SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Literatur
Biographie von Berlins Stadtguerillero Norbert "Knofo" Kröcher
"Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten..."
Buchrezension von Jochen Knoblauch
Jetzt ist sie da, die lange angekündigte und in der Szene lang ersehnte Biographie von Norbert „Knofo“ Kröcher (1950-2016), des Mitbegründers der anarchistischen Stadtguerilla-Gruppe „Bewegung 2. Juni“. Aber die Reduzierung Köchers auf diese Ereignisse der 1970er und 80er Jahre ist schlichtweg zu wenig. Die Biografie mit dem etwas sperrigen Titel „K. und der Verkehr – Erinnerungen an bewegte Zeiten“ bilden hier den ersten Teil einer umfangreichen, sehr individuellen Sicht auf die – erst West-, dann auf die Gesamtdeutsche – Geschichte, einer Geschichte von unten.
Norbert Kröcher, von vielen seiner Freund*innen auch kurz „Knofo“ genannt, nahm sich am 16. September 2016, nach einer Krebsdiagnose, per Kopfdurchschuss in Falkenhagen, dort, wo er geboren wurde, das Leben. Seine Erinnerungen waren schon Jahre zuvor in Planung und teilweise auch schon verfasst, nicht weil er sich selbst ein Denkmal setzen wollte, sondern weil ihm die meisten Biografien von ehemaligen Weggenoss*innen aus dem bewaffneten Widerstand Westdeutschlands ärgerten, zu geschwätzig, zu dominant, zu verlogen waren. Knofo hinterließ für seine Beerdigung eine Personenliste, mit Namen, die auf alle Fälle nicht an der Trauerfeier teilnehmen sollten – für mich ein Novum.
Geschichte von unten
Klar, in der Kröcher-Biografie wird nicht die Geschichte des Bewaffneten Kampfes in der BRD erzählt, nicht mal die Geschichte der „Bewegung 2. Juni“, dessen Gründungsmitglied er war, und auf dessen Aktionen er – wie etwa bei Wikipedia – schlichtweg sein gesamtes Dasein begrenzt wird, sondern hier wird Geschichte von unten geschrieben, und aus einer ganz individuellen Sichtweise. Dazu kommt Knofos spezielle Schreibweise: er liebte durchaus Fremdworte, aber sparsam und punktuell eingesetzt, ebenso wie eine Schnoddrigkeit, wie sie dem Berliner halt eigen ist. Knofos Freund und Herausgeber der Biografie, Bert Papenfuß – ein großer Dichter – beschreibt das in seine Vorwort so: „Auffallend sind die für alteingesessene Berliner – mehr oder weniger – typischen Französismen (und sog. „Scheingallizismen“)“,eine „gut lesbare Mischung aus alter und neuer Rechtschreibung“. Die Aneinanderreihung von Ereignissen mag chronologisch sein, aber für mich fehlten oftmals Daten, um eine eigenen Einordnung erstellen zu können.
Die ersten 140 Seiten behandeln Kröchers Kindheit und Jugend in Falkensee, Kreuzberg und Friedrichshain, und sind eigentlich eine Berliner Nachkriegskulturgeschichte. Er war ein Gesamtberliner, der schon in frühesten Jahren einen großen Aktionsradius hatte. Als am 13.8.1961 die Mauer errichtet wurde – Knofo war da elf Jahre alt – war sein Kommentar bezüglich der Fußball spielenden Freunde im Treptower Park: „Was sollten die nun ohne mich anfangen? Ich war der beste Torwart weit und breit. Mein Vorbild war der sowjetische Nationaltorwart Lew Jaschin, der „schwarze Panther“ von Dynamo Moskau, ein starker Raucher.“ Kröcher war das, was den Berlinern gerne nachgesagt wird: ein pfiffiger Bursche mit Hang zu Kriegsspielzeug, technikafin und bildungshungrig, der allerdings mit seiner schon frühen rebellischen Art mit der Institution Schule nicht zu Recht kam (bzw. die Schule nicht mit ihm). Das proletarische Zuhause mit einer KPD-sympathisierenden Mutter und einem herzensguten Vater, sowie zwei Brüdern, legten ihm eine gewisse „Moral des kleinen Mannes“ bei. Als er mit 14 Jahren den Berufswunsch eines Polizisten äußerte, sprach sich der „Familienrat“ entschieden dagegen aus, und als Alternative wählte er seinerzeit dann eben den „Nazijäger“. Wie bei so vielen Jungen spielt auch der Feuerwehrmann eine Rolle. Diesen Wunsch erfüllte er sich am Ende seines Lebens, als er sich in den Oderbruch zurückzog, und bei der Freiwilligen Feuerwehr von Malchow anheuerte, und das nicht nur, weil er z.B. sämtliche Führerscheine besaß, und somit „großes Gerät“ fahren konnte.
