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Hydrogeologe Clemens Messerschmid zum Kampf um Wasser in Palästina
Ich versuche, Wut zu erzeugen – Empört Euch!
Im Gespräch mit Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
2017 jährt sich die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete zum 50sten Mal. Seit dem Abschluss der Oslo-Abkommen, die zum Ziel innerhalb einer Interimszeit von 4 Jahren (1995 bis 1999) die Gründung eines palästinensischen Staates projektieren, ist der Friedensprozess ohne Fortschritt – im Gegenteil. Die palästinensischen Bewohner der Westbank sind einer Civil Administration genannten, der israelischen Militärbesatzung zugehörigen Willkür-Herrschaft ausgeliefert, die weltweit ohne Beispiel ist. Besonders deutlich wird die Abhängigkeit der palästinensischen Bevölkerung beim Thema Wasserversorgung, speziell der Versorgung mit Trinkwasser. Der mit Abschluss des Oslo-II-Abkommens zugesicherte Bedarf an Trinkwasser wurde nicht nur nicht eingehalten – er wird bis heute, also 20 Jahre später – unterschritten. Wenn darüber – was so gut wie nie der Fall ist – in den Leitmedien berichtet wird, ist die Aufregung groß. Und wie Kenner der Szene wissen, sind aufschlussreiche Informationen seitens des Israelischen Staates generell unerwünscht. Im Oktober und November bereiste der in Ramallah lebende, aus München stammende Hydrogeologe Clemens Messerschmid die Bundesrepublik mit seinem Vortrag: Bis zum letzten Tropen. Die palästinensische Wasserkrise.
Clemens Messerschmid (Foto: arbeiterfotografie.com)
Frage: In Deutschland ist es inzwischen weithin üblich, Israel kritische Veranstaltungen – selbst von jüdischen Referenten – durch eine aggressive Lobby entweder zu verunmöglichen, oder zumindest durch Störungen zu beeinträchtigen. Wie ist es Dir während Deiner Vorträge ergangen?
Clemens Messerschmid: Ich benutze Daten aus offiziellen israelischen Quellen, dagegen können die Antideutschen nichts sagen. Was sollen sie denn sagen? Israel lügt? Bei diesem Thema haben sie schlechte Karten.
2013 gab es ein Papier der Aktion 3. Welt Saar über das Hilfsbusiness der NGOs in Palästina, das am 20. Dezember der TAZ beigelegt wurde. Es bezieht sich auf den Amnesty-International Bericht von 2009 „Troubled Waters – Palestinians denied fair access to water“ (auch auf deutsch erschienen), der wiederum in Folge des Weltbankberichts 2009 erschien. Hiermit können die Freunde Israels nur schwer leben. Du hast Dich mit dieser Flugschrift intensiv auseinandergesetzt und Falschdarstellungen – auf teils süffisante Art – widerlegt (1).
Die im wesentlichen behandelten fünf Punkte kommen von der israelischen Hasbara, das heißt wörtlich Erklärung. Es handelt sich um ein eigenes Ministerium, ein Propaganda-Ministerium. Die Darlegung entstand als Reaktion auf den Weltbankbericht (Report No. 47657-GZ WEST BANK AND GAZA ASSESSMENT OF RESTRICTIONS ON PALESTINIAN WATER SECTOR DEVELOPMENT 2009). Da hat Israel begonnen, hat erkannt, oh, oh, da haben wir eine Lücke Es wurde ein Papier verfasst „Water Issues between Israel and the Palestinians“, das strotzte schon vor Lügen. Es stellte sich heraus, dieses Papier wurde von Haim Gvirtzmann geschrieben. Der ist Hydrologe an der Hebrew-University in Jerusalem – also von meinem Fach – und der ist mein Nachbar. Der ist nämlich Hardcore-Siedler aus Dolev. Es sind inzwischen die Siedler, die die Wasserberichte für die israelische Regierung schreiben. Die lügen wie gedruckt. Es ist so, dass diese Veröffentlichungen der Hasbara, also von der israelischen Botschaft, vom Außenministerium und von den ganzen Israel-Lobbygruppen DIG, Antideutsche – das kann man an den Zahlen erkennen –, dass sie genau deren Zahlen verwenden. Und das Ulkige ist, dass sie diese Zahlen falsch verwenden, weil sie sie nicht verstehen, und dann wird es peinlich für sie. Wenn man es umrechnet, wieviel Liter pro Tag und Kopf dabei herauskommen, sind das völlig verrückte Zahlen, weil sie nicht nachrechnen. Es vielleicht gar nicht können, die Grundrechenarten nicht beherrschen.
