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Österreichische Justiz urteilt über Gaza-Demo von 2014, Fahnenverbrennung nach Provokation sei Verhetzung
Ausdruck israelischer Koloniallogik
Von Helga Suleiman (Steirische Friedensplattform)
Interessant, welchen Gesetzesinterpretationen das Justizwesen in gewissen Teilen Österreichs - hier in Graz/Steiermark, dem Süden des Landes - folgt. Da gab es im Juli 2014 eine Demonstration gegen die israelische Militäroperation „Protective Edge“, welche damals gerade einen tragischen Höhepunkt mit der Bombardierung des Gaza-Streifens und Beginn einer Bodenoffensive erreichte. 2017 hat die Staatsanwaltschaft Graz nach intensiver dreijähriger Recherche Anklage gegen einen jungen Mann ägyptischer Herkunft erhoben, wegen dreier Tatbestände: Nötigung (Wegnehmen der israelischen Fahne von den Provokateuren), Sachbeschädigung (der israelischen Fahne), und Verhetzung (die Verbrennung der Fahne sei gegen die Religionsgemeinschaft der JüdInnen gerichtet). Im Juni 2018 folgte das Urteil.
Wie kam es dazu?
Dem Aufruf zur Demo einer regionalen Friedensinitiative (1) im Juli 2014 folgten 300-500 Menschen, viele unter ihnen mit Migrationshintergrund. Die Empörung der DemonstrantInnen über die Bombardierung einer wehrlosen Zivilbevölkerung, eingeschlossen auf einem Gebiet so groß wie Wien und ohne Fluchtmöglichkeit, war spürbar. Die Demo verlief ruhig bis zu dem Zeitpunkt, als wie aus dem Nichts vier Provokateure auftauchten, die lachend, Grimassen schneidend und Beschimpfungen gegen die DemonstrantInnen ausstoßend, die israelische Fahne schwenkten. Da die - nur in kleiner Zahl anwesende - Exekutive diese Provokation nicht beendete, schritt im Auftrag des Versammlungsleiters der als Ordner eingeteilte junge Ägypter ein. Er nahm den Provokateuren die Fahne weg. Diese wurde ihm aber von anderen DemonstrantInnen entrissen und im Laufe des entstandenen Tumults angezündet. Die Demo konnte in der Folge ohne weitere Zwischenfälle fortgesetzt werden.
Provokateuren Meinungsfreiheit gewährt, DemonstrantInnen Terrorsympathie unterstellt
Die anwesende Polizei stoppte das provokative Fahnenschwenken nicht. Sie hat diese Personen nicht des Platzes verwiesen, sie nicht verfolgt und nicht ausgeforscht. Obwohl ihr Auftauchen eine unangemeldete Demonstration darstellte und ganz offensichtlich den Zweck verfolgte, die Ruhe und Ordnung zu stören.
Im Gegensatz dazu rechtfertigte der Staatsanwalt in seinem Strafantrag das Auftauchen der Provokateure mit Art. 10 MRK, dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Dem Demonstranten hingegen unterstellte er „im Hinblick auf die HAMAS-Charta“ eine Verächtlichmachung von israelischen Staatsangehörigen und der Religionsgemeinschaft der Juden „hetzend im Sinne des § 283 Abs 2 StGB“.
Bleibt zu erwähnen, dass auf dieser Demonstration weder von der Hamas noch von sonst einer Partei die Rede war und auch keine Slogans oder Plakate vorhanden waren, die in eine solche Richtung interpretierbar gewesen wären. Bleibt zu erwähnen, dass die Demo-VeranstalterInnen bekannt sind für ein vielfältiges Friedensengagement z.B. auch im Rahmen der Sozialforumsbewegung. Sie stehen auf der entgegengesetzten Seite von Rassismus, Antisemitismus und Faschismus.
