SUCHE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Kultur und Wissen
Annäherung an einen neuen Begriff der Kritischen Patriarchatstheorie
Homo transformator
Von Simone Wörer
Für die Festschrift zum 70. Geburtstag von Claudia von Werlhof habe ich im Artikel „Homo transformator und die Krise der Weiter-Gabe“ (Wörer 2013) erstmals den Begriff des Homo transformator ins Feld geführt, den ich schließlich in meiner Dissertation „Homo transformator und die Krise der Gabe. Grundrisse einer patriarchatskritischen Theorie der Gabe“ (2017) wieder aufgreifen und weiter ausarbeiten sollte. Im Folgenden finden sich Auszüge aus meiner Dissertation, welche ein Grundverständnis für diesen neuen Begriff ermöglichen sollten. Die Veröffentlichung der Dissertation ist in Vorbereitung und für 2018 in Planung.
Mit dem Konzept des Homo transformator soll das menschliche Wirken in und aus einer Welt ausgearbeitet werden, die im Zentrum einer sich fortsetzenden Realisierung des Patriarchats steht. Es handelt sich dabei um ein (bis dato nicht in Reinform verwirklichtes) Menschenbild, dessen (technologische) Produktion im Zuge der fortschreitenden Patriarchalisierung angestrebt wird. Homo transformator ist Teil einer umfassenden Megamaschine, ja deren Produkt und Akteur zugleich. Er fungiert und agiert als „aktives Objekt“ (Genth 2002), indem er sich „funktionsgerecht“ verhält und dem maschinellen Gebot der Anpassung entspricht (Vgl. Genth 2002, S. 137.). Die Realisierung dieses zentralen Agenten ist essentiell, um das nekrophile Wahnsinns-Programm des Patriarchats als alchemistisches Projekt der Schöpfung einer Anti- oder Gegen-Welt aus der Zerstörung des Gegebenen voranzutreiben. […]
Mit dem Begriff des Homo transformator soll einerseits die stete Funktion der Transformation und des alchemistischen Um-, Über- und Entformens dieses Agenten unterstrichen werden, und andererseits geht es darum aufzuzeigen, dass dieser Agent als Bestandteil der so genannten Megamaschine für ihr Funktionieren unentbehrlich ist und eine bedeutende Schlüsselfunktion bei ihrer Erweiterung innehat.
Er vereint Elemente des Homo oeconomicus, des Homo faber oder etwa des Homo compensator in sich – jenen Konzepten, die die patriarchale Wissenschaft, Technik, Politik und Ökonomie wesentlich zu prägen scheinen und etwa in der Philosophie bereits eingehend beschrieben wurden. Sie sind gekennzeichnet durch Eigennutz und Profitgier (Homo oeconomicus), „dialektische Abgrenzung von der Natur“ und dem Schaffen einer „zweiten Natur“ als Überwindung eines Eigenmangels mittels Technik (Homo compensator) (Schirmacher 2003, S. 59f.) beziehungsweise der Herstellung einer künstlichen Welt von Dingen (Homo faber) (Vgl. Arendt 2007). Gleichzeitig geht dieses Konzept darüber hinaus, da es die Subjektivität des Menschen im Zusammenhang mit der Megamaschine wesentlich in Frage stellt und stattdessen systematische transformative Produktions- und Reproduktionsprozesse zur Beschädigung der menschlichen Eigenmächtigkeit in den Blick nehmen möchte.
Nicht umsonst habe ich mich für den vollkommen neuen Begriff Homo transformator entschieden, der mehrere Ebenen und Dimensionen ansprechen soll. Zunächst sei auf die offensichtlichste hingewiesen, welche auf die Maschinen- bzw. Elektrotechnik verweist und uns den Transformator als im Maschinenzeitalter alltäglich anzutreffendes Objekt in einer durchmechanisierten Welt vor Augen führt. Als zentrales Bauelement erfüllt ein Transformator die Zwecke der Umwandlung von Spannungen und der Signalübertragung, und seine Funktionstüchtigkeit ist von wesentlicher Bedeutung in technischen Gerätschaften. Ein idealer Transformator führt seinen zugewiesenen Dienst dadurch aus, dass so wenig Energieverlust wie möglich auftritt. Ist ein Transformator als technischer Bestandteil defekt, so ist die Funktionstüchtigkeit einer Gerätschaft nicht mehr gegeben, sodass ein Austauschen des Transformators notwendig ist.
