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Krieg und Frieden
Über den Einsatz dieser verheimlichten Massenvernichtungswaffen und den Arzt, der als Erster auf ihre Folgen hingewiesen hat
Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran
Von Klaus-Dieter Kolenda
Der folgende Text möchte aus der Sicht eines Mediziners über den verheimlichten Einsatz von Uranwaffen in den jüngsten Kriegen des Westens informieren und soll darüber hinaus eine Würdigung des deutschen Arztes, Prof. Siegwart-Horst Günther, sein. Dieser hat mehrere Jahrzehnte im Nahen und Mittleren Osten als Hochschullehrer gewirkt und war der Erste, der über den Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen und ihre Folgen im Irak, aber auch in Bosnien, Serbien und im Kosovo, die Öffentlichkeit unterrichtet hat. Viele politisch interessierte Zeitgenossen kennen die Bilder aus dem Weltsicherheitsrat der UNO, die aus dem Jahre 2003 kurz vor dem zweiten Irakkrieg stammen und zeigen, wie der US-amerikanische Außenminister Colin Powell mit einem kleinen durchsichtigen Röhrchen in der Hand demonstriert, dass der Beweis unwiderruflich erbracht sei: Der Irak ist im Besitz von Massenvernichtungswaffen! Das war die Begründung und Rechtfertigung für den bald darauf beginnenden völkerrechtswidrigen zweiten Angriffskrieg gegen den Irak, der dieses Land völlig zerstört und eine verelendete Bevölkerung mit mehr als 1 Million toter Zivilisten und vielen hunderttausend verwundeten und kranken Menschen zurückgelassen hat [1]. Heute wissen wir, dass diese Begründung eine ungeheuerliche Lüge war. Was Colin Powell verschwiegen hat und die meisten Zeitgenossen bis heute nicht erfahren haben, weil es in den Leitmedien seit langer Zeit kein Thema mehr ist: Schon im ersten Irakkrieg 1991 haben die USA und ihre Alliierten zum ersten Mal Massenvernichtungswaffen in Form von vielen Tonnen Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran (englisch: depleted uranium, abgekürzt: DU), auch Uranwaffen oder Uranmunition genannt, eingesetzt [2].
Missbildung durch Uranmuition (aus dem Film „Deadly Dust“)
DU ist ein billiges Abfallprodukt der Atomindustrie bei der Herstellung atomarer Brennstäbe aus Uran 235, enthält aber noch etwa 60 Prozent der Radioaktivität des ursprünglichen Uranerzes auf Grund seines Gehaltes an vor allem Uran 238, einem langsam zerfallenden Alpha-Strahler mit einer Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren [2].
Wenn DU in den menschlichen Organismus gelangt, ist es doppelt gefährlich: Als Schwermetall ist es giftig und als Alpha-Strahler schädigt es mit seiner Strahlenwirkung die Gewebszellen in der Lunge und den übrigen Organen. Beim Einsatz von Uranwaffen, zum Beispiel gegen Panzer und Stahlbetonbauten, werden die getroffenen Ziele nicht nur in Sekunden zur Explosion gebracht, sondern ein Teil des Urangeschosses entzündet sich auf Grund der hohen Temperaturen durch die Reibungshitze und es entsteht ein Aerosol, das heißt ein Metallgas, das aus mikroskopisch kleinen Partikeln DU besteht und das von den Menschen, die dem ausgesetzt sind, über die Atmung, aber auch über Nahrung und Trinkwasser, aufgenommen werden kann.
Der Einsatz von Uranwaffen im ersten Irakkrieg wurde von den USA und Großbritannien aber zunächst geleugnet, bis der ehemalige US-Justizminister Ramsay Clark 1997 die verbrecherischen Praktiken des Pentagons mit seiner Streitschrift mit dem Titel „Metal of Dishonor“ (wörtlich übersetzt: Metall der Unehre, damit ist abgereichertes Uran gemeint) offen gelegt hat [2].
Im zweiten Irakkrieg 2003 sollen es dann mindestens 2000 Tonnen Uranmunition gewesen sein, die gegen Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, Bunker und Bauwerke aus Stahlbeton abgeschossen wurden. Das hat zu den Folgen geführt, die von Frieder Wagner in seinen beiden Dokumentarfilmen, „Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra“ aus dem Jahre 2003 und „Deadly Dust- Todesstaub: Uranmunition und die Folgen“ aus 2007, so eindringlich aufgezeigt werden [3][4]. Sehr informativ und eindrucksvoll ist auch der Dokumentarfilm „Leiser Tod im Garten Eden“ von Karin Leukefeld und Markus Matzel aus dem Jahre 2016 [5]. Alle genannten Filme können über YouTube aufgerufen und angesehen werden.
Uranwaffen - ein Tabu-Thema in Deutschland
Claus Biegert, freiberuflicher Autor, Rundfunkjournalist und Filmemacher, hat in einem lesenswerten Buchbeitrag, der 2015 erschienen ist, beschrieben, wie das Thema Uranwaffen aus den Medien verschwand [2].
Im Januar 2001 hat der Journalist Siegesmund von Ilsemann, langjähriger Militärexperte des „Spiegel“, die letzte Veröffentlichung zu diesem Thema geschrieben, die zu einer großen Mediendebatte führte. Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping geriet unter Druck, weil Vorwürfe erhoben wurden, dass Uranwaffen auch im völkerrechtswidrigen Krieg gegen Serbien und im Kosovo 1999 eingesetzt worden seien. Minister Scharping rechtfertigte den Einsatz und erklärte wörtlich: „Uran wird als Metall, nicht als strahlendes Material verwendet. Deshalb haben auch alle Untersuchungen ergeben, dass die Strahlung aus diesem Uran unterhalb der natürlichen Umwelteinflüsse liegt.“ Claus Biegert hat diese Erklärung des Ministers treffend kommentiert: „Uran, das nicht strahlen soll, strahlt auch nicht! Der Minister als Magier“ [2].
Scharping stellte darauf einen Arbeitsstab zusammen, der die Ungefährlichkeit der Uranmunition bestätigen sollte. Zum Leiter wurde Theo Sommer, der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der „Zeit“, ernannt. Weitere Mitglieder waren ein Redakteur der „FAZ“, ein Vertreter der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ und eine Reihe hoher Militärs. Auf Wissenschaftler glaubte man offensichtlich verzichten zu können. Der Arbeitsstab kam zu dem gewünschten Ergebnis, das dann im Sommer 2001 in der „Zeit“ in einem Artikel von Gero von Randow mit dem Titel „Die Blamage der Alarmisten“ veröffentlicht wurde. Seitdem wird das Thema in den überregionalen Leitmedien und der Regionalpresse in Deutschland bis auf seltene Ausnahmen nicht mehr aufgegriffen [2]. Im Gegensatz dazu haben sich aber alternative Online-Medien wie zum Beispiel die „Nachdenkseiten“ mit dieser Thematik befasst und auch ausführliche Dokumentationen dazu veröffentlicht [6] [7] und [8].
Eine Erklärung für das Schweigen der Leitmedien über den Einsatz von Uranwaffen und dessen Folgen sei, meint Claus Biegert, dass mächtige Institutionen kein Interesse an einer Diskussion des Themas haben, denn das internationale Recht sieht vor: Für die Beseitigung von Kriegsmaterial, vergifteten Böden und Wasser sind die Verursacher verantwortlich. Für zivile Opfer müssten sie sich vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten. Eine Ächtung der Uranwaffen schmälere nicht nur die Gewinne der Waffen- und Transportindustrie, sondern sie werfe auch Fragen der Entschädigung auf, die nicht vorgesehen waren [2].
Was meint die Wissenschaft zu diesem Thema?
Journalisten und Wissenschaftler, die sich mit der Tabu-Erklärung des Themas Uranwaffen nicht abfinden wollen, müssen immer wieder erleben, dass ihnen vorgeworfen wird, sie würden einer „Verschwörungstheorie“ aufsitzen. Das ist ein Totschlagargument und bedeutet, dass die so Beschuldigten entweder naiv sind oder keine Ahnung von der Materie haben. Claus Biegert und auch Frieder Wagner ist es so gegangen und Prof. Günther ebenfalls. Deshalb wollen wir uns ansehen, was heute die Wissenschaft zum Thema Uranwaffen zu sagen hat.
Zu diesem Thema liegt seit 2012 eine Broschüre mit einem Report der deutschen Sektionen der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung“ (IPPNW) und der „Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen“ (ICBUW) vor [9]. Dieser umfangreiche Report mit dem Titel „Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition. Die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe“ basiert auf 275 Literaturhinweisen und Anmerkungen und macht deutlich, dass aus ärztlicher und politischer Sicht allein ein Verbot von Uranwaffen die einzige Konsequenz aus den zahlreichen vorgestellten und kritisch bewerteten wissenschaftlichen Forschungen, Feldstudien und Rechtsexpertisen über dieses Thema sein kann, um weiteres Leid von Zivilbevölkerungen und Militärpersonal zu verhindern und die Verseuchung unserer Umwelt über Millionen Jahre so gering wie möglich zu halten.
In der Zusammenfassung heißt es auf Seite 56 bis 57 dieser Broschüre [9], dass der Report unter anderem belegt: Uranmunition unterscheidet in ihrer Mittel- und Langzeitwirkung nicht zwischen Kombattanten und Zivilisten.
Inkorporiertes DU wirkt als Schwermetall chemotoxisch und als radioaktive Substanz radiotoxisch. Die chemischen und die Strahleneffekte ergeben einen Wirkungscocktail, bei dem oft nicht eindeutig zugeordnet werden kann, ob die Ursachen von der giftigen Wirkung des Schwermetalls oder von der Alpha-Strahlung des Urans herrühren.
Fest steht allerdings: Die beiden Schadwirkungen- Chemo- und Radiotoxizität- verhalten sich synergistisch, das heißt, sie verstärken im menschlichen Körper gegenseitig ihre spezifischen Zerstörungs- und Veränderungskräfte.
Uranwaffen schädigen den Körper in vielfältiger Weise und gefährden nicht nur die exponierten Personen, sondern auch ihre später gezeugten Kinder. Die häufigsten Gesundheitsschäden sind: Chromosomenschäden, die die Ursache für Missbildungen und Krebs sind, Schädigung der Nieren und des Nervensystems, angeborene Fehlbildungen, transgenerationelle Effekte, das heißt, schädigende Effekte können auch die Kindeskinder betreffen, und Fertilitätsstörungen, das sind Störungen der Fruchtbarkeit bei Männern und Frauen. Die Gefahr, an Krebs zu erkranken, nimmt bei mit DU- exponierten Personen sehr deutlich zu.
Abgereichertes Uran, das im Skelett gespeichert und in den Lymphknoten oder in der Lunge angesammelt wurde, verbleibt über Jahre bis Jahrzehnte im Körper. In den Körper eingedrungene DU-Splitter geben ihre giftigen Wirkstoffe und Strahlen lebenslang ab.
