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Kultur und Wissen
Eine ungebührliche Verbindung?
Ludwig Schneller, der Kaiser und die Nationalsozialisten
Von Udo W. Hombach
In diesem Artikel knüpft Udo W. Hombach an seinen Artikel „Das Syrische Waisenhaus in der Zeit des Nationalsozialismus – Lohnt sich weitere Aufklärung?“ an, erschienen in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ am 24.10.2018. Schon dort spannt er den Bogen weiter als nur über die zwölf Jahre 1933 bis 1945, denn er vermutet ideologische Zusammenhänge mit den Zeiten davor und danach. Ist es zu weit hergeholt, bei den im Titel Genannten an Querverbindungen zu denken? Bestimmte Beobachtungen geben Anlass, diese Frage zu verneinen.
Bild: Embleme der „Deutschen Christen“ (Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Autors; siehe Quelle 1, S. 90)
Hier vorweg eine Korrektur zu dem im obigen Artikel erwähnten Auskunftsbogen (für die Reichsschriftumskammer im Februar 1941)(2). Schneller nannte sich nicht gottgläubig, sondern evangelisch, aber mit dem Zusatz „arisch“; denn es wurde neben der Konfession auch nach der Rassezugehörigkeit gefragt. Es spricht für Schneller, dass er Anführungszeichen benutzt hat.
In Köln-Marienburg, dem Stadtteil, in dem Ludwig Schneller wohnte, steht die evangelische Reformationskirche. Ihre Gemeinde war im 3. Reich recht NS- treu. Natürlich gab es Auseinandersetzungen zwischen „Deutschen Christen“ und der „Bekennenden Kirche“. Wie schwer für deren Anhänger die Prüfung ihres Gewissens gewesen sein muss, ergibt sich, wenn man liest: „Die evangelische Kirche steht auf dem reformatorischen Grundsatz, dass auch weltliche Ordnungen von Gott sind“ (3, S.X). Das geht auf Martin Luther zurück.
Exkurs in die Gegenwart: Heutzutage wird in deutschen Städten wieder ein Glaubenskrieg ausgefochten. Auch Kölner Kirchenmänner zeigen sich recht skrupelhaft, wenn es um die Nakba-Ausstellung geht, welche die Entstehung des Staates Israel aus der Sicht der arabischen Bevölkerung Palästinas dokumentiert. Im Sinne jüdischer Lobbygruppen und im Gehorsam gegenüber der deutschen Staatsräson hinsichtlich des jüdischen Staates wird die Präsentation der Ausstellung möglichst verhindert. Das ist erst kürzlich wieder geschehen, durch den Superintendenten gegenüber der Lutherkirche in der Südstadt. Ende Exkurs
Der Pfarrer Heinrich Driessler in Marienburg stand den Nationalsozialisten besonders nahe. 1950 wurde er zum Ehrenritter des Johanniter-Ordens berufen. Später wurde er versetzt. Über seine Amtseinführung 1956 in Seelscheid (südöstlich von Köln) berichtet der „Seelscheider Bote“: „Die Gemeinde war nicht wenig stolz, dass ihr Pfarrer zu seiner Amtseinführung den großen Stern des Johanniter-Ordens trug.“ Der im 19 Jh. vom Preußenkönig neubelebte, diesmal evangelische, Johanniter-Orden war maßgeblich daran beteiligt, den Protestantismus in Palästina zu etablieren. Die Auguste Victoria-Stiftung mit der Himmelfahrtkirche auf dem Ölberg in Ostjerusalem, 1910 bis 1913 entstanden, wurde auch schonmal Johanniter-Burg genannt. Sie ähnelt der Kaiserpfalz in Goslar, gemahnt im Inneren aber auch an die ottonische Michaelskirche in Hildesheim. Ernst Frhr. von Mirbach, des Kaiserpaars Adlatus, war Johanniter, der Kaiser selbst auch. 1898 in Jerusalem trug Wilhelm II. das entsprechende Ornat. In diesem Habit sind er und seine Frau Auguste Victoria im Innenhof der Ölberg- Stiftung als manns- bzw. frauhohe Statuen dargestellt: er martialisch mit Schwert und Schild, sie als Kirchenstifterin mit dem Modell des Gebäudes in der Hand.