Darüber hinaus ist das Prinzip der Transformation, wie wir bereits ausgeführt haben, fundamental für den patriarchal-alchemistischen Prozess, in dem es nämlich darum gehen soll, etwas (gewaltsam) zu manipulieren oder umzuformen, oder, sich seiner Form zu entledigen, um stattdessen eine Neuschöpfung auf der Grundlage eines Aktes der Zerstörung des Gegebenen herzustellen. Die Bezeichnung Homo transformator verweist daher auf eine bestimmte Funktion und auf eine technologisierte Form menschlicher Aktivität, welche sich aus dem passgenauen Einsatz in ein vorgegebenes System ergibt, dessen Funktionstüchtigkeit es aufrecht zu erhalten gilt.
Homo transformator ist Produkt und Funtionär eines technologischen Prozesses. Er ist idealerweise leichenhaftes, beliebig austauschbares und berechenbares, geschlechtsloses und vor allem geschichtsloses Menschenmaterial, das in einem systematischen Herstellungsprozess in dafür geeigneten Ersatzmutterschößen oder, im alchemistischen Sinne, gesellschaftlichen Schmelzöfen produziert werden soll, um die Funktionstüchtigkeit der Megamaschine zu gewährleisten. Er entwickelt geeignete Instrumente, um jene Prozesse bewältigen und fortsetzen zu können, welche die Megamaschine in ihrer Totalität, das heißt als soziale Konstruktion und als materielles Produkt eines alchemistischen Transformations- und Herstellungsprozesses in Form einer Anti- oder Gegen-Natur, antreiben. Gleichzeitig tritt er über das Sich-Einschalten in eine zerstückelte und zerstückelnde Maschinenwelt in Erscheinung, indem er als spannungsausgleichender Bestandteil und als Produkt derselben und ihres Apparatengefüges als „aktives Objekt“ (Genth) fungiert. Über seine Zu-richtung und die damit einhergehende Ver-Nichtung von Welt wird seit den Anfängen der Patriarchalisierung eine tiefe Krise der Gabe (und man könnte an dieser Stelle anmerken: alles Lebendigen) produziert und legitimiert. […]
Wenn wir Menschen also über Mimesis als Naturbe-Gabung verfügen und, so wollen wir annehmen, die Anverwandlung an das Andere als prägender Ausdruck des Lebendigen und als Bewegung dessen Weiterentwicklung betrachtet werden kann, so bedarf es zur Zu-richtung des Homo transformator und der Durchsetzung der Rationalisierung und maschinenlogischen Formierung des (Aus-)Tauschbaren auf der geistig-seelischen Ebene eines umfassenden „Entprägens“ (Klein 2009, S. 49.). Dieses hat die Abspaltung vom Anderen als Subjekt der Gabe und dem Gegebenen sowie die Zerstörung matriarchaler, lebensfreundlicher Reste, die immer, wenn auch im Verborgenen, auf die menschliche Existenz einwirken, zum Ziel. Krieg und Wissenschaft, beide seit Jahrtausenden untrennbar miteinander verbunden, zielen – mit nachweislichen Erfolgen – darauf ab. Beide haben wesentlichen Anteil an der fortgesetzten Entprägung und Zu-richtung, indem sie Abspaltungsprozesse produzieren, um Zerstörungs- und Transformationsprozesse überhaupt zu ermöglichen. […]