DU wird beim Aufprall teilweise zu einem Aerosol. Darunter versteht man ein Gemisch aus festen und flüssigen Schwebeteilchen in einem Gas. Die kleinsten Teilchen sind nur wenige Nanometer (Millionstel Millimeter) groß. Die dadurch bedingten Umweltfolgen sind mannigfaltig. Durch Wind und Wiederaufwirbelungen, zum Beispiel beim Pflügen, verteilt sich das Aerosol auf einer größeren Fläche.
Bei einer Treffergenauigkeit der uranhaltigen Waffen von ca. 10 % liegen viele Geschosse unerkannt bis zu einem Meter tief unter der Erde. Je nach Bodenbeschaffenheit wird die toxische Wirkung entweder „verkapselt“ oder es werden weitere Erdschichten oder das Grundwasser von Kontamination bedroht. Wetterbedingte Erosionen sind langfristig eine zusätzliche Gefahr.
Die Dekontamination muss großflächig erfolgen. Sie ist schwierig, aufwendig und teuer und gelingt in der Regel nicht vollständig.
Für die betroffenen Staaten wie Nationen auf dem Balkan oder im Irak, aber auch für die Verwenderstaaten und die Weltgemeinschaft, stellt der Report weiter unter anderem fest:
Die betroffenen Staaten müssen von den kriegführenden Parteien schnell umfassende Informationen über den Einsatz von DU-Munition erhalten und die betroffene Bevölkerung muss über die Risiken von DU-Munition informiert und im praktischen Umgang mit verseuchten Materialien geschult werden.
Die Verursacherstaaten und die Weltgemeinschaft sind in der Pflicht, die Gefahren für die Zivilbevölkerung und ihre Leiden so gering wie möglich zu halten, dies schließe auch fiskalische, das heißt, die Staatskasse betreffende Verantwortung für die Verwenderstaaten nachdrücklich ein.
Um das Ausmaß der gesundheitlichen Folgen des Einsatzes von DU-Munition einschätzen zu können, sind unabhängige epidemiologische Forschungen notwendig, die in erster Linie von den Verwenderstaaten zu finanzieren sind. Weiterhin ist der Aufbau eines Fehlbildungs- und Krebsregisters von großer Bedeutung, da ohne solche Register die Vergleichsgrößen für wissenschaftliche Studien in den betroffenen Regionen fehlen.
Im vorliegenden Report wird auch das Völkerrecht daraufhin untersucht, ob die bestehenden zwischenstaatlichen Verträge beziehungsweise das Gewohnheitsrecht ein Verbot von DU-Munition ermöglichen. Obwohl sich die große Mehrheit der UNO-Mitglieder für ein Verbot von Uranwaffen ausgesprochen hat, sind uranhaltige Waffen ebenso wie Atomwaffen derzeit ja leider noch nicht explizit verboten.
Nach Meinung der Autoren des Reports könnte jedoch schon heute auf Grund der Bestimmungen des Humanitären Völkerrechts und speziell des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen für ein Verbot von Uranwaffen argumentiert werden, denn das Zusatzprotokoll verbietet Angriffe „..bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht entsprechend den Vorschriften dieses Protokolls begrenzt werden können“. Grundsätzlich verboten ist eine Kriegsführung, die nicht zwischen Kombattanten und Zivilpersonen unterscheidet beziehungsweise die Umwelt schädigt. Mit dieser Argumentation setzt sich seit Jahren der Berliner Völkerrechtler Prof. Manfred Mohr, einer der Autoren des Reports und Sprecher der ICBUW, für eine Ächtung von Uranwaffen ein [9].
Die ICBUW Deutschland teilt auf ihrer Website mit, dass die UN-Generalversammlung der Vereinten Nationen die anhaltenden Befürchtungen über Gesundheitsrisiken von abgereichertem Uran anerkennt. Das Plenum der UN-Generalversammlung verabschiedete am 5. Dezember 2016 eine neue Resolution zu Uranwaffen mit 151 zu 4 Stimmen bei 28 Enthaltungen. Die Resolution ist die sechste angenommene Resolution seit 2007 [10].
Obwohl eine überwältigende Mehrheit der Staaten für die Resolution stimmte, enthielt sich eine kleine Minderheit. Rund die Hälfte davon sind EU- Mitgliedsstaaten, die zuvor durch das EU-Parlament zur Zustimmung aufgefordert worden waren. Deutschland, das die Resolution bis 2014 unterstützte, wurde von der ICBUW für seine Bemühungen kritisiert, die Sprache der Resolution zu schwächen und andere Staaten zur Enthaltung zu bewegen. Wie gewöhnlich wurde die Resolution von den USA, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Israel abgelehnt. Die erste Abstimmungsrunde über die Resolution fand nur wenige Tage nach dem Eingeständnis der USA statt, dass sie DU-Munition in Syrien eingesetzt haben [11].
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch noch, dass auf nationaler Ebene Gerichte sowohl in Italien als auch in Großbritannien in der jüngeren Vergangenheit Soldaten beziehungsweise deren Angehörigen Entschädigungen dafür zugesprochen haben, dass die Soldaten im Einsatz abgereichertem Uran ausgesetzt gewesen waren. In den USA verharrt die Rechtsprechung auf dem Stand, dass grundsätzlich keine Entschädigung für im Militärdienst erlittene Gesundheitsschäden gewährt wird [9].
Zum Abschluss dieses Kapitels soll noch auf eine epidemiologische Studie aufmerksam gemacht werden, die im Jahre 2010 in der in Basel herausgegebenen renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift „International Journal of Environmental Research and Public Health“ erschienen ist und die zu dem Ergebnis kommt, dass die Region von Fallujah im Irak, die 2004 stark umkämpft gewesen ist, in 2005 bis 2008 eine höhere Rate an Krebs, Leukämie und Kindersterblichkeit aufgewiesen hat als Hiroshima und Nagasaki im ersten Jahr nach dem Atombombenabwurf [2][12].
Wer war Siegwart-Horst Günther?
Siegwart-Horst Günther war ein deutscher Arzt, der Zusammenhänge zwischen der im Irakkrieg verwendeten Uranmunition von Seiten der USA und ihrer Alliierten und dem gehäuften Auftreten von Leukämien, Krebserkrankungen und Missbildungen bei Säuglingen und Kleinkindern schon 1991 vermutet und als Erster bewiesen hat, dass die zurückgebliebenen Geschosshülsen auf den Schlachtfeldern, mit denen die Kinder dort spielten, aus abgereichertem Uran bestanden und radioaktiv strahlten.
Prof. Siegwart-Horst Günther verstarb nach langer und schwerer Krankheit im Januar 2015 in einem Alten- und Pflegeheim in meiner Heimatstadt Husum an der Nordsee mit fast 90 Jahren und ist dort begraben worden. In der regionalen Zeitung erschien eine Traueranzeige von seinem Freundeskreis. Ansonsten wurde sein Tod von den Medien totgeschwiegen. Es ist eine Schande, dass sein Tod den regionalen und überregionalen Medien keine Redaktionszeile wert gewesen ist!
Er hat uns aber zum Glück ein Buch hinterlassen, das spannend und lesenswert ist und autobiographische Skizzen von der Zeit seiner Kindheit und Jugend an bis in die Zeit nach dem zweiten Irakkrieg Anfang der 2000er Jahre enthält [13]. Und es gibt die zwei oben erwähnten erschütternden Dokumentarfilme von Frieder Wagner, die auf YouTube leicht aufgerufen werden können, so dass man jederzeit auf dem Monitor oder der Leinwand Prof. Günther erleben kann [3][4].
Siegwart-Horst Günther wurde 1925 in einem Dorf in der Nähe von Halle an der Saale geboren. Die Mutter war aus Polen gebürtig und stammte aus einer polnisch-jüdischen Familie. Wegen ihrer Herkunft gab es familiäre Auseinandersetzungen zwischen den Eltern, die auch das weitere Leben des Jungen geprägt haben. Der Vater, Lehrer an einer einklassigen Dorfschule, war streng konservativ und nationalistisch eingestellt. Seit 1931 waren beide Eltern in der NSDAP, ab 1935 begann eine Parteikarriere des Vaters, der stellvertretender Gauleiter von Halle wurde.
1931 erfolgte die Einschulung und 1935 der Wechsel an die Oberrealschule in Halle. Wegen Schulproblemen wechselte er dann 1939 an die Dr. Karl-Peters-Schule, die „Reichskolonialschule“, nach Berlin-Pankow, wo er bei einer Tante lebte. Er hatte dort eine glückliche Zeit bis zu seinem Abitur 1941. Hier wurde auch sein Interesse für fremde Länder geweckt.
1942 absolvierte er den Reichsarbeitsdienst, meldete sich anschließend mit 18 Jahren als Kriegsfreiwilliger und wurde als Offizier an der Ostfront eingesetzt, wo er mehrfach schwer verwundet wurde. Nach seiner Wiederherstellung kam er als Kurier im Bendler-Block (Kommando des Ersatzheeres in Berlin) zum Einsatz.
Nach dem fehlgeschlagenen Stauffenberg-Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er verhaftet, mehrere Wochen im Gestapo-Gefängnis inhaftiert und danach in das KZ Buchenwald eingewiesen, wo er wegen seines schlechten Gesundheitszustands die Befreiung im April 1945 im Krankenrevier erlebte.
Unmittelbar nach der Entlassung aus dem KZ als „Muselmane“ (54 kg bei 1,86 m Körpergröße) begann er in der Hungerzeit nach 1945 sein Medizinstudium in Jena und legte dort 1949/50 das Staatsexamen ab. 1951 arbeitete er nachmittags als Assistenzarzt in der Universitäts-Frauenklinik in Jena und vormittags im dortigen Physiologischen Institut als Lehrbeauftragter und an einer tierexperimentellen Arbeit zum Thema weibliche Sterilität (Unfruchtbarkeit). 1953 erfolgte die Promotion. 1954 wechselte er an das Physiologische Institut der Humboldt Universität zu Berlin als Dozent und Vertreter des Institutsleiters, der in den Westen gegangen war. Im selben Jahr erfolgte die Habilitation. 1957 wurde er im Fach Physiologie zum jüngsten Medizinprofessor der DDR ernannt.
Im selben Jahr erhielt er einen Ruf an das Physiologische Institut der Universität Kairo und begann dort eine dreijährige umfangreiche Lehr- und Forschungstätigkeit über weibliche Sterilität und die weit verbreitete tropische Infektionskrankheit Bilharziose. 1960 bis 1963 war er als ordentlicher Professor für Pathophysiologie und Tropenmedizin an der Universität Damaskus tätig. 1963 bis 1965 hat er in Lambarene/Gabun bei Albert Schweizer gearbeitet und Forschungsarbeiten über Lepra, Malaria und Elephantiasis durchgeführt. In seinem Buch findet sich eine eindrucksvolle Schilderung der damaligen Verhältnisse im Urwaldkrankenhaus in Lambarene, wo er eine sehr intensive und beglückende Zeit verbracht hat.