Staatsanwalt und Richter waren im Laufe der Verhandlungen jedoch geradezu zwanghaft bemüht Querverbindungen zwischen der Herkunft der DemonstrantInnen und diversen mit „Terror“ assoziierten Organisationen herzustellen. Nicht nur der Angeklagte, sondern auch Zeugen ägyptischer Herkunft wurden immer wieder befragt, ob sie Mitglieder der Muslimbrüderschaft wären. Nachdem die Muslimbrüderschaft keine gelistete Terrororganisation ist, wurde das Konstrukt aufgeworfen, dass die Hamas deren militärischer Zweig und diese ja eine Terrororganisation sei. Als Beweis für Muslimbruderschaftssympathie wurde das R4bia-Zeichen gewertet, welches einige DemoteilnehmerInnen hochgehalten hatten.
Die Argumentation von Zeugen, auch jene der Demo-OrganisatorInnen, dass dieses Zeichen symbolhaft für den arabischen Frühling stehe und gegen Willkürherrschaft und Unterdrückung weltweit eingesetzt wurde, blieb von der Justiz ungehört.
Hingegen unterstellte der Staatsanwalt einem als Zeugen geladenen Demonstranten afghanischer Herkunft Unwissenheit bezüglich der Demoausrichtung in der Art, dass er dessen Herkunft mit Uninformiertheit über den politischen Kontext der Demo assoziierte und dabei diese schon als beinahe kriminell erscheinen ließ. Damit nicht genug, warf er das Wort „Taliban“ in den Gerichtssaal, völlig zusammenhanglos und offensichtlich dazu angetan den Zeugen einzuschüchtern und den Richter zu einem entsprechenden Urteil zu ermutigen.
Entgegen allen Tatsachen: Staatsanwalt beharrt auf „islamischem Antijudaismus“
Der Angeklagte wurde in allen drei Anklagepunkten für schuldig befunden. Die Aussagen der ZeugInnen und die Argumentationen des Verteidigers blieben unberücksichtigt. Hinsichtlich des politisch besonders heiklen Tatbestands der Verhetzung hatte der Rechtsvertreter des Angeklagten überzeugend ausgeführt, dass jene Sachverhalte, die das Strafgesetz vor Verhetzung schützt, im § 283 StGB taxativ aufgezählt sind, Staaten und deren Fahnen als Symbole dort aber als Schutzgüter nicht genannt sind. Eine diesbezügliche Verurteilung habe daher keine rechtliche Grundlage. Der Richter zeigte sich kurz nachdenklich, blieb aber dann bei seinen offensichtlich vorgefassten Schuldsprüchen.
ProzessbeobachterInnen bestätigten, dass der Prozessablauf autoritär mit permanent herkunftsdiskrimierendem und islamvorurteilsvollem Unterton geführt wurde, respektlos und einschüchternd gegenüber dem Angeklagten und potentiellen EntlastungszeugInnen.
Der Schuldspruch des Richters in allen drei Anklagepunkten war das vorhersehbare Ergebnis dieses Prozesses. Der Richter argumentierte mit einem „Mob“, der in Sympathie mit der Muslimbrüderschaft, deren militärischer Arm in Gaza die Terrororganisation Hamas sei, die israelische Fahne entrissen und sachbeschädigt hätte, und dies sei zudem Verhetzung, denn, so der Staatsanwalt „wir haben ein großes Problem mit islamischem Antijudaismus“.
Steirische Justiz am rechten Auge blind?
Interessant, dass die Grazer Justiz kein Problem damit hatte Hetzreden und antisemitische Auswürfe der FPÖ-nahen Zeitschrift „Aula“ (ein Blatttitel: Abendland in Moslemhand?), welche das deutschnationale bis rechtsextreme Milieu in Österreich repräsentiert, mehr als ein halbes Jahrhundert lang zu tolerieren. So hatte die Staatsanwaltschaft Graz etwa 2015 ein Verfahren gegen die "Aula" eingestellt, mit der Begründung, es sei "nachvollziehbar", dass die 1945 befreiten Häftlinge aus dem KZ Mauthausen eine "Belästigung" für die Bevölkerung darstellten. (2) Die kritische Zivilgesellschaft revoltierte. Ein Urteil des Obersten Gerichtshofes sprach danach Recht und verurteilte die Zeitung. (3) Seit einigen Jahren versucht die Führung der FPÖ, indem sie sich von ihrem tief in der Geschichte der Partei verwurzelten Antisemitismus abgrenzt, als regierungsfähig zu erweisen. Als populistischen Ersatz dafür pflegt sie umso offensiver einen undifferenzierten Generalverdacht gegen Muslime. (4)
FriedensdemonstrantInnen, unter denen MigrantInnen/MuslimInnen ihr Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wahrnehmen, sind dieser Justiz anscheinend ein Dorn im rechten Auge. Wie wäre es sonst erklärbar, dass hier penibel ermittelt und dort systematisch weggeschaut wurde?
