SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Kultur und Wissen
Die Geschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle
Die Welt zerschlagen (6)
Von Ute Bales
Ute Bales hat einen biografischen Roman zur Lebensgeschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle geschrieben, die keine 24 Jahre alt wird. Ihr Schicksal ist Krieg, der Erste Weltkrieg, die Liebe, die Tuberkulose, die Künstlergruppe Dada. Mit Kunst die Welt verändern!? Die NRhZ bringt Auszüge aus dem Roman. Teil 6 beschreibt die Aktion "Lola tanzt". Die Dada-Leute hatten englische Besatzungssoldaten zu dem vielversprechenden Abend "Lola tanzt" eingeladen. In Wahrheit aber hatte einer der Künstler sich als Frau verkleidet, und als die Soldaten wegen des Schwindels aufmuckten, sind sie alle mit der Kasse abgehauen. „Der Offizier, stiernackig und quelläugig, kommt gefährlich nah. In der Linken hält er eine Brille. Seine Rechte ballt er zur Faust. Er holt aus und will Anton ins Gesicht schlagen... Anton... rennt mit dem Schuhkarton unterm Arm aus der Wohnung.“
Niemand hat Geld. Fast alle leben auf Pump. Plötzlich kreist die Idee, am Hildeboldplatz etwas Lustiges, Verrücktes zu veranstalten und Eintritt zu verlangen. „Ich will endlich mal wieder ne Mark in der Hand halten“, sagt Anton und meint, das Ganze müsse sich spektakulär anhören und nach Erlebnis klingen. „So was wie `Die nackte Anna´ oder ´Die Frau mit den drei Brüsten´.“ Er spielt auf Angelikas Amazone an und muss lachen. „Und wer ist dann die Frau mit den drei Brüsten?“, will Angelika wissen. „Na wir natürlich. Wir Männer. Stellt euch das doch mal vor.“ Marta zweifelt. Heinrich sitzt da mit hängenden Mundwinkeln. Mit einer wegwerfenden Handbewegung schiebt er alles beiseite: „Also, ich mach da nicht mit.“ „Wie wärs, wenn ich einen Tanz aufführe, in einem total phantastischen Kostüm?“, fragt Willy und springt auf, um ein paar schräge Bewegungen zu machen. „Das würdest du tun? Und wie willst du heißen?“ „Nennt mich Anna oder Lola oder so.“ Anton ist begeistert. „Lola klingt gut. Was meint ihr?“ Alle kreischen. Willy steht auf und dreht eine Pirouette. „Da seht ihrs: Lola tanzt! Herrlich! Das machen wir! Und wir laden Offiziere ein. Die haben Geld. Wir schreiben Einladungen, die Geli und Marta vor den Kasernen verteilen. Was glaubt ihr, wie das wirkt!“ Heinrichs missbilligender Blick trifft Angelika nicht. „Also ich bin dabei.“ Es dauert ein bisschen, dann ist auch Marta überredet. Die einzigen, die die Nase rümpfen, sind Heinrich und Franz.
Angelika und Marta lassen sich nicht aufhalten. Tagelang planen sie Willys Kostüm und verteilen Einladungen: `Lola tanzt! Am Dienstagabend um 20 Uhr, Hildeboldplatz No. 9. Ein unvergessliches Pläsir.´
Marta und Anton haben das Atelier ausgeräumt und die Fenster mit blau bemalten Kartons zugeklebt. Auch die Bilder sind abgehängt. Stattdessen verbreiten jetzt Talglichter in Blechgefäßen ein schummeriges Licht. Die Stühle reichen nicht, weswegen Anton Bretter auf die Sitzflächen legt, damit statt einem, drei Leute sitzen können. Stühle und Bretter sind mit buntem Krepppapier umwickelt. Vor den Stühlen, ganz vorne, markiert eine runde Tischdecke die Tanzfläche für Willy.
Um Acht soll es losgehen, aber schon weit vorher füllt sich der Raum. Künstler kommen, zwei Sängerinnen vom Café Hindenburg und Arbeiter von der Schokoladenfabrik. Von Angelikas und Martas Werbung angelockt, poltert eine Gruppe englischer Besatzungsoffiziere die Treppe herauf. Sie sind laut, einige von ihnen angetrunken. Marta sitzt im Türrahmen vor einem in Buntpapier eingeschlagenen Schuhkarton und kassiert. Jemand fragt, ob es auch Getränke gibt. Nein, Getränke gibt es nicht.
