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Gedanken zum Kriegskinder-Projekt der Arbeiterfotografie
Über Kriegs- und Friedenslieder
Von Klaus Steiniger
Am 3. Januar 2016 schickte Klaus Steiniger, Ehrenmitglied des Bundesverbands Arbeiterfotografie, eine Betrachtung für das Kriegskinder-Projekt. Am Tag drauf rief er an, um noch kleine Korrekturen vorzunehmen. Eine kurze Passage ist dann zum Bestandteil eines Exponats des Kriegskinder-Projekts geworden: „Solange es das Vaterland DDR für mich und viele Millionen andere Deutsche gab, blieb der Krieg eine in die Schranken gewiesene Drohung. Als es dann aber nach 40 Jahren des Bestehens und Widerstehens vom Deutschland des Kapitals verschlungen wurde, näherte sich auch in Europa die Ära des langen Friedens ihrem Ende.“ Wir veröffentlichen hier – gewissermaßen als seinen letzten schriftlichen Gruß an die Arbeiterfotografie – den kompletten Text.
Ende Dezember 1932 geboren, also noch vom allerletzten Aufgebot der Weimarer Republik, erlebte ich den Bombenterror in Berliner Luftschutzkellern. Ich erinnere mich des unablässigen Heulens der Sirenen und der schlotternden Angst, die ihr Klang auslöste, aber auch der auf die Roste vor den Fenstern des "Luftschutzkellers" unseres von Bomben getroffenen Hauses herunterstürzenden brennenden Trümmerteile.
Damals sang der Nazinachwuchs aus der Hitlerjugend das vom Größenwahn geprägte Lied mit dem Refrain: "Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Trümmer fällt, denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt." Obwohl im Text eigentlich nur von "hört" die Rede war, brüllte man in den Marschkolonnen der HJ immer nur "gehört".
Als endlich Frieden einzog und bei uns im Osten mit dem Wiederaufbau begonnen werden konnte – allerdings ohne Marshallplan-Hilfe – war ich, der Sohn eines Berliner Kommunisten und einer aus dem Rheinland stammenden Mutter, die immer SPD gewählt und erst im März 1933 erstmals ihr Kreuz bei der KPD gemacht hatte, sofort dabei, als etwas Neues entstehen sollte.
Am 7. Oktober 1949, in der Geburtsstunde der DDR, saß ich als wohl jüngster Zuschauer im Steinsaal des späteren Hauses der Ministerien und konnte beobachten, wie mein Vater als Mitglied der Kulturbundfraktion der Provisorischen Volkskammer gemeinsam mit Arnold Zweig und Viktor Klemperer dem ersten DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck per Handzeichen seine Stimme gab.
Damals eroberte das Lied von der kleinen weißen Friedenstaube die Herzen aller. Ein anderer Text begann mit den Worten: "Das neue Leben muß anders werden, als dieses Leben, als diese Zeit ...". Und zum Neubeginn gehörte die von Johannes R. Becher und Hanns Eisler geschaffene Hymne der DDR. Mit Inbrunst sangen wir deren Worte: "Glück und Frieden sei beschieden - Deutschland, unserm Vaterland". Und auch davon, daß dieses Deutschland allen Völkern die Hand reiche, war hier die Rede.
Solange es das Vaterland DDR für mich und viele Millionen andere Deutsche gab, blieb der Krieg eine in die Schranken gewiesene Drohung. Als es dann aber nach 40 Jahren des Bestehens und Widerstehens vom Deutschland des Kapitals verschlungen wurde, näherte sich auch in Europa die Ära des langen Friedens ihrem Ende.
Jene, die ihre Geschwader im Verband der Air Force aus Übersee erst gegen Jugoslawien und dann gegen Afghanistan aufsteigen ließen und inzwischen nicht nur dort beim blutigen Geschehen weiter mitmischen, hatten ganz andere Lieder im Sinn und auf den Lippen als wir – die vom Grauen des 2. Weltkrieges geprägten Überlebenden, welche dem Bombenhagel gerade noch einmal entronnen waren.
Lieder widerspiegeln Hoffnungen und Sehnsüchte, Trauer und Schmerz. Sie sind Ausdruck der seelischen Verfaßtheit von Menschen. Sie werden von unter humanen wie inhumanen Bedingungen Lebenden gesungen und offenbaren das moralische Gepräge ihrer Zeit.
Zwischen Kriegs- und Friedensliedern liegen Welten, klaffen Abgründe. Da ist es doch kein Wunder, wenn ich bekenne, Jahrzehnte nach dem Untergang der DDR bei Becher und Eisler geblieben zu sein. Ja, Glück und Frieden sei beschieden, Deutschland, unserm Vaterland ... reicht den Völkern eure Hand!