Wohl kein Zufall, dass sowas in Graz passiert. In Wien schritt die Exekutive bei einem genau gleichen Vorfall mit einer Ordnungsstrafe gegen Provokateure ein. (5) Graz gilt als eine Hochburg von Burschenschaften (6), deren ältere Generationen bei Ämtern und Behörden viel zu sagen haben und die sich gerne des Personalreservoirs der studentischen Verbindungen mit konservativ bis hin zu rechtsextremistischen Hintergrund bedienen.
Interessant auch, dass die Burschenschaften vom Verfassungsschutz nicht oder kaum beobachtet werden (7), hingegen der Verfassungsschutz in Zivil bei der Demonstration im Juli 2014 stark vertreten war, wie die zahlreichen Fotos und Videoaufnahmen belegen. Dass damit eine grenz- und fremdenpolizeiliche Abteilung beauftragt war, zeigt, wie sich das Recht auf Meinungsfreiheit für MigrantInnen in Österreich ins Gegenteil kehrt. Uniformierte Polizeikräfte, die die Aufgabe gehabt hätten, die Demonstration zu begleiten und vor Übergriffen zu schützen, waren nur wenige vor Ort.
Der von der Justiz betriebene Aufwand, um über vier Jahre hinweg zu dieser Verurteilung zu kommen, gibt Anlass zur Vermutung, dass es sich bei dem Prozess und seinem Vorlauf um sichtbar gewordene migrations- und islamfeindliche Voreingenommenheit handelt.
DemonstrantInnen für Frieden und Gerechtigkeit zu kriminalisieren, sie als „Mob“ zu bezeichnen, ihnen „Terrorsympathien“ zu unterstellen, ist Ausdruck genau jener israelischen Koloniallogik, die solcher Sprache Bomben folgen lässt. Graz ist nicht Gaza. Aber in diesem Gerichtssaal waren die Machtverhältnisse spiegelbildlich.
Das Urteil lautete auf fünf Monate, bedingt auf drei Jahre [drei Jahre Bewährung]. Der angeklagte palästina-solidarische Demonstrant hat Berufung eingelegt.
Um Spenden für die Rechtsanwaltskosten wird ersucht:
Spendenkonto:
Sparda Bank
Empfängername: Steirische Friedensplattform
IBAN: AT94 4300 0000 0005 2128
BIC: VBOEATWW
Zweck: Gaza Prozess
Fußnoten:
1 Steirische Friedensplattform siehe unter www.friedensplattform.at
2 https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/politik/814351_Schwere-Ruege-fuer-die-Aula.html
3 https://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/5151645/Artikel-ueber-KZHaeftlinge_OGH-entscheidet-gegen-Aula
4 Im Juni 2018, nach weiteren rassistischen Eklats, wurde „die Aula“ eingestellt und soll durch ein anderes „patriotisch und wertkonservatives“ Blatt ersetzt werden.