Die Neffen von Ludwig Schneller, Ernst und Hermann, waren NS- Protagonisten in Palästina. Sie spielten eine wichtige Rolle auch auf dem Ölberg. „Das Deutschtum im Ausland wird … für die nationale Zugehörigkeit bewahrt in erster Linie durch die Arbeit der Kirche“ (3, S.44). Der Schriftsteller Ludwig Schneller „ist zweifellos im Ausland ein Repräsentant des Deutschtums“ (2). Tatsächlich wurde die Ölberg-Stiftung öfters nicht nur kirchlich und karitativ genutzt, sondern gar auch militärisch. Im 1. Weltkrieg saß hier zunächst der türkische Befehlshaber Djemal Pascha. Ab Dezember 1917 lag hier das Hauptquartier der britischen Militärregierung. In der Mandatszeit residierte der britische Hochkommissar auf dem Ölberg. 1922 wurde in dem Gebäude der neue Staat Jordanien ausgerufen. Bis zum Sechstagekrieg 1967 waren Ostjerusalem mit der Altstadt und das Westjordanland Bestandteile von Jordanien.
Ludwig Schneller blieb Zeit seines Lebens ein glühender Anhänger der Monarchie. Er hatte schon vor 1900 Kontakt zum deutschen Kaiserhaus. 1898 begleitete er das Kaiserpaar auf seiner großen Palästina- Reise. Er verfasste einen Bericht darüber, „Kaiserfahrt durchs heilige Land“, der in zwei Jahren zehn Auflagen erlebte. Nach dem Brand im Syrischen Waisenhaus trug das Kaiserhaus 1911 erhebliche Spendensummen zum Wiederaufbau bei. Nach 1918 wurde Ludwig Schneller „Hofprediger S. M. des Kaisers“ in dessen Exil. Zwei Predigten in Haus Doorn sind überliefert, und zwar die zum 74. und 75. Geburtstag „Seiner Majestät des Kaisers“. 1934 mit dem Titel „Dennoch“, 1935 über Römer 1,16 (4, S. 52 und 54). Auch etliche andere Predigten von Ludwig Schneller sind erhalten. Der 1. Weltkrieg schien ihn geistlich besonders inspiriert zu haben. Acht „Kriegs-“ bzw. „Gemeinde- und Soldaten-Predigten“, 1914 bis 1916, sind überliefert.
Wilhelm II. entwickelte sich nach dem Tod seiner Frau Auguste Victoria zum offenen Judenhasser; ein Philosemit war er auch vorher schon nicht gewesen. Er begrüßte den in Italien aufkommenden Faschismus. Er wünschte sich mit Hilfe von Hindenburg eine ähnliche Entwicklung in Deutschland – mit ihm als Rückkehrer. Seine zweite Frau Hermine, ebenfalls blaublütig, arbeitete offen mit den Nationalsozialisten zusammen. Ziel war die Restitution der Monarchie. 1929 traf sie beim Parteitag der NSDAP in Nürnberg Adolf Hitler. Die Zielgruppen ihrer Kontakte waren auch der Stahlhelm (der Verband der Frontsoldaten) sowie Bankiers und Industrielle.
Auch der Kronprinz wird in dieser Zeit in Deutschland aktiv, auch im Stahlhelm. Er geht in die SA und führt mit Hitler zusammen Wahlkampf. Er macht die Nazis hoffähig. 1932 will er Reichspräsident werden, Hitler will er als Kanzler. Dem stimmt sein Vater nur zu, wenn er selbst zurückkehren könne. Seinen Sohn mochte er nicht. 1933 verfasst Ludwig Schneller seine Schrift „Holt doch den Kaiser wieder!“. In dieser Schrift glorifiziert er den Kaiser als Person, verklärt dessen Politik in einem märchenhaften Ausmaß als gut und gerecht und erhöht ihn zu einem am 1. Weltkrieg unschuldigen Friedensengel. Die Nazis sollten das trojanische Pferd zur erneuten Inthronisierung des Kaisers spielen. Der Kronprinz will Regent von Hitlers Gnaden werden; der Vater aber auch. Hitler weist beide ab. Ende 1933 braucht er die Monarchie nicht mehr.
