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Globales
Aus "Europas Verhängnis – Die Herren des Geldes greifen zur Weltmacht"
Wir haben nicht mehr viel Zeit
Von Wolfgang Effenberger

Vor 99 Jahren, am 28. Juni 1919, unterzeichnete Deutschland nach Ende des Ersten Weltkriegs den Friedensvertrag von Versailles. Nach General de Gaulle war dieser Weltkrieg Teil eines zweiten 30-jährigen Krieges. Zu diesem Themenkomplex hat Wolfgang Effenberger ein Buch mit dem Titel "Europas Verhängnis – Die Herren des Geldes greifen zur Weltmacht" erarbeitet. Zum Buch heißt es: "Der Erste Weltkrieg kannte letztlich nur Verlierer: Deutschland sowieso, aber auch Russland, Frankreich, Österreich-Ungarn, ja selbst England. Einzig die USA blieben außen vor. Die Profiteure aber waren wie immer die Herren des Geldes – die 'Händler des Todes'. Durch diplomatische Intrigen wurde Europa in die 'Urkatastrophe des 20. Jahrhunderts' getrieben. Ziel war u.a., die herrschenden Dynastien abzuschaffen, was ja auch gelang. Heute befinden sich die Nationalstaaten im Visier, denn als Garanten der Rechtstaatlichkeit stehen sie der gewollten unipolaren Weltordnung im Wege. Nur vor diesem Hintergrund ist das geopolitische Geschehen der vergangenen Jahrzehnte wirklich zu begreifen." Die NRhZ bringt das abschließende Kapitel "Resümee und Ausblick".

Der [vor 99 Jahren] am 28. Juni 1919 - exakt am fünften Jahrestag des Attentats von Sarajewo - in Versailles unterzeichnete Friedensvertrag verlangte von Deutschland im Artikel 231, »Teil VIII. Wiedergutmachungen«, die Anerkennung der Alleinschuld: »Die alliierten und assoziierten Regierungen erklären, und Deutschland erkennt an, daß Deutschland und seine Verbündeten als Urheber für alle Verluste und Schäden verantwortlich sind, die die alliierten und assoziierten Regierungen und ihre Staatsangehörigen infolge des ihnen durch den Angriff Deutschlands und seiner Verbündeten aufgezwungenen Krieges erlitten haben.« Die Forderung war kaum geeignet, eine stabile Friedensphase einzuleiten: 20 Jahre später wurde Europa in einen noch unmenschlicheren Krieg gestürzt. Schon 1941 sprach denn auch General de Gaulle in einer Radioansprache von einem zweiten 30-jährigen Krieg, Churchill äußerte sich 1944 ähnlich. Die beiden Kriege waren nötig, um der Seemacht USA gemäß dem Trieb aller Seemächte Brückenköpfe auf den gegenüberliegenden Küsten zu verschaffen, in diesem Fall der atlantischen und der pazifischen. So blieben nach 1945 die US-amerikanischen Befehlsstrukturen der Atlantik- und der Pazifikfront aktiv - siehe die Regionalkommandos EUCOM und PACOM. Während der Kubakrise kamen noch Nord- und Südamerika hinzu, und nach der Revolution im Iran wurde sogar der Persische Golf als ein Gebiet angesehen, das die amerikanischen Sicherheitsinteressen direkt berührt (Carter-Doktrin). Carters Sicherheitsberater Zbigniew Brzezinski schuf 1982 dafür die Architektur: das von Ägypten bis nach Kasachstan reichende Zentrale US-Kommando.


US-Regionalkommandos: Einteilung des Globus nach geopolitischem Interesse

Ohne Zweifel ging es in beiden Kriegen, ja geht es bis heute letztlich um Weltherrschaft. Winston Churchill hatte durchaus die amerikanischen Interessen im Blick, als er im April 1947 unverblümt die »Vereinigten Staaten von Europa« als notwendige Voraussetzung für eine autoritative Weltordnung propagierte: »Wir geben uns natürlich nicht der Täuschung hin, dass die Vereinigten Staaten von Europa die letzte und vollständige Lösung aller Probleme der internationalen Beziehungen darstellen. Die Schaffung einer autoritativen, allmächtigen Weltordnung ist das Endziel, das wir anzustreben haben. Wenn nicht eine wirksame Welt-Superregierung errichtet und rasch handlungsfähig werden kann, bleiben die Aussichten auf Frieden und menschlichen Fortschritt düster und zweifelhaft... Ohne ein Vereinigtes Europa keine sichere Aussicht auf eine Weltregierung.« Eine US-Weltregierung mit einer »Special Relationship« zum Vereinigten Königreich Großbritannien - [der britische Bergbaumagnat und Millionär] Cecil Rhodes lässt grüßen!