5 https://diepresse.com/home/panorama/wien/5363910/IsraelFahnen-entrollt_Fuer-Polizei-eine-Provokation
6 https://www.vice.com/de_at/article/wdk9qn/warum-die-stadt-graz-den-congress-an-burschenschaften-vermietet-263
7 Ebd.
Online-Flyer Nr. 666 vom 04.07.2018
Österreichische Justiz urteilt über Gaza-Demo von 2014, Fahnenverbrennung nach Provokation sei Verhetzung
Ausdruck israelischer Koloniallogik
Von Helga Suleiman (Steirische Friedensplattform)
Interessant, welchen Gesetzesinterpretationen das Justizwesen in gewissen Teilen Österreichs - hier in Graz/Steiermark, dem Süden des Landes - folgt. Da gab es im Juli 2014 eine Demonstration gegen die israelische Militäroperation „Protective Edge“, welche damals gerade einen tragischen Höhepunkt mit der Bombardierung des Gaza-Streifens und Beginn einer Bodenoffensive erreichte. 2017 hat die Staatsanwaltschaft Graz nach intensiver dreijähriger Recherche Anklage gegen einen jungen Mann ägyptischer Herkunft erhoben, wegen dreier Tatbestände: Nötigung (Wegnehmen der israelischen Fahne von den Provokateuren), Sachbeschädigung (der israelischen Fahne), und Verhetzung (die Verbrennung der Fahne sei gegen die Religionsgemeinschaft der JüdInnen gerichtet). Im Juni 2018 folgte das Urteil.
Wie kam es dazu?
Dem Aufruf zur Demo einer regionalen Friedensinitiative (1) im Juli 2014 folgten 300-500 Menschen, viele unter ihnen mit Migrationshintergrund. Die Empörung der DemonstrantInnen über die Bombardierung einer wehrlosen Zivilbevölkerung, eingeschlossen auf einem Gebiet so groß wie Wien und ohne Fluchtmöglichkeit, war spürbar. Die Demo verlief ruhig bis zu dem Zeitpunkt, als wie aus dem Nichts vier Provokateure auftauchten, die lachend, Grimassen schneidend und Beschimpfungen gegen die DemonstrantInnen ausstoßend, die israelische Fahne schwenkten. Da die - nur in kleiner Zahl anwesende - Exekutive diese Provokation nicht beendete, schritt im Auftrag des Versammlungsleiters der als Ordner eingeteilte junge Ägypter ein. Er nahm den Provokateuren die Fahne weg. Diese wurde ihm aber von anderen DemonstrantInnen entrissen und im Laufe des entstandenen Tumults angezündet. Die Demo konnte in der Folge ohne weitere Zwischenfälle fortgesetzt werden.
Provokateuren Meinungsfreiheit gewährt, DemonstrantInnen Terrorsympathie unterstellt
Die anwesende Polizei stoppte das provokative Fahnenschwenken nicht. Sie hat diese Personen nicht des Platzes verwiesen, sie nicht verfolgt und nicht ausgeforscht. Obwohl ihr Auftauchen eine unangemeldete Demonstration darstellte und ganz offensichtlich den Zweck verfolgte, die Ruhe und Ordnung zu stören.
Im Gegensatz dazu rechtfertigte der Staatsanwalt in seinem Strafantrag das Auftauchen der Provokateure mit Art. 10 MRK, dem Recht auf freie Meinungsäußerung. Dem Demonstranten hingegen unterstellte er „im Hinblick auf die HAMAS-Charta“ eine Verächtlichmachung von israelischen Staatsangehörigen und der Religionsgemeinschaft der Juden „hetzend im Sinne des § 283 Abs 2 StGB“.
Bleibt zu erwähnen, dass auf dieser Demonstration weder von der Hamas noch von sonst einer Partei die Rede war und auch keine Slogans oder Plakate vorhanden waren, die in eine solche Richtung interpretierbar gewesen wären. Bleibt zu erwähnen, dass die Demo-VeranstalterInnen bekannt sind für ein vielfältiges Friedensengagement z.B. auch im Rahmen der Sozialforumsbewegung. Sie stehen auf der entgegengesetzten Seite von Rassismus, Antisemitismus und Faschismus.