1966 bis Anfang der 1970er Jahre hat er Studien- und Forschungsaufenthalte in London im Institut für Tropenmedizin und in Glasgow in der Klinik für Dermatologie absolviert. Seine damaligen Arbeiten über die Heilwirkung der Vitamin-A-Säure bei Psoriasis und Lichen ruber planus, einer relativ häufigen Hauterkrankung, wurden für so innovativ eingeschätzt, dass sie für den Nobelpreis eingereicht wurden. Diesen erhielt Prof. Günther aber seiner Meinung nach deshalb nicht, weil er Ostdeutscher war.
Anfang der 1970er Jahre erfolgte eine erneute Tätigkeit in Kairo im Institut für Tropenmedizin, wo er weiter über die Bilharziose forschte und über dieses auch im Nahen und Mittleren Osten sehr weit verbreitete Krankheitsbild ein einschlägiges Fachbuch schrieb.
Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre war er als Chefarzt einer Dermatologischen Klinik in St. Peter-Ording in Schleswig-Holstein tätig. 1982 wurde er mit der ärztlichen Leitung eines Behandlungszentrums für Psoriasis am Toten Meer in Israel betraut. 1984 wurde ihm dort jedoch gekündigt, weil er aus einer Nazi-Familie stamme. Zu dieser Zeit musste seine Frau in St. Peter-Ording, die dort als niedergelassene Ärztin tätig war, antisemitische Beschimpfungen und Schmierereien erleiden. Seine Frau sei dem Druck nicht gewachsen gewesen, schreibt Prof. Günther, habe sich schließlich von ihm getrennt und sei mit den gemeinsamen Kindern nach Süddeutschland gezogen. Nach diesen und einer Reihe weiterer unglücklicher Erfahrungen kehrte Prof. Günther Ende der 1980er Jahre in die DDR zurück.
Im Oktober 1990 wurde Prof. Günther zu einer neuerlichen ärztlichen und Vortragstätigkeit in den Irak eingeladen. Nach dem ersten Irakkrieg 1991 machte er dort viele Reisen in Städte wie Bagdad, Basra und Mossul. Dieser Abschnitt in seinem Buch ist besonders eindringlich. Dabei stellte er fest, dass in den Krankenhäusern, die er besuchte und die er schon aus früheren Zeiten gut kannte, bei Kindern vermehrt Leukämien und Krebserkrankungen festzustellen waren, aber auch Missbildungen, die er vorher noch nicht gesehen hatte und die ihn an Tschernobyl erinnerten [13][14].
Er brachte diese erschreckenden Erkrankungen und Gesundheitsschäden mit Geschossen und Geschosshülsen in Verbindung, die auf den Schlachtfeldern in größerer Zahl verstreut herumlagen und mit denen die Kinder oft spielten und sie dabei zum Beispiel als Puppen anmalten. Um diese Fragen zu klären, verbrachte er mehrere dieser Geschosse im Diplomatengepäck mit nach Deutschland und ließ sie in verschiedenen Instituten in Berlin untersuchen. Dabei stellte sich heraus, dass die Geschosse aus strahlendem Uran bestanden.
Das bekam er von den Untersuchungsstellen schriftlich und hatte damit den Beweis, dass es sich bei den von ihm beobachteten gehäuften schweren Erkrankungen und Missbildungen bei den Kindern im Irak um strahlungsbedingte Schäden handeln könnte. Aber anstatt dass ihm für diese Entdeckung gedankt wurde, musste er sich wegen „illegaler Einführung von gefährlichen Stoffen“ vor Gericht verantworten und wurde zu einer Geldstrafe von 3000 DM verurteilt.
In den Jahren darauf folgte eine rege Vortragstätigkeit mit Radio- und Fernseh- Interviews weltweit, auch in der UNO, um dieses Kriegsverbrechen bekannt zu machen. Außerdem organisierte er verschiedene Hilfsprojekte für die Menschen im Irak. Er erhielt weltweite Anerkennung für dieses Engagement und wurde mit vielen Preisen und Ehrentiteln ausgezeichnet. 2007 erhielt er in Salzburg bei der 10. Preisverleihung des „Nuclear Free Future Awards“ diesen Preis in der Kategorie „Aufklärung“. Es handelt sich um eine bedeutende internationale Auszeichnung, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass 2016 diesen Preis die „Internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen“ (ICAN) erhielt, die 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. In seiner Dankesrede sagte Prof. Günther damals [15]:
2003 erfolgte ein erneuter Besuch des Irak, aber auch von Bosnien, Serbien und dem Kosovo, zusammen mit dem Dokumentarfilmer Frieder Wagner. Daraus sind die beiden oben schon vorgestellten Filme entstanden [3][4].
Ich habe erst einige Monate nach seinem Tode in Husum von Siegwart-Horst Günther gehört und ihn deshalb nicht mehr persönlich kennen lernen können. Ich führe diesen Umstand auf das Tabu zurück, das in den Medien über das Thema Uranwaffen im Allgemeinen und das Wirken von Prof. Günther im Besonderen bis heute besteht.
Ich habe mich dann mit den vorliegenden Informationen über ihn beschäftigt, wozu vor allem seine Bücher und die Filme von Frieder Wagner gehören. Aus den mir zur Verfügung stehenden Informationen habe ich den Schluss gezogen, dass Prof. Günther ein selbstloser, mitfühlender und mutiger Mensch und ein vorbildlicher Arzt und Wissenschaftler gewesen ist, der sich um die Gesundheit der Menschen verdient gemacht hat.
Als langjähriges Mitglied der IPPNW bin ich für die Herausgabe des von Kolleginnen, Kollegen und Wissenschaftlern erarbeiteten Reports über die gesundheitlichen Folgen der Uranmunition, aus dem ich in diesem Artikel ausführlich zitiert habe, dankbar. Es handelt sich um eine beachtenswerte wissenschaftliche Leistung, die eine wichtige aufklärende Funktion erfüllt und für die es derzeit wohl keinen Ersatz gibt. Prof. Günther wird in diesem Report zwar mit einem Satz erwähnt. Ich würde mir jedoch wünschen, dass die IPPNW nicht weiter über seine Verdienste schweigt und ihm posthum die Ehre erweist, die er verdient hat, damit er auch in Deutschland bei allen Menschen, die sich für die Bewahrung des Friedens einsetzen, in würdiger Erinnerung bleibt.
Nachtrag
In meinem Artikel habe ich über den verheimlichten verbrecherischen Einsatz von Uranwaffen in den jüngsten Kriegen des Westens berichtet. Zu diesem Thema wurde 2012 eine Broschüre mit einem Report der deutschen Sektionen der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung“ (IPPNW) und der „Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen“ (ICBUW) veröffentlicht (16). Dieser umfangreiche Report mit dem Titel „Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition. Die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe“ macht deutlich, dass aus ärztlicher und politischer Sicht allein ein Verbot von Uranwaffen die einzige Konsequenz aus den zahlreichen in dem Report vorgestellten und kritisch bewerteten wissenschaftlichen Forschungen, Feldstudien und Rechtsexpertisen über dieses Thema sein kann, um weiteres Leid von Zivilbevölkerungen und Militärpersonal zu verhindern und die Verseuchung unserer Umwelt über Millionen Jahre so gering wie möglich zu halten.
Seit dem Frühjahr 2017 liegt nun mit dem Review-Artikel „Depleted Uranium and Human Health“ (abgereichertes Uran und menschliche Gesundheit) eine neue systematische Übersichtsarbeit vor, die von sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten in Cagliari (Italien) und Leuven (Niederlande) erarbeitet wurde [17]. Grundlage dieser Arbeit sind 101 wissenschaftliche Untersuchungen über verschiedene Aspekte dieses Themas, davon auch eine ganze Reihe von Untersuchungen aus den letzten Jahren. Da ich die Ergebnisse dieser wichtigen Arbeit einem größeren Leserkreis zur Kenntnis bringen möchte, habe ich die Zusammenfassung („Abstract“) und die Schlussfolgerungen („Conclusion“) der Autoren aus der englischen Originalfassung ins Deutsche übersetzt und im Folgenden aufgeführt:
Zusammenfassung: Abgereichertes Uran (DU) wird im Allgemeinen als ein neuer Schadstoff angesehen, der zum ersten Mal in den frühen 1990er Jahren im Irak während der Militäroperation „Desert Storm“ in die Umwelt eingebracht worden ist. Man vermutete, dass DU ein gefährliches Element sowohl für exponierte Soldaten als auch für Einwohner der belasteten Gebiete in den Kriegszonen ist. In diesem Review-Artikel werden die möglichen Auswirkungen von DU, das in die Umwelt eingebracht wurde, kritisch analysiert. Im ersten Teil werden die chemischen Eigenschaften und die möglichen zivilen und militärischen Anwendungen von DU zusammengefasst. Eine präzise Analyse der Mechanismen, die der Absorption, dem Transport im Blut, der Gewebsverteilung und der Ausscheidung von DU im menschlichen Körper zu Grund liegen, ist Gegenstand des zweiten Teils. Der darauf folgende Abschnitt behandelt die pathologischen Zustände, die vermutlich mit der Überexposition von DU einhergehen. Die Entwicklung von angeborenen Fehlbildungen, das Golfkriegs-Syndrom und Nierenerkrankungen, die mit DU in Verbindung gebracht werden, sollen im dritten Abschnitt behandelt werden. Schließlich sollen die Daten kritisch analysiert werden, die eine Exposition von DU in Zusammenhang bringen mit dem Auftreten von Krebserkrankungen, insbesondere Leukämie und Lymphomen, Lungenkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs, Harnblasenkrebs und Hodenkrebs. Das Ziel der Autoren ist, einen Beitrag zu der Debatte über DU und dessen Effekte auf menschliche Gesundheit und Krankheit zu leisten.
Schlussfolgerungen: Die Debatte über den Zusammenhang zwischen der Exposition mit DU und dem Auftreten zahlreicher Krankheitserscheinungen, das Golfkriegssyndrom und viele Tumore eingeschlossen, scheint charakterisiert zu sein durch das Vorliegen von vielen offenen und unbeantworteten Fragen. Die schädigenden Effekte auf den Gesundheitsstatus bei Veteranen des Golf-Krieges 1991, der Kriege im Kosovo, in Kroatien und in Afghanistan und des zweiten Irak-Krieges bleiben ungeklärt. Die Effekte einer DU-Kontamination des Wassers und der Böden in der Umgebung der Kriegsschauplätze, auf denen riesige Mengen von DU und andere chemische Schadstoffe freigesetzt wurden, sind nur teilweise bekannt. Die Zahl der Risikopersonen für schwere Gesundheitsprobleme auf Grund einer Überexposition mit DU ist eindrucksvoll: Die Zahl der Golfkriegsveteranen, die das Golfkriegssyndrom durch eine Exposition mit großen Mengen DU entwickelten, ist angestiegen auf ein Drittel der 800.000 US-Soldaten, die zum Einsatz kamen. Aber die wichtigsten Konsequenzen der Exposition gegenüber DU betreffen sicherlich die Menschen, die in der Region leben.