Den 2. Weltkrieg begrüßte Wilhelm II. als Fortsetzung des ersten. Er hätte nach England emigrieren können. Doch wartete er lieber den Einmarsch der deutschen Truppen in die Niederlande ab und ließ sich von ihnen in Schutzhaft nehmen. Er bejubelte den Sieg über Frankreich. Eine letzte Freude in seinem Leben war die Nachricht von der deutschen Eroberung Kretas.
Ludwig Schneller begleitete den Ex- Kaiser in großer Treue bis zu dessen Tod im Juni 1941 pastoral.
Der pensionierte Kölner Pfarrer Klaus Schmidt und Autor eines Buchs über die Geschichte des evangelischen Köln (1) erfuhr erst nach dessen Drucklegung durch mich von Ludwig Schnellers Leben und Wirken. Schneller stand wohl nicht im Vordergrund des Kölner evangelischen Gedächtnisses. Gänzlich aus der Erinnerung verschwunden ist er aber doch nicht. Als es vor einigen Jahren um ein Denkmal für ihn ging, polterte ein Kölner Kirchenmann (sein Name sollte nicht genannt werden) im Haus der Evangelischen Kirche an der Kartäusergasse aufgebracht über Schneller in Verbindung mit dem Nationalsozialismus.
Wie eng dieser dem Kaiser antisemitisch nahestand, ergibt sich aus seiner Schrift „Die Lösung der Judenfrage“, Nürnberg 1924. Hier eine Zusammenfassung: Ludwig Schneller verbindet die völkische Ablehnung der Juden mit einem biblisch-theologisch begründeten Anti- Judaismus. Die Juden seien vom Beginn ihrer Geschichte an ein Volk gewesen, das von keinem anderen gemocht wurde. Wo sie sich auch niederließen, verdrängten sie Andere, es sei denn, sie wurden von mächtigeren Völkern gewaltsam ins Exil geführt. Integrierbar seien sie nirgendwo und nimmermehr. Ihr Hauptbestreben sei es, Geld und Profit zu machen, und zwar auf Kosten der nicht- jüdischen Bevölkerung. Die Juden müssten mit der Schuld leben, den Messias getötet zu haben. Erst wenn sie dafür Reue zeigten, Buße tun und Abbitte leisten würden, könnten sie Erlösung finden. Das sei dann endlich und endgültig die Lösung der Judenfrage. In seiner Schrift "Wie der Kirchenstreit entstand" von 1935 wendet Ludwig Schneller sich zwar gegen "die Anwendung des Arier-Paragraphen auf die evangelische Kirche", schreibt dann aber: "von seiner politischen Seite [des Arier-Paragraphen] sprechen wir hier nicht; der vorherrschende jüdische Einfluss musste gebrochen werden."
Das Schloss in Posen, das Wilhelm II. 1910 bis 1913 hatte errichten lassen, zeitgleich mit der Auguste Victoria-Stiftung in Jerusalem in dem ihr ähnlichen historistischen Stil, wurde von Hitler mit großer Verve umgebaut. Es sollte seine osteuropäische Residenz nach einem Sieg im Krieg werden – und die vom Kaiser opulent mosaizierte oktogonale Palastkapelle sein Amtszimmer (aber ohne ihren Mosaikschmuck mit dem Christus Pantokrator).
„Heil Dir im Siegerkranz“ und „Heil Hitler“: Beide Wünsche brachten eher Unheil.
Je mehr man sucht, umso uneinheitlicher wird das Bild von Ludwig Schneller und seinen Neffen. Horst Kannemann zitiert Dominique Trimbur: Das Schneller´sche Waisenhaus … spiegelte … im kleinerem Maße die Heimat und ihre politische Entwicklung wider. „Eng mit dem kaiserlichen Deutschland verbunden, fanden sich die Schnellers mit der Errichtung der Weimarer Republik nur ungern ab. Sie lehnten den Sozialismus stark ab, welcher besonders von den Erziehern verbreitet wurde, die sie im Zuge ihres Erfolgs einstellen mussten. Aus Realismus, aber auch aus politischer Überzeugung, handelten die Schnellers 1933 so wie die meisten Palästina-Deutschen, indem sie der NSDAP-AO beitraten. Ihre Vorliebe für ein traditionelles Deutschland hielt sie jedoch nicht davon ab, sich zu einem toleranten Protestantismus zu bekennen: Im deutschen Kirchenkampf erkannten sie sich in der Bekennenden Kirche wieder“ (5). Der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten formuliert 1941 in einem Schreiben an die Reichsschrifttumskammer: Ludwig Schneller „ist Anhänger der Bekennenden Kirche“ (2).