Staatsanwalt und Richter waren im Laufe der Verhandlungen jedoch geradezu zwanghaft bemüht Querverbindungen zwischen der Herkunft der DemonstrantInnen und diversen mit „Terror“ assoziierten Organisationen herzustellen. Nicht nur der Angeklagte, sondern auch Zeugen ägyptischer Herkunft wurden immer wieder befragt, ob sie Mitglieder der Muslimbrüderschaft wären. Nachdem die Muslimbrüderschaft keine gelistete Terrororganisation ist, wurde das Konstrukt aufgeworfen, dass die Hamas deren militärischer Zweig und diese ja eine Terrororganisation sei. Als Beweis für Muslimbruderschaftssympathie wurde das R4bia-Zeichen gewertet, welches einige DemoteilnehmerInnen hochgehalten hatten.
Die Argumentation von Zeugen, auch jene der Demo-OrganisatorInnen, dass dieses Zeichen symbolhaft für den arabischen Frühling stehe und gegen Willkürherrschaft und Unterdrückung weltweit eingesetzt wurde, blieb von der Justiz ungehört.
Hingegen unterstellte der Staatsanwalt einem als Zeugen geladenen Demonstranten afghanischer Herkunft Unwissenheit bezüglich der Demoausrichtung in der Art, dass er dessen Herkunft mit Uninformiertheit über den politischen Kontext der Demo assoziierte und dabei diese schon als beinahe kriminell erscheinen ließ. Damit nicht genug, warf er das Wort „Taliban“ in den Gerichtssaal, völlig zusammenhanglos und offensichtlich dazu angetan den Zeugen einzuschüchtern und den Richter zu einem entsprechenden Urteil zu ermutigen.
Entgegen allen Tatsachen: Staatsanwalt beharrt auf „islamischem Antijudaismus“
Der Angeklagte wurde in allen drei Anklagepunkten für schuldig befunden. Die Aussagen der ZeugInnen und die Argumentationen des Verteidigers blieben unberücksichtigt. Hinsichtlich des politisch besonders heiklen Tatbestands der Verhetzung hatte der Rechtsvertreter des Angeklagten überzeugend ausgeführt, dass jene Sachverhalte, die das Strafgesetz vor Verhetzung schützt, im § 283 StGB taxativ aufgezählt sind, Staaten und deren Fahnen als Symbole dort aber als Schutzgüter nicht genannt sind. Eine diesbezügliche Verurteilung habe daher keine rechtliche Grundlage. Der Richter zeigte sich kurz nachdenklich, blieb aber dann bei seinen offensichtlich vorgefassten Schuldsprüchen.
ProzessbeobachterInnen bestätigten, dass der Prozessablauf autoritär mit permanent herkunftsdiskrimierendem und islamvorurteilsvollem Unterton geführt wurde, respektlos und einschüchternd gegenüber dem Angeklagten und potentiellen EntlastungszeugInnen.
Der Schuldspruch des Richters in allen drei Anklagepunkten war das vorhersehbare Ergebnis dieses Prozesses. Der Richter argumentierte mit einem „Mob“, der in Sympathie mit der Muslimbrüderschaft, deren militärischer Arm in Gaza die Terrororganisation Hamas sei, die israelische Fahne entrissen und sachbeschädigt hätte, und dies sei zudem Verhetzung, denn, so der Staatsanwalt „wir haben ein großes Problem mit islamischem Antijudaismus“.
Steirische Justiz am rechten Auge blind?
Interessant, dass die Grazer Justiz kein Problem damit hatte Hetzreden und antisemitische Auswürfe der FPÖ-nahen Zeitschrift „Aula“ (ein Blatttitel: Abendland in Moslemhand?), welche das deutschnationale bis rechtsextreme Milieu in Österreich repräsentiert, mehr als ein halbes Jahrhundert lang zu tolerieren. So hatte die Staatsanwaltschaft Graz etwa 2015 ein Verfahren gegen die "Aula" eingestellt, mit der Begründung, es sei "nachvollziehbar", dass die 1945 befreiten Häftlinge aus dem KZ Mauthausen eine "Belästigung" für die Bevölkerung darstellten. (2) Die kritische Zivilgesellschaft revoltierte. Ein Urteil des Obersten Gerichtshofes sprach danach Recht und verurteilte die Zeitung. (3) Seit einigen Jahren versucht die Führung der FPÖ, indem sie sich von ihrem tief in der Geschichte der Partei verwurzelten Antisemitismus abgrenzt, als regierungsfähig zu erweisen. Als populistischen Ersatz dafür pflegt sie umso offensiver einen undifferenzierten Generalverdacht gegen Muslime. (4)
FriedensdemonstrantInnen, unter denen MigrantInnen/MuslimInnen ihr Recht auf Versammlungs- und Meinungsfreiheit wahrnehmen, sind dieser Justiz anscheinend ein Dorn im rechten Auge. Wie wäre es sonst erklärbar, dass hier penibel ermittelt und dort systematisch weggeschaut wurde?