Einige Befunde dieses Reviews sollten besonders betont werden:
Eine Frage ergibt sich aus diesen Befunden bezüglich DU: Wie war es möglich, DU, ein radioaktives Element, in Kriegszonen einzusetzen, ohne dass experimentelle und/oder klinische Beweise für den sicheren Einsatz bei Soldaten und der Bevölkerung, die den Bomben ausgesetzt werden sollte, vorhanden waren?
Da diese und viele andere Fragen nach unserem besten Wissen unbeantwortet bleiben müssen, und ausgehend von der Erkenntnis, dass die bisher durchgeführten Studien keinen umfassenden Überblick über die potentiellen Auswirkungen von DU-Munition auf die menschliche Gesundheit erlauben, sind weitere Studien notwendig, die alle Aspekte der Wechselwirkungen zwischen den großen Mengen an DU, die freigesetzt wurde in den jüngsten Kriegen, und der Gesundheit beleuchten, mit einer besonderen Betonung der Konsequenzen für die Zivilbevölkerung, die um die Kriegsschauplätze herum lebt, und mit dem Ziel, überall auf der Welt Uranwaffen zu ächten.
Die Ergebnisse dieses Review-Artikels stehen in grundsätzlicher Übereinstimmung mit dem oben genannten Report von IPPNW und ICBUW aus dem Jahre 2012 [16]. Im Hinblick auf die krebserregenden Folgen des Einsatzes von DU-Waffen bedeuten sie neue Erkenntnisse und Präzisierungen der bisherigen. Die vielen offenen Fragen und widersprüchlichen Ergebnisse, die von den Autoren festgestellt werden, hängen vermutlich damit zusammen, dass die Verwenderstaaten von DU, vor allem die USA, leider weiterhin alles tun, um eine systematische Bearbeitung dieses Bereichs zu behindern – zum Beispiel durch Ignoranz, Nicht-zur-Verfügung-Stellen von bereits vorliegenden Daten und Forschungsergebnissen, Verweigerung finanzieller Unterstützung von unabhängigen Wissenschaftlern für solche Arbeiten und gezielte Desinformation in der Öffentlichkeit.
Auf diesen Review-Artikel wurde ich von meinem Kollegen Dr. med. Amir Mortasawi aufmerksam gemacht. Er ist Arzt, Friedensaktivist und Dichter dazu, der unter dem Künstlernamen Afsane Bahar viele anrührende und aufrüttelnde Gedichte für den Frieden geschrieben hat. Eines seiner Gedichte möchte ich zum Abschluss hier zitieren [18]:
Fussnoten:
1 Body Count. Opferzahlen nach 10 Jahren. “Krieg gegen den Terror”- Irak-Afghanistan- Pakistan. Herausgeber: PSR- Physicians for Social
Responsibility, IPPNW Germany, Physicians for Global Survival. 1. Auflage, deutsche Version, September 2015
2 Claus Biegert: DU: Das tödliche Kürzel. Wie das Thema Depleted Uranium aus den Medien verschwand. In: Ronald Thoden (Hg): ARD & Co. Wie Medien manipulieren. Band 1. Selbrund Verlag 2015, S. 160-171
3 Frieder Wagner: Dokumentarfilm „Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra“, Fernsehfassung, 44 min
4 Frieder Wagner: Dokumentarfilm „Deadly Dust- Todesstaub: Uranmunition und die Folgen“, Langfassung, 90 min
https://www.youtube.com/watch?v=GTRaf23TCUI
5 Karin Leukefeld und Markus Matzel: Dokumentarfilm: Irak: Leiser Tod im Garten Eden. Fernsehfassung, 44 min
https://www.youtube.com/watch?v=GWLwVGjS2Ng
6 NachDenkSeiten: Krieg ohne Ende – Jens Wernicke im Gespräch mit Peter Jaeggi
http://www.nachdenkseiten.de/?p=36154
7 NachDenkSeiten: Vertuschter Skandal: Die tödlichen Wirkungen der Urangeschosse – Wolfgang Lieb
http://www.nachdenkseiten.de/?p=3799
8 NachDenkSeiten: Eine Frage der Ächtung – Wolfgang Lieb
http://www.nachdenkseiten.de/?p=3769
9 Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition- die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe. Ein Report der deutschen Sektionen von IPPNW und ICBUW. 1. Auflage, Dezember 2012
10 http://www.uranmunition.org/
11 uranmunition.org: Sechste UN-Resolution zu abgereichertem Uran (DU) – Ignoranz und Desinteresse seitens der Bundesregierung
http://www.uranmunition.org/sechste-un-resolution-zu-abgereichertem-uran-du-ignoranz-und-desinteresse-seitens-der-bundesregierung/
12 Busby C, et al. Cancer, Infant Mortality and Birth Sex-Ratio in Fallujah, Iraq 2005-2008. Int J Environ Res Public Health 2010, 7 [7], 2828- 2837
http://www.mdpi.com/1660-4601/7/7/2828
13 Siegwart-Horst Günther: Zwischen den Grenzen. Mein Leben als Zeitzeuge. Verlag Park am See, Berlin 2006
14 Siegwart-Horst Günther: Urangeschosse: Schwerbehinderte Soldaten, missgebildete Neugeborene, sterbende Kinder. Mit einem Geleitwort von Tony Benn, Margarita Papandreou &Freimut Seidel. Ahriman Verlag, Freiburg 1996
15 Frieder Wagner: Eine Art Nachwort- und eine Hommage. In: Uranbomben. Die verheimlichte Massenvernichtungswaffe. Herausgeber: Frieder Wagner. Kai Homilius Verlag, Berlin 2010, S. 96-100
16 Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition - die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe. Ein Report der deutschen Sektionen von IPPNW und ICBUW. 1. Auflage, Dezember 2012
https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/IPPNW_ICBUW_Report_DU_Munition_2012.pdf
17 Faa A, Gerosa C, Fanni D, Floris G, Van Eyken P, Lachowicz JI, Nurchi VM. Review Article. Depleted Uranium and Human Health. Current Medicinal Chemistry 2017, 24,1-16
18 Amir Mortasawi (alias Afsane Bahar)
https://amirmortasawi.wordpress.com/
Klaus-Dieter Kolenda, Jahrgang 1941, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin und Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik und ist seit über 40 Jahren als medizinischer Sachverständiger bei den Sozialgerichten in Schleswig-Holstein tätig. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Artikel und eine Reihe von Fach- und Sachbüchern über die Prävention chronischer Krankheiten verfasst. Zuletzt hat er Artikel über sozialmedizinische und sozialpolitische Themen in alternativen Online-Medien wie „Maskenfall“, „Nachdenkseiten“, „Rubikon“ und der „Neuen Rheinischen Zeitung“ veröffentlicht. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de
Der Artikel ist in zwei Teilen auch in den NachDenkSeiten erschienen (Teil 1 und Teil 2)
Hinweis: Im Rahmen einer Film- und Diskussionsveranstaltung von attac Kiel und der IPPNW-Gruppe Kiel wird am Mittwoch, den 21.2.2018, um 18.30 Uhr im Kommunalen Kino in der Pumpe in Kiel der Film „Deadly Dust- Todesstaub“ gezeigt. Anschließend erfolgt eine Diskussion mit dem Filmautor Frieder Wagner.
Online-Flyer Nr. 647 vom 14.02.2018
Über den Einsatz dieser verheimlichten Massenvernichtungswaffen und den Arzt, der als Erster auf ihre Folgen hingewiesen hat
Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran
Von Klaus-Dieter Kolenda
Der folgende Text möchte aus der Sicht eines Mediziners über den verheimlichten Einsatz von Uranwaffen in den jüngsten Kriegen des Westens informieren und soll darüber hinaus eine Würdigung des deutschen Arztes, Prof. Siegwart-Horst Günther, sein. Dieser hat mehrere Jahrzehnte im Nahen und Mittleren Osten als Hochschullehrer gewirkt und war der Erste, der über den Einsatz dieser Massenvernichtungswaffen und ihre Folgen im Irak, aber auch in Bosnien, Serbien und im Kosovo, die Öffentlichkeit unterrichtet hat. Viele politisch interessierte Zeitgenossen kennen die Bilder aus dem Weltsicherheitsrat der UNO, die aus dem Jahre 2003 kurz vor dem zweiten Irakkrieg stammen und zeigen, wie der US-amerikanische Außenminister Colin Powell mit einem kleinen durchsichtigen Röhrchen in der Hand demonstriert, dass der Beweis unwiderruflich erbracht sei: Der Irak ist im Besitz von Massenvernichtungswaffen! Das war die Begründung und Rechtfertigung für den bald darauf beginnenden völkerrechtswidrigen zweiten Angriffskrieg gegen den Irak, der dieses Land völlig zerstört und eine verelendete Bevölkerung mit mehr als 1 Million toter Zivilisten und vielen hunderttausend verwundeten und kranken Menschen zurückgelassen hat [1]. Heute wissen wir, dass diese Begründung eine ungeheuerliche Lüge war. Was Colin Powell verschwiegen hat und die meisten Zeitgenossen bis heute nicht erfahren haben, weil es in den Leitmedien seit langer Zeit kein Thema mehr ist: Schon im ersten Irakkrieg 1991 haben die USA und ihre Alliierten zum ersten Mal Massenvernichtungswaffen in Form von vielen Tonnen Bomben und Granaten aus abgereichertem Uran (englisch: depleted uranium, abgekürzt: DU), auch Uranwaffen oder Uranmunition genannt, eingesetzt [2].
Missbildung durch Uranmuition (aus dem Film „Deadly Dust“)
DU ist ein billiges Abfallprodukt der Atomindustrie bei der Herstellung atomarer Brennstäbe aus Uran 235, enthält aber noch etwa 60 Prozent der Radioaktivität des ursprünglichen Uranerzes auf Grund seines Gehaltes an vor allem Uran 238, einem langsam zerfallenden Alpha-Strahler mit einer Halbwertszeit von 4,5 Milliarden Jahren [2].