Fazit: Es gibt also widersprüchliche Aussagen. Umso mehr scheint eine systematische Aufarbeitung immer noch sinnvoll zu sein.
Quellen:
1) Klaus Schmidt: Aufstieg einer Minderheit – 500 Jahre Protestanten in Köln. Berlin/ Münster 2016
2) Bundesarchiv, Akte Ludwig Schneller, R9361/10911 (mit freundlicher Genehmigung)
3) Otto Dibelius: Die evangelische Kirche. Bielefeld und Leipzig 1931
4) Jakob Eisler / Arno G. Krauß: Bibliografie der Familie Schneller. Stuttgart 2006
5) http://www.horstkannemann.de/schneller.html#trimbur
6) Über Kaiser Wilhelm II. pfeifen im Herbst 2018 die Spatzen auf den Dächern öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten.
Siehe auch:
Eine unerwünschte Recherche
Ein Denkmal für Ludwig Schneller in Köln?
Von Udo W. Hombach
NRhZ 560 vom 04.05.2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22765
Erzählt mir doch keine Märchen! – eine Schneller-Saga aus der Voreifel
Heimelig hinter Schloss und Riegel
Von Udo W. Hombach
NRhZ 567 vom 22.06.2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22898
Zu Geografie und Geschichte des Schneller-Projekts
Nördlich der Mainlinie liegt nur noch Berlin
Von Udo W. Hombach
NRhZ 575 vom 17.08.2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=23053
Köln – Jerusalem:
Das Syrische Waisenhaus in der Zeit des Nationalsozialismus – Lohnt sich weitere Aufklärung?
Von Udo W. Hombach
NRhZ 679 vom 24.10.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25328
Online-Flyer Nr. 682 vom 14.11.2018
Eine ungebührliche Verbindung?
Ludwig Schneller, der Kaiser und die Nationalsozialisten
Von Udo W. Hombach
In diesem Artikel knüpft Udo W. Hombach an seinen Artikel „Das Syrische Waisenhaus in der Zeit des Nationalsozialismus – Lohnt sich weitere Aufklärung?“ an, erschienen in der „Neuen Rheinischen Zeitung“ am 24.10.2018. Schon dort spannt er den Bogen weiter als nur über die zwölf Jahre 1933 bis 1945, denn er vermutet ideologische Zusammenhänge mit den Zeiten davor und danach. Ist es zu weit hergeholt, bei den im Titel Genannten an Querverbindungen zu denken? Bestimmte Beobachtungen geben Anlass, diese Frage zu verneinen.
Bild: Embleme der „Deutschen Christen“ (Abbildung mit freundlicher Genehmigung des Autors; siehe Quelle 1, S. 90)
Hier vorweg eine Korrektur zu dem im obigen Artikel erwähnten Auskunftsbogen (für die Reichsschriftumskammer im Februar 1941)(2). Schneller nannte sich nicht gottgläubig, sondern evangelisch, aber mit dem Zusatz „arisch“; denn es wurde neben der Konfession auch nach der Rassezugehörigkeit gefragt. Es spricht für Schneller, dass er Anführungszeichen benutzt hat.
In Köln-Marienburg, dem Stadtteil, in dem Ludwig Schneller wohnte, steht die evangelische Reformationskirche. Ihre Gemeinde war im 3. Reich recht NS- treu. Natürlich gab es Auseinandersetzungen zwischen „Deutschen Christen“ und der „Bekennenden Kirche“. Wie schwer für deren Anhänger die Prüfung ihres Gewissens gewesen sein muss, ergibt sich, wenn man liest: „Die evangelische Kirche steht auf dem reformatorischen Grundsatz, dass auch weltliche Ordnungen von Gott sind“ (3, S.X). Das geht auf Martin Luther zurück.