Angelika und Marta tragen weite, lange Kleider und haben sich Hüte aus Pappe gebastelt. Lange, blaue Federn wippen bei jedem Schritt. Anton hat sich für ein dunkelviolettes Jackett entschieden, das er in der Karnevalskiste gefunden hat. Zudem hat er sich Briefmarken auf die Stirn geklebt und eine lila Federboa um den Hals gehängt, die ständig Federn verliert.
Franz fehlt. Heinrich ist, obwohl ihn solche Dinge anwidern, gekommen. Er hat Angelika im Auge, die sich über die Papphüte amüsiert und steht mit auf dem Rücken verschränkten Händen am hinteren Fenster.
Angelika löscht das Licht. Mit vierzehn Schlägen auf eine Keksdose wird Lola angekündigt. Anton schreit: „Lola tanzt! Nur für Sie! Nur heute und hier! Einmalig! Begrüßen Sie mit mir – Madame Lo-La!“ Er klatscht in die Hände, die Offiziere klatschen auch. Ein neues Licht geht an und beleuchtet Willy, der sich zwischen Stühlen und Brettern einen Weg nach vorne zur Tanzfläche bahnt. Eingepackt in eine riesige Papprolle, eine Kochmütze auf dem Kopf, die Lippen rot geschminkt, verbeugt er sich. Seine Beine stecken ebenfalls in Papprollen. Um seine Schultern liegt ein Umhang, an dem Gabeln, Messer und Siebe baumeln. Er hält ein Buch in der Hand und beginnt ein Gedicht zu lesen. Dabei beugt er sich vor und zurück, vor und zurück. „Oh du Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe dir! Du, deiner; dich dir, ich dir, du mir, - - - wir? Das gehört beiläufig nicht hierher! Wer bist du, ungezähltes Frauenzimmer, du bist, bist du? Die Leute sagen, du wärest. Lass sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht. Du trägst den Hut auf deinen Füßen und wanderst auf die Hände, auf den Händen wanderst du. Hallo, deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt, rot liebe ich, Anna Blume, rot liebe ich dir. Du, deiner, dich dir, ich dir, du mir, - - - wir? Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute? Na, was sagen die Leute?“
Er stürzt auf einen Mann zu, der ganz vorne sitzt und reißt ihn vom Stuhl. „Preisfrage mein Herr! Erstens. Hat Anna Blume einen Vogel?“ Er tippt dem Mann auf die Stirn und schreit: „Natürlich hat sie das! Zweitens: Ist Anna Blume rot?“ Der Mann ist ganz verdattert und weiß nicht, was er tun oder sagen soll. Willy gibt ihm die Antwort: „Natürlich ist Anna Blume rot! Drittens: Welche Farbe hat der Vogel? Naaaa? Du weißt es nicht, was? Ich will die Antwort geben.“ Er gibt dem Mann einen Schubs, dass er zurück auf den Sitz fliegt, hebt den Arm, dann die Stimme: „Blau ist die Farbe deines gelben Haares, Rot ist die Farbe deines grünen Vogels. Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid, du liebes grünes Tier, ich liebe dir! Du deiner dich dir, ich dir, du mir, - - - wir! Anna Blume, Anna, A - - - N - - - N- - - A! Ich träufle deinen Namen. Dein Name tropft wie weicher Rindertalg …“ In der ersten Reihe entsteht Unruhe. Flüstern wird laut. Plötzlich schreit einer: „Was soll das? Wir sind nicht hier, uns so einen Quatsch anzutun!“ Willy macht ungerührt weiter. „Weißt du es Anna, weißt du es schon? Man kann dich auch von hinten lesen. Und du, du Herrlichste von allen, du bist von hinten und von vorne: A - - - N - - - N - - - A. Anna Blume, du tropfes Tier, Ich - - - liebe - - - dir!“ Dabei verbeugt er sich, aber jemand packt seinen Kopf, reißt ihn noch weiter herunter, so dass Willy auf dem Boden landet und die Pappe reißt. „Was soll das? Ihr habt uns das Geld aus der Tasche gezogen! Was ist mit Lola?“