Wenn DU in den menschlichen Organismus gelangt, ist es doppelt gefährlich: Als Schwermetall ist es giftig und als Alpha-Strahler schädigt es mit seiner Strahlenwirkung die Gewebszellen in der Lunge und den übrigen Organen. Beim Einsatz von Uranwaffen, zum Beispiel gegen Panzer und Stahlbetonbauten, werden die getroffenen Ziele nicht nur in Sekunden zur Explosion gebracht, sondern ein Teil des Urangeschosses entzündet sich auf Grund der hohen Temperaturen durch die Reibungshitze und es entsteht ein Aerosol, das heißt ein Metallgas, das aus mikroskopisch kleinen Partikeln DU besteht und das von den Menschen, die dem ausgesetzt sind, über die Atmung, aber auch über Nahrung und Trinkwasser, aufgenommen werden kann.
Der Einsatz von Uranwaffen im ersten Irakkrieg wurde von den USA und Großbritannien aber zunächst geleugnet, bis der ehemalige US-Justizminister Ramsay Clark 1997 die verbrecherischen Praktiken des Pentagons mit seiner Streitschrift mit dem Titel „Metal of Dishonor“ (wörtlich übersetzt: Metall der Unehre, damit ist abgereichertes Uran gemeint) offen gelegt hat [2].
Im zweiten Irakkrieg 2003 sollen es dann mindestens 2000 Tonnen Uranmunition gewesen sein, die gegen Panzer und gepanzerte Fahrzeuge, Bunker und Bauwerke aus Stahlbeton abgeschossen wurden. Das hat zu den Folgen geführt, die von Frieder Wagner in seinen beiden Dokumentarfilmen, „Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra“ aus dem Jahre 2003 und „Deadly Dust- Todesstaub: Uranmunition und die Folgen“ aus 2007, so eindringlich aufgezeigt werden [3][4]. Sehr informativ und eindrucksvoll ist auch der Dokumentarfilm „Leiser Tod im Garten Eden“ von Karin Leukefeld und Markus Matzel aus dem Jahre 2016 [5]. Alle genannten Filme können über YouTube aufgerufen und angesehen werden.
Uranwaffen - ein Tabu-Thema in Deutschland
Claus Biegert, freiberuflicher Autor, Rundfunkjournalist und Filmemacher, hat in einem lesenswerten Buchbeitrag, der 2015 erschienen ist, beschrieben, wie das Thema Uranwaffen aus den Medien verschwand [2].
Im Januar 2001 hat der Journalist Siegesmund von Ilsemann, langjähriger Militärexperte des „Spiegel“, die letzte Veröffentlichung zu diesem Thema geschrieben, die zu einer großen Mediendebatte führte. Der damalige Verteidigungsminister Rudolf Scharping geriet unter Druck, weil Vorwürfe erhoben wurden, dass Uranwaffen auch im völkerrechtswidrigen Krieg gegen Serbien und im Kosovo 1999 eingesetzt worden seien. Minister Scharping rechtfertigte den Einsatz und erklärte wörtlich: „Uran wird als Metall, nicht als strahlendes Material verwendet. Deshalb haben auch alle Untersuchungen ergeben, dass die Strahlung aus diesem Uran unterhalb der natürlichen Umwelteinflüsse liegt.“ Claus Biegert hat diese Erklärung des Ministers treffend kommentiert: „Uran, das nicht strahlen soll, strahlt auch nicht! Der Minister als Magier“ [2].
Scharping stellte darauf einen Arbeitsstab zusammen, der die Ungefährlichkeit der Uranmunition bestätigen sollte. Zum Leiter wurde Theo Sommer, der ehemalige Chefredakteur und Herausgeber der „Zeit“, ernannt. Weitere Mitglieder waren ein Redakteur der „FAZ“, ein Vertreter der „Deutschen Gesellschaft für Auswärtige Politik“ und eine Reihe hoher Militärs. Auf Wissenschaftler glaubte man offensichtlich verzichten zu können. Der Arbeitsstab kam zu dem gewünschten Ergebnis, das dann im Sommer 2001 in der „Zeit“ in einem Artikel von Gero von Randow mit dem Titel „Die Blamage der Alarmisten“ veröffentlicht wurde. Seitdem wird das Thema in den überregionalen Leitmedien und der Regionalpresse in Deutschland bis auf seltene Ausnahmen nicht mehr aufgegriffen [2]. Im Gegensatz dazu haben sich aber alternative Online-Medien wie zum Beispiel die „Nachdenkseiten“ mit dieser Thematik befasst und auch ausführliche Dokumentationen dazu veröffentlicht [6] [7] und [8].
Eine Erklärung für das Schweigen der Leitmedien über den Einsatz von Uranwaffen und dessen Folgen sei, meint Claus Biegert, dass mächtige Institutionen kein Interesse an einer Diskussion des Themas haben, denn das internationale Recht sieht vor: Für die Beseitigung von Kriegsmaterial, vergifteten Böden und Wasser sind die Verursacher verantwortlich. Für zivile Opfer müssten sie sich vor dem Internationalen Gerichtshof verantworten. Eine Ächtung der Uranwaffen schmälere nicht nur die Gewinne der Waffen- und Transportindustrie, sondern sie werfe auch Fragen der Entschädigung auf, die nicht vorgesehen waren [2].
Was meint die Wissenschaft zu diesem Thema?
Journalisten und Wissenschaftler, die sich mit der Tabu-Erklärung des Themas Uranwaffen nicht abfinden wollen, müssen immer wieder erleben, dass ihnen vorgeworfen wird, sie würden einer „Verschwörungstheorie“ aufsitzen. Das ist ein Totschlagargument und bedeutet, dass die so Beschuldigten entweder naiv sind oder keine Ahnung von der Materie haben. Claus Biegert und auch Frieder Wagner ist es so gegangen und Prof. Günther ebenfalls. Deshalb wollen wir uns ansehen, was heute die Wissenschaft zum Thema Uranwaffen zu sagen hat.
Zu diesem Thema liegt seit 2012 eine Broschüre mit einem Report der deutschen Sektionen der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung“ (IPPNW) und der „Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen“ (ICBUW) vor [9]. Dieser umfangreiche Report mit dem Titel „Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition. Die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe“ basiert auf 275 Literaturhinweisen und Anmerkungen und macht deutlich, dass aus ärztlicher und politischer Sicht allein ein Verbot von Uranwaffen die einzige Konsequenz aus den zahlreichen vorgestellten und kritisch bewerteten wissenschaftlichen Forschungen, Feldstudien und Rechtsexpertisen über dieses Thema sein kann, um weiteres Leid von Zivilbevölkerungen und Militärpersonal zu verhindern und die Verseuchung unserer Umwelt über Millionen Jahre so gering wie möglich zu halten.
In der Zusammenfassung heißt es auf Seite 56 bis 57 dieser Broschüre [9], dass der Report unter anderem belegt: Uranmunition unterscheidet in ihrer Mittel- und Langzeitwirkung nicht zwischen Kombattanten und Zivilisten.
Inkorporiertes DU wirkt als Schwermetall chemotoxisch und als radioaktive Substanz radiotoxisch. Die chemischen und die Strahleneffekte ergeben einen Wirkungscocktail, bei dem oft nicht eindeutig zugeordnet werden kann, ob die Ursachen von der giftigen Wirkung des Schwermetalls oder von der Alpha-Strahlung des Urans herrühren.
Fest steht allerdings: Die beiden Schadwirkungen- Chemo- und Radiotoxizität- verhalten sich synergistisch, das heißt, sie verstärken im menschlichen Körper gegenseitig ihre spezifischen Zerstörungs- und Veränderungskräfte.
Uranwaffen schädigen den Körper in vielfältiger Weise und gefährden nicht nur die exponierten Personen, sondern auch ihre später gezeugten Kinder. Die häufigsten Gesundheitsschäden sind: Chromosomenschäden, die die Ursache für Missbildungen und Krebs sind, Schädigung der Nieren und des Nervensystems, angeborene Fehlbildungen, transgenerationelle Effekte, das heißt, schädigende Effekte können auch die Kindeskinder betreffen, und Fertilitätsstörungen, das sind Störungen der Fruchtbarkeit bei Männern und Frauen. Die Gefahr, an Krebs zu erkranken, nimmt bei mit DU- exponierten Personen sehr deutlich zu.
Abgereichertes Uran, das im Skelett gespeichert und in den Lymphknoten oder in der Lunge angesammelt wurde, verbleibt über Jahre bis Jahrzehnte im Körper. In den Körper eingedrungene DU-Splitter geben ihre giftigen Wirkstoffe und Strahlen lebenslang ab.
DU wird beim Aufprall teilweise zu einem Aerosol. Darunter versteht man ein Gemisch aus festen und flüssigen Schwebeteilchen in einem Gas. Die kleinsten Teilchen sind nur wenige Nanometer (Millionstel Millimeter) groß. Die dadurch bedingten Umweltfolgen sind mannigfaltig. Durch Wind und Wiederaufwirbelungen, zum Beispiel beim Pflügen, verteilt sich das Aerosol auf einer größeren Fläche.
Bei einer Treffergenauigkeit der uranhaltigen Waffen von ca. 10 % liegen viele Geschosse unerkannt bis zu einem Meter tief unter der Erde. Je nach Bodenbeschaffenheit wird die toxische Wirkung entweder „verkapselt“ oder es werden weitere Erdschichten oder das Grundwasser von Kontamination bedroht. Wetterbedingte Erosionen sind langfristig eine zusätzliche Gefahr.
Die Dekontamination muss großflächig erfolgen. Sie ist schwierig, aufwendig und teuer und gelingt in der Regel nicht vollständig.
Für die betroffenen Staaten wie Nationen auf dem Balkan oder im Irak, aber auch für die Verwenderstaaten und die Weltgemeinschaft, stellt der Report weiter unter anderem fest:
Die betroffenen Staaten müssen von den kriegführenden Parteien schnell umfassende Informationen über den Einsatz von DU-Munition erhalten und die betroffene Bevölkerung muss über die Risiken von DU-Munition informiert und im praktischen Umgang mit verseuchten Materialien geschult werden.
Die Verursacherstaaten und die Weltgemeinschaft sind in der Pflicht, die Gefahren für die Zivilbevölkerung und ihre Leiden so gering wie möglich zu halten, dies schließe auch fiskalische, das heißt, die Staatskasse betreffende Verantwortung für die Verwenderstaaten nachdrücklich ein.
Um das Ausmaß der gesundheitlichen Folgen des Einsatzes von DU-Munition einschätzen zu können, sind unabhängige epidemiologische Forschungen notwendig, die in erster Linie von den Verwenderstaaten zu finanzieren sind. Weiterhin ist der Aufbau eines Fehlbildungs- und Krebsregisters von großer Bedeutung, da ohne solche Register die Vergleichsgrößen für wissenschaftliche Studien in den betroffenen Regionen fehlen.