Nach dem Zweiten Weltkrieg galt es dann, Europa für den Krieg gegen die Sowjetunion fit zu machen.
  • Am 15. Mai 1947 verkündete US-Präsident Harry S. Truman seine Doktrin zur Eindämmung der weiteren Ausdehnung der Sowjetunion.

  • Am 6. Juni 1947 folgte der Marshallplan. Er hatte das Ziel, Westeuropa gegen den Ostblock zu stärken und der noch vom Krieg überhitzten amerikanischen Wirtschaft Absatzmärkte zu öffnen. Mit Annahme der Hilfe mussten die Länder ihre finanzpolitische Souveränität an Washington abtreten - das war der Beginn der ökonomischen Kolonisierung Europas, die gar nicht viel kostete (zwischen 1948 und 1952 flossen nur ca. 15 Mrd. US-Dollar).

  • Am 26. Juli 1947 wurde der »National Security Act« für die militärische Durchdringung der Welt verabschiedet, eines der wichtigsten Gesetze der US-amerikanischen Nachkriegsgeschichte. Er ist bis heute die Grundlage weltweiter amerikanischer Militärmacht.
Alle drei Ereignisse stehen in einem direkten Zusammenhang.

Am 4. April 1949 wurde die NATO gegründet, offiziell als Verteidigungsbündnis gegen die Sowjetunion - die erst 1955 als Reaktion darauf den Warschauer Pakt ins Leben rief -, eigentlich aber, wie es der erste NATO-Generalsekretär Lord Ismay salopp formulierte, um »die Russen draußen, die Amerikaner drinnen und die Deutschen unten zu halten«. Im Bündnisvertrag wurde festgehalten, dass wirtschaftlicher Wiederaufbau und wirtschaftliche Stabilität wichtige Elemente der Sicherheit seien – daher der Marshallplan.

Bereits im Dezember 1949 verabschiedete die NATO den Kriegsplan »Dropshot«, mit dem 1957 die Sowjetunion angegriffen werden sollte. Es sollte wie immer so aussehen, als sei der Gegner der Aggressor. Die »Grundannahme«, so heißt es in dem streng geheimen Papier wörtlich, sei: »Am oder um den 1. Januar 1957 ist den Vereinigten Staaten durch einen Aggressionsakt der UdSSR und/oder ihrer Satelliten ein Krieg aufgezwungen worden.« Daraufhin sollten 300 Atombomben und 29.000 hochexplosive Bomben auf 200 Ziele in einhundert Städten abgeworfen werden, um 85 Prozent der industriellen Kapazität der Sowjetunion mit einem einzigen Schlag zu vernichten. Der Zeitpunkt war zweifellos auf den ursprünglich geplanten Abschlusstermin der Remilitarisierung Westdeutschlands abgestimmt. Aufgrund der Ablehnung der Verträge über die sogenannte »Europäische Verteidigungsgemeinschaft« durch die französische Nationalversammlung 1954, aber auch wegen der Gegner einer Wiederbewaffnung in der Bundesrepublik, verzögerte sich der Aufbau der Bundeswehr um einige Jahre. Als dann 1957 auch noch der fiepsende Sputnik seine Kreise um die Erde zog, mussten die Kriegsplanungen überarbeitet werden, und der Zeitpunkt für Dropshot wurde vertagt. In Moskau aber ist es unvergessen.

Diese imperialen Ambitionen verärgerten den französischen Präsidenten General de Gaulle zutiefst. Für ihn ging Europa vom »Atlantik bis zum Ural«. Auch in den besonderen Beziehungen Großbritanniens zu den USA sah Charles de Gaulle eine Gefahr, weshalb er später dessen Beitritt zur Europäischen Wirtschaftsgemeinschaft zu verhindern suchte. Seine Distanz zur angloamerikanischen Geostrategie und sein vertrauensvolles Verhältnis zum deutschen Nachkriegskanzler Konrad Adenauer verhinderten eine Wiederholung der Politik Georges Clemenceaus, die das ohnehin schwierige Verhältnis Frankreichs zu Deutschland nach dem Ersten Weltkrieg vergiftet hatte. Auch Thomas Mann hatte im amerikanischen Exil die Neigung der USA erkannt, »Europa, als ökonomische Kolonie, militärische Basis, Glacis im zukünftigen Atom-Kreuzzug gegen Russland zu behandeln, als ein zwar antiquarisch interessantes und bereisenswertes Stück Erde, um dessen vollständigen Ruin man sich aber den Teufel scheren wird, wenn es den Kampf um die Weltherrschaft gilt«.

