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Kultur und Wissen
China wird Vorreiter bei der Elektromobilität
Elektro-Drachenmobil
Von Harald Schauff

In Deutschland fließt der Verkehr, so er nicht stockt. Bisher fließt jedoch kaum Strom unter den Hauben der Blechkarawane. Hatte die Bundeskanzlerin nicht als Zielmarke vorgegeben, bis 2020 eine Million Elektro-Autos auf deutsche Straßen zu bringen? De facto surrten bis Anfang diesen Jahres nicht einmal 100.000 E-Mobile über die Asphaltpisten hierzulande. Das ist mager und zeigt: Die Ankündigung von Quoten fällt leichter als deren Einhaltung, zumal deutsche Politiker die heimischen Fahrzeug-Hersteller auch nach dem Abgas-Skandal weiter tüchtig hätscheln und tätscheln.

Da bedarf es schon etwas mehr Nachdrucks, um größere Schritte Richtung Elektromobilisierung voran zu treiben, z.B. in Form von Gesetzesentwürfen. Einen solchen hat die Regierung Chinas Ende letzten Jahres beschlossen. Er verpflichtet alle Automobilhersteller, einen fest gelegten Anteil an Elektro-Autos auf dem chinesischen Markt anzubieten. Losgehen soll es 2018 mit 8 %. 2019 soll die Quote 10 % betragen, 2020 12 % (Informationen: ‘China elektrisiert’ von Manfred Kriener, le monde diplomatique Februar 2017).

Wer diese Quote auf dem immerhin größten Fahrzeugmarkt der Welt nicht erfüllt, muss seine Verkäufe reduzieren. Alternative: Er kauft sog. ‘Kreditpunkte’, die entsprechend teuer ausfallen, von anderen Herstellern hinzu, welche die Quote übererfüllen. Dies sind vor allem chinesische Firmen wie BYD (‘Build Your Dreams’). Indirekt werden die heimischen Hersteller so auf Kosten der ausländischen Konkurrenz subventioniert. Diese gezielte Stärkung der eigenen E-Mobil-Industrie ist dennoch alles andere als ein zwanghafter Versuch, der Elektromobilisierung künstlich auf die Sprünge zu helfen. Eher ist es Wasser auf bereits drehende Mühlen: Nachdem der Elektro-Automarkt jahrelang nicht in die Gänge kam, boomt er seit drei Jahren. Inzwischen rollten weltweit über zwei Millionen Elektro-Autos über die Straßen. China ist hier Weltmarktführer und dürfte diese Position durch die Quote weiter ausbauen.

Die chinesische Regierung verfolgt mit dieser Regelung jedoch noch weitere Ziele: Die Abhängigkeit von Ölimporten soll verringert werden. Außerdem hat man der Luftverschmutzung den Kampf angesagt. Chinas Großstädte ersticken am Smog. Dezember 2016 flohen davor Zehntausende Einwohner Pekings nach außerhalb. Aus diesem Grund sollen die fossilen Rußschleudern nach und nach aus den Ballungszentren verschwinden.

Ökologisch bedenklich bleibt allerdings: Der von Elektromobilen getankte Strom wird zu großen Teilen von Kohlekraftwerken geliefert. Doch auch hier rollt das Drachenmobil bereits auf dem grünen Wege der Besserung: Der Bau von Solar- und Windkraftanlagen boomt ebenfalls. Allmählich wird die Energie sauberer. China hat in der Kohlepolitik eine radikale Kehrtwende vollzogen: Seit drei Jahren ist die Kohleverfeuerung rückläufig.

Nun gibt der Drachen der Elektromobilität einen gehörigen Schub per Gesetz. Auch wenn dies nicht ganz uneigennützig geschieht: Für die von Feinstaub und Stickoxid geplagte Großstadt-Menschheit und das Weltklima ist das eine gute Nachricht. Bei der von der Politik verwöhnten deutschen Autoindustrie löste die Ankündigung hingegen Entsetzen aus. Ihre Lobbyisten lieferten das dazu passende Geschrei: Olaf Lies (SPD), Wirtschaftsminister von Niedersachsen, das Anteile von VW besitzt, ereiferte sich über die ‘drakonischen Maßnahmen’. Matthias Wissmann, Chef des Weltverbandes der Automobilindustrie forderte ein Zurück zu einem ‘diskriminierungsfreien Zugang’ zum chinesischen Automarkt.