Im vorliegenden Report wird auch das Völkerrecht daraufhin untersucht, ob die bestehenden zwischenstaatlichen Verträge beziehungsweise das Gewohnheitsrecht ein Verbot von DU-Munition ermöglichen. Obwohl sich die große Mehrheit der UNO-Mitglieder für ein Verbot von Uranwaffen ausgesprochen hat, sind uranhaltige Waffen ebenso wie Atomwaffen derzeit ja leider noch nicht explizit verboten.
Nach Meinung der Autoren des Reports könnte jedoch schon heute auf Grund der Bestimmungen des Humanitären Völkerrechts und speziell des Zusatzprotokolls I zu den Genfer Abkommen für ein Verbot von Uranwaffen argumentiert werden, denn das Zusatzprotokoll verbietet Angriffe „..bei denen Kampfmethoden oder -mittel angewendet werden, deren Wirkungen nicht entsprechend den Vorschriften dieses Protokolls begrenzt werden können“. Grundsätzlich verboten ist eine Kriegsführung, die nicht zwischen Kombattanten und Zivilpersonen unterscheidet beziehungsweise die Umwelt schädigt. Mit dieser Argumentation setzt sich seit Jahren der Berliner Völkerrechtler Prof. Manfred Mohr, einer der Autoren des Reports und Sprecher der ICBUW, für eine Ächtung von Uranwaffen ein [9].
Die ICBUW Deutschland teilt auf ihrer Website mit, dass die UN-Generalversammlung der Vereinten Nationen die anhaltenden Befürchtungen über Gesundheitsrisiken von abgereichertem Uran anerkennt. Das Plenum der UN-Generalversammlung verabschiedete am 5. Dezember 2016 eine neue Resolution zu Uranwaffen mit 151 zu 4 Stimmen bei 28 Enthaltungen. Die Resolution ist die sechste angenommene Resolution seit 2007 [10].
Obwohl eine überwältigende Mehrheit der Staaten für die Resolution stimmte, enthielt sich eine kleine Minderheit. Rund die Hälfte davon sind EU- Mitgliedsstaaten, die zuvor durch das EU-Parlament zur Zustimmung aufgefordert worden waren. Deutschland, das die Resolution bis 2014 unterstützte, wurde von der ICBUW für seine Bemühungen kritisiert, die Sprache der Resolution zu schwächen und andere Staaten zur Enthaltung zu bewegen. Wie gewöhnlich wurde die Resolution von den USA, dem Vereinigten Königreich, Frankreich und Israel abgelehnt. Die erste Abstimmungsrunde über die Resolution fand nur wenige Tage nach dem Eingeständnis der USA statt, dass sie DU-Munition in Syrien eingesetzt haben [11].
Bemerkenswert ist in diesem Zusammenhang auch noch, dass auf nationaler Ebene Gerichte sowohl in Italien als auch in Großbritannien in der jüngeren Vergangenheit Soldaten beziehungsweise deren Angehörigen Entschädigungen dafür zugesprochen haben, dass die Soldaten im Einsatz abgereichertem Uran ausgesetzt gewesen waren. In den USA verharrt die Rechtsprechung auf dem Stand, dass grundsätzlich keine Entschädigung für im Militärdienst erlittene Gesundheitsschäden gewährt wird [9].
Zum Abschluss dieses Kapitels soll noch auf eine epidemiologische Studie aufmerksam gemacht werden, die im Jahre 2010 in der in Basel herausgegebenen renommierten wissenschaftlichen Zeitschrift „International Journal of Environmental Research and Public Health“ erschienen ist und die zu dem Ergebnis kommt, dass die Region von Fallujah im Irak, die 2004 stark umkämpft gewesen ist, in 2005 bis 2008 eine höhere Rate an Krebs, Leukämie und Kindersterblichkeit aufgewiesen hat als Hiroshima und Nagasaki im ersten Jahr nach dem Atombombenabwurf [2][12].
Wer war Siegwart-Horst Günther?
Siegwart-Horst Günther war ein deutscher Arzt, der Zusammenhänge zwischen der im Irakkrieg verwendeten Uranmunition von Seiten der USA und ihrer Alliierten und dem gehäuften Auftreten von Leukämien, Krebserkrankungen und Missbildungen bei Säuglingen und Kleinkindern schon 1991 vermutet und als Erster bewiesen hat, dass die zurückgebliebenen Geschosshülsen auf den Schlachtfeldern, mit denen die Kinder dort spielten, aus abgereichertem Uran bestanden und radioaktiv strahlten.
Prof. Siegwart-Horst Günther verstarb nach langer und schwerer Krankheit im Januar 2015 in einem Alten- und Pflegeheim in meiner Heimatstadt Husum an der Nordsee mit fast 90 Jahren und ist dort begraben worden. In der regionalen Zeitung erschien eine Traueranzeige von seinem Freundeskreis. Ansonsten wurde sein Tod von den Medien totgeschwiegen. Es ist eine Schande, dass sein Tod den regionalen und überregionalen Medien keine Redaktionszeile wert gewesen ist!
Er hat uns aber zum Glück ein Buch hinterlassen, das spannend und lesenswert ist und autobiographische Skizzen von der Zeit seiner Kindheit und Jugend an bis in die Zeit nach dem zweiten Irakkrieg Anfang der 2000er Jahre enthält [13]. Und es gibt die zwei oben erwähnten erschütternden Dokumentarfilme von Frieder Wagner, die auf YouTube leicht aufgerufen werden können, so dass man jederzeit auf dem Monitor oder der Leinwand Prof. Günther erleben kann [3][4].
Siegwart-Horst Günther wurde 1925 in einem Dorf in der Nähe von Halle an der Saale geboren. Die Mutter war aus Polen gebürtig und stammte aus einer polnisch-jüdischen Familie. Wegen ihrer Herkunft gab es familiäre Auseinandersetzungen zwischen den Eltern, die auch das weitere Leben des Jungen geprägt haben. Der Vater, Lehrer an einer einklassigen Dorfschule, war streng konservativ und nationalistisch eingestellt. Seit 1931 waren beide Eltern in der NSDAP, ab 1935 begann eine Parteikarriere des Vaters, der stellvertretender Gauleiter von Halle wurde.
1931 erfolgte die Einschulung und 1935 der Wechsel an die Oberrealschule in Halle. Wegen Schulproblemen wechselte er dann 1939 an die Dr. Karl-Peters-Schule, die „Reichskolonialschule“, nach Berlin-Pankow, wo er bei einer Tante lebte. Er hatte dort eine glückliche Zeit bis zu seinem Abitur 1941. Hier wurde auch sein Interesse für fremde Länder geweckt.
1942 absolvierte er den Reichsarbeitsdienst, meldete sich anschließend mit 18 Jahren als Kriegsfreiwilliger und wurde als Offizier an der Ostfront eingesetzt, wo er mehrfach schwer verwundet wurde. Nach seiner Wiederherstellung kam er als Kurier im Bendler-Block (Kommando des Ersatzheeres in Berlin) zum Einsatz.
Nach dem fehlgeschlagenen Stauffenberg-Attentat auf Hitler am 20. Juli 1944 wurde er verhaftet, mehrere Wochen im Gestapo-Gefängnis inhaftiert und danach in das KZ Buchenwald eingewiesen, wo er wegen seines schlechten Gesundheitszustands die Befreiung im April 1945 im Krankenrevier erlebte.
Unmittelbar nach der Entlassung aus dem KZ als „Muselmane“ (54 kg bei 1,86 m Körpergröße) begann er in der Hungerzeit nach 1945 sein Medizinstudium in Jena und legte dort 1949/50 das Staatsexamen ab. 1951 arbeitete er nachmittags als Assistenzarzt in der Universitäts-Frauenklinik in Jena und vormittags im dortigen Physiologischen Institut als Lehrbeauftragter und an einer tierexperimentellen Arbeit zum Thema weibliche Sterilität (Unfruchtbarkeit). 1953 erfolgte die Promotion. 1954 wechselte er an das Physiologische Institut der Humboldt Universität zu Berlin als Dozent und Vertreter des Institutsleiters, der in den Westen gegangen war. Im selben Jahr erfolgte die Habilitation. 1957 wurde er im Fach Physiologie zum jüngsten Medizinprofessor der DDR ernannt.
Im selben Jahr erhielt er einen Ruf an das Physiologische Institut der Universität Kairo und begann dort eine dreijährige umfangreiche Lehr- und Forschungstätigkeit über weibliche Sterilität und die weit verbreitete tropische Infektionskrankheit Bilharziose. 1960 bis 1963 war er als ordentlicher Professor für Pathophysiologie und Tropenmedizin an der Universität Damaskus tätig. 1963 bis 1965 hat er in Lambarene/Gabun bei Albert Schweizer gearbeitet und Forschungsarbeiten über Lepra, Malaria und Elephantiasis durchgeführt. In seinem Buch findet sich eine eindrucksvolle Schilderung der damaligen Verhältnisse im Urwaldkrankenhaus in Lambarene, wo er eine sehr intensive und beglückende Zeit verbracht hat.
1966 bis Anfang der 1970er Jahre hat er Studien- und Forschungsaufenthalte in London im Institut für Tropenmedizin und in Glasgow in der Klinik für Dermatologie absolviert. Seine damaligen Arbeiten über die Heilwirkung der Vitamin-A-Säure bei Psoriasis und Lichen ruber planus, einer relativ häufigen Hauterkrankung, wurden für so innovativ eingeschätzt, dass sie für den Nobelpreis eingereicht wurden. Diesen erhielt Prof. Günther aber seiner Meinung nach deshalb nicht, weil er Ostdeutscher war.
Anfang der 1970er Jahre erfolgte eine erneute Tätigkeit in Kairo im Institut für Tropenmedizin, wo er weiter über die Bilharziose forschte und über dieses auch im Nahen und Mittleren Osten sehr weit verbreitete Krankheitsbild ein einschlägiges Fachbuch schrieb.
Ende der 1970er und Anfang der 1980er Jahre war er als Chefarzt einer Dermatologischen Klinik in St. Peter-Ording in Schleswig-Holstein tätig. 1982 wurde er mit der ärztlichen Leitung eines Behandlungszentrums für Psoriasis am Toten Meer in Israel betraut. 1984 wurde ihm dort jedoch gekündigt, weil er aus einer Nazi-Familie stamme. Zu dieser Zeit musste seine Frau in St. Peter-Ording, die dort als niedergelassene Ärztin tätig war, antisemitische Beschimpfungen und Schmierereien erleiden. Seine Frau sei dem Druck nicht gewachsen gewesen, schreibt Prof. Günther, habe sich schließlich von ihm getrennt und sei mit den gemeinsamen Kindern nach Süddeutschland gezogen. Nach diesen und einer Reihe weiterer unglücklicher Erfahrungen kehrte Prof. Günther Ende der 1980er Jahre in die DDR zurück.