Am 9. Mai 1950 kündigte der französische Außenminister Robert Schuman die Schaffung einer Europäischen Gemeinschaft für Kohle und Stahl (EGKS) an. Adenauer soll nur wenige Stunden zuvor davon erfahren haben. Dieser Tag wird heute als »Europa-Tag« gefeiert. »Alles begann in Washington«, erklärte Schumans Stabschef später. Urheber der »Schuman Deklaration« war US-Außenminister Dean Acheson. Die amerikanischfranzösische Zusammenarbeit reicht in den Ersten Weltkrieg zurück. Seit den Verhandlungen in Versailles verband den französischen Unternehmer Jean Monnet - später als Wegbereiter der europäischen Einigung gefeiert - eine lebenslange Freundschaft mit John Foster Dulles, damals Berater von Bernhard Baruch, Chefrepräsentant der US-Reparationskommission und Mitglied des »War Trade Board«, welches das »Kriegsbusiness« koordinierte. Unter Baruchs Anleitung formulierte Dulles die juristische Festschreibung der deutschen Kriegsschuld im Versailler Vertrag. Wegen dieser Passage verweigerte die erste deutsche Delegation unter Graf Brockdorff-Rantzau die Unterschrift. Um die Unterzeichnung des Friedensvertrags zu erzwingen, wurde die effektive Seeblockade nach dem Waffenstillstand vom 11. November 1918 fortgeführt und erst am 12. Juli 1919, zwei Wochen nachdem Außenminister Hermann Müller (SPD) und Verkehrsminister Johannes Bell (Zentrum) unter Protest unterschrieben hatten, aufgehoben. Die Verlängerung der Blockade kostete mehr als 700 000 Menschenleben.

Als ab 1934 in den USA die Angst vor einem neuen Krieg umging - die Wirtschaft stagnierte trotz New Deal, neue Kriegspläne (»Rainbow«) wurden entwickelt -, wollten besorgte Kongressmitglieder überprüfen, welche Interessen hinter dem Kriegseintritt von 1917 gestanden hatten. Dazu wurde das »Senate Munitions Investigating Committee« unter Senator Gerald P. Nye, genannt Nye-Komitee, eingerichtet. In 93 Anhörungen wurden 200 Zeugen befragt, darunter der Bankier und Unternehmer J. P. Morgan Jr. sowie Pierre S. du Pont, Rüstungsmagnat mit fast 1000 Prozent Gewinnsteigerung im Vergleich zu den Vorkriegsjahren. Nach zweijährigen Ermittlungen konnte das Komitee überzeugend darstellen, dass Banker und Rüstungsindustrielle neben Preisabsprachen vor und während des Krieges starken Einfluss auf die US-Außenpolitik genommen und so das Land in den Krieg »getrickst« hatten, um die Anleihen zu schützen und einen Rüstungsboom zu erzeugen. Es berichtete außerdem, dass Großbritannien bis zum Kriegseintritt der USA im April 1917 von der Wall Street 85-mal so viel an Krediten erhalten hatte wie das Deutsche Reich. Dem Komitee wurden Anfang 1936 die Mittel entzogen, als Nye den verstorbenen Präsidenten Woodrow Wilson beschuldigte, dem Kongress Informationen zur geplanten Kriegserklärung vorenthalten zu haben. Der Vorschlag, die Waffenindustrie zu verstaatlichen, wurde abgelehnt. Später gab Nye ein Dokument heraus mit dem Titel »The Next War« (Der nächste Krieg) mit einer zynischen Anspielung auf »the old goddess of democracy trick«, »den Trick der alten Göttin Demokratie«, durch den Japan dazu benutzt werden könnte, die USA in den Zweiten Weltkrieg zu locken. Es gab offenbar Bedenken, dass die »Merchants of Death« die Teilnahme der USA wieder forcieren würden.

Auch hinter dem Plan eines vereinten Europa stand ein Netzwerk von Politikern, Militärs, Bankern, Industriellen und Spekulanten. Der nächste Schritt zur Europäischen Union waren die sogenannten »Römischen Verträge«, unterzeichnet am 25. März 1957 von Belgien, Deutschland, Frankreich, Italien, Luxemburg und den Niederlanden in Rom unter dem mächtigen Standbild von Papst Innozenz X., dessen Gesandter Fabio Chigi 1648 beim Westfälischen Friedensvertrag als Einziger seine Unterschrift verweigert und Einspruch eingelegt hatte. War dieser Ort die richtige Umgebung für eine künftige Friedensunion? In der Tat geht von der EU nicht gerade eine friedensfördernde Wirkung aus, da sie die völkerrechtswidrigen Kriege der NATO vorbehaltlos unterstützt und Europa trotz der Auflösung des Ostblocks 1990 nachhaltig spaltet, ja heute sogar schlimmer als im Kalten Krieg in gefährlicher Weise die Kriegspropaganda gegen Russland schürt.

