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Literatur
Aus der Buchnerscheinung "Aus gegebenem Anlass"
18 Haikus gegen Retrofaschisten
Von Rudolph Bauer
"Seit dem Ende der Aufklärung hatte die kulturelle Elite in Deutschland lange ein äußerst problematisches Verhältnis zum Politischen. Das zeigte sich nicht zuletzt in der abschätzigen Einstellung zu politischer Kunst. Dennoch gibt es im deutschen Sprachraum die Tradition engagierter Literatur, auch politischer Lyrik. Sie geht zurück auf das hohe Mittelalter, die Reformationszeit sowie auf die Arbeiter- und die Friedensbewegung. Für die Bundesrepublik lassen sich Erich Fried und Franz Josef Degenhardt nennen, für die DDR Franz Fühmann, Peter Hacks, Heiner Müller und Volker Braun. Rudolph Bauers Gedichtband ist vielfach mit dieser Tradition verbunden." Mit dieser Einschätzung definiert sich das Buch "Aus gegebenem Anlass", aus dem die "18 Haikus gegen Retrofaschisten" entnommen sind.
Haiku über die Identitären
was sie erbrechen
im rausch der identität
heißen sie meinung
Haiku von der Gesinnung
besudeln das volk
mit dem schmutz von gesinnung
mit maden von hass
Haiku gegen die Volkstümler
je mehr sie brüllen
wir sind das volk und ein volk
ist pöbel gemeint
Haiku vom blinden und vom sehenden Auge
ihre parolen
freie bahn für faschisten
bullen gegen links
Haiku gegen den Kriegskult
kriege finden sie
mannhaft heroisch und schön
hassen den frieden
Haiku von der eingebildeten Größe
zerstören im wahn
eingebildeter größe
fremde kulturen
Haiku gegen das Kreuzrittertum
den kreuzrittern gleich
im kampf gegen muslime
tragen das kreuz sie
Haiku gegen den Unverstand
sie begreifen nicht
wovor fliehende flüchten
vor hunger und krieg
Haiku gegen die Spaltung
die armen im land
hetzen sie auf gegen die
folgen des elends
Haiku gegen Ankerzentren
abgeschoben wie
juden sinti und roma
in lager gesteckt
Haiku von der Gerechtigkeit
wenn die gesellschaft
grundlegend gerecht wird wählt
niemand a.f.d.
Haiku gegen Brandstifter
wenn sie abfackeln
die fluchthäuser der fremden
fühlen sie stark sich
Europa-Haiku
europa-skeptisch
dröhnen rechte parolen
bis das land braun ist
Medien-Haiku
die lückenpresse
erzählt nicht ihre lügen
das prangern sie an
Haiku zur Kritik an den Etablierten
dem establishment
heizen sie ein mit hölzern
von selbigem baum
Haiku gegen rechte Elitäre
sie lästern über
so genannte eliten
sie zu beerben
Haiku zur falschen Meinungsfreiheit
sie fordern das recht
auf meinungsfreiheit um es
andren zu nehmen
Haiku gegen die islamophoben Retter des Abendlandes
auf das abendland
dessen schutz sie geloben
folgt finsterste nacht
Rudolph Bauer / Thomas Metscher: Aus gegebenem Anlass
Gedichte und Essay. Hamburg: Tredition 2018
Seit dem Ende der Aufklärung hatte die kulturelle Elite in Deutschland lange ein äußerst problematisches Verhältnis zum Politischen. Das zeigte sich nicht zuletzt in der abschätzigen Einstellung zu politischer Kunst. Dennoch gibt es im deutschen Sprachraum die Tradition engagierter Literatur, auch politischer Lyrik. Sie geht zurück auf das hohe Mittelalter, die Reformationszeit sowie auf die Arbeiter- und die Friedensbewegung. Für die Bundesrepublik lassen sich Erich Fried und Franz Josef Degenhardt nennen, für die DDR Franz Fühmann, Peter Hacks, Heiner Müller und Volker Braun.
Rudolph Bauers Gedichtband ist vielfach mit dieser Tradition verbunden. Bereits der Titel Aus gegebenem Anlass gibt die operative Programmatik vor. Formal und inhaltlich schließen die Gedichte an klassische Vorbilder der situationsgebundenen Dichtung an: in ihrer Prägnanz und dem packenden Zugriff des Verfahrens, der Einfachheit und Konkretion von Stil und Strophenform. „Es ist eine Einfachheit, die die Komplexität einschließt“, bemerkt Literaturwissenschaftler Thomas Metscher in einem erklärenden Essay am Schluss des Gedichtbandes.
Bauers Poesie verbindet Gegenwärtiges und Vergangenes. Treffend verweist Metscher darauf, wie ungebrochen die in den Texten zum Ausdruck gebrachte Macht der Tradition hineinwirkt in unsere Gegenwart. Dieser Gesichtspunkt berühre das Herzstück der Texte: „Immer wieder und immer neu geht es um die Gegenwart des Vergangenen: die Kontinuität von Militarismus, imperialer Gewaltpolitik und die Rolle der Ideologien in ihnen; von Kolonialismus, Faschismus, ihrer Restauration in der Bundesrepublik Deutschland.“
Es geht nicht mehr nur um das Hier und Jetzt der deutschen Gegenwart als Wiederkehr von Vergangenem. Die lyrische Bedeutung der Gedichte erschließt grenzüberschreitend Bilder und Gedanken sowohl aus dem Erfahrungsarchiv anderer Kulturen als auch des Zukünftigen. Indem die utopische Dimension aufscheint, überwindet politische Dichtung das Hier und Jetzt.