Im Oktober 1990 wurde Prof. Günther zu einer neuerlichen ärztlichen und Vortragstätigkeit in den Irak eingeladen. Nach dem ersten Irakkrieg 1991 machte er dort viele Reisen in Städte wie Bagdad, Basra und Mossul. Dieser Abschnitt in seinem Buch ist besonders eindringlich. Dabei stellte er fest, dass in den Krankenhäusern, die er besuchte und die er schon aus früheren Zeiten gut kannte, bei Kindern vermehrt Leukämien und Krebserkrankungen festzustellen waren, aber auch Missbildungen, die er vorher noch nicht gesehen hatte und die ihn an Tschernobyl erinnerten [13][14].
Er brachte diese erschreckenden Erkrankungen und Gesundheitsschäden mit Geschossen und Geschosshülsen in Verbindung, die auf den Schlachtfeldern in größerer Zahl verstreut herumlagen und mit denen die Kinder oft spielten und sie dabei zum Beispiel als Puppen anmalten. Um diese Fragen zu klären, verbrachte er mehrere dieser Geschosse im Diplomatengepäck mit nach Deutschland und ließ sie in verschiedenen Instituten in Berlin untersuchen. Dabei stellte sich heraus, dass die Geschosse aus strahlendem Uran bestanden.
Das bekam er von den Untersuchungsstellen schriftlich und hatte damit den Beweis, dass es sich bei den von ihm beobachteten gehäuften schweren Erkrankungen und Missbildungen bei den Kindern im Irak um strahlungsbedingte Schäden handeln könnte. Aber anstatt dass ihm für diese Entdeckung gedankt wurde, musste er sich wegen „illegaler Einführung von gefährlichen Stoffen“ vor Gericht verantworten und wurde zu einer Geldstrafe von 3000 DM verurteilt.
In den Jahren darauf folgte eine rege Vortragstätigkeit mit Radio- und Fernseh- Interviews weltweit, auch in der UNO, um dieses Kriegsverbrechen bekannt zu machen. Außerdem organisierte er verschiedene Hilfsprojekte für die Menschen im Irak. Er erhielt weltweite Anerkennung für dieses Engagement und wurde mit vielen Preisen und Ehrentiteln ausgezeichnet. 2007 erhielt er in Salzburg bei der 10. Preisverleihung des „Nuclear Free Future Awards“ diesen Preis in der Kategorie „Aufklärung“. Es handelt sich um eine bedeutende internationale Auszeichnung, was auch darin zum Ausdruck kommt, dass 2016 diesen Preis die „Internationale Kampagne zur Abschaffung der Atomwaffen“ (ICAN) erhielt, die 2017 mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde. In seiner Dankesrede sagte Prof. Günther damals [15]:
- „Als ich 1991, nach dem 1.Golfkrieg entdeckte, dass die Alliierten in diesem für mich völkerrechtswidrigen Krieg Urangeschosse eingesetzt hatten, mit allen ihnen schon damals bekannten schrecklichen Konsequenzen, war ich wegen dieser Ungeheuerlichkeit zutiefst empört. Krieg ist sowieso eine furchtbare Sache und sollte heute obsolet sein, aber der Einsatz dieser Munition und Bomben aus abgereichertem Uran, ist eine Menschen und Umwelt verachtende Ungeheuerlichkeit.
Sie wissen vielleicht, dass meine Zeit mit Albert Schweitzer mich tief geprägt hat. Sein Credo: „Ehrfurcht vor dem Leben“ wurde auch mein Leitmotiv als Mediziner und Mensch. Und ich muss Ihnen sagen: Ich war nie ein sonderlich politischer Mensch, mich interessierten Menschen immer mehr als politisches Pokern. Die Ehrfurcht vor dem Leben ist bei mir erheblich größer, als vor Ämtern oder Institutionen. Ich komme daher mit dem Vorwurf gut zurecht, in meiner Naivität und Unbedarftheit wäre ich für die eine Seite ein nützlicher Idiot und für die andere Seite ein störrischer Quälgeist.
Ich bin Arzt, meine Damen und Herren, mehr nicht!“
2003 erfolgte ein erneuter Besuch des Irak, aber auch von Bosnien, Serbien und dem Kosovo, zusammen mit dem Dokumentarfilmer Frieder Wagner. Daraus sind die beiden oben schon vorgestellten Filme entstanden [3][4].
Ich habe erst einige Monate nach seinem Tode in Husum von Siegwart-Horst Günther gehört und ihn deshalb nicht mehr persönlich kennen lernen können. Ich führe diesen Umstand auf das Tabu zurück, das in den Medien über das Thema Uranwaffen im Allgemeinen und das Wirken von Prof. Günther im Besonderen bis heute besteht.
Ich habe mich dann mit den vorliegenden Informationen über ihn beschäftigt, wozu vor allem seine Bücher und die Filme von Frieder Wagner gehören. Aus den mir zur Verfügung stehenden Informationen habe ich den Schluss gezogen, dass Prof. Günther ein selbstloser, mitfühlender und mutiger Mensch und ein vorbildlicher Arzt und Wissenschaftler gewesen ist, der sich um die Gesundheit der Menschen verdient gemacht hat.
Als langjähriges Mitglied der IPPNW bin ich für die Herausgabe des von Kolleginnen, Kollegen und Wissenschaftlern erarbeiteten Reports über die gesundheitlichen Folgen der Uranmunition, aus dem ich in diesem Artikel ausführlich zitiert habe, dankbar. Es handelt sich um eine beachtenswerte wissenschaftliche Leistung, die eine wichtige aufklärende Funktion erfüllt und für die es derzeit wohl keinen Ersatz gibt. Prof. Günther wird in diesem Report zwar mit einem Satz erwähnt. Ich würde mir jedoch wünschen, dass die IPPNW nicht weiter über seine Verdienste schweigt und ihm posthum die Ehre erweist, die er verdient hat, damit er auch in Deutschland bei allen Menschen, die sich für die Bewahrung des Friedens einsetzen, in würdiger Erinnerung bleibt.
Nachtrag
In meinem Artikel habe ich über den verheimlichten verbrecherischen Einsatz von Uranwaffen in den jüngsten Kriegen des Westens berichtet. Zu diesem Thema wurde 2012 eine Broschüre mit einem Report der deutschen Sektionen der „Internationalen Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung“ (IPPNW) und der „Internationalen Koalition zur Ächtung von Uranwaffen“ (ICBUW) veröffentlicht (16). Dieser umfangreiche Report mit dem Titel „Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition. Die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe“ macht deutlich, dass aus ärztlicher und politischer Sicht allein ein Verbot von Uranwaffen die einzige Konsequenz aus den zahlreichen in dem Report vorgestellten und kritisch bewerteten wissenschaftlichen Forschungen, Feldstudien und Rechtsexpertisen über dieses Thema sein kann, um weiteres Leid von Zivilbevölkerungen und Militärpersonal zu verhindern und die Verseuchung unserer Umwelt über Millionen Jahre so gering wie möglich zu halten.
Seit dem Frühjahr 2017 liegt nun mit dem Review-Artikel „Depleted Uranium and Human Health“ (abgereichertes Uran und menschliche Gesundheit) eine neue systematische Übersichtsarbeit vor, die von sieben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern der Universitäten in Cagliari (Italien) und Leuven (Niederlande) erarbeitet wurde [17]. Grundlage dieser Arbeit sind 101 wissenschaftliche Untersuchungen über verschiedene Aspekte dieses Themas, davon auch eine ganze Reihe von Untersuchungen aus den letzten Jahren. Da ich die Ergebnisse dieser wichtigen Arbeit einem größeren Leserkreis zur Kenntnis bringen möchte, habe ich die Zusammenfassung („Abstract“) und die Schlussfolgerungen („Conclusion“) der Autoren aus der englischen Originalfassung ins Deutsche übersetzt und im Folgenden aufgeführt:
Zusammenfassung: Abgereichertes Uran (DU) wird im Allgemeinen als ein neuer Schadstoff angesehen, der zum ersten Mal in den frühen 1990er Jahren im Irak während der Militäroperation „Desert Storm“ in die Umwelt eingebracht worden ist. Man vermutete, dass DU ein gefährliches Element sowohl für exponierte Soldaten als auch für Einwohner der belasteten Gebiete in den Kriegszonen ist. In diesem Review-Artikel werden die möglichen Auswirkungen von DU, das in die Umwelt eingebracht wurde, kritisch analysiert. Im ersten Teil werden die chemischen Eigenschaften und die möglichen zivilen und militärischen Anwendungen von DU zusammengefasst. Eine präzise Analyse der Mechanismen, die der Absorption, dem Transport im Blut, der Gewebsverteilung und der Ausscheidung von DU im menschlichen Körper zu Grund liegen, ist Gegenstand des zweiten Teils. Der darauf folgende Abschnitt behandelt die pathologischen Zustände, die vermutlich mit der Überexposition von DU einhergehen. Die Entwicklung von angeborenen Fehlbildungen, das Golfkriegs-Syndrom und Nierenerkrankungen, die mit DU in Verbindung gebracht werden, sollen im dritten Abschnitt behandelt werden. Schließlich sollen die Daten kritisch analysiert werden, die eine Exposition von DU in Zusammenhang bringen mit dem Auftreten von Krebserkrankungen, insbesondere Leukämie und Lymphomen, Lungenkrebs, Gebärmutterhalskrebs, Brustkrebs, Harnblasenkrebs und Hodenkrebs. Das Ziel der Autoren ist, einen Beitrag zu der Debatte über DU und dessen Effekte auf menschliche Gesundheit und Krankheit zu leisten.
Schlussfolgerungen: Die Debatte über den Zusammenhang zwischen der Exposition mit DU und dem Auftreten zahlreicher Krankheitserscheinungen, das Golfkriegssyndrom und viele Tumore eingeschlossen, scheint charakterisiert zu sein durch das Vorliegen von vielen offenen und unbeantworteten Fragen. Die schädigenden Effekte auf den Gesundheitsstatus bei Veteranen des Golf-Krieges 1991, der Kriege im Kosovo, in Kroatien und in Afghanistan und des zweiten Irak-Krieges bleiben ungeklärt. Die Effekte einer DU-Kontamination des Wassers und der Böden in der Umgebung der Kriegsschauplätze, auf denen riesige Mengen von DU und andere chemische Schadstoffe freigesetzt wurden, sind nur teilweise bekannt. Die Zahl der Risikopersonen für schwere Gesundheitsprobleme auf Grund einer Überexposition mit DU ist eindrucksvoll: Die Zahl der Golfkriegsveteranen, die das Golfkriegssyndrom durch eine Exposition mit großen Mengen DU entwickelten, ist angestiegen auf ein Drittel der 800.000 US-Soldaten, die zum Einsatz kamen. Aber die wichtigsten Konsequenzen der Exposition gegenüber DU betreffen sicherlich die Menschen, die in der Region leben.