Der Grundlagenvertrag von Lissabon im Dezember 2007 sollte die EU reformieren, verstärkt aber nur die ökonomische Kontrolle des Vertragsgebiets. Die erkennbaren Ziele der EU decken sich in erstaunlichem Maß mit denen des 1925 im Zuge der Reparationsabwicklung durch die Wall Street gegründeten internationalen IG-Farben-Konzerns: Dort ging es um das Monopol in der Pharma- und Chemie-Industrie - in der EU geht es um die globale Kontrolle des Medizin- und Nahrungsmittelgeschäfts über Patente und Gen-Food. Und so ist der Schuman-Plan nicht als Anfang der Konstruktion Europas, sondern der Destruktion der europäischen Nationen durch supranationale Institutionen zu sehen.

Inzwischen geht die begründete Furcht vor einem dritten Weltkrieg um. Nach dem Ende des Kalten Krieges 1990 hätte die NATO konsequenterweise aufgelöst werden müssen, das war eine echte Chance auf Frieden. Die Bemühungen der KSZE-Verhandlungsdelegation wurden jedoch konterkariert und zunichte gemacht durch die knallharten Ausplünderungs- und Weltherrschaftspläne der NATO-Strategen. Am 24. Juni 2016 fragte der kanadische Journalist, Autor und Menschenrechtler Murray Dobbin im US-Magazin Counterpunch: »Do we really want a war with Russia?« (Wollen wir wirklich Krieg mit Russland?) Es überrasche kaum, dass Russland die Aufnahme von Polen, Ungarn, Bulgarien, Litauen, Lettland, Estland und Rumänien in die NATO als militärische Bedrohung sieht. Dobbin sieht Polen als Schlüssel in der gefährlichen Scharade. Ahnt er eine ähnliche Situation wie 1938/39, als der Krieg mit Spannungen an der polnischen Westgrenze begann? Gerade in letzter Zeit führt die NATO ausgedehnte Manöver durch - Dobbin verweist auf die Operation »Anaconda« mit 30.000 westlichen Militärs, den größten Aufmarsch an Russlands Grenze seit der deutschen Invasion im Juni 1941. Dazu passt die Drohgebärde des polnischen Präsidenten Andrzej Duda: »Das Ziel der Übung ist klar. Wir bereiten uns auf einen Angriff vor.«

Am 25. Juni 2016 erschien auf der Plattform des Friedensinstituts des Republikaners Ron Paul ein Artikel mit derselben Überschrift, verfasst von dem US-Journalisten Eric Margolis. Er ermahnt darin alle heutigen Politiker, Christopher Clarks Buch »Die Schlafwandler« genau zu lesen. Clark beschreibe darin »detailliert, wie die kleinen Intrigen antideutscher Offizieller in Frankreich, England und Russland den Ersten Weltkrieg manipulierten, einen Konflikt, der unnötig, idiotisch und unlogisch war... wir sehen heute den gleichen Prozess am Werk. Die Kriegsparteien in Washington, unterstützt vom militärisch-industriellen Komplex, die zahmen Medien und die Neocons, alle agitieren sie schwer für den Krieg... seit Friedrich dem Großen haben weise europäische Staats- und Regierungschefs gelernt, nicht gegen Russland zu kämpfen... alles, was es jetzt braucht, ist ein Terroranschlag wie in Sarajewo, um einen großen Krieg zwischen den beiden Atommächten zu entfachen.« Was hätte Margolis wohl geschrieben, wenn ihm weitere Zusammenhänge bekannt gewesen wären, die in Clarks Buch nicht zu finden sind? So unterschlägt Clark die jahrelange Planung der Seeblockade ab 1908 gegen Deutschland vonseiten des [Committee of Imperial Defense] CID, dokumentiert durch zwei Mitglieder: Maurice Hankey (»The Supreme Command«) und A. C. Bell (»A History of the Blockade of Germany«). Auch der offizielle britische Marinehistoriker und Marinestratege Sir Julian Corbett bestätigt, der Erste Weltkrieg sei durch Lord Hankey und seine Mitarbeiter mit »einer geordneten Vollständigkeit im Detail, die keine Parallele in unserer Geschichte hat«, geplant worden. Doch Hankey, Bell und Corbett sucht man im Index der »Schlafwandler« vergebens, natürlich erst recht in den Publikationen von Heinrich August Winkler, Herfried Münkler, Jörg Friedrich oder Jörn Leonhard zum Ersten Weltkrieg.