Was gab es sonst an Erfahrungen auf Deiner Vortragsreise?
Alle Vorträge liefen super. Die Leute, die kamen, waren unglaublich interessiert, hatten unglaublich viel Geduld, obwohl ich endlos lange rede, und sie waren unheimlich gefesselt. Ich hab ja ein sehr gutes und aufmerksames Publikum. Viele haben sich bedankt. Und – wie gesagt – die Antideutschen haben sich ferngehalten. Es gab eine Person in Ulm, die ist gleich aufgestanden und gegangen, als ich die Zahlen (bezogen auf den Jordan) vorgelegt habe, der sagte „Lüge“, aber die Angaben über den Jordanausfluss stammen vom hydrologischen Dienst von Israel, HSI.
Gab es Medienberichte?
Am meisten in Ulm, da hatte die Deutsch Israelische Gesellschaft DIG Flugblätter in mehrfachen Ausgaben geschrieben und behauptet, ich operiere mit falschen Zahlen, ich sei kein Wissenschaftler, ich verschweige alles, und ich rufe zum Judenmord auf. Die haben keinerlei Hemmungen. Ich habe das Beispiel gebracht, dass der Journalist Ulrich Sahm mich 100%ig falsch zitiert hat.
Worum ging es?
Ich hatte mit Sahm (der in Bremen meinen Vortrag aufgesucht hat) vor einem Jahr einen Schriftwechsel zu Gaza, da gibt es öfter Überflutungen, die führen zu Katastrophen in diesem übervölkerten Streifen. Es gab Gerüchte auch in vielen arabischen Zeitungen, die Israelis hätten Schleusen und Dämme geöffnet, um die Bevölkerung zu überfluten. Sahm hat mich angeschrieben – ich kannte ihn damals noch gar nicht – und ich habe geantwortet: wissen Sie, ich kenne mich da nicht aus, mit Gaza habe ich noch nicht so viel gearbeitet, und was auf der israelischen Seite passiert, weiß ich nicht. Ich kenn keinen solchen Damm. Dann hat er wieder geschrieben und ich habe geantwortet, was wollen sie von mir, ich kenne mich da nicht aus und kann dazu nicht arg viel sagen. Dann hat er mir Sachen verdreht, und ich habe gemerkt, wo es hingeht. Darauf habe ich ihm geantwortet, damit keine Gerüchte aufkommen, ich behaupte NICHT, dass Israel Schleusen öffnet, um Gaza zu überfluten. Nach der Tagesschau-Sendung (Interview des Bayerischen Rundfunks, Studio Tel Aviv, gesendet im August 2016 über Wasserknappheit am Beispiel der Stadt Salfit (2) hat der Sahm in verschiedenen Sendungen kolportiert – und es wurde immer weiter zitiert von den Antideutschen – der Messerschmid behauptet, die Israelis würden extra Schleusen öffnen, um Gaza zu fluten. Und das trifft mich wirklich, denn da geht es an meine wissenschaftliche Kompetenz. Wenn ich Quatsch behaupten würde, das wär peinlich. Und ich sage immer, wir müssen nicht übertreiben, nehmen wir sogar noch die untertriebenen Zahlen von Israel, die sind doch schlimm genug. Ich argumentiere immer konservativ. Ich nehme im Zweifel immer die niedrigeren Zahlen, weil die eh schlimm genug sind. Das ist meine Herangehensweise. Aber die Antideutschen wollen ja nicht ernsthaft diskutieren.
Was gab es Positives, neue Ideen...