Andere mischen sich ein, fangen an zu schreien: „Ja, was ist mit Lola? Die haben wir uns anders vorgestellt!“ Einer reißt Willy die Kochmütze vom Kopf und wirft sie durch den Raum. Dann stürzt er sich auf ihn. Anton greift ein, will den Mann wegreißen, woraufhin sich jemand vor Anton aufbaut: „Wir wollen unser Geld zurück!“ Einer der Offiziere lässt sich anstecken: „Everything fraud! Nothing but blue haze! Give back the money!“ Anton steht da, überlegen grinsend. „Ihr habt euch das also anders vorgestellt. Für eure Vorstellungen können wir aber nichts!“ Der Offizier, stiernackig und quelläugig, kommt gefährlich nah. In der Linken hält er eine Brille. Seine Rechte ballt er zur Faust. Er holt aus und will Anton ins Gesicht schlagen. Anton duckt sich, ein zweiter Schlag trifft ihn, er taumelt und blutet nach der Attacke am Kinn. Das violette Jackett bekommt Flecken. Der Mann will sich auf Willy stürzen, aber Heinrich greift ein, packt sich den Offizier, reißt an seinem Jackett. Alle schreien durcheinander. Marta und Angelika flüchten ins Nebenzimmer und linsen durch den Türspalt. „Wir müssen die Kasse retten“, flüstert Marta. In diesem Moment stürzt Anton an ihnen vorbei, rennt mit dem Schuhkarton unterm Arm aus der Wohnung.
Ute Bales: Die Welt zerschlagen – Die Geschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle, Gebundene Ausgabe, 280 Seiten, Rhein-Mosel-Verlag, 2015, 19,80 Euro
Siehe auch:
Die Welt zerschlagen – Die Geschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle
Auszug 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22768
Auszug 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22791
Auszug 3: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22808
Auszug 4: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22827
Auszug 5: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22845
Filmclip
Lesung aus einem Roman zur Lebensgeschichte von Angelika Hoerle
Dada-Künstlerin Angelika Hoerle
NRhZ 552 vom 09. März 2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22599
Online-Flyer Nr. 565 vom 08.06.2016
Die Geschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle
Die Welt zerschlagen (6)
Von Ute Bales
Ute Bales hat einen biografischen Roman zur Lebensgeschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle geschrieben, die keine 24 Jahre alt wird. Ihr Schicksal ist Krieg, der Erste Weltkrieg, die Liebe, die Tuberkulose, die Künstlergruppe Dada. Mit Kunst die Welt verändern!? Die NRhZ bringt Auszüge aus dem Roman. Teil 6 beschreibt die Aktion "Lola tanzt". Die Dada-Leute hatten englische Besatzungssoldaten zu dem vielversprechenden Abend "Lola tanzt" eingeladen. In Wahrheit aber hatte einer der Künstler sich als Frau verkleidet, und als die Soldaten wegen des Schwindels aufmuckten, sind sie alle mit der Kasse abgehauen. „Der Offizier, stiernackig und quelläugig, kommt gefährlich nah. In der Linken hält er eine Brille. Seine Rechte ballt er zur Faust. Er holt aus und will Anton ins Gesicht schlagen... Anton... rennt mit dem Schuhkarton unterm Arm aus der Wohnung.“
Niemand hat Geld. Fast alle leben auf Pump. Plötzlich kreist die Idee, am Hildeboldplatz etwas Lustiges, Verrücktes zu veranstalten und Eintritt zu verlangen. „Ich will endlich mal wieder ne Mark in der Hand halten“, sagt Anton und meint, das Ganze müsse sich spektakulär anhören und nach Erlebnis klingen. „So was wie `Die nackte Anna´ oder ´Die Frau mit den drei Brüsten´.“ Er spielt auf Angelikas Amazone an und muss lachen. „Und wer ist dann die Frau mit den drei Brüsten?“, will Angelika wissen. „Na wir natürlich. Wir Männer. Stellt euch das doch mal vor.“ Marta zweifelt. Heinrich sitzt da mit hängenden Mundwinkeln. Mit einer wegwerfenden Handbewegung schiebt er alles beiseite: „Also, ich mach da nicht mit.“ „Wie wärs, wenn ich einen Tanz aufführe, in einem total phantastischen Kostüm?“, fragt Willy und springt auf, um ein paar schräge Bewegungen zu machen. „Das würdest du tun? Und wie willst du heißen?“ „Nennt mich Anna oder Lola oder so.“ Anton ist begeistert. „Lola klingt gut. Was meint ihr?“ Alle kreischen. Willy steht auf und dreht eine Pirouette. „Da seht ihrs: Lola tanzt! Herrlich! Das machen wir! Und wir laden Offiziere ein. Die haben Geld. Wir schreiben Einladungen, die Geli und Marta vor den Kasernen verteilen. Was glaubt ihr, wie das wirkt!“ Heinrichs missbilligender Blick trifft Angelika nicht. „Also ich bin dabei.“ Es dauert ein bisschen, dann ist auch Marta überredet. Die einzigen, die die Nase rümpfen, sind Heinrich und Franz.