Die erste Wohnung, eine Zweiraumkellerwohnung, bezog er mit einem Freund 1967. Die Haare wurden länger, die „Negermusik“ lauter und schneller, der erste Sex und Haschisch kamen dazu, sowie Berge neuer Literatur, die eine neues Universum öffneten: „Marx, Bakunin, Engels, Rosa Luxemburg, Pjotr Kropotkin, Marcuse, Mao, Freud, Wilhelm Reich, Lenin...“ usw. Ob dies auch die Reihenfolge der Lektüre war ist ungewiss, aber Kröcher selbst bezeichnet sich – auch im Nachhinein – als Anarchist. Zwischen dem unbändigen Aufbruchswillen und der kapitalismusbesoffenen, westdeutschen Wirtschaftswunder-Gesellschaft klafften Welten. Die Springerpresse (in West-Berlin allen voran die BZ und die BILD) hetzten gegen „Gammler“, langhaarige und protestierende Student*innen, und heizten so die immer noch naziverseuchte Bevölkerung gegeneinander auf. Selten waren wohl die Unterschiede im Denken und äußerer Erscheinung so identisch, wie zu jener Zeit am Ende der 1960er Jahren. Und wer einmal den Schritt vorwärts gemacht hatte konnte selten zurück. Es war nicht nur, dass der Staat als erster geschossen hatte (Tod des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 beim Schah-Besuch, nahe der Deutschen Oper in West-Berlin), es war auch eine Frage von Emanzipation, von Klassenkampf, von Selbstbehauptung, vom Recht anders zu sein. Rebellion oder Rückzug, das war die Frage. Für Kröcher stellte sich die Frage nicht, für ihn kam nur die Rebellion in Frage.
Zeit des Widerstandes
Für Kröcher begann jetzt die Zeit des Widerstandes und der erfolgte mit allen nur möglichen Mitteln. Zwischen den proletarischen „Haschrebellen“ und den studentischen Protesten gab es wenige Berührungspunkte, aber in diversen politischen Aktionen gab es dann Gemeinsamkeiten. Das konnte allerdings die Unterschiede zwischen der Bewegung 2. Juni und dem vornehmlich aus bürgerlichen Häusern stammenden RAF-Leuten nicht wettmachen. Auf den Seiten von ca. 140 bis 366 beschreibt Kröcher seinen politischen Werdegang in die Illegalität in Schweden, über seine „schönsten“ Banküberfälle und seine Verhaftung am 31. März 1977 sowie die anschließende Knastzeit in West-Deutschland. Mit ganzen Passagen, mit denen die Bewegung 2. Juni Geschichte machte, wie die Lorenz-Entführung, die, bis heute unaufgeklärte Ermordung des Spitzels Schmücker usw., hatte Kröcher in direkter Weise gar nichts zu tun, und werden hier auch nur am Rande behandelt.
Diese ganze Zeit, zwischen dem Beginn der Politisierung 1967 und der Freilassung aus dem Knast 1985, prägen sicherlich die Person Kröcher, aber machen längst nicht den Menschen aus. Kröcher war, trotz seiner scharfen Kritik an der Linken, die er für großmäulig etc. hielt, ein zutiefst solidarischer und empathischer Mensch, für den seine persönliche Freiheit immer ein große Rolle gespielt hat. Kröchers Beurteilung von Personen, vor allem ehemaligen Genoss*innen sind oftmals hart, und seine moralischen Ansprüche hoch. Verrat, obwohl sich viele der alten Waffengefährt*innen sicherlich in Ausnahmezuständen befanden, war ihm absolut zuwider. Hier kannte er kein Pardon, ebenso wie bei allen „Zombies“, also Menschen, die dem kapitalistischen System zu Dienste sind.