Exkurs in die Gegenwart: Heutzutage wird in deutschen Städten wieder ein Glaubenskrieg ausgefochten. Auch Kölner Kirchenmänner zeigen sich recht skrupelhaft, wenn es um die Nakba-Ausstellung geht, welche die Entstehung des Staates Israel aus der Sicht der arabischen Bevölkerung Palästinas dokumentiert. Im Sinne jüdischer Lobbygruppen und im Gehorsam gegenüber der deutschen Staatsräson hinsichtlich des jüdischen Staates wird die Präsentation der Ausstellung möglichst verhindert. Das ist erst kürzlich wieder geschehen, durch den Superintendenten gegenüber der Lutherkirche in der Südstadt. Ende Exkurs
Der Pfarrer Heinrich Driessler in Marienburg stand den Nationalsozialisten besonders nahe. 1950 wurde er zum Ehrenritter des Johanniter-Ordens berufen. Später wurde er versetzt. Über seine Amtseinführung 1956 in Seelscheid (südöstlich von Köln) berichtet der „Seelscheider Bote“: „Die Gemeinde war nicht wenig stolz, dass ihr Pfarrer zu seiner Amtseinführung den großen Stern des Johanniter-Ordens trug.“ Der im 19 Jh. vom Preußenkönig neubelebte, diesmal evangelische, Johanniter-Orden war maßgeblich daran beteiligt, den Protestantismus in Palästina zu etablieren. Die Auguste Victoria-Stiftung mit der Himmelfahrtkirche auf dem Ölberg in Ostjerusalem, 1910 bis 1913 entstanden, wurde auch schonmal Johanniter-Burg genannt. Sie ähnelt der Kaiserpfalz in Goslar, gemahnt im Inneren aber auch an die ottonische Michaelskirche in Hildesheim. Ernst Frhr. von Mirbach, des Kaiserpaars Adlatus, war Johanniter, der Kaiser selbst auch. 1898 in Jerusalem trug Wilhelm II. das entsprechende Ornat. In diesem Habit sind er und seine Frau Auguste Victoria im Innenhof der Ölberg- Stiftung als manns- bzw. frauhohe Statuen dargestellt: er martialisch mit Schwert und Schild, sie als Kirchenstifterin mit dem Modell des Gebäudes in der Hand.
Die Neffen von Ludwig Schneller, Ernst und Hermann, waren NS- Protagonisten in Palästina. Sie spielten eine wichtige Rolle auch auf dem Ölberg. „Das Deutschtum im Ausland wird … für die nationale Zugehörigkeit bewahrt in erster Linie durch die Arbeit der Kirche“ (3, S.44). Der Schriftsteller Ludwig Schneller „ist zweifellos im Ausland ein Repräsentant des Deutschtums“ (2). Tatsächlich wurde die Ölberg-Stiftung öfters nicht nur kirchlich und karitativ genutzt, sondern gar auch militärisch. Im 1. Weltkrieg saß hier zunächst der türkische Befehlshaber Djemal Pascha. Ab Dezember 1917 lag hier das Hauptquartier der britischen Militärregierung. In der Mandatszeit residierte der britische Hochkommissar auf dem Ölberg. 1922 wurde in dem Gebäude der neue Staat Jordanien ausgerufen. Bis zum Sechstagekrieg 1967 waren Ostjerusalem mit der Altstadt und das Westjordanland Bestandteile von Jordanien.
Ludwig Schneller blieb Zeit seines Lebens ein glühender Anhänger der Monarchie. Er hatte schon vor 1900 Kontakt zum deutschen Kaiserhaus. 1898 begleitete er das Kaiserpaar auf seiner großen Palästina- Reise. Er verfasste einen Bericht darüber, „Kaiserfahrt durchs heilige Land“, der in zwei Jahren zehn Auflagen erlebte. Nach dem Brand im Syrischen Waisenhaus trug das Kaiserhaus 1911 erhebliche Spendensummen zum Wiederaufbau bei. Nach 1918 wurde Ludwig Schneller „Hofprediger S. M. des Kaisers“ in dessen Exil. Zwei Predigten in Haus Doorn sind überliefert, und zwar die zum 74. und 75. Geburtstag „Seiner Majestät des Kaisers“. 1934 mit dem Titel „Dennoch“, 1935 über Römer 1,16 (4, S. 52 und 54). Auch etliche andere Predigten von Ludwig Schneller sind erhalten. Der 1. Weltkrieg schien ihn geistlich besonders inspiriert zu haben. Acht „Kriegs-“ bzw. „Gemeinde- und Soldaten-Predigten“, 1914 bis 1916, sind überliefert.