Leo Trotzki kommt zu einem für Großbritannien wenig schmeichelhaften Fazit: »Die englische Demokratie hat doch zum imperialistischen Kriege geführt, und zwar... im Sinne der direkten und unmittelbaren Verantwortung der englischen Diplomatie, die bewußt und berechnend Europa in den Krieg trieb. Hätte die englische .Demokratie' erklärt, daß sie auf Seiten der Entente in den Krieg eingreift, hätten wahrscheinlich Deutschland und Österreich-Ungarn den Rückzug angetreten. Hätte England seine Neutralität erklärt, hätten wahrscheinlich Frankreich und Rußland diesen Rückzug angetreten. Aber die britische Regierung hat anders gehandelt: Sie hat heimlich der Entente ihre Unterstützung versprochen, Deutschland und Österreich-Ungarn auf die Möglichkeit der Neutralität rechnen lasseh und sie irregeführt. So hat die englische ^Demokratie' den Krieg provoziert...« In einem muss Trotzki widersprochen werden, es war nicht »die englische Demokratie« oder »Diplomatie«, sondern ein kleiner, berechnender Kreis innerhalb der britischen Elite, der damit auch den amerikanischen Finanzinteressen in die Hände spielte.

Höhepunkt war dann der von Lord Milner organisierte Staatsstreich Anfang Dezember 1916, der das Kriegskabinett mit Premier Lloyd George an die Macht und Milner selbst in eine Schlüsselposition brachte, um den Ersten Weltkrieg bis zur bitteren Neige zu verlängern. Eine Folge waren dann die Versailler Verträge sowie der England-orientierte Völkerbund. Mit Versailles wurden die Voraussetzungen für den Zweiten Weltkrieg geschaffen, weiterführend auch für die angloamerikanisch dominierte UN - gleichsam den Völkerbund 2.0. Wie Churchill es 1947 offen angekündigt hatte, sind die USA mit dem Steigbügelhalter EU auf dem Weg zur autoritären Weltherrschaft. Die Intention, eine neue Weltordnung zu schaffen - angeblich mit dem Ziel der Humanität-, ist spätestens seit dem 11. September 1990 deutlich geworden, als George Bush sen. die Parole »Toward a New World Order« (Vorwärts zu einer neuen Weltordnung) ausgab. Vier Monate später, nach Saddam Husseins Einmarsch in Kuwait, begannen die USA mit Unterstützung der UN und mithilfe der »Brutkastenlüge« den Krieg gegen den Irak, den sie im ersten Irakkrieg 1979-1988 noch mit Waffen versorgt hatten. Fünf Monate später löste sich das Warschauer Bündnis auf.

Ramsey Clark, US-Justizminister unter Johnson, sagte im März 1991 in einem Zeitungsinterview: »Ich warne die Europäer davor, zu glauben, dass die USA im Rahmen der neuen Weltordnung Skrupel haben würden, auch in Europa militärisch zu intervenieren... Die USA würden eine europäische nukleare und wirtschaftliche Großmacht nicht lange dulden.« Der Terroranschlag am 11. September 2001 lieferte dann den Vorwand für weitere Kriege, vornehmlich in Ländern, die reich an Ressourcen waren. Seit 2008 ist hinter den globalen Unruhen und Konflikten die entfesselte Gier nach Renditen kaum noch zu übersehen. Wie einhundert Jahre zuvor werden Konflikte geschürt, wenn nicht sogar provoziert, um Volkswirtschaften aufzubrechen und Länder mittels Krediten abhängig zu machen. Der Imperialismus ist nach dem Zweiten Weltkrieg keineswegs begraben worden, es geht nur nicht mehr um Nationen, sondern um als »Demokratieförderung« getarnte Abhängigkeit und Ausplünderung.