Wohl kein Zufall, dass sowas in Graz passiert. In Wien schritt die Exekutive bei einem genau gleichen Vorfall mit einer Ordnungsstrafe gegen Provokateure ein. (5) Graz gilt als eine Hochburg von Burschenschaften (6), deren ältere Generationen bei Ämtern und Behörden viel zu sagen haben und die sich gerne des Personalreservoirs der studentischen Verbindungen mit konservativ bis hin zu rechtsextremistischen Hintergrund bedienen.
Interessant auch, dass die Burschenschaften vom Verfassungsschutz nicht oder kaum beobachtet werden (7), hingegen der Verfassungsschutz in Zivil bei der Demonstration im Juli 2014 stark vertreten war, wie die zahlreichen Fotos und Videoaufnahmen belegen. Dass damit eine grenz- und fremdenpolizeiliche Abteilung beauftragt war, zeigt, wie sich das Recht auf Meinungsfreiheit für MigrantInnen in Österreich ins Gegenteil kehrt. Uniformierte Polizeikräfte, die die Aufgabe gehabt hätten, die Demonstration zu begleiten und vor Übergriffen zu schützen, waren nur wenige vor Ort.
Der von der Justiz betriebene Aufwand, um über vier Jahre hinweg zu dieser Verurteilung zu kommen, gibt Anlass zur Vermutung, dass es sich bei dem Prozess und seinem Vorlauf um sichtbar gewordene migrations- und islamfeindliche Voreingenommenheit handelt.
DemonstrantInnen für Frieden und Gerechtigkeit zu kriminalisieren, sie als „Mob“ zu bezeichnen, ihnen „Terrorsympathien“ zu unterstellen, ist Ausdruck genau jener israelischen Koloniallogik, die solcher Sprache Bomben folgen lässt. Graz ist nicht Gaza. Aber in diesem Gerichtssaal waren die Machtverhältnisse spiegelbildlich.
Das Urteil lautete auf fünf Monate, bedingt auf drei Jahre [drei Jahre Bewährung]. Der angeklagte palästina-solidarische Demonstrant hat Berufung eingelegt.
Um Spenden für die Rechtsanwaltskosten wird ersucht:
Spendenkonto:
Sparda Bank
Empfängername: Steirische Friedensplattform
IBAN: AT94 4300 0000 0005 2128
BIC: VBOEATWW
Zweck: Gaza Prozess
Fußnoten:
1 Steirische Friedensplattform siehe unter www.friedensplattform.at
2 https://www.wienerzeitung.at/nachrichten/oesterreich/politik/814351_Schwere-Ruege-fuer-die-Aula.html
3 https://diepresse.com/home/politik/innenpolitik/5151645/Artikel-ueber-KZHaeftlinge_OGH-entscheidet-gegen-Aula
4 Im Juni 2018, nach weiteren rassistischen Eklats, wurde „die Aula“ eingestellt und soll durch ein anderes „patriotisch und wertkonservatives“ Blatt ersetzt werden.
5 https://diepresse.com/home/panorama/wien/5363910/IsraelFahnen-entrollt_Fuer-Polizei-eine-Provokation
6 https://www.vice.com/de_at/article/wdk9qn/warum-die-stadt-graz-den-congress-an-burschenschaften-vermietet-263
7 Ebd.
Online-Flyer Nr. 666 vom 04.07.2018