Nicht wirklich. Die Leute sind manchmal etwas überfordert. Die Palästina-Bewegung ist extrem schwach. Der erste Punkt ist, dass der Vortrag von mir sehr gut ankommt. Ich versuche eine Wut zu erzeugen, dass die Leute sagen, das ist ja wirklich eine Sauerei. Da muss man was tun. Dabei versuche ich, die Wut auch gegen die Bundesregierung zu kanalisieren. Damit die Leute sagen, wir müssen nicht erst nach Israel gehen, wir können gegen die Berliner angehen. Da müssen wir kämpfen, das ist die urdeutsche Aufgabe. Dann ist auch der ganze Vorwurf mit Antisemitismus weg. Dann geht es um die eigene Regierung. Das ist mein Ansatz. Das ist ein Weg, da müssen wir noch viel mehr dran arbeiten. Die Vorträge haben den Effekt, dass die Leute gestärkt raus gehen. Dass sie das Gefühl haben, ich hab jetzt was verstanden, und ich kann jetzt solchen Anfeindungen begegnen. Allein diese Rückenstärkung finde ich total wichtig.
Du beziehst Dich in Deinem Vortrag insbesondere auf die in den Sand gesetzten Milliarden Hilfsgelder aus Deutschland und der EU, Brunnen, die nicht gebaut werden können. Vorhaben aus dem Oslo-Vertrag, die nicht umgesetzt werden, weil die Bundesregierung gegen die Besatzungsmacht mit ihren militärischen Erlaubnisscheinen, die sie regelmäßig – und sei es für die Reparatur von Brunnen – verweigert, nicht interveniert. Die Menschen fühlen sich in ihrem Engagement bestätigt...
Aber nur blind sich bestätigt fühlen ist zu wenig. Man muß informiert sein. Man darf nicht einknicken. Ich sage immer, die Antideutschen sind gar nicht stark. Was stark ist, ist die Angst vor den Antideutschen. Es sind ein paar Kläffer, es sind ein paar schlaue Köpfe dabei, und dann ganz viele Dummköpfe, die nachplappern. Die haben nicht die Macht im Staat. Hallo!? Aber alle, die was zu sagen haben, haben Angst vor dem Antisemitismus-Vorwurf. Und da fehlt das Rückrat.
Gab es über Deine Vortragsreise Berichte in den Mainstream-Medien? Oder in linken Medien?
Bisher gar nicht. Es sorgt für keine große Aufregung. Für Aufregung hat nur einmal etwas gesorgt, und das war der Bericht in der Tagesschau. Weil das ein Leitmedium ist, Mainstream. Da sind alle alarmiert oder auch – wow – fasziniert. Wenn irgendwo eine kleine Gruppen an einem Ort etwas macht, ist das noch nicht Aufsehen erregend. Es gibt ein paar Ausnahmen, aber die sind selten. Zum Beispiel in Ulm hat wegen dem Konflikt um mein Auftreten und diese Aktivitäten der Deutsch Israelischen Gesellschaft die südwestdeutsche Presse zwei oder drei ziemlich gute Artikel geschrieben, vor der Veranstaltung ein Interview mit mir gemacht, dann noch einmal die Sichtweise der Gegenseite und der Veranstalter dargelegt, und auch nach der Veranstaltung ziemlich gut darüber berichtet.
Gibt es politische Hoffnung was Parteien angeht?
Es gibt einige Leute in der Linkspartei, die an dem Thema arbeiten. Und leider muss man sagen – was ich berichtet habe über deutsche Wasserprojekte – sind alle anderen Parteien schon in der Regierung gewesen, und da gibt es fast keinen Unterschied. Das ist Wall-to-Wall-Konsens: bloß nicht Israel ärgern, bloß nicht irgendetwas gegen Israel sagen. Staatsräson! Und die gilt von grün bis schwarz.
Für wen arbeitest Du jetzt?
Ich bin Freelancer, aber im Augenblick arbeite ich hauptsächlich an meiner Doktorarbeit. Die muss ich endlich fertig kriegen. Ansonsten arbeite ich für alle. Ich habe für Engländer, Amerikaner, Japaner, Franzosen, Spanier, Holländer gearbeitet. Für Polen noch nicht. Für Deutsche, für Österreich, für Schweizer... Ich müsste 15 Jahre passé gehen lassen, für wen ich noch nicht gearbeitet habe...