Der Blick in die Geschichte zeigt, dass die meisten der heutigen globalen Verwerfungen ihre Wurzeln in der imperialen Politik zu Beginn des 20. Jahrhunderts haben. Schon damals steckte unter dem Mäntelchen der Kultivierung schonungslose Ausbeutung und Missachtung anderer Kulturen. Mit dem Frieden von Versailles wurden Kränkungen manifest, die sich nicht dauerhaft unterdrücken lassen. So könnte der 100. Jahrestag von Versailles Anlass sein, dass alle Betroffenen den Balken in ihrem Auge erkennen und ein Prozess der Heilung einleiten - eine Friedensordnung, wie sie Woodrow Wilson bereits 1918 in seinen »Vierzehn Punkten« vorgestellt hatte; diese könnten endlich nachträglich verwirklicht werden. Voraussetzung dafür ist allerdings die Auflösung der imperialen westlichen Strukturen. Mit dem Austritt Großbritanniens aus der NATO-dominierten EU könnte der Neustrukturierungsprozess hin zu einer wirklichen »europäischen Gemeinschaft« eingeleitet werden, einer Gemeinschaft, die Russland einbezieht.

Die »politische Transformation« Europas, so der britische Historiker und Spezialist für Völkerrecht John Laughland, Studiendirektor des Pariser »Instituts für Demokratie und Zusammenarbeit«, habe fast ausschließlich in den Händen von Briten und Amerikanern gelegen und lange vor der Gründung der Kohle- und Stahl-Union (Montan-Union) begonnen. Man beachte die Reihenfolge:
  • 4. April 1949: Gründung der NATO

  • 5. Mai 1949: Gründung des Europarats (nicht zu verwechseln mit dem Europäischen Rat und dem Rat der EU) auf Betreiben des »American Committee for a United Europe« - eine 1948 von Allen Dulles, Winston Churchill und dem US-Geheimdienstchef General William J. Donovan ins Leben gerufene Organisation, die institutionell nicht mit der Europäischen Union verbunden ist. Im August 1950 beriet man über die Gestaltung einer offiziellen Flagge für Europa. 1955 wurde der Entwurf mit einem Kranz aus zwölf goldenen fünfzackigen Sternen auf azurblauem Hintergrund vom Europarat eingeführt und erst im Mai 1986 als Symbol für alle Institutionen der Europäischen Gemeinschaft übernommen. Die Zahl 12 symbolisiert dabei die Vollständigkeit. Aufgabe des Europarats sollte die Sicherung und Verwirklichung rechtstaatlichen und demokratischen Denkens, die Wahrung der europäischen Kultur und die Förderung des wirtschaftlichen und sozialen Fortschritts sein. Hehre Ziele, angesichts des gleichzeitig ausgearbeiteten Kriegsplans »Dropshot« aber wohl nicht ganz ernst gemeint.

  • 23. Mai 1949: Gründung der Bundesrepublik Deutschland. Folge: die Teilung in zwei Staaten, die im Kriegsfall bis zur atomaren Verwüstung gegeneinander hätten kämpfen müssen.
Die drei genannten Ereignisse müssen als Schritte in Richtung einer NATO-orientierten Europäischen Union verstanden werden, die unter absoluter Geheimhaltung entstanden ist. Erst später lancierten interessierte Kreise Propagandakampagnen, die das Projekt Europa als Friedenswerk darstellen sollten. Und diese wirken bis heute fort. In Anlehnung an die berühmte Maxime Immanuel Kants bilanziert John Laughland: »Die Freiheit für Deutschland ist der Ausgangaus einer 70-jährigen Vormundschaft durch die Amerikaner.«


»Win in a complex World«: Setzt sich das Verhängnis fort?

Ende 2014 tauchten die Dämonen von 1914 wieder auf: In dem Strategiepapier »TRADOC 525-3-1 Win in a Complex World 2020-2040« wird als Hauptziel genannt, die Bedrohung durch Russland und China zu beseitigen. Dabei wird nicht auf eine direkte Eroberung einzelner Staaten gesetzt, sondern auf eine gezielte Doppelstrategie von Destabilisierung und Einflussnahme über Nichtregierungsorganisationen und Geheimdienste. Also erst die Erzeugung von Chaos, dann die Etablierung der gewünschten Strukturen. Die vier Eskalationsstufen des Destabilisierungsdrehbuchs sind schon im Vorgängerpapier »525-5« von 1994 genau beschrieben und lassen sich am Beispiel der Ukraine illustrieren: Aufruhr – Krise – Konflikt – Krieg. Wie vor einhundert Jahren wird die Hauptgefahr in einer möglichen Kooperation zwischen Deutschland und Russland gesehen, was George Friedman, der Gründer und Vorsitzende des führenden privaten US-amerikanischen Think Tanks »STRATFOR«, am 4. Februar 2015 überraschend deutlich aussprach. Die USA hätten keine »Beziehungen« mit Europa, es gebe lediglich bilaterale Beziehungen zu einzelnen Staaten. »Das Hauptinteresse der US-Außenpolitik während des letzten Jahrhunderts, im Ersten und Zweiten Weltkrieg und im Kalten Krieg waren die Beziehungen zwischen Deutschland und Russland... Seit einem Jahrhundert ist es für die Vereinigen Staaten das Hauptziel, die einzigartige Kombination zwischen deutschem Kapital, deutscher Technologie und russischen Rohstoffressourcen, russischer Arbeitskraft zu verhindern.«