Ohne eine Enteignung des Lebens kann Homo transformator, der seinen wohldefinierten Platz in der „Maschinerie von Produktion und Konsum“ (Illich 1978, S. 21) einzunehmen hat, nicht zu-gerichtet werden. Als Funktionär der Megamaschine richtet er sich nämlich in und an einer Warenwelt aus und ist, in den Worten von Ivan Illich ausgedrückt, „gefangen in einem Netz der Abhängigkeit von Waren, die von gleichförmigen Maschinen, Fabriken, Kliniken, Fernsehstudios und Intelligenz-Pools ausgestoßen werden.“ (Illich 1978, S. 18) Erst durch das Entprägen, das einen systematisch-alchemistischen Transformationsprozess bezeichnet, kann sich der Mensch als Homo transformator und verwertbares Material in eine entsprechende Welt des Austauschbaren einpassen. Das Entprägen zielt auf die Zerstörung der Hin-Gabe-Fähigkeit des Menschen ab, die ihn eigenmächtig denken, handeln und fühlen lässt, und führt nicht etwa zu Fülle, Wachstum und Wohlstand […]
Die Entprägung und Zu-richtung des Homo transformator vollzieht sich nicht nur auf der geistig-seelischen Ebene, sondern aufgrund der technischen Machbarkeit vor allem auch in der Manipulation der menschlichen und nichtmenschlichen Physis, die durch die Maschinisierung von Welt mehr und mehr zum locus technicus (gemacht) werden sollen. […]
Seine Merkmale und Handlungsformen orientieren sich schließlich an jenen der Maschine, die wir nach Renate Genth wie folgt zusammenfassen können: Berechenbarkeit, Quantifizierung, Reduktion von Komplexität, identische Reproduktion, Austauschbarkeit, Kontrolle und Durchschaubarkeit des Funktionszusammenhangs, geschlossenes Regelsystem, Operationalisierbarkeit, Sachzwang als moralisches Gesetz und Kritikfestigkeit. (Vgl. Genth 2002)
Die Daseinsberechtigung des Homo transformator ist an seine Funktionstüchtigkeit gebunden, und es mag ihm fast scheinen, als ob seine Verbindung zur Megamaschine, die erst durch diverse Schläuche und Drähte zur gegenseitigen Versorgung und Kommunikation zwischen dem Einzelteil und dem System zustandekommen kann, untrennbar sei. Homo transformator scheint nicht zu wissen, dass es ihn gibt, wenn er nicht daran angeschlossen ist.
Literaturhinweise zu den oben angeführten Auszügen:
[Arendt 2007] Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben. Piper, München 2007.
[Genth 2002] Genth, Renate: Über Maschinisierung und Mimesis. Erfindungsgeist und mimetische Begabung im Widerstreit und ihre Bedeutung für das Mensch-Maschine-Verhältnis. Peter Lang, Frankfurt a.M. 2002.
[Illich 1978] Illich, Ivan: Fortschrittsmythen. Schöpferische Arbeitslosigkeit oder Die Grenzen der Vermarktung, Energie und Gerechtigkeit, Wider die Verschulung. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1978.
[Klein 2009] Klein, Naomi: Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Fischer, Frankfurt a.M. 2009.
[Schirmacher 2003] Schirmacher, Wolfgang: Homo Generator und Autonomie. Eine Kritik des wissenschaftlichen Menschenbildes. In: Ernst, Werner (Hrsg.): Aufspaltung und Zerstörung durch disziplinäre Wissenschaften. Studien Verlag, Innsbruck 2003, S. 57-68.
[Wörer 2013] Wörer, Simone: Homo transformator und die Krise der Weiter-Gabe. In: Behmann, M./Frick, T./Scheiber, U./Wörer, S. (Hrsg.): Verantwortung – Anteilnahme – Dissidenz. Patriarchatskritik als Verteidigung des Lebendigen. Festschrift zum 70. Geburtstag von Claudia von Werlhof. Peter Lang, Frankfurt a.M. 2013, S. 207-225.