Wilhelm II. entwickelte sich nach dem Tod seiner Frau Auguste Victoria zum offenen Judenhasser; ein Philosemit war er auch vorher schon nicht gewesen. Er begrüßte den in Italien aufkommenden Faschismus. Er wünschte sich mit Hilfe von Hindenburg eine ähnliche Entwicklung in Deutschland – mit ihm als Rückkehrer. Seine zweite Frau Hermine, ebenfalls blaublütig, arbeitete offen mit den Nationalsozialisten zusammen. Ziel war die Restitution der Monarchie. 1929 traf sie beim Parteitag der NSDAP in Nürnberg Adolf Hitler. Die Zielgruppen ihrer Kontakte waren auch der Stahlhelm (der Verband der Frontsoldaten) sowie Bankiers und Industrielle.
Auch der Kronprinz wird in dieser Zeit in Deutschland aktiv, auch im Stahlhelm. Er geht in die SA und führt mit Hitler zusammen Wahlkampf. Er macht die Nazis hoffähig. 1932 will er Reichspräsident werden, Hitler will er als Kanzler. Dem stimmt sein Vater nur zu, wenn er selbst zurückkehren könne. Seinen Sohn mochte er nicht. 1933 verfasst Ludwig Schneller seine Schrift „Holt doch den Kaiser wieder!“. In dieser Schrift glorifiziert er den Kaiser als Person, verklärt dessen Politik in einem märchenhaften Ausmaß als gut und gerecht und erhöht ihn zu einem am 1. Weltkrieg unschuldigen Friedensengel. Die Nazis sollten das trojanische Pferd zur erneuten Inthronisierung des Kaisers spielen. Der Kronprinz will Regent von Hitlers Gnaden werden; der Vater aber auch. Hitler weist beide ab. Ende 1933 braucht er die Monarchie nicht mehr.
Den 2. Weltkrieg begrüßte Wilhelm II. als Fortsetzung des ersten. Er hätte nach England emigrieren können. Doch wartete er lieber den Einmarsch der deutschen Truppen in die Niederlande ab und ließ sich von ihnen in Schutzhaft nehmen. Er bejubelte den Sieg über Frankreich. Eine letzte Freude in seinem Leben war die Nachricht von der deutschen Eroberung Kretas.
Ludwig Schneller begleitete den Ex- Kaiser in großer Treue bis zu dessen Tod im Juni 1941 pastoral.
Der pensionierte Kölner Pfarrer Klaus Schmidt und Autor eines Buchs über die Geschichte des evangelischen Köln (1) erfuhr erst nach dessen Drucklegung durch mich von Ludwig Schnellers Leben und Wirken. Schneller stand wohl nicht im Vordergrund des Kölner evangelischen Gedächtnisses. Gänzlich aus der Erinnerung verschwunden ist er aber doch nicht. Als es vor einigen Jahren um ein Denkmal für ihn ging, polterte ein Kölner Kirchenmann (sein Name sollte nicht genannt werden) im Haus der Evangelischen Kirche an der Kartäusergasse aufgebracht über Schneller in Verbindung mit dem Nationalsozialismus.
Wie eng dieser dem Kaiser antisemitisch nahestand, ergibt sich aus seiner Schrift „Die Lösung der Judenfrage“, Nürnberg 1924. Hier eine Zusammenfassung: Ludwig Schneller verbindet die völkische Ablehnung der Juden mit einem biblisch-theologisch begründeten Anti- Judaismus. Die Juden seien vom Beginn ihrer Geschichte an ein Volk gewesen, das von keinem anderen gemocht wurde. Wo sie sich auch niederließen, verdrängten sie Andere, es sei denn, sie wurden von mächtigeren Völkern gewaltsam ins Exil geführt. Integrierbar seien sie nirgendwo und nimmermehr. Ihr Hauptbestreben sei es, Geld und Profit zu machen, und zwar auf Kosten der nicht- jüdischen Bevölkerung. Die Juden müssten mit der Schuld leben, den Messias getötet zu haben. Erst wenn sie dafür Reue zeigten, Buße tun und Abbitte leisten würden, könnten sie Erlösung finden. Das sei dann endlich und endgültig die Lösung der Judenfrage. In seiner Schrift "Wie der Kirchenstreit entstand" von 1935 wendet Ludwig Schneller sich zwar gegen "die Anwendung des Arier-Paragraphen auf die evangelische Kirche", schreibt dann aber: "von seiner politischen Seite [des Arier-Paragraphen] sprechen wir hier nicht; der vorherrschende jüdische Einfluss musste gebrochen werden."