Schon 1919 gab es die Idee eines »Cordon sanitaire«, eines Gürtels aus Pufferstaaten, zwischen Deutschland und Russland. Bald erstreckte sich tatsächlich von Finnland über die baltischen Staaten und Polen bis Rumänien ein Staatenband, der die Sowjetunion vom übrigen Europa trennen sollte - angeblich zum Schutz vor der »bolschewistischen Weltrevolution«. Um den Alptraum einer deutsch-russischen Annäherung zu verhindern, wollen die USA heute auf diese Idee zurückgreifen. Seit dem völkerrechtswidrigen Krieg gegen Jugoslawien behält sich die NATO das Recht vor, im Ausnahmefall und auf der Basis eines Konsensbeschlusses der Bündnispartner auch ohne UN-Mandat militärisch zu intervenieren. Damit erweist sie sich eindeutig als Offensivbündnis. Es gibt aber auch »das andere Amerika«: Neben Ron Paul gehört etwa Paul Craig Roberts zum Gewissen der USA. Er war unter Ronald Reagan stellvertretender Finanzminister. Heute gehört er laut Forbes zu den besten Journalisten der Welt, und er spricht Klartext: »Wenn der Großteil der Menschheit nicht bald aufwacht und diesem Wahnsinn entschlossen entgegentritt, wird Washington die Welt vernichten!« Diese Warnung müssen wir inzwischen noch ernster nehmen, denn in der Einjahresstudie des US Army War College vom Juni 2017 wird festgestellt, dass die Welt in eine völlig neue Phase der Transformation eingetreten sei, in der die Macht der USA schwinde, die Weltordnung zerfalle und die Autorität der Regierungen überall zerbröckele.

In dieser fragilen Phase forderten Teilnehmer der Münchner Sicherheitskonferenz (MSC) Ende 2017 den beschleunigten Umbau der EU zur Kriegsallianz. Der europäische Staatenbund müsse in der Lage sein, jederzeit eine mit der Militäroperation gegen Libyen 2011 vergleichbare »Mission« durchzuführen, so eine aktuelle Studie der MSC, der Unternehmensberatung McKinsey und der Eliteuniversität Hertie School of Governance. Verlangt werden drastische Erhöhungen der Verteidigungsbudgets der EU-Mitgliedsländer und Investitionen in modernes Kriegsgerät. Ziel ist die Vereinheitlichung der europäischen Rüstungsstandards und der weitere Ausbau der staatlichen Forschungsförderung. Der ehemalige SPD-Parteivorsitzende Martin Schulz, der sich als Präsident des Europäischen Parlaments (2014-2017) vehement für die Freihandelsabkommen CETA und TTIP eingesetzt hatte, schwor seine Genossen am 7. Dezember 2017 auf dem SPD-Parteitag auf den Kurs eines europäischen Einheitsstaates ein. Spätestens bis 2025 wolle er die Vereinigten Staaten von Europa verwirklicht sehen. Wer hat diesem Hätschelkind der multinationalen Konzerne das wohl in den Mund gelegt?

»Macron drängt Martin Schulz zur GroKo«, schrieb die FAZ am 3. Dezember 2017. Sollen die Transatlantiker in der SPD zusammen mit Emmanuel Macron Kanzlerin Merkel vor sich hertreiben? Der ehemalige Jesuitenschüler Macron, der seine Magisterarbeit über Machiavelli und seine Diplomarbeit über Hegel schrieb, erhielt am 18. Mai 2018 den Karlspreis. »Seine Leidenschaft und sein europäisches Engagement, sein Eintreten für Zusammenhalt und Gemeinsamkeit und sein entschiedener Kampf gegen jede Form von Nationalismus und Isolationismus sind zur Überwindung der europäischen Krise vorbildhaft«, heißt es in der Begründung. Karl der Große wurde im Jahr 800 in Rom durch den Papst gekrönt und erhielt als • erster westeuropäischer Herrscher die Kaiserwürde. Es entstand das »Heilige Römische Reich Deutscher Nation«, durch Napoleon zerschlagen am 6. August 1806. Macron wird das seit 1950 proklamierte Narrativ, die EU sei das Werk der Europäer und demzufolge auch durch die Bürger Europas demokratisch legitimiert und kontrolliert, nicht zum Einsturz bringen. Es wird bei der von der CIA konzipierten Desinformation bleiben. Damit reiht sich Macron in eine illustre Gesellschaft von Karlspreisträgern ein: Richard Coudenhove-Kalergi (1950), Jean Monnet (1953), Winston Churchill (1955), Walter Hallstein (1961), Tony Blair (1999), Bill Clinton (2000), Papst Paul II. (2004), Angela Merkel (2008), Martin Schulz (2015), Papst Franziskus II. (2016) - sie alle sind bzw. waren eingebunden in transatlantische Netzwerke.