Einer immer noch bewegende Geschichte, die selbst mir als Leser die kalte Wut hochkommen ließ, aber als jemand, der nur vier Jahre jünger ist als Kröcher und eine ähnliche Sozialisation hinter sich hat, war die Geschichte vom „kleinen Bruder Rudi“. Das war der 14jährige (!) Rudi Arnuth, der sich am Ostersonntag 1979 im Bochumer Knast das Leben nahm. Er war hier aus Dortmund eingeliefert worden wegen wiederholten Diebstahl. Ein 14jähriger in Einzelhaft! Kröcher widmet ihm ein Gedicht, welches im Anhang zu lesen ist, und die Geschichte ging ihm sichtlich nahe, da er mit dem Jungen Wand an Wand einsaß und ihm nicht helfen konnte. Diese Sauerei, wie eine ganze Reihe an Rechtsbrüchen, an Verstößen gegen jedwede Humanität, die sich der BRD-Staat seinerzeit gegen die rebellischen Jugend leistete, ist bis heute ungesühnt geblieben. Die große Rache steht noch aus. Und dies war auch ein Gefühl, welches Kröcher bis zu seinem Lebensende in sich trug.
Die Zeit nach dem Knast wird für Kröcher nicht ruhiger. Er nimmt weiterhin am politischen Widerstand teil, vermeidet lediglich möglichst illegales, um seine Bewährung nicht zu gefährden. Dann kommt eine neue Liebe und eine NSU Max Spezial, Baujahr 1955, die er in seiner Wohnung aus einander nimmt – und: wieder zusammen baut. Mit einem Beiwagen versehen macht er eine mehrmonatige Reise durch Norwegen. Hier verfällt Kröcher auf über 40 Seiten in fast poetischer Sprache über das Wetter, das Motorrad, seine Liebste und seine Begegnungen im hohen Norden. Hier kann er Mensch sein – und wenn er sich den Arsch abfriert – es ist seine Freiheit, und trotz widrigster Umstände eine Liebeserklärung an die unwirkliche Landschaft und seine oft missmutigen Einwohner*innen. Zurück nach West-Berlin fällt kurze Zeit später die Mauer, was für den Gesamtberliner Kröcher, der auch immer (klandestine) Kontakte in Ost-Berlin zu jungen Anarchist*innen und anderen Freigeistern pflegte ein Jubeltag war, aber für den Sozialismus seiner Vorstellung eine Niederlage mehr. Der Kampf war einfach nicht zu Ende.
Mit viel Herzblut vorsichtig behandelt
Bert Papenfuß, einen Seelenverwandter von Kröcher, hat den Text mit viel Herzblut vorsichtig behandelt. Der zweite Band der Kröcher-Biografie, die den Zeitraum ab 1989 bis 2016 behandelt soll im nächsten Jahr (2018) erscheinen. Diese Lebenswege, wie sie Kröcher gegangen ist, jederzeit widerständig, sich nicht vereinnahmen lassen, die eigenen Ideale nicht zu verraten, sind enorm wichtig in Zeiten, wo kleine Freiheiten als gegeben, und Rechtspopulismus als „demokratisches“ Konstrukt angesehen wird. Vielleicht könnte man sich über den Weg Kröchers streiten, seine Ansichten diskutieren, aber dieser ungebrochene Wille, dass Rebellion permanent ist, und vor allem auch Spaß machen muss, halte ich durchaus für bemerkenswert. Die Kröcher-Biographie scheint mir daher eines der wichtigsten Bücher des Jahres zu sein.
Norbert "Knofo" Kröcher: K. und der Verkehr – Erinnerungen an bewegte Zeiten. Erster Teil 1950-1989. Hrsg. von Bert Papenfuß für Rumbalotte Prenzlauer Berg Connection e.V., BasisDruck Verlag Berlin 2017, 496 S., ISBN 978-3-86163-158-3, 28 Euro
Online-Flyer Nr. 626 vom 30.08.2017
Biographie von Berlins Stadtguerillero Norbert "Knofo" Kröcher
"Wenn die Nacht am tiefsten ist, ist der Tag am nächsten..."