Online-Flyer Nr. 682 vom 14.11.2018
Aus der Buchnerscheinung "Aus gegebenem Anlass"
18 Haikus gegen Retrofaschisten
Von Rudolph Bauer
"Seit dem Ende der Aufklärung hatte die kulturelle Elite in Deutschland lange ein äußerst problematisches Verhältnis zum Politischen. Das zeigte sich nicht zuletzt in der abschätzigen Einstellung zu politischer Kunst. Dennoch gibt es im deutschen Sprachraum die Tradition engagierter Literatur, auch politischer Lyrik. Sie geht zurück auf das hohe Mittelalter, die Reformationszeit sowie auf die Arbeiter- und die Friedensbewegung. Für die Bundesrepublik lassen sich Erich Fried und Franz Josef Degenhardt nennen, für die DDR Franz Fühmann, Peter Hacks, Heiner Müller und Volker Braun. Rudolph Bauers Gedichtband ist vielfach mit dieser Tradition verbunden." Mit dieser Einschätzung definiert sich das Buch "Aus gegebenem Anlass", aus dem die "18 Haikus gegen Retrofaschisten" entnommen sind.
Haiku über die Identitären
was sie erbrechen
im rausch der identität
heißen sie meinung
Haiku von der Gesinnung
besudeln das volk
mit dem schmutz von gesinnung
mit maden von hass
Haiku gegen die Volkstümler
je mehr sie brüllen
wir sind das volk und ein volk
ist pöbel gemeint
Haiku vom blinden und vom sehenden Auge
ihre parolen
freie bahn für faschisten
bullen gegen links
Haiku gegen den Kriegskult
kriege finden sie
mannhaft heroisch und schön
hassen den frieden
Haiku von der eingebildeten Größe
zerstören im wahn
eingebildeter größe
fremde kulturen
Haiku gegen das Kreuzrittertum
den kreuzrittern gleich
im kampf gegen muslime
tragen das kreuz sie
Haiku gegen den Unverstand
sie begreifen nicht
wovor fliehende flüchten
vor hunger und krieg
Haiku gegen die Spaltung
die armen im land
hetzen sie auf gegen die
folgen des elends
Haiku gegen Ankerzentren
abgeschoben wie
juden sinti und roma
in lager gesteckt
Haiku von der Gerechtigkeit
wenn die gesellschaft
grundlegend gerecht wird wählt
niemand a.f.d.
Haiku gegen Brandstifter
wenn sie abfackeln
die fluchthäuser der fremden
fühlen sie stark sich
Europa-Haiku
europa-skeptisch
dröhnen rechte parolen
bis das land braun ist
Medien-Haiku
die lückenpresse
erzählt nicht ihre lügen
das prangern sie an
Haiku zur Kritik an den Etablierten
dem establishment
heizen sie ein mit hölzern
von selbigem baum
Haiku gegen rechte Elitäre
sie lästern über
so genannte eliten
sie zu beerben
Haiku zur falschen Meinungsfreiheit
sie fordern das recht
auf meinungsfreiheit um es
andren zu nehmen
Haiku gegen die islamophoben Retter des Abendlandes
auf das abendland
dessen schutz sie geloben
folgt finsterste nacht
Rudolph Bauer / Thomas Metscher: Aus gegebenem Anlass
Gedichte und Essay. Hamburg: Tredition 2018
Seit dem Ende der Aufklärung hatte die kulturelle Elite in Deutschland lange ein äußerst problematisches Verhältnis zum Politischen. Das zeigte sich nicht zuletzt in der abschätzigen Einstellung zu politischer Kunst. Dennoch gibt es im deutschen Sprachraum die Tradition engagierter Literatur, auch politischer Lyrik. Sie geht zurück auf das hohe Mittelalter, die Reformationszeit sowie auf die Arbeiter- und die Friedensbewegung. Für die Bundesrepublik lassen sich Erich Fried und Franz Josef Degenhardt nennen, für die DDR Franz Fühmann, Peter Hacks, Heiner Müller und Volker Braun.
Rudolph Bauers Gedichtband ist vielfach mit dieser Tradition verbunden. Bereits der Titel Aus gegebenem Anlass gibt die operative Programmatik vor. Formal und inhaltlich schließen die Gedichte an klassische Vorbilder der situationsgebundenen Dichtung an: in ihrer Prägnanz und dem packenden Zugriff des Verfahrens, der Einfachheit und Konkretion von Stil und Strophenform. „Es ist eine Einfachheit, die die Komplexität einschließt“, bemerkt Literaturwissenschaftler Thomas Metscher in einem erklärenden Essay am Schluss des Gedichtbandes.
Bauers Poesie verbindet Gegenwärtiges und Vergangenes. Treffend verweist Metscher darauf, wie ungebrochen die in den Texten zum Ausdruck gebrachte Macht der Tradition hineinwirkt in unsere Gegenwart. Dieser Gesichtspunkt berühre das Herzstück der Texte: „Immer wieder und immer neu geht es um die Gegenwart des Vergangenen: die Kontinuität von Militarismus, imperialer Gewaltpolitik und die Rolle der Ideologien in ihnen; von Kolonialismus, Faschismus, ihrer Restauration in der Bundesrepublik Deutschland.“
Es geht nicht mehr nur um das Hier und Jetzt der deutschen Gegenwart als Wiederkehr von Vergangenem. Die lyrische Bedeutung der Gedichte erschließt grenzüberschreitend Bilder und Gedanken sowohl aus dem Erfahrungsarchiv anderer Kulturen als auch des Zukünftigen. Indem die utopische Dimension aufscheint, überwindet politische Dichtung das Hier und Jetzt.
Online-Flyer Nr. 682 vom 14.11.2018