Worin genau besteht Deine Tätigkeit in der West Bank?
Ich mache einerseits technische Arbeit als Hydrogeologe. Es geht um Wasserressourcen. Da wissen die Leute, ich bin Spezialist. Dann mach ich mehr und mehr auch hydro-politische Arbeit. Auch Studien, z.B. für die PLO, für Wasserverhandlungen. Hintergrundstudien, die sind auch technisch, aber da geht es ganz stark auch um die Frage der Taktik. Letztendlich können wir das Problem nur politisch lösen. Wir müssen natürlich technisches Wissen haben, ganz wichtig. Aber auf einem Bein werden wir nicht vorankommen. Wir brauchen beide Beine. Und so arbeite ich.
Wir bedanken uns und wünschen weiterhin viel Erfolg!
Fussnoten
1 http://www.ipk-bonn.de/gesellschaft/news/2014012600.html
2 Der ewige Kampf ums Wasser - Interview mit Clemens Messerschmid, Bayerischer Rundfunk
https://www.youtube.com/watch?v=bE5GHfXjv44
Siehe auch:
Vortrag am 20. November 2016 im MIGRApolis in Bonn
"Wasserkrise" in Palästina: Bis zum letzten Tropfen
Clemens Messerschmid im Arbeiterfotografie-Video (Teil I)
NRhZ 589 vom 23.11.2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=23304
Vortrag am 20. November 2016 im MIGRApolis in Bonn
"Wasserkrise" in Palästina: Bis zum letzten Tropfen
Clemens Messerschmid im Arbeiterfotografie-Video (Teil II)
NRhZ 590 vom 30.11.2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=23322
Israels Wasserraub in Palästina
Bericht von Ludwig Watzal über den Vortrag in Bonn
http://betweenthelines-ludwigwatzal.com/?p=354
Empfehlung von Clemens Messerschmid:
Milliarden für den Stillstand - Die Rolle der EU im Nahostkonflikt (2016/arte/Sabrina Dittus)
https://www.youtube.com/watch?v=buW5jd-hPFo
Weitere BEITRÄGE VON, MIT und ÜBER CLEMENS MESSERSCHMID:
Clemens Messerschmid im Interview der NachDenkSeiten, 26.8.2016
Bizarr ungleiche Verteilung des Wassers im palästinensischen Westjordanland. Ein lösbares Problem, das absichtlich nicht gelöst wird.
http://www.nachdenkseiten.de/?p=34769
Clemens Messerschmid im Interview von Muslim-Markt, 19.3.2013
http://www.muslim-markt.de/interview/2014/messerschmid.htm
Dr. Gabi Weber "Ein Sturm im Wasserglas" - NachDenkSeiten
http://www.nachdenkseiten.de/?p=34882
Originalinterview von Clemens Messerschmid mit Charlotte Silver (Electronic Intifada) in ungekürzter Version; August 2016
http://othersite.org/clemens-messerschmid-full-version-interview-with-charlotte-silver-ei/
Gekürztes Interview auf Electronic Intifada, August 2016
https://electronicintifada.net/blogs/charlotte-silver/israels-hydro-apartheid-keeps-west-bank-thirsty
Monatsjournal This Week in Palestine, im Juli 2016 zum Thema „Wasser“.
Hier auch: Beitrag von Clemens Messerschmid über die besonderen Wasserprobleme Gazas
ARTE-Reportage 2016: „Im Nahen Osten wird das Wasser knapp“
http://info.arte.tv/de/im-nahen-osten-wird-das-wasser-knapp
Antwort auf den Leserbrief von Bärbel Illi über Claus Kleber´s Film „Durst“, 12/14
http://www.salamshalom-ev.de/PDFS/messerschmid.pdf
2013, Stellungnahme von Messerschmid sowie vom Palästina-Komitee Stuttgart zur TAZ-Beilage „Vorsicht, die Helfer kommen“
http://www.ipk-bonn.de/gesellschaft/news/2014012600.html
INAMO 2014 „20 Jahre Oslo – Bilanz im Wassersektor
http://www.linksnet.de/de/artikel/30276
Online-Flyer Nr. 590 vom 30.11.2016
Hydrogeologe Clemens Messerschmid zum Kampf um Wasser in Palästina
Ich versuche, Wut zu erzeugen – Empört Euch!