Buchrezension von Jochen Knoblauch
Jetzt ist sie da, die lange angekündigte und in der Szene lang ersehnte Biographie von Norbert „Knofo“ Kröcher (1950-2016), des Mitbegründers der anarchistischen Stadtguerilla-Gruppe „Bewegung 2. Juni“. Aber die Reduzierung Köchers auf diese Ereignisse der 1970er und 80er Jahre ist schlichtweg zu wenig. Die Biografie mit dem etwas sperrigen Titel „K. und der Verkehr – Erinnerungen an bewegte Zeiten“ bilden hier den ersten Teil einer umfangreichen, sehr individuellen Sicht auf die – erst West-, dann auf die Gesamtdeutsche – Geschichte, einer Geschichte von unten.
Norbert Kröcher, von vielen seiner Freund*innen auch kurz „Knofo“ genannt, nahm sich am 16. September 2016, nach einer Krebsdiagnose, per Kopfdurchschuss in Falkenhagen, dort, wo er geboren wurde, das Leben. Seine Erinnerungen waren schon Jahre zuvor in Planung und teilweise auch schon verfasst, nicht weil er sich selbst ein Denkmal setzen wollte, sondern weil ihm die meisten Biografien von ehemaligen Weggenoss*innen aus dem bewaffneten Widerstand Westdeutschlands ärgerten, zu geschwätzig, zu dominant, zu verlogen waren. Knofo hinterließ für seine Beerdigung eine Personenliste, mit Namen, die auf alle Fälle nicht an der Trauerfeier teilnehmen sollten – für mich ein Novum.
Geschichte von unten
Klar, in der Kröcher-Biografie wird nicht die Geschichte des Bewaffneten Kampfes in der BRD erzählt, nicht mal die Geschichte der „Bewegung 2. Juni“, dessen Gründungsmitglied er war, und auf dessen Aktionen er – wie etwa bei Wikipedia – schlichtweg sein gesamtes Dasein begrenzt wird, sondern hier wird Geschichte von unten geschrieben, und aus einer ganz individuellen Sichtweise. Dazu kommt Knofos spezielle Schreibweise: er liebte durchaus Fremdworte, aber sparsam und punktuell eingesetzt, ebenso wie eine Schnoddrigkeit, wie sie dem Berliner halt eigen ist. Knofos Freund und Herausgeber der Biografie, Bert Papenfuß – ein großer Dichter – beschreibt das in seine Vorwort so: „Auffallend sind die für alteingesessene Berliner – mehr oder weniger – typischen Französismen (und sog. „Scheingallizismen“)“,eine „gut lesbare Mischung aus alter und neuer Rechtschreibung“. Die Aneinanderreihung von Ereignissen mag chronologisch sein, aber für mich fehlten oftmals Daten, um eine eigenen Einordnung erstellen zu können.
Die ersten 140 Seiten behandeln Kröchers Kindheit und Jugend in Falkensee, Kreuzberg und Friedrichshain, und sind eigentlich eine Berliner Nachkriegskulturgeschichte. Er war ein Gesamtberliner, der schon in frühesten Jahren einen großen Aktionsradius hatte. Als am 13.8.1961 die Mauer errichtet wurde – Knofo war da elf Jahre alt – war sein Kommentar bezüglich der Fußball spielenden Freunde im Treptower Park: „Was sollten die nun ohne mich anfangen? Ich war der beste Torwart weit und breit. Mein Vorbild war der sowjetische Nationaltorwart Lew Jaschin, der „schwarze Panther“ von Dynamo Moskau, ein starker Raucher.“ Kröcher war das, was den Berlinern gerne nachgesagt wird: ein pfiffiger Bursche mit Hang zu Kriegsspielzeug, technikafin und bildungshungrig, der allerdings mit seiner schon frühen rebellischen Art mit der Institution Schule nicht zu Recht kam (bzw. die Schule nicht mit ihm). Das proletarische Zuhause mit einer KPD-sympathisierenden Mutter und einem herzensguten Vater, sowie zwei Brüdern, legten ihm eine gewisse „Moral des kleinen Mannes“ bei. Als er mit 14 Jahren den Berufswunsch eines Polizisten äußerte, sprach sich der „Familienrat“ entschieden dagegen aus, und als Alternative wählte er seinerzeit dann eben den „Nazijäger“. Wie bei so vielen Jungen spielt auch der Feuerwehrmann eine Rolle. Diesen Wunsch erfüllte er sich am Ende seines Lebens, als er sich in den Oderbruch zurückzog, und bei der Freiwilligen Feuerwehr von Malchow anheuerte, und das nicht nur, weil er z.B. sämtliche Führerscheine besaß, und somit „großes Gerät“ fahren konnte.