Angelika und Marta lassen sich nicht aufhalten. Tagelang planen sie Willys Kostüm und verteilen Einladungen: `Lola tanzt! Am Dienstagabend um 20 Uhr, Hildeboldplatz No. 9. Ein unvergessliches Pläsir.´
Marta und Anton haben das Atelier ausgeräumt und die Fenster mit blau bemalten Kartons zugeklebt. Auch die Bilder sind abgehängt. Stattdessen verbreiten jetzt Talglichter in Blechgefäßen ein schummeriges Licht. Die Stühle reichen nicht, weswegen Anton Bretter auf die Sitzflächen legt, damit statt einem, drei Leute sitzen können. Stühle und Bretter sind mit buntem Krepppapier umwickelt. Vor den Stühlen, ganz vorne, markiert eine runde Tischdecke die Tanzfläche für Willy.
Um Acht soll es losgehen, aber schon weit vorher füllt sich der Raum. Künstler kommen, zwei Sängerinnen vom Café Hindenburg und Arbeiter von der Schokoladenfabrik. Von Angelikas und Martas Werbung angelockt, poltert eine Gruppe englischer Besatzungsoffiziere die Treppe herauf. Sie sind laut, einige von ihnen angetrunken. Marta sitzt im Türrahmen vor einem in Buntpapier eingeschlagenen Schuhkarton und kassiert. Jemand fragt, ob es auch Getränke gibt. Nein, Getränke gibt es nicht.
Angelika und Marta tragen weite, lange Kleider und haben sich Hüte aus Pappe gebastelt. Lange, blaue Federn wippen bei jedem Schritt. Anton hat sich für ein dunkelviolettes Jackett entschieden, das er in der Karnevalskiste gefunden hat. Zudem hat er sich Briefmarken auf die Stirn geklebt und eine lila Federboa um den Hals gehängt, die ständig Federn verliert.
Franz fehlt. Heinrich ist, obwohl ihn solche Dinge anwidern, gekommen. Er hat Angelika im Auge, die sich über die Papphüte amüsiert und steht mit auf dem Rücken verschränkten Händen am hinteren Fenster.
Angelika löscht das Licht. Mit vierzehn Schlägen auf eine Keksdose wird Lola angekündigt. Anton schreit: „Lola tanzt! Nur für Sie! Nur heute und hier! Einmalig! Begrüßen Sie mit mir – Madame Lo-La!“ Er klatscht in die Hände, die Offiziere klatschen auch. Ein neues Licht geht an und beleuchtet Willy, der sich zwischen Stühlen und Brettern einen Weg nach vorne zur Tanzfläche bahnt. Eingepackt in eine riesige Papprolle, eine Kochmütze auf dem Kopf, die Lippen rot geschminkt, verbeugt er sich. Seine Beine stecken ebenfalls in Papprollen. Um seine Schultern liegt ein Umhang, an dem Gabeln, Messer und Siebe baumeln. Er hält ein Buch in der Hand und beginnt ein Gedicht zu lesen. Dabei beugt er sich vor und zurück, vor und zurück. „Oh du Geliebte meiner 27 Sinne, ich liebe dir! Du, deiner; dich dir, ich dir, du mir, - - - wir? Das gehört beiläufig nicht hierher! Wer bist du, ungezähltes Frauenzimmer, du bist, bist du? Die Leute sagen, du wärest. Lass sie sagen, sie wissen nicht, wie der Kirchturm steht. Du trägst den Hut auf deinen Füßen und wanderst auf die Hände, auf den Händen wanderst du. Hallo, deine roten Kleider, in weiße Falten zersägt, rot liebe ich, Anna Blume, rot liebe ich dir. Du, deiner, dich dir, ich dir, du mir, - - - wir? Anna Blume, rote Anna Blume, wie sagen die Leute? Na, was sagen die Leute?“