Das Schloss in Posen, das Wilhelm II. 1910 bis 1913 hatte errichten lassen, zeitgleich mit der Auguste Victoria-Stiftung in Jerusalem in dem ihr ähnlichen historistischen Stil, wurde von Hitler mit großer Verve umgebaut. Es sollte seine osteuropäische Residenz nach einem Sieg im Krieg werden – und die vom Kaiser opulent mosaizierte oktogonale Palastkapelle sein Amtszimmer (aber ohne ihren Mosaikschmuck mit dem Christus Pantokrator).
„Heil Dir im Siegerkranz“ und „Heil Hitler“: Beide Wünsche brachten eher Unheil.
Je mehr man sucht, umso uneinheitlicher wird das Bild von Ludwig Schneller und seinen Neffen. Horst Kannemann zitiert Dominique Trimbur: Das Schneller´sche Waisenhaus … spiegelte … im kleinerem Maße die Heimat und ihre politische Entwicklung wider. „Eng mit dem kaiserlichen Deutschland verbunden, fanden sich die Schnellers mit der Errichtung der Weimarer Republik nur ungern ab. Sie lehnten den Sozialismus stark ab, welcher besonders von den Erziehern verbreitet wurde, die sie im Zuge ihres Erfolgs einstellen mussten. Aus Realismus, aber auch aus politischer Überzeugung, handelten die Schnellers 1933 so wie die meisten Palästina-Deutschen, indem sie der NSDAP-AO beitraten. Ihre Vorliebe für ein traditionelles Deutschland hielt sie jedoch nicht davon ab, sich zu einem toleranten Protestantismus zu bekennen: Im deutschen Kirchenkampf erkannten sie sich in der Bekennenden Kirche wieder“ (5). Der Reichsminister für die kirchlichen Angelegenheiten formuliert 1941 in einem Schreiben an die Reichsschrifttumskammer: Ludwig Schneller „ist Anhänger der Bekennenden Kirche“ (2).
Fazit: Es gibt also widersprüchliche Aussagen. Umso mehr scheint eine systematische Aufarbeitung immer noch sinnvoll zu sein.
Quellen:
1) Klaus Schmidt: Aufstieg einer Minderheit – 500 Jahre Protestanten in Köln. Berlin/ Münster 2016
2) Bundesarchiv, Akte Ludwig Schneller, R9361/10911 (mit freundlicher Genehmigung)
3) Otto Dibelius: Die evangelische Kirche. Bielefeld und Leipzig 1931
4) Jakob Eisler / Arno G. Krauß: Bibliografie der Familie Schneller. Stuttgart 2006
5) http://www.horstkannemann.de/schneller.html#trimbur
6) Über Kaiser Wilhelm II. pfeifen im Herbst 2018 die Spatzen auf den Dächern öffentlich-rechtlicher Fernsehanstalten.
Siehe auch:
Eine unerwünschte Recherche
Ein Denkmal für Ludwig Schneller in Köln?
Von Udo W. Hombach
NRhZ 560 vom 04.05.2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22765
Erzählt mir doch keine Märchen! – eine Schneller-Saga aus der Voreifel
Heimelig hinter Schloss und Riegel
Von Udo W. Hombach
NRhZ 567 vom 22.06.2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22898
Zu Geografie und Geschichte des Schneller-Projekts
Nördlich der Mainlinie liegt nur noch Berlin
Von Udo W. Hombach
NRhZ 575 vom 17.08.2016
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=23053
Köln – Jerusalem:
Das Syrische Waisenhaus in der Zeit des Nationalsozialismus – Lohnt sich weitere Aufklärung?
Von Udo W. Hombach
NRhZ 679 vom 24.10.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25328
Online-Flyer Nr. 682 vom 14.11.2018