Im Gespräch mit Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
2017 jährt sich die israelische Besatzung der palästinensischen Gebiete zum 50sten Mal. Seit dem Abschluss der Oslo-Abkommen, die zum Ziel innerhalb einer Interimszeit von 4 Jahren (1995 bis 1999) die Gründung eines palästinensischen Staates projektieren, ist der Friedensprozess ohne Fortschritt – im Gegenteil. Die palästinensischen Bewohner der Westbank sind einer Civil Administration genannten, der israelischen Militärbesatzung zugehörigen Willkür-Herrschaft ausgeliefert, die weltweit ohne Beispiel ist. Besonders deutlich wird die Abhängigkeit der palästinensischen Bevölkerung beim Thema Wasserversorgung, speziell der Versorgung mit Trinkwasser. Der mit Abschluss des Oslo-II-Abkommens zugesicherte Bedarf an Trinkwasser wurde nicht nur nicht eingehalten – er wird bis heute, also 20 Jahre später – unterschritten. Wenn darüber – was so gut wie nie der Fall ist – in den Leitmedien berichtet wird, ist die Aufregung groß. Und wie Kenner der Szene wissen, sind aufschlussreiche Informationen seitens des Israelischen Staates generell unerwünscht. Im Oktober und November bereiste der in Ramallah lebende, aus München stammende Hydrogeologe Clemens Messerschmid die Bundesrepublik mit seinem Vortrag: Bis zum letzten Tropen. Die palästinensische Wasserkrise.
Clemens Messerschmid (Foto: arbeiterfotografie.com)
Frage: In Deutschland ist es inzwischen weithin üblich, Israel kritische Veranstaltungen – selbst von jüdischen Referenten – durch eine aggressive Lobby entweder zu verunmöglichen, oder zumindest durch Störungen zu beeinträchtigen. Wie ist es Dir während Deiner Vorträge ergangen?
Clemens Messerschmid: Ich benutze Daten aus offiziellen israelischen Quellen, dagegen können die Antideutschen nichts sagen. Was sollen sie denn sagen? Israel lügt? Bei diesem Thema haben sie schlechte Karten.
2013 gab es ein Papier der Aktion 3. Welt Saar über das Hilfsbusiness der NGOs in Palästina, das am 20. Dezember der TAZ beigelegt wurde. Es bezieht sich auf den Amnesty-International Bericht von 2009 „Troubled Waters – Palestinians denied fair access to water“ (auch auf deutsch erschienen), der wiederum in Folge des Weltbankberichts 2009 erschien. Hiermit können die Freunde Israels nur schwer leben. Du hast Dich mit dieser Flugschrift intensiv auseinandergesetzt und Falschdarstellungen – auf teils süffisante Art – widerlegt (1).
Die im wesentlichen behandelten fünf Punkte kommen von der israelischen Hasbara, das heißt wörtlich Erklärung. Es handelt sich um ein eigenes Ministerium, ein Propaganda-Ministerium. Die Darlegung entstand als Reaktion auf den Weltbankbericht (Report No. 47657-GZ WEST BANK AND GAZA ASSESSMENT OF RESTRICTIONS ON PALESTINIAN WATER SECTOR DEVELOPMENT 2009). Da hat Israel begonnen, hat erkannt, oh, oh, da haben wir eine Lücke Es wurde ein Papier verfasst „Water Issues between Israel and the Palestinians“, das strotzte schon vor Lügen. Es stellte sich heraus, dieses Papier wurde von Haim Gvirtzmann geschrieben. Der ist Hydrologe an der Hebrew-University in Jerusalem – also von meinem Fach – und der ist mein Nachbar. Der ist nämlich Hardcore-Siedler aus Dolev. Es sind inzwischen die Siedler, die die Wasserberichte für die israelische Regierung schreiben. Die lügen wie gedruckt. Es ist so, dass diese Veröffentlichungen der Hasbara, also von der israelischen Botschaft, vom Außenministerium und von den ganzen Israel-Lobbygruppen DIG, Antideutsche – das kann man an den Zahlen erkennen –, dass sie genau deren Zahlen verwenden. Und das Ulkige ist, dass sie diese Zahlen falsch verwenden, weil sie sie nicht verstehen, und dann wird es peinlich für sie. Wenn man es umrechnet, wieviel Liter pro Tag und Kopf dabei herauskommen, sind das völlig verrückte Zahlen, weil sie nicht nachrechnen. Es vielleicht gar nicht können, die Grundrechenarten nicht beherrschen.