Er stürzt auf einen Mann zu, der ganz vorne sitzt und reißt ihn vom Stuhl. „Preisfrage mein Herr! Erstens. Hat Anna Blume einen Vogel?“ Er tippt dem Mann auf die Stirn und schreit: „Natürlich hat sie das! Zweitens: Ist Anna Blume rot?“ Der Mann ist ganz verdattert und weiß nicht, was er tun oder sagen soll. Willy gibt ihm die Antwort: „Natürlich ist Anna Blume rot! Drittens: Welche Farbe hat der Vogel? Naaaa? Du weißt es nicht, was? Ich will die Antwort geben.“ Er gibt dem Mann einen Schubs, dass er zurück auf den Sitz fliegt, hebt den Arm, dann die Stimme: „Blau ist die Farbe deines gelben Haares, Rot ist die Farbe deines grünen Vogels. Du schlichtes Mädchen im Alltagskleid, du liebes grünes Tier, ich liebe dir! Du deiner dich dir, ich dir, du mir, - - - wir! Anna Blume, Anna, A - - - N - - - N- - - A! Ich träufle deinen Namen. Dein Name tropft wie weicher Rindertalg …“ In der ersten Reihe entsteht Unruhe. Flüstern wird laut. Plötzlich schreit einer: „Was soll das? Wir sind nicht hier, uns so einen Quatsch anzutun!“ Willy macht ungerührt weiter. „Weißt du es Anna, weißt du es schon? Man kann dich auch von hinten lesen. Und du, du Herrlichste von allen, du bist von hinten und von vorne: A - - - N - - - N - - - A. Anna Blume, du tropfes Tier, Ich - - - liebe - - - dir!“ Dabei verbeugt er sich, aber jemand packt seinen Kopf, reißt ihn noch weiter herunter, so dass Willy auf dem Boden landet und die Pappe reißt. „Was soll das? Ihr habt uns das Geld aus der Tasche gezogen! Was ist mit Lola?“
Andere mischen sich ein, fangen an zu schreien: „Ja, was ist mit Lola? Die haben wir uns anders vorgestellt!“ Einer reißt Willy die Kochmütze vom Kopf und wirft sie durch den Raum. Dann stürzt er sich auf ihn. Anton greift ein, will den Mann wegreißen, woraufhin sich jemand vor Anton aufbaut: „Wir wollen unser Geld zurück!“ Einer der Offiziere lässt sich anstecken: „Everything fraud! Nothing but blue haze! Give back the money!“ Anton steht da, überlegen grinsend. „Ihr habt euch das also anders vorgestellt. Für eure Vorstellungen können wir aber nichts!“ Der Offizier, stiernackig und quelläugig, kommt gefährlich nah. In der Linken hält er eine Brille. Seine Rechte ballt er zur Faust. Er holt aus und will Anton ins Gesicht schlagen. Anton duckt sich, ein zweiter Schlag trifft ihn, er taumelt und blutet nach der Attacke am Kinn. Das violette Jackett bekommt Flecken. Der Mann will sich auf Willy stürzen, aber Heinrich greift ein, packt sich den Offizier, reißt an seinem Jackett. Alle schreien durcheinander. Marta und Angelika flüchten ins Nebenzimmer und linsen durch den Türspalt. „Wir müssen die Kasse retten“, flüstert Marta. In diesem Moment stürzt Anton an ihnen vorbei, rennt mit dem Schuhkarton unterm Arm aus der Wohnung.
Ute Bales: Die Welt zerschlagen – Die Geschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle, Gebundene Ausgabe, 280 Seiten, Rhein-Mosel-Verlag, 2015, 19,80 Euro
Siehe auch:
Die Welt zerschlagen – Die Geschichte der Dada-Künstlerin Angelika Hoerle
Auszug 1: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22768
Auszug 2: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22791
Auszug 3: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22808
Auszug 4: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22827
Auszug 5: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22845
Filmclip
Lesung aus einem Roman zur Lebensgeschichte von Angelika Hoerle
Dada-Künstlerin Angelika Hoerle
NRhZ 552 vom 09. März 2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22599
Online-Flyer Nr. 565 vom 08.06.2016