Mit Dank übernommen aus Nummer 3 von "Bumerang – Zeitschrift für Patriarchatskritik" – auf der website des Innsbrucker Forschungsinstituts für Patriarchatskritik und alternative Zivilisationen fipaz.at abrufbar
Online-Flyer Nr. 644 vom 24.01.2018
Annäherung an einen neuen Begriff der Kritischen Patriarchatstheorie
Homo transformator
Von Simone Wörer
Für die Festschrift zum 70. Geburtstag von Claudia von Werlhof habe ich im Artikel „Homo transformator und die Krise der Weiter-Gabe“ (Wörer 2013) erstmals den Begriff des Homo transformator ins Feld geführt, den ich schließlich in meiner Dissertation „Homo transformator und die Krise der Gabe. Grundrisse einer patriarchatskritischen Theorie der Gabe“ (2017) wieder aufgreifen und weiter ausarbeiten sollte. Im Folgenden finden sich Auszüge aus meiner Dissertation, welche ein Grundverständnis für diesen neuen Begriff ermöglichen sollten. Die Veröffentlichung der Dissertation ist in Vorbereitung und für 2018 in Planung.
Mit dem Konzept des Homo transformator soll das menschliche Wirken in und aus einer Welt ausgearbeitet werden, die im Zentrum einer sich fortsetzenden Realisierung des Patriarchats steht. Es handelt sich dabei um ein (bis dato nicht in Reinform verwirklichtes) Menschenbild, dessen (technologische) Produktion im Zuge der fortschreitenden Patriarchalisierung angestrebt wird. Homo transformator ist Teil einer umfassenden Megamaschine, ja deren Produkt und Akteur zugleich. Er fungiert und agiert als „aktives Objekt“ (Genth 2002), indem er sich „funktionsgerecht“ verhält und dem maschinellen Gebot der Anpassung entspricht (Vgl. Genth 2002, S. 137.). Die Realisierung dieses zentralen Agenten ist essentiell, um das nekrophile Wahnsinns-Programm des Patriarchats als alchemistisches Projekt der Schöpfung einer Anti- oder Gegen-Welt aus der Zerstörung des Gegebenen voranzutreiben. […]
Mit dem Begriff des Homo transformator soll einerseits die stete Funktion der Transformation und des alchemistischen Um-, Über- und Entformens dieses Agenten unterstrichen werden, und andererseits geht es darum aufzuzeigen, dass dieser Agent als Bestandteil der so genannten Megamaschine für ihr Funktionieren unentbehrlich ist und eine bedeutende Schlüsselfunktion bei ihrer Erweiterung innehat.
Er vereint Elemente des Homo oeconomicus, des Homo faber oder etwa des Homo compensator in sich – jenen Konzepten, die die patriarchale Wissenschaft, Technik, Politik und Ökonomie wesentlich zu prägen scheinen und etwa in der Philosophie bereits eingehend beschrieben wurden. Sie sind gekennzeichnet durch Eigennutz und Profitgier (Homo oeconomicus), „dialektische Abgrenzung von der Natur“ und dem Schaffen einer „zweiten Natur“ als Überwindung eines Eigenmangels mittels Technik (Homo compensator) (Schirmacher 2003, S. 59f.) beziehungsweise der Herstellung einer künstlichen Welt von Dingen (Homo faber) (Vgl. Arendt 2007). Gleichzeitig geht dieses Konzept darüber hinaus, da es die Subjektivität des Menschen im Zusammenhang mit der Megamaschine wesentlich in Frage stellt und stattdessen systematische transformative Produktions- und Reproduktionsprozesse zur Beschädigung der menschlichen Eigenmächtigkeit in den Blick nehmen möchte.
Nicht umsonst habe ich mich für den vollkommen neuen Begriff Homo transformator entschieden, der mehrere Ebenen und Dimensionen ansprechen soll. Zunächst sei auf die offensichtlichste hingewiesen, welche auf die Maschinen- bzw. Elektrotechnik verweist und uns den Transformator als im Maschinenzeitalter alltäglich anzutreffendes Objekt in einer durchmechanisierten Welt vor Augen führt. Als zentrales Bauelement erfüllt ein Transformator die Zwecke der Umwandlung von Spannungen und der Signalübertragung, und seine Funktionstüchtigkeit ist von wesentlicher Bedeutung in technischen Gerätschaften. Ein idealer Transformator führt seinen zugewiesenen Dienst dadurch aus, dass so wenig Energieverlust wie möglich auftritt. Ist ein Transformator als technischer Bestandteil defekt, so ist die Funktionstüchtigkeit einer Gerätschaft nicht mehr gegeben, sodass ein Austauschen des Transformators notwendig ist.