Was gab es sonst an Erfahrungen auf Deiner Vortragsreise?
Alle Vorträge liefen super. Die Leute, die kamen, waren unglaublich interessiert, hatten unglaublich viel Geduld, obwohl ich endlos lange rede, und sie waren unheimlich gefesselt. Ich hab ja ein sehr gutes und aufmerksames Publikum. Viele haben sich bedankt. Und – wie gesagt – die Antideutschen haben sich ferngehalten. Es gab eine Person in Ulm, die ist gleich aufgestanden und gegangen, als ich die Zahlen (bezogen auf den Jordan) vorgelegt habe, der sagte „Lüge“, aber die Angaben über den Jordanausfluss stammen vom hydrologischen Dienst von Israel, HSI.
Gab es Medienberichte?
Am meisten in Ulm, da hatte die Deutsch Israelische Gesellschaft DIG Flugblätter in mehrfachen Ausgaben geschrieben und behauptet, ich operiere mit falschen Zahlen, ich sei kein Wissenschaftler, ich verschweige alles, und ich rufe zum Judenmord auf. Die haben keinerlei Hemmungen. Ich habe das Beispiel gebracht, dass der Journalist Ulrich Sahm mich 100%ig falsch zitiert hat.
Worum ging es?
Ich hatte mit Sahm (der in Bremen meinen Vortrag aufgesucht hat) vor einem Jahr einen Schriftwechsel zu Gaza, da gibt es öfter Überflutungen, die führen zu Katastrophen in diesem übervölkerten Streifen. Es gab Gerüchte auch in vielen arabischen Zeitungen, die Israelis hätten Schleusen und Dämme geöffnet, um die Bevölkerung zu überfluten. Sahm hat mich angeschrieben – ich kannte ihn damals noch gar nicht – und ich habe geantwortet: wissen Sie, ich kenne mich da nicht aus, mit Gaza habe ich noch nicht so viel gearbeitet, und was auf der israelischen Seite passiert, weiß ich nicht. Ich kenn keinen solchen Damm. Dann hat er wieder geschrieben und ich habe geantwortet, was wollen sie von mir, ich kenne mich da nicht aus und kann dazu nicht arg viel sagen. Dann hat er mir Sachen verdreht, und ich habe gemerkt, wo es hingeht. Darauf habe ich ihm geantwortet, damit keine Gerüchte aufkommen, ich behaupte NICHT, dass Israel Schleusen öffnet, um Gaza zu überfluten. Nach der Tagesschau-Sendung (Interview des Bayerischen Rundfunks, Studio Tel Aviv, gesendet im August 2016 über Wasserknappheit am Beispiel der Stadt Salfit (2) hat der Sahm in verschiedenen Sendungen kolportiert – und es wurde immer weiter zitiert von den Antideutschen – der Messerschmid behauptet, die Israelis würden extra Schleusen öffnen, um Gaza zu fluten. Und das trifft mich wirklich, denn da geht es an meine wissenschaftliche Kompetenz. Wenn ich Quatsch behaupten würde, das wär peinlich. Und ich sage immer, wir müssen nicht übertreiben, nehmen wir sogar noch die untertriebenen Zahlen von Israel, die sind doch schlimm genug. Ich argumentiere immer konservativ. Ich nehme im Zweifel immer die niedrigeren Zahlen, weil die eh schlimm genug sind. Das ist meine Herangehensweise. Aber die Antideutschen wollen ja nicht ernsthaft diskutieren.
Was gab es Positives, neue Ideen...