Sowohl bei der heutigen EU als auch beim Karlspreis handelt es sich um Etikettenschwindel. Stephan Steins bringt es in seinem Artikel »Steht die geplante EU-Armee in Konkurrenz zur NATO?« auf den Punkt: »Natürlich ist die Idee der europäischen Einigung eine alte Idee in Europa. Etwas ganz anderes ist allerdings, was die anglo-amerikanischen Siegermächte nach 1945 daraus institutionell entwickelt haben. Die zentralistische, undemokratische EU ist so ziemlich das genaue Gegenteil dessen, was die Europäer im Sinn hatten. Die Funktion der Institution EU für den globalisierten Imperialismus besteht darin, die bürgerlich-demokratische Republik der Europäischen Aufklärung zu desintegrieren und somit die, institutionell an den Nationalstaat gekoppelte, demokratische Partizipation des Souveräns auszuhebeln.«

Ein stürzendes Weltreich ist unberechenbar. Heute haben wir es mit noch viel mächtigeren Interessengruppen zu tun als Anfang des 20. Jahrhunderts, als die Rhodes-Milner-Gruppe bzw. ein kleiner konspirativer Kreis britischer Politiker hinter dem Rücken von Kabinett und Parlament intrigierte und die Ahnungslosen mit zerstörerischen Welteroberungsstrategien überrumpelte. Auch die heutigen Globalisierungsstrategen und Finanzjongleure wollen unter dem Signum von Humanität, Frieden und Freiheit eine unipolare Welt schaffen mit einer alles kontrollierenden Regierung. Für uns kommt es darauf an, den Zusammenhang der immer gleichen Macht- und Profitinteressen zu durchschauen und für andere transparent zu machen, sodass sie nicht länger unter einer raffinierten humanitären Tarnkappe verschwinden können. Wir dürfen uns nicht emotionalisieren oder gar verängstigen lassen. Denn wir haben nicht mehr viel Zeit.


Wolfgang Effenberger, Jahrgang 1946, erhielt als junger Pionieroffizier Einblick in das von den USA vorbereitete "atomare Gefechtsfeld" in Europa. In dieser Zeit erwachte auch sein Interesse an Geopolitik. Nach dem Ausscheiden aus der Bundeswehr studierte er Politikwissenschaft und Höheres Lehramt (Bauwesen/Mathematik). 2004 veröffentlichte er zusammen mit Professor Konrad Löw das mittlerweile vergriffene Standardwerk "Pax americana". Zuletzt erschienen von ihm "Deutsche und Juden vor 1939" (2013), "Wiederkehr der Hasardeure" (2014), "Sie wollten den Krieg" und "Geoimperialismus" (beide 2016). Wolfgang Effenberger lebt am Starnberger See.


Mit Dank entnommen aus dem Buch "Europas Verhängnis – Die Herren des Geldes greifen zur Weltmacht" von Wolfgang Effenberger, Kapitel "Resümee und Ausblick", erschienen im Mai 2018 bei Verlag zeitgeist, Höhr-Grenzhausen, 2018, 96 S., 14 Abb., Gebunden, 7,90 Euro, ISBN 978-3-943007-19-0 (dort mit Fußnoten und Quellenangaben).



Das Buch kann über zeitgeist-online.de bestellt werden.



Siehe auch:

Multilateralismus stärken: Deutschland an die BRICS-Staaten annähern
Gefahr eines Dritten Weltkrieges bannen
Von Luz María De Stéfano Zuloaga de Lenkait
NRhZ 665 vom 27.06.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24989

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Von Wolfgang Bittner
NRhZ 665 vom 27.06.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24999

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NRhZ 665 vom 27.06.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24988

Sputnik-Gespräch mit Ullrich Mies
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Von Alexander Boos (Sputnik)
NRhZ 665 vom 27.06.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24996

Online-Flyer Nr. 665  vom 27.06.2018



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