Darüber hinaus ist das Prinzip der Transformation, wie wir bereits ausgeführt haben, fundamental für den patriarchal-alchemistischen Prozess, in dem es nämlich darum gehen soll, etwas (gewaltsam) zu manipulieren oder umzuformen, oder, sich seiner Form zu entledigen, um stattdessen eine Neuschöpfung auf der Grundlage eines Aktes der Zerstörung des Gegebenen herzustellen. Die Bezeichnung Homo transformator verweist daher auf eine bestimmte Funktion und auf eine technologisierte Form menschlicher Aktivität, welche sich aus dem passgenauen Einsatz in ein vorgegebenes System ergibt, dessen Funktionstüchtigkeit es aufrecht zu erhalten gilt.
Homo transformator ist Produkt und Funtionär eines technologischen Prozesses. Er ist idealerweise leichenhaftes, beliebig austauschbares und berechenbares, geschlechtsloses und vor allem geschichtsloses Menschenmaterial, das in einem systematischen Herstellungsprozess in dafür geeigneten Ersatzmutterschößen oder, im alchemistischen Sinne, gesellschaftlichen Schmelzöfen produziert werden soll, um die Funktionstüchtigkeit der Megamaschine zu gewährleisten. Er entwickelt geeignete Instrumente, um jene Prozesse bewältigen und fortsetzen zu können, welche die Megamaschine in ihrer Totalität, das heißt als soziale Konstruktion und als materielles Produkt eines alchemistischen Transformations- und Herstellungsprozesses in Form einer Anti- oder Gegen-Natur, antreiben. Gleichzeitig tritt er über das Sich-Einschalten in eine zerstückelte und zerstückelnde Maschinenwelt in Erscheinung, indem er als spannungsausgleichender Bestandteil und als Produkt derselben und ihres Apparatengefüges als „aktives Objekt“ (Genth) fungiert. Über seine Zu-richtung und die damit einhergehende Ver-Nichtung von Welt wird seit den Anfängen der Patriarchalisierung eine tiefe Krise der Gabe (und man könnte an dieser Stelle anmerken: alles Lebendigen) produziert und legitimiert. […]
Wenn wir Menschen also über Mimesis als Naturbe-Gabung verfügen und, so wollen wir annehmen, die Anverwandlung an das Andere als prägender Ausdruck des Lebendigen und als Bewegung dessen Weiterentwicklung betrachtet werden kann, so bedarf es zur Zu-richtung des Homo transformator und der Durchsetzung der Rationalisierung und maschinenlogischen Formierung des (Aus-)Tauschbaren auf der geistig-seelischen Ebene eines umfassenden „Entprägens“ (Klein 2009, S. 49.). Dieses hat die Abspaltung vom Anderen als Subjekt der Gabe und dem Gegebenen sowie die Zerstörung matriarchaler, lebensfreundlicher Reste, die immer, wenn auch im Verborgenen, auf die menschliche Existenz einwirken, zum Ziel. Krieg und Wissenschaft, beide seit Jahrtausenden untrennbar miteinander verbunden, zielen – mit nachweislichen Erfolgen – darauf ab. Beide haben wesentlichen Anteil an der fortgesetzten Entprägung und Zu-richtung, indem sie Abspaltungsprozesse produzieren, um Zerstörungs- und Transformationsprozesse überhaupt zu ermöglichen. […]