Nicht wirklich. Die Leute sind manchmal etwas überfordert. Die Palästina-Bewegung ist extrem schwach. Der erste Punkt ist, dass der Vortrag von mir sehr gut ankommt. Ich versuche eine Wut zu erzeugen, dass die Leute sagen, das ist ja wirklich eine Sauerei. Da muss man was tun. Dabei versuche ich, die Wut auch gegen die Bundesregierung zu kanalisieren. Damit die Leute sagen, wir müssen nicht erst nach Israel gehen, wir können gegen die Berliner angehen. Da müssen wir kämpfen, das ist die urdeutsche Aufgabe. Dann ist auch der ganze Vorwurf mit Antisemitismus weg. Dann geht es um die eigene Regierung. Das ist mein Ansatz. Das ist ein Weg, da müssen wir noch viel mehr dran arbeiten. Die Vorträge haben den Effekt, dass die Leute gestärkt raus gehen. Dass sie das Gefühl haben, ich hab jetzt was verstanden, und ich kann jetzt solchen Anfeindungen begegnen. Allein diese Rückenstärkung finde ich total wichtig.
Du beziehst Dich in Deinem Vortrag insbesondere auf die in den Sand gesetzten Milliarden Hilfsgelder aus Deutschland und der EU, Brunnen, die nicht gebaut werden können. Vorhaben aus dem Oslo-Vertrag, die nicht umgesetzt werden, weil die Bundesregierung gegen die Besatzungsmacht mit ihren militärischen Erlaubnisscheinen, die sie regelmäßig – und sei es für die Reparatur von Brunnen – verweigert, nicht interveniert. Die Menschen fühlen sich in ihrem Engagement bestätigt...
Aber nur blind sich bestätigt fühlen ist zu wenig. Man muß informiert sein. Man darf nicht einknicken. Ich sage immer, die Antideutschen sind gar nicht stark. Was stark ist, ist die Angst vor den Antideutschen. Es sind ein paar Kläffer, es sind ein paar schlaue Köpfe dabei, und dann ganz viele Dummköpfe, die nachplappern. Die haben nicht die Macht im Staat. Hallo!? Aber alle, die was zu sagen haben, haben Angst vor dem Antisemitismus-Vorwurf. Und da fehlt das Rückrat.
Gab es über Deine Vortragsreise Berichte in den Mainstream-Medien? Oder in linken Medien?
Bisher gar nicht. Es sorgt für keine große Aufregung. Für Aufregung hat nur einmal etwas gesorgt, und das war der Bericht in der Tagesschau. Weil das ein Leitmedium ist, Mainstream. Da sind alle alarmiert oder auch – wow – fasziniert. Wenn irgendwo eine kleine Gruppen an einem Ort etwas macht, ist das noch nicht Aufsehen erregend. Es gibt ein paar Ausnahmen, aber die sind selten. Zum Beispiel in Ulm hat wegen dem Konflikt um mein Auftreten und diese Aktivitäten der Deutsch Israelischen Gesellschaft die südwestdeutsche Presse zwei oder drei ziemlich gute Artikel geschrieben, vor der Veranstaltung ein Interview mit mir gemacht, dann noch einmal die Sichtweise der Gegenseite und der Veranstalter dargelegt, und auch nach der Veranstaltung ziemlich gut darüber berichtet.
Gibt es politische Hoffnung was Parteien angeht?
Es gibt einige Leute in der Linkspartei, die an dem Thema arbeiten. Und leider muss man sagen – was ich berichtet habe über deutsche Wasserprojekte – sind alle anderen Parteien schon in der Regierung gewesen, und da gibt es fast keinen Unterschied. Das ist Wall-to-Wall-Konsens: bloß nicht Israel ärgern, bloß nicht irgendetwas gegen Israel sagen. Staatsräson! Und die gilt von grün bis schwarz.
Für wen arbeitest Du jetzt?
Ich bin Freelancer, aber im Augenblick arbeite ich hauptsächlich an meiner Doktorarbeit. Die muss ich endlich fertig kriegen. Ansonsten arbeite ich für alle. Ich habe für Engländer, Amerikaner, Japaner, Franzosen, Spanier, Holländer gearbeitet. Für Polen noch nicht. Für Deutsche, für Österreich, für Schweizer... Ich müsste 15 Jahre passé gehen lassen, für wen ich noch nicht gearbeitet habe...