Die erste Wohnung, eine Zweiraumkellerwohnung, bezog er mit einem Freund 1967. Die Haare wurden länger, die „Negermusik“ lauter und schneller, der erste Sex und Haschisch kamen dazu, sowie Berge neuer Literatur, die eine neues Universum öffneten: „Marx, Bakunin, Engels, Rosa Luxemburg, Pjotr Kropotkin, Marcuse, Mao, Freud, Wilhelm Reich, Lenin...“ usw. Ob dies auch die Reihenfolge der Lektüre war ist ungewiss, aber Kröcher selbst bezeichnet sich – auch im Nachhinein – als Anarchist. Zwischen dem unbändigen Aufbruchswillen und der kapitalismusbesoffenen, westdeutschen Wirtschaftswunder-Gesellschaft klafften Welten. Die Springerpresse (in West-Berlin allen voran die BZ und die BILD) hetzten gegen „Gammler“, langhaarige und protestierende Student*innen, und heizten so die immer noch naziverseuchte Bevölkerung gegeneinander auf. Selten waren wohl die Unterschiede im Denken und äußerer Erscheinung so identisch, wie zu jener Zeit am Ende der 1960er Jahren. Und wer einmal den Schritt vorwärts gemacht hatte konnte selten zurück. Es war nicht nur, dass der Staat als erster geschossen hatte (Tod des Studenten Benno Ohnesorg am 2. Juni 1967 beim Schah-Besuch, nahe der Deutschen Oper in West-Berlin), es war auch eine Frage von Emanzipation, von Klassenkampf, von Selbstbehauptung, vom Recht anders zu sein. Rebellion oder Rückzug, das war die Frage. Für Kröcher stellte sich die Frage nicht, für ihn kam nur die Rebellion in Frage.
Zeit des Widerstandes
Für Kröcher begann jetzt die Zeit des Widerstandes und der erfolgte mit allen nur möglichen Mitteln. Zwischen den proletarischen „Haschrebellen“ und den studentischen Protesten gab es wenige Berührungspunkte, aber in diversen politischen Aktionen gab es dann Gemeinsamkeiten. Das konnte allerdings die Unterschiede zwischen der Bewegung 2. Juni und dem vornehmlich aus bürgerlichen Häusern stammenden RAF-Leuten nicht wettmachen. Auf den Seiten von ca. 140 bis 366 beschreibt Kröcher seinen politischen Werdegang in die Illegalität in Schweden, über seine „schönsten“ Banküberfälle und seine Verhaftung am 31. März 1977 sowie die anschließende Knastzeit in West-Deutschland. Mit ganzen Passagen, mit denen die Bewegung 2. Juni Geschichte machte, wie die Lorenz-Entführung, die, bis heute unaufgeklärte Ermordung des Spitzels Schmücker usw., hatte Kröcher in direkter Weise gar nichts zu tun, und werden hier auch nur am Rande behandelt.
Diese ganze Zeit, zwischen dem Beginn der Politisierung 1967 und der Freilassung aus dem Knast 1985, prägen sicherlich die Person Kröcher, aber machen längst nicht den Menschen aus. Kröcher war, trotz seiner scharfen Kritik an der Linken, die er für großmäulig etc. hielt, ein zutiefst solidarischer und empathischer Mensch, für den seine persönliche Freiheit immer ein große Rolle gespielt hat. Kröchers Beurteilung von Personen, vor allem ehemaligen Genoss*innen sind oftmals hart, und seine moralischen Ansprüche hoch. Verrat, obwohl sich viele der alten Waffengefährt*innen sicherlich in Ausnahmezuständen befanden, war ihm absolut zuwider. Hier kannte er kein Pardon, ebenso wie bei allen „Zombies“, also Menschen, die dem kapitalistischen System zu Dienste sind.