Menschenrechtsverstöße im Reich der Mitte mahnen deutsche Politiker zaghaft an, um sodann beide Augen zuzudrücken. Doch wenn der Anteil deutscher Rußschleudern am Smog in Chinas Großstädten verringert werden soll, hört der Spaß auf und die Besorgnis fängt an. In seiner damaligen Funktion als Noch-Wirtschaftsminister reiste Sigmar Gabriel Ende letzten Jahres nach Peking, um der chinesischen Regierung die ‘großen Sorgen’ der deutschen Automobilindustrie nahe zu bringen. Für derartige Sorgen ist keine Reise zu weit. Und keine Regelung unabwendbar. Inzwischen verhandeln deutsche Fahrzeugbauer direkt mit chinesischen Politikern um die Quote aufzuweichen bzw. über mehrere Jahre zu strecken. Deutsche Fossilmobile sollen in möglichst hoher Zahl noch möglichst lange Chinas Städte einnebeln.

Auch an der Heimatfront soll das absehbare Ende des Verbrennungsmotors so lange wie es geht hinaus gezögert werden. Umweltfreundliche Kraftstoffe, E-Fuels, sollen die alten Benzin- und Dieselmühlen CO 2 -neutral antreiben (Siehe SPIEGEL 48/2016), laut dem Wissmann-Club VDA eine ‘Nullemissionstechnik’. Allerdings sehen Pläne vor, diese primär bei Flugzeugen und Schiffen einzusetzen, weil diese für Elektromotoren nicht in Frage kommen.

Die Fossil-Antrieb-Lobby arbeitet zudem darauf hin, dass strengere Abgas-Grenzwerte in den kommenden Jahren nicht so konsequent umgesetzt werden wie angekündigt. Man peilt einen Kuhhandel mit dem Wirtschafsministerium an in Richtung, dass die Rußschleudern mehr CO 2 ausstoßen dürfen, wenn sie

Der laueste Gegenwind droht den Abgasschwaden der Benzin- und Dieselkutschenfreunde seitens des Bundesverkehrsministeriums mit seinem sagenhaften ‘Chefaufklärer’ Alexander Dobrindt an der Spitze. Jener stellte vor wenigen Monaten öffentlich fest, das Europäische Recht untersage Abschalteinrichtungen, wie sie viele Hersteller zur Unterbrechung der Abgasreinigung in ihre Dieselmotoren eingebaut hatten. Allerdings sähe es eine Ausnahme vor: Aus Gründen des Motorenschutzes. Zig Tausende Tote infolge ausgestoßener Feinstaubpartikel und Stickoxide in den Innenstädten regen nicht weiter auf. Doch wehe, die armen Verbrennungsmotoren leiden Schaden, weil sie keinen Dreck schleudern dürfen. Da erhebt ein Dobrindt lieber die Ausnahme zur Regel, um die Autoindustrie zu schützen (Bericht: frontal 21, ZDF, 7.3.2017).

Die deutsche Politik hätschelt und streichelt ihr liebstes Kind weiter, obwohl sich das verwöhnte Balg nicht nur einen, sondern längst eine ganze Kaskade von Tritten in den Allerwertesten verdient hätte. Wenigstens fordern die Grünen und der deutsche Bundesrat einen Stopp der Neuzulassungen von Benzin- und Dieselfahrzeugen ab 2030. Die Niederländer wollen deren Ende schon ab 2025, dafür weniger Kraftstoff verbrauchen, das österreichische Bundesumweltamt schlägt gar 2020 als jüngsten Tag der Fossilmobilität vor. Athen, Madrid, Mexico City und Paris haben gemeinsam beschlossen, Benzin- und Dieselfahrzeugen ab 2025 die Zufahrt zu ihren Innenstädten zu sperren.

