Kultur und der Kultur der Friedensspiritualität gibt. In der Zeit des Kalten Krieges geschah es oft, dass Staaten sehr viel Energie darauf verwendeten, die Bevölkerungen durch Staatsrituale und -mythen gegen den offiziellen Feind zu mobilisieren, während die, die sich der Friedensspiritualität widmeten, den genau entgegen gesetzten Weg einschlugen. In den 1980er Jahren wurden Glaubensbekenntnisse, Gebete und Rituale entwickelt, die staatliche Versionen direkt parodierten (z.B. John LaForges bereits erörtertes Glaubensbekenntnis), um eine alternative Vision lebendig zu erhalten.
Spirituelle Traditionen entwickeln sich durch die Auswahl an Texten, ein paar Übungen und Lehren und Organisationsregeln. Die Regeln können explizit und detailliert sein und sie können offen sein und sowohl mit spirituellen Praktiken als auch mit Themen der Macht und der Interaktion mit der säkularen Welt zu tun haben. Ordensregeln sind ein Beispiel für die Verbindung spiritueller und weltlicher Belange. Entsprechend ergänzt bei den Fünf Nationen das Große Gesetz (auch die Verfassung der Fünf Nationen genannt) die Erzählung von Deganawidah, indem es sie konkret umsetzt: Gespräch und Konsens beim Treffen von Entscheidungen, die Rollen von Frauen und Männern, die zulässige Anwendung von Zwang, das Vorgehen bei der Auswahl der Führer: Alles ist mit dem ausdrücklichen Ziel, den Großen Frieden zu bewahren, bis in alle Einzelheiten festgelegt. Ebenso hat die religiöse Gesellschaft der Freunde [Quäker] genau auf die Entwicklung von Organisationsformen, Diskurs, Verantwortung und Entscheidungen geachtet, die die obersten Werte der Gruppe nennen und Raum für spirituelle Einsichten lassen.
Einige spirituelle Traditionen sind so auf Innerlichkeit bedacht, dass sie sich damit begnügen, ihre Visionen zu bewahren und keinen Versuch unternehmen, die Welt zu verändern. Ein derartiger Quietismus war im frühen 19. Jahrhundert vor der Entstehung der modernen Friedensbewegung allgemein. In den beiden letzten Jahrhunderten hat die Friedensspiritualität einen Wandel durchgemacht. Sie begnügt sich nicht mehr damit, nur Zeuge in der Welt zu sein, sondern engagiert sich im Kampf für die Veränderung der Welt. Natürlich sind nicht alle Varianten der Friedensspiritualität gleich aktiv. Im asiatischen Buddhismus gibt es noch viele Kontroversen über die Rolle, die spirituellen Führern angemessen ist, und darüber, in welchem Ausmaß es ihnen akzeptabel erscheint, sich bei sozialen und politischen Angelegenheiten zu engagieren. Das Internationale Netzwerk engagierter Buddhisten ist eine Organisation, die gemeinsam mit Schwesterorganisationen ausarbeitet, wie ein sozial engagierter Buddhismus in der modernen Welt aussehen sollte. Die Organisation sponsert viele Projekte für Frieden und für soziale und Umwelt-Gerechtigkeit. Ebenso können wir in den historischen christlichen Friedenskirchen einige Ansichten darüber finden, welches Maß und welche Art des Engagements in der Welt angemessen seien. Die Bildung von Organisationen wie Christian Peacemaker Teams (am Sponsoring beteiligen sich auch die drei historischen Friedenskirchen), die aktiv in Gewaltkonflikte eintreten, um lokale Bemühungen um Friedensstiftung zu unterstützen, zeugen für eine beeindruckende Vereinigung von traditionellem Pazifismus mit sehr moderner Anteilnahme an politischer Strategie. Neuere Traditionen der Friedensspiritualität – z.B. die, die mit Feminismus und Umweltbewusstsein verbunden sind – widmen sich ausdrücklich dem Engagement in der Welt und sehen dieses als Ausdruck von Spiritualität.
Viele der aktivsten Nichtregierungsorganisationen, die sich der Unterstützung der Menschen in Kriegsgebieten und in anderen schwierigen Situationen widmen, entstanden durch die eine oder andere Form von Friedensspiritualität. Ebenso bezeugen Leben und Denken der UN-Generalsekretäre U Thant und Dag Hammarskjöld wie auch vieler anderer Beamten der Vereinten Nationen den Einfluss der Friedensspiritualität auf diese Organisation.
Zukunftsaussichten der Friedensspiritualität
Vom Standpunkt der praktischen Friedensstiftung sind die Schwächen, zu denen die Friedensspiritualität neigt, eng mit den Merkmalen verbunden, die ihr ihre besondere Stärke verleihen. Utopisches Gedankengut wird manchmal als große Naivität und Verneinung der Realität gesehen und führt in manchen Fällen zu intoleranten und sogar gewalttätigen Formen von Chiliasmus. Seine moralische Gewissheit kann einen Propheten daran hindern, die bei der Friedensstiftung manchmal notwendigen Kompromisse einzugehen. Dem Verweigerer ist vielleicht mehr an der Selbstreinigung und eigenen Vollkommenheit als an der konkreten Veränderung der Welt gelegen. Zwar wird Spiritualität oft betrieben, um das Sektierertum der institutionellen Religion zu überschreiten, aber sie kann leicht Grundlagen für Trennung neu schaffen, wenn sie ihre Gegner dämonisiert und ihre kreativen Energien in Übungen der Selbstlegitimierung vergeudet. Schließlich ist das Bedürfnis spiritueller Traditionen nach eigenen Symbolen, Narrationen und Praktiken dann problematisch, wenn diese für die Mitglieder der Gruppe, mit der man Frieden schließen will, bedeutungslos oder sogar abstoßend sind.