Einer immer noch bewegende Geschichte, die selbst mir als Leser die kalte Wut hochkommen ließ, aber als jemand, der nur vier Jahre jünger ist als Kröcher und eine ähnliche Sozialisation hinter sich hat, war die Geschichte vom „kleinen Bruder Rudi“. Das war der 14jährige (!) Rudi Arnuth, der sich am Ostersonntag 1979 im Bochumer Knast das Leben nahm. Er war hier aus Dortmund eingeliefert worden wegen wiederholten Diebstahl. Ein 14jähriger in Einzelhaft! Kröcher widmet ihm ein Gedicht, welches im Anhang zu lesen ist, und die Geschichte ging ihm sichtlich nahe, da er mit dem Jungen Wand an Wand einsaß und ihm nicht helfen konnte. Diese Sauerei, wie eine ganze Reihe an Rechtsbrüchen, an Verstößen gegen jedwede Humanität, die sich der BRD-Staat seinerzeit gegen die rebellischen Jugend leistete, ist bis heute ungesühnt geblieben. Die große Rache steht noch aus. Und dies war auch ein Gefühl, welches Kröcher bis zu seinem Lebensende in sich trug.
Die Zeit nach dem Knast wird für Kröcher nicht ruhiger. Er nimmt weiterhin am politischen Widerstand teil, vermeidet lediglich möglichst illegales, um seine Bewährung nicht zu gefährden. Dann kommt eine neue Liebe und eine NSU Max Spezial, Baujahr 1955, die er in seiner Wohnung aus einander nimmt – und: wieder zusammen baut. Mit einem Beiwagen versehen macht er eine mehrmonatige Reise durch Norwegen. Hier verfällt Kröcher auf über 40 Seiten in fast poetischer Sprache über das Wetter, das Motorrad, seine Liebste und seine Begegnungen im hohen Norden. Hier kann er Mensch sein – und wenn er sich den Arsch abfriert – es ist seine Freiheit, und trotz widrigster Umstände eine Liebeserklärung an die unwirkliche Landschaft und seine oft missmutigen Einwohner*innen. Zurück nach West-Berlin fällt kurze Zeit später die Mauer, was für den Gesamtberliner Kröcher, der auch immer (klandestine) Kontakte in Ost-Berlin zu jungen Anarchist*innen und anderen Freigeistern pflegte ein Jubeltag war, aber für den Sozialismus seiner Vorstellung eine Niederlage mehr. Der Kampf war einfach nicht zu Ende.
Mit viel Herzblut vorsichtig behandelt
Bert Papenfuß, einen Seelenverwandter von Kröcher, hat den Text mit viel Herzblut vorsichtig behandelt. Der zweite Band der Kröcher-Biografie, die den Zeitraum ab 1989 bis 2016 behandelt soll im nächsten Jahr (2018) erscheinen. Diese Lebenswege, wie sie Kröcher gegangen ist, jederzeit widerständig, sich nicht vereinnahmen lassen, die eigenen Ideale nicht zu verraten, sind enorm wichtig in Zeiten, wo kleine Freiheiten als gegeben, und Rechtspopulismus als „demokratisches“ Konstrukt angesehen wird. Vielleicht könnte man sich über den Weg Kröchers streiten, seine Ansichten diskutieren, aber dieser ungebrochene Wille, dass Rebellion permanent ist, und vor allem auch Spaß machen muss, halte ich durchaus für bemerkenswert. Die Kröcher-Biographie scheint mir daher eines der wichtigsten Bücher des Jahres zu sein.
Norbert "Knofo" Kröcher: K. und der Verkehr – Erinnerungen an bewegte Zeiten. Erster Teil 1950-1989. Hrsg. von Bert Papenfuß für Rumbalotte Prenzlauer Berg Connection e.V., BasisDruck Verlag Berlin 2017, 496 S., ISBN 978-3-86163-158-3, 28 Euro
Online-Flyer Nr. 626 vom 30.08.2017