Norwegen will Benzin- und Dieselfahrzeuge ebenfalls ab 2025 endgültig verbannen. Durch gezielte Förderung von Elektro-Autos, u.a. durch Subventionen und Vergünstigungen wie den Erlass der Mehrwertsteuer beim Kauf, Busspurnutzung und kostenlosem Parken und Aufladen, erreichte der Verkauf der E-Mobile letztes Jahr bereits einen Marktanteil von knapp 30 %.

In den Niederlanden, in Schweden, Finnland, der Schweiz, Island, Belgien, Frankreich, Österreich und Großbritannien liegt die Quote der Neuzulassungen von Elektroautos zumindest bei über 1 Prozent. Deutschland schafft nur magere 0,7 %. Deutsche Hersteller geloben Besserung und wollen den Verkauf der E-Mobile in den kommenden Jahren forcieren. Es ist nötig: Konkurrenten wie Tesla sind ihnen weit voraus gedüst. Tesla baut nicht nur Autos, Batterien, Energiespeicher und Ladestationen. Man produziert sogar eigenen Solarstrom: Saubere Energie für sauberen Verkehr.

Auch technisch dieselt die deutsche E-Mobil-Branche bislang meilenweit der amerikanischen und asiatischen Konkurrenz hinterher, besonders bei der Entwicklung de Batterien. Deren Preise sind zwischen 2008 und 2015 von 1000 auf 268 Dollar je Kilowattstunde gesunken. Der US-Elektro-Vorreiter, besser -Vorfahrer, Tesla, will hier bis 2020 die 100 Dollar-Grenze unterschreiten. Die Batterien, diese Herzstücke des Elektro-Antriebes, werden nicht nur stetig günstiger, sondern leichter, von der Energiedichte höher und von der Reichweite länger.

In ähnlichem Maße erhöht sich der Zugzwang für die deutschen Autobauer. Wollen sie nicht abgehängt werden, dürfen sie tüchtig auf die Tube des E-Antriebes drücken. Beim bisherigen Schneckentempo haben sie keine Chance und bleiben von ihren Abgasschwaden eingehüllt im Straßengraben liegen. Da helfen auch die von der Bundesregierung eingeführten Kaufprämien beim Erwerb von Elektro-Autos nicht weiter. Wann verlegt sie sich bei ihrem überverwöhnten Liebling endlich vom Fördern aufs Fordern?

Das Druckmittel Arbeitsplätze wird bald nicht mehr wirken. Ein nicht geringer Teil der jetzt noch vorhandenen Jobs in der deutschen Autoindustrie wird durch die Umstellung auf den Bau von Elektro-Autos wegfallen. Hauptgrund: Jene lassen sich einfacher herstellen. Elektromotoren sind simpler konstruiert. Bei ihnen fallen sowohl das Getriebe als auch die gesamte Abgastechnik weg (Informationen: ‘plusminus, ARD, 1.2.2017). Insgesamt bestehen sie gerade einmal aus 50 Teilen.

Verbrennungsmotoren kommen auf 1000 Teile. Laut einer Faustformel ist anstelle von 7 Mitarbeitern zur Herstellung eines Verbrennungsmotors nur noch ein einziger für die Konstruktion eines Elektromotors nötig. Werden eines Tages nur noch E-Mobile produziert, prognostizieren Experten für die gesamte deutsche Autobranche einschließlich Zulieferer ein Absinken der Mitarbeiterzahl von 814.000 auf 600.000. Das wären 26 % weniger, also rund jeder 4.Arbeitsplatz.

Mit der Erhaltung der Arbeitsplätze sieht es also nicht so günstig aus. Daran kann die politische Schutzmacht der Branche wenig ändern. Auch sie kommt gegen den Druck des Weltmarktes nicht an. So wenig wie die Digitalisierung lässt sich auf jenem die Elektromobilisierung aufhalten. Mit ihr verbindet sich die Hoffnung, in nicht ferner Zukunft auch in deutschen Großstädten frei durchatmen zu können.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Mai 2017, erschienen.


Online-Flyer Nr. 615  vom 31.05.2017



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