Andererseits können wir, wenn wir von der Entwicklung in den letzten hundert Jahren ausgehen, eine Zunahme der Kommunikation und Kooperation zwischen Menschen, die verschiedenen Formen von Friedensspiritualität angehören, erwarten. Viele, die an der Welt-Friedensbewegung teilnehmen, identifizieren sich inzwischen stärker mit dieser Bewegung als mit irgendeiner formellen Religion oder Ideologie. Für die Zukunft können wir mehr Austausch, Lernen, gegenseitige Inspiration und Kooperation erwarten. Spiritualität begünstigt direkte Erfahrung und reale Begegnung mit anderen Lebewesen. Sie wird sich als anpassungsfähiger und weniger gefährlich erweisen, als es unbewegliche religiöse Dogmen und politische Ideologien waren und sind, die die Geschichte der Menschen nur allzu oft beherrscht haben und beherrschen.
Der Autor
Graeme MacQueen wurde in Kanada geboren und wuchs dort auch auf. Er erwarb den "Ph.D. degree from Harvard University" (entspricht der deutschen Habilitation) in „Buddhistischen Studien“. 30 Jahre lang lehrte er in der Abteilung für Religiöse Forschung an der McMaster-Universität in Hamilton in Kanada. 1989 wurde er Gründungs-Direktor des Friedensforschungs-Zentrums an der McMaster-Universität. Danach war er Mitbegründer von Friedenskonsolidierungs-Projekten in verschiedenen Kriegsgebieten. Sein neuestes Buch ist The 2001 Anthrax Deception, Atlanta: Clarity Press 2014. Über das Buch:
http://www.claritypress.com/MacQueen.html (01.03.16)
Das Buch:
Spiritualität und Frieden
Kindle Edition $2.99
Von Graeme MacQueen, aus dem Englischen ins Deutsche übersetzt von Ingrid von Heiseler (1)
In dem Buch stellt der Autor Fünf Friedens-Spiritualitäten Asiens vor, dazu behandelt er Acht Aspekte von Friedensspiritualität. In der Einführung heißt es: „In diesem Buch verteidigen wir weder die Religion an sich noch greifen wir sie an. Zwar achten wir auf Fehler und Gefahren von Religion, aber wir geben sie nicht auf, weil wir viel Inspirierendes und Heilsames darin sehen […] Man muss umdenken, einen neuen Rahmen finden und neue Kategorien erfinden. Das haben wir getan […] Wir hoffen, dass auch Menschen, die sich nicht mit einer der traditionellen religiösen Traditionen identifizieren können, die aber meinen, dass ‚Spiritualität‘ sich auf etwas Gutes und Notwendiges beziehe, dieses Buch lesen und sich positiv am Dialog über Frieden, Religion und Spiritualität beteiligen werden.“
Letzter Teil des Buches:
Acht Aspekte von Friedensspiritualität (2)
Teil 1:
I. Moralische Grundlage
II. Visionen
III. Kritik
(a) Prophetie
(b) Verweigerung
Teil 2:
IV. Widerstand
V. Gewaltfreiheit
VI. Konfliktlösung und Konflikttransformation
Teil 3:
VII. Versöhnung (3)
VIII. Errichten einer Tradition der Friedensspiritualität
Fussnoten
1 http://www.amazon.com/Spiritualit%C3%A4t-Frieden-Ingrid-Heiseler-Ver%C3%B6ffentlichungen-ebook/dp/B01C44FPIQ/ref=sr_1_1?ie=UTF8&qid=1456504514&sr=8-1&keywords=ingrid+von+heiseler
http://ingridvonheiseler.formatlabor.net/?p=787
2 Vgl. Graeme MacQueen, "Spirituality and Peacemaking," in Encyclopedia of Violence, Peace, & Conflict (San Diego: Academic Press, 1999). pp. 351 ff.
3 Galtung, Johan e.a., Versöhnung. Die Vergangenheit aufarbeiten – die Zukunft aufbauen.
Aus dem Englischen von Ingrid von Heiseler.
Belm-Vehrte/Osnabrück: Sozio-Publishing 2014. http://ingridvonheiseler.formatlabor.net/?p=618
4 Silko, Leslie Marmon. Ceremony. (New York: Viking, 1977). -, Gestohlenes Land wird ihre Herzen fressen/"Ceremony". München: Rogner & Bernhard 1981 und Unionsverlag 1996.
Siehe auch:
Folge 1
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22585
Folge 2
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22604
Online-Flyer Nr. 553 vom 16.03.2016