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Kultur und Wissen
Brauweiler – Bad Homburg:
Die wundersamen Wege der Wandersäulen
Von Udo W. Hombach
Über den letzten deutschen Kaiser, seinen Abschied von der Regentschaft sowie über den Ersten Weltkrieg und die Entwicklung Deutschlands danach pfiffen im Herbst 2018 die Spatzen von den Dächern der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Nicht erwähnt wurde, dass Wilhelm II. dreißig Jahre lang auch stets emsig daran gearbeitet hatte, weltliche und vor allem kirchliche Bauten zu errichten oder zu restaurieren – einige besonders pompös und prunkvoll und stets als Denkmäler ihm zu Ehren. Das geschah nicht nur in Deutschland, sondern auch in Metz, Strassburg, Madrid, Rom, Bethlehem, Jerusalem und sogar im fernöstlichen Tsingtau. (Heute noch heiraten chinesische Paare gerne in der dortigen wilhelminisch-neoromanischen Kirche.) Bei den Restaurierungen, die vom preußischen Berlin ausgingen, war „Werktreue“ nicht das vorherrschende Prinzip. Deshalb ähneln die romanischen Kölner Kirchen eher ihren neoromanisch historistischen Nachfolgern als ihrer ursprünglichen mittelalterlichen Erscheinung. Der folgende Artikel berichtet von einem baulichen Objekt, in dem historische und historistische Elemente miteinander verschmolzen wurden, und zwar unter den besonderen Fittichen des Kaisers.
Bild 1 - Berlin: Wo bitte, geht’s zum Sieg?
Eigentlich ist es die Aufgabe von Säulen, tragende Stützen in Bauwerken zu sein – es sei denn, sie sind von vornherein allein stehend, wie etwa die Siegessäule mit der „Goldelse“ in Berlin. Manche Säulen sind aber auch nicht tragend; dann dienen sie der Dekoration und Strukturierung von Wänden und Räumen. Viele Säulen bleiben über lange Zeiträume hinweg stehen, auch wenn ihnen das Dach oder das Mauerwerk abhanden gekommen ist. Oder aber, der IS sprengt sie nach Jahrtausenden der Standhaftigkeit weg.
Säulen können aber auch ein bewegtes Leben erfahren. Denn nicht immer verbleiben sie an dem Ort, an dem sie aufgestellt wurden. Sie werden einem Gebäude entnommen, um anderenorts in einem anderen Gebäude wieder eingesetzt zu werden. Dabei geht es