Worin genau besteht Deine Tätigkeit in der West Bank?
Ich mache einerseits technische Arbeit als Hydrogeologe. Es geht um Wasserressourcen. Da wissen die Leute, ich bin Spezialist. Dann mach ich mehr und mehr auch hydro-politische Arbeit. Auch Studien, z.B. für die PLO, für Wasserverhandlungen. Hintergrundstudien, die sind auch technisch, aber da geht es ganz stark auch um die Frage der Taktik. Letztendlich können wir das Problem nur politisch lösen. Wir müssen natürlich technisches Wissen haben, ganz wichtig. Aber auf einem Bein werden wir nicht vorankommen. Wir brauchen beide Beine. Und so arbeite ich.
Wir bedanken uns und wünschen weiterhin viel Erfolg!
Fussnoten
1 http://www.ipk-bonn.de/gesellschaft/news/2014012600.html
2 Der ewige Kampf ums Wasser - Interview mit Clemens Messerschmid, Bayerischer Rundfunk
https://www.youtube.com/watch?v=bE5GHfXjv44
Siehe auch:
Vortrag am 20. November 2016 im MIGRApolis in Bonn
"Wasserkrise" in Palästina: Bis zum letzten Tropfen
Clemens Messerschmid im Arbeiterfotografie-Video (Teil I)
NRhZ 589 vom 23.11.2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=23304
Vortrag am 20. November 2016 im MIGRApolis in Bonn
"Wasserkrise" in Palästina: Bis zum letzten Tropfen
Clemens Messerschmid im Arbeiterfotografie-Video (Teil II)
NRhZ 590 vom 30.11.2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=23322
Israels Wasserraub in Palästina
Bericht von Ludwig Watzal über den Vortrag in Bonn
http://betweenthelines-ludwigwatzal.com/?p=354
Empfehlung von Clemens Messerschmid:
Milliarden für den Stillstand - Die Rolle der EU im Nahostkonflikt (2016/arte/Sabrina Dittus)
https://www.youtube.com/watch?v=buW5jd-hPFo
Weitere BEITRÄGE VON, MIT und ÜBER CLEMENS MESSERSCHMID:
Clemens Messerschmid im Interview der NachDenkSeiten, 26.8.2016
Bizarr ungleiche Verteilung des Wassers im palästinensischen Westjordanland. Ein lösbares Problem, das absichtlich nicht gelöst wird.
http://www.nachdenkseiten.de/?p=34769
Clemens Messerschmid im Interview von Muslim-Markt, 19.3.2013
http://www.muslim-markt.de/interview/2014/messerschmid.htm
Dr. Gabi Weber "Ein Sturm im Wasserglas" - NachDenkSeiten
http://www.nachdenkseiten.de/?p=34882
Originalinterview von Clemens Messerschmid mit Charlotte Silver (Electronic Intifada) in ungekürzter Version; August 2016
http://othersite.org/clemens-messerschmid-full-version-interview-with-charlotte-silver-ei/
Gekürztes Interview auf Electronic Intifada, August 2016
https://electronicintifada.net/blogs/charlotte-silver/israels-hydro-apartheid-keeps-west-bank-thirsty
Monatsjournal This Week in Palestine, im Juli 2016 zum Thema „Wasser“.
Hier auch: Beitrag von Clemens Messerschmid über die besonderen Wasserprobleme Gazas
ARTE-Reportage 2016: „Im Nahen Osten wird das Wasser knapp“
http://info.arte.tv/de/im-nahen-osten-wird-das-wasser-knapp
Antwort auf den Leserbrief von Bärbel Illi über Claus Kleber´s Film „Durst“, 12/14
http://www.salamshalom-ev.de/PDFS/messerschmid.pdf
2013, Stellungnahme von Messerschmid sowie vom Palästina-Komitee Stuttgart zur TAZ-Beilage „Vorsicht, die Helfer kommen“
http://www.ipk-bonn.de/gesellschaft/news/2014012600.html
INAMO 2014 „20 Jahre Oslo – Bilanz im Wassersektor
http://www.linksnet.de/de/artikel/30276
Online-Flyer Nr. 590 vom 30.11.2016