Einige Befunde dieses Reviews sollten besonders betont werden:
- Die 3,5-fache Erhöhung der Inzidenz von Hodentumoren bei Kroaten nach dem Krieg im Vergleich zu der Zeit vor dem Krieg (Ergänzung KDK: Inzidenz bedeutet Häufigkeit bezogen auf die Zeit)
- Die 5-fache Erhöhung der Inzidenz von Harnblasentumoren bei norwegischen Soldaten, die im Kosovo dienten
- Der Anstieg der Inzidenzrate von Brustkrebs bei irakischen Frauen von 26,6 in der Vorkriegszeit auf 31,5 pro 100.000 Personen in 2009, wobei 33,8 Prozent aller Brustkrebse bei jungen Mädchen unter 15 Jahren diagnostiziert wurden
- Lungenkrebs war statistisch signifikant häufiger bei Golfkriegs-Veteranen als bei Nicht-Golfkriegs-Veteranen
- Golfkriegs-Veteranen, die DU ausgesetzt waren, zeigten höhere renale Ausscheidungen von ß[2]-Microglobulin und Retinol-bindendem Protein, die auf eine verschlechterte Nierenfunktion hinweisen
- Die Überwachung von Veteranen des ersten Golfkriegs, die mit DU in Feuergefechten verwundet wurden, zeigen auch 20 Jahre nach dem ersten Kontakt mit DU weiterhin erhöhte Uranspiegel im Urin
- Irakische Patienten, die eine Leukämie nach dem Golfkrieg entwickelten, wiesen höhere Serumspiegel von Uran auf im Vergleich zu gesunden Personen aus dem Irak
- Unter den mehreren hunderttausend Veteranen, die im Irakkrieg 1991 eingesetzt waren, entwickelten 15-20 Prozent ein Golfkriegssyndrom und etwa 25.000 starben
Eine Frage ergibt sich aus diesen Befunden bezüglich DU: Wie war es möglich, DU, ein radioaktives Element, in Kriegszonen einzusetzen, ohne dass experimentelle und/oder klinische Beweise für den sicheren Einsatz bei Soldaten und der Bevölkerung, die den Bomben ausgesetzt werden sollte, vorhanden waren?
Da diese und viele andere Fragen nach unserem besten Wissen unbeantwortet bleiben müssen, und ausgehend von der Erkenntnis, dass die bisher durchgeführten Studien keinen umfassenden Überblick über die potentiellen Auswirkungen von DU-Munition auf die menschliche Gesundheit erlauben, sind weitere Studien notwendig, die alle Aspekte der Wechselwirkungen zwischen den großen Mengen an DU, die freigesetzt wurde in den jüngsten Kriegen, und der Gesundheit beleuchten, mit einer besonderen Betonung der Konsequenzen für die Zivilbevölkerung, die um die Kriegsschauplätze herum lebt, und mit dem Ziel, überall auf der Welt Uranwaffen zu ächten.
Die Ergebnisse dieses Review-Artikels stehen in grundsätzlicher Übereinstimmung mit dem oben genannten Report von IPPNW und ICBUW aus dem Jahre 2012 [16]. Im Hinblick auf die krebserregenden Folgen des Einsatzes von DU-Waffen bedeuten sie neue Erkenntnisse und Präzisierungen der bisherigen. Die vielen offenen Fragen und widersprüchlichen Ergebnisse, die von den Autoren festgestellt werden, hängen vermutlich damit zusammen, dass die Verwenderstaaten von DU, vor allem die USA, leider weiterhin alles tun, um eine systematische Bearbeitung dieses Bereichs zu behindern – zum Beispiel durch Ignoranz, Nicht-zur-Verfügung-Stellen von bereits vorliegenden Daten und Forschungsergebnissen, Verweigerung finanzieller Unterstützung von unabhängigen Wissenschaftlern für solche Arbeiten und gezielte Desinformation in der Öffentlichkeit.
Auf diesen Review-Artikel wurde ich von meinem Kollegen Dr. med. Amir Mortasawi aufmerksam gemacht. Er ist Arzt, Friedensaktivist und Dichter dazu, der unter dem Künstlernamen Afsane Bahar viele anrührende und aufrüttelnde Gedichte für den Frieden geschrieben hat. Eines seiner Gedichte möchte ich zum Abschluss hier zitieren [18]:
Eingebettet
(30.11.2017)
Nun, meine sehr verehrten Damen und Herren
lassen Sie uns verantwortlich
zur gewichtigen Tagesordnung übergehen
Folgende entscheidende Anfragen
liegen dem Präsidium
zur sorgfältigen Bearbeitung vor
Wird beim Ausbreiten des Bombenteppichs durch unsere Flugzeuge
der vorgeschriebene Anteil am Bio-Treibstoff eingehalten?
Kommt der Strom unserer Militäranlagen
aus Kraftwerken für erneuerbare Energie?
Wird bei Einstellung des Folter-Personals
die Geschlechterquote gewissenhaft berücksichtigt?
Wird bei Rekrutierung der Söldner darauf geachtet
dass keine religiöse oder ethnische Diskriminierung stattfindet?
Werden unsere Militärangehörigen zuverlässig
mit ausgewählten Bio-Nahrungsmitteln versorgt?
Werden bei der Sicherstellung der Rüstungsproduktion
strukturschwache Regionen unserer Heimat bevorzugt?
Werden die Arbeitsschutzmaßnahmen
beim Umgang mit Uranmunition umgesetzt?
Schon diese bescheidene Auswahl zeigt
meine sehr verehrten Damen und Herren
wie umsichtig, zukunftsorientiert und verantwortungsbewusst
der Zeitgeist bei uns eingebettet wird
Fussnoten:
1 Body Count. Opferzahlen nach 10 Jahren. “Krieg gegen den Terror”- Irak-Afghanistan- Pakistan. Herausgeber: PSR- Physicians for Social
Responsibility, IPPNW Germany, Physicians for Global Survival. 1. Auflage, deutsche Version, September 2015
2 Claus Biegert: DU: Das tödliche Kürzel. Wie das Thema Depleted Uranium aus den Medien verschwand. In: Ronald Thoden (Hg): ARD & Co. Wie Medien manipulieren. Band 1. Selbrund Verlag 2015, S. 160-171
3 Frieder Wagner: Dokumentarfilm „Der Arzt und die verstrahlten Kinder von Basra“, Fernsehfassung, 44 min
4 Frieder Wagner: Dokumentarfilm „Deadly Dust- Todesstaub: Uranmunition und die Folgen“, Langfassung, 90 min
https://www.youtube.com/watch?v=GTRaf23TCUI
5 Karin Leukefeld und Markus Matzel: Dokumentarfilm: Irak: Leiser Tod im Garten Eden. Fernsehfassung, 44 min
https://www.youtube.com/watch?v=GWLwVGjS2Ng
6 NachDenkSeiten: Krieg ohne Ende – Jens Wernicke im Gespräch mit Peter Jaeggi
http://www.nachdenkseiten.de/?p=36154
7 NachDenkSeiten: Vertuschter Skandal: Die tödlichen Wirkungen der Urangeschosse – Wolfgang Lieb
http://www.nachdenkseiten.de/?p=3799
8 NachDenkSeiten: Eine Frage der Ächtung – Wolfgang Lieb
http://www.nachdenkseiten.de/?p=3769
9 Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition- die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe. Ein Report der deutschen Sektionen von IPPNW und ICBUW. 1. Auflage, Dezember 2012
10 http://www.uranmunition.org/
11 uranmunition.org: Sechste UN-Resolution zu abgereichertem Uran (DU) – Ignoranz und Desinteresse seitens der Bundesregierung
http://www.uranmunition.org/sechste-un-resolution-zu-abgereichertem-uran-du-ignoranz-und-desinteresse-seitens-der-bundesregierung/
12 Busby C, et al. Cancer, Infant Mortality and Birth Sex-Ratio in Fallujah, Iraq 2005-2008. Int J Environ Res Public Health 2010, 7 [7], 2828- 2837
http://www.mdpi.com/1660-4601/7/7/2828
13 Siegwart-Horst Günther: Zwischen den Grenzen. Mein Leben als Zeitzeuge. Verlag Park am See, Berlin 2006
14 Siegwart-Horst Günther: Urangeschosse: Schwerbehinderte Soldaten, missgebildete Neugeborene, sterbende Kinder. Mit einem Geleitwort von Tony Benn, Margarita Papandreou &Freimut Seidel. Ahriman Verlag, Freiburg 1996
15 Frieder Wagner: Eine Art Nachwort- und eine Hommage. In: Uranbomben. Die verheimlichte Massenvernichtungswaffe. Herausgeber: Frieder Wagner. Kai Homilius Verlag, Berlin 2010, S. 96-100
16 Die gesundheitlichen Folgen von Uranmunition - die gesellschaftliche Debatte um den Einsatz einer umstrittenen Waffe. Ein Report der deutschen Sektionen von IPPNW und ICBUW. 1. Auflage, Dezember 2012
https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/IPPNW_ICBUW_Report_DU_Munition_2012.pdf
17 Faa A, Gerosa C, Fanni D, Floris G, Van Eyken P, Lachowicz JI, Nurchi VM. Review Article. Depleted Uranium and Human Health. Current Medicinal Chemistry 2017, 24,1-16
18 Amir Mortasawi (alias Afsane Bahar)
https://amirmortasawi.wordpress.com/
Klaus-Dieter Kolenda, Jahrgang 1941, Prof. Dr. med., Facharzt für Innere Medizin und Facharzt für Physikalische und Rehabilitative Medizin, war von 1985 bis 2006 Chefarzt einer Rehabilitationsklinik und ist seit über 40 Jahren als medizinischer Sachverständiger bei den Sozialgerichten in Schleswig-Holstein tätig. Er hat zahlreiche wissenschaftliche Artikel und eine Reihe von Fach- und Sachbüchern über die Prävention chronischer Krankheiten verfasst. Zuletzt hat er Artikel über sozialmedizinische und sozialpolitische Themen in alternativen Online-Medien wie „Maskenfall“, „Nachdenkseiten“, „Rubikon“ und der „Neuen Rheinischen Zeitung“ veröffentlicht. E-Mail: klaus-dieter.kolenda@gmx.de
Der Artikel ist in zwei Teilen auch in den NachDenkSeiten erschienen (Teil 1 und Teil 2)
Hinweis: Im Rahmen einer Film- und Diskussionsveranstaltung von attac Kiel und der IPPNW-Gruppe Kiel wird am Mittwoch, den 21.2.2018, um 18.30 Uhr im Kommunalen Kino in der Pumpe in Kiel der Film „Deadly Dust- Todesstaub“ gezeigt. Anschließend erfolgt eine Diskussion mit dem Filmautor Frieder Wagner.
Online-Flyer Nr. 647 vom 14.02.2018