Ohne eine Enteignung des Lebens kann Homo transformator, der seinen wohldefinierten Platz in der „Maschinerie von Produktion und Konsum“ (Illich 1978, S. 21) einzunehmen hat, nicht zu-gerichtet werden. Als Funktionär der Megamaschine richtet er sich nämlich in und an einer Warenwelt aus und ist, in den Worten von Ivan Illich ausgedrückt, „gefangen in einem Netz der Abhängigkeit von Waren, die von gleichförmigen Maschinen, Fabriken, Kliniken, Fernsehstudios und Intelligenz-Pools ausgestoßen werden.“ (Illich 1978, S. 18) Erst durch das Entprägen, das einen systematisch-alchemistischen Transformationsprozess bezeichnet, kann sich der Mensch als Homo transformator und verwertbares Material in eine entsprechende Welt des Austauschbaren einpassen. Das Entprägen zielt auf die Zerstörung der Hin-Gabe-Fähigkeit des Menschen ab, die ihn eigenmächtig denken, handeln und fühlen lässt, und führt nicht etwa zu Fülle, Wachstum und Wohlstand […]
Die Entprägung und Zu-richtung des Homo transformator vollzieht sich nicht nur auf der geistig-seelischen Ebene, sondern aufgrund der technischen Machbarkeit vor allem auch in der Manipulation der menschlichen und nichtmenschlichen Physis, die durch die Maschinisierung von Welt mehr und mehr zum locus technicus (gemacht) werden sollen. […]
Seine Merkmale und Handlungsformen orientieren sich schließlich an jenen der Maschine, die wir nach Renate Genth wie folgt zusammenfassen können: Berechenbarkeit, Quantifizierung, Reduktion von Komplexität, identische Reproduktion, Austauschbarkeit, Kontrolle und Durchschaubarkeit des Funktionszusammenhangs, geschlossenes Regelsystem, Operationalisierbarkeit, Sachzwang als moralisches Gesetz und Kritikfestigkeit. (Vgl. Genth 2002)
Die Daseinsberechtigung des Homo transformator ist an seine Funktionstüchtigkeit gebunden, und es mag ihm fast scheinen, als ob seine Verbindung zur Megamaschine, die erst durch diverse Schläuche und Drähte zur gegenseitigen Versorgung und Kommunikation zwischen dem Einzelteil und dem System zustandekommen kann, untrennbar sei. Homo transformator scheint nicht zu wissen, dass es ihn gibt, wenn er nicht daran angeschlossen ist.
Literaturhinweise zu den oben angeführten Auszügen:
[Arendt 2007] Arendt, Hannah: Vita activa oder Vom tätigen Leben. Piper, München 2007.
[Genth 2002] Genth, Renate: Über Maschinisierung und Mimesis. Erfindungsgeist und mimetische Begabung im Widerstreit und ihre Bedeutung für das Mensch-Maschine-Verhältnis. Peter Lang, Frankfurt a.M. 2002.
[Illich 1978] Illich, Ivan: Fortschrittsmythen. Schöpferische Arbeitslosigkeit oder Die Grenzen der Vermarktung, Energie und Gerechtigkeit, Wider die Verschulung. Rowohlt, Reinbek bei Hamburg 1978.
[Klein 2009] Klein, Naomi: Die Schock-Strategie. Der Aufstieg des Katastrophen-Kapitalismus. Fischer, Frankfurt a.M. 2009.
[Schirmacher 2003] Schirmacher, Wolfgang: Homo Generator und Autonomie. Eine Kritik des wissenschaftlichen Menschenbildes. In: Ernst, Werner (Hrsg.): Aufspaltung und Zerstörung durch disziplinäre Wissenschaften. Studien Verlag, Innsbruck 2003, S. 57-68.
[Wörer 2013] Wörer, Simone: Homo transformator und die Krise der Weiter-Gabe. In: Behmann, M./Frick, T./Scheiber, U./Wörer, S. (Hrsg.): Verantwortung – Anteilnahme – Dissidenz. Patriarchatskritik als Verteidigung des Lebendigen. Festschrift zum 70. Geburtstag von Claudia von Werlhof. Peter Lang, Frankfurt a.M. 2013, S. 207-225.
Mit Dank übernommen aus Nummer 3 von "Bumerang – Zeitschrift für Patriarchatskritik" – auf der website des Innsbrucker Forschungsinstituts für Patriarchatskritik und alternative Zivilisationen fipaz.at abrufbar
Online-Flyer Nr. 644 vom 24.01.2018