Siehe auch:
Nachruf auf Klaus Steiniger
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22730
Fotogalerie zur Kriegskinder-Ausstellung im Rahmen der Linken Literaturmesse in Nürnberg, 30. Oktober bis 1. November 2015 (in einer ersten Fassung noch ohne Klaus Steiniger)
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22222
Online-Flyer Nr. 558 vom 20.04.2016
Gedanken zum Kriegskinder-Projekt der Arbeiterfotografie
Über Kriegs- und Friedenslieder
Von Klaus Steiniger
Am 3. Januar 2016 schickte Klaus Steiniger, Ehrenmitglied des Bundesverbands Arbeiterfotografie, eine Betrachtung für das Kriegskinder-Projekt. Am Tag drauf rief er an, um noch kleine Korrekturen vorzunehmen. Eine kurze Passage ist dann zum Bestandteil eines Exponats des Kriegskinder-Projekts geworden: „Solange es das Vaterland DDR für mich und viele Millionen andere Deutsche gab, blieb der Krieg eine in die Schranken gewiesene Drohung. Als es dann aber nach 40 Jahren des Bestehens und Widerstehens vom Deutschland des Kapitals verschlungen wurde, näherte sich auch in Europa die Ära des langen Friedens ihrem Ende.“ Wir veröffentlichen hier – gewissermaßen als seinen letzten schriftlichen Gruß an die Arbeiterfotografie – den kompletten Text.
Ende Dezember 1932 geboren, also noch vom allerletzten Aufgebot der Weimarer Republik, erlebte ich den Bombenterror in Berliner Luftschutzkellern. Ich erinnere mich des unablässigen Heulens der Sirenen und der schlotternden Angst, die ihr Klang auslöste, aber auch der auf die Roste vor den Fenstern des "Luftschutzkellers" unseres von Bomben getroffenen Hauses herunterstürzenden brennenden Trümmerteile.
Damals sang der Nazinachwuchs aus der Hitlerjugend das vom Größenwahn geprägte Lied mit dem Refrain: "Wir werden weiter marschieren, wenn alles in Trümmer fällt, denn heute gehört uns Deutschland und morgen die ganze Welt." Obwohl im Text eigentlich nur von "hört" die Rede war, brüllte man in den Marschkolonnen der HJ immer nur "gehört".
Als endlich Frieden einzog und bei uns im Osten mit dem Wiederaufbau begonnen werden konnte – allerdings ohne Marshallplan-Hilfe – war ich, der Sohn eines Berliner Kommunisten und einer aus dem Rheinland stammenden Mutter, die immer SPD gewählt und erst im März 1933 erstmals ihr Kreuz bei der KPD gemacht hatte, sofort dabei, als etwas Neues entstehen sollte.
Am 7. Oktober 1949, in der Geburtsstunde der DDR, saß ich als wohl jüngster Zuschauer im Steinsaal des späteren Hauses der Ministerien und konnte beobachten, wie mein Vater als Mitglied der Kulturbundfraktion der Provisorischen Volkskammer gemeinsam mit Arnold Zweig und Viktor Klemperer dem ersten DDR-Präsidenten Wilhelm Pieck per Handzeichen seine Stimme gab.
Damals eroberte das Lied von der kleinen weißen Friedenstaube die Herzen aller. Ein anderer Text begann mit den Worten: "Das neue Leben muß anders werden, als dieses Leben, als diese Zeit ...". Und zum Neubeginn gehörte die von Johannes R. Becher und Hanns Eisler geschaffene Hymne der DDR. Mit Inbrunst sangen wir deren Worte: "Glück und Frieden sei beschieden - Deutschland, unserm Vaterland". Und auch davon, daß dieses Deutschland allen Völkern die Hand reiche, war hier die Rede.
Solange es das Vaterland DDR für mich und viele Millionen andere Deutsche gab, blieb der Krieg eine in die Schranken gewiesene Drohung. Als es dann aber nach 40 Jahren des Bestehens und Widerstehens vom Deutschland des Kapitals verschlungen wurde, näherte sich auch in Europa die Ära des langen Friedens ihrem Ende.
Jene, die ihre Geschwader im Verband der Air Force aus Übersee erst gegen Jugoslawien und dann gegen Afghanistan aufsteigen ließen und inzwischen nicht nur dort beim blutigen Geschehen weiter mitmischen, hatten ganz andere Lieder im Sinn und auf den Lippen als wir – die vom Grauen des 2. Weltkrieges geprägten Überlebenden, welche dem Bombenhagel gerade noch einmal entronnen waren.
Lieder widerspiegeln Hoffnungen und Sehnsüchte, Trauer und Schmerz. Sie sind Ausdruck der seelischen Verfaßtheit von Menschen. Sie werden von unter humanen wie inhumanen Bedingungen Lebenden gesungen und offenbaren das moralische Gepräge ihrer Zeit.
Zwischen Kriegs- und Friedensliedern liegen Welten, klaffen Abgründe. Da ist es doch kein Wunder, wenn ich bekenne, Jahrzehnte nach dem Untergang der DDR bei Becher und Eisler geblieben zu sein. Ja, Glück und Frieden sei beschieden, Deutschland, unserm Vaterland ... reicht den Völkern eure Hand!
Siehe auch:
Nachruf auf Klaus Steiniger
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22730
Fotogalerie zur Kriegskinder-Ausstellung im Rahmen der Linken Literaturmesse in Nürnberg, 30. Oktober bis 1. November 2015 (in einer ersten Fassung noch ohne Klaus Steiniger)
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22222
Online-Flyer Nr. 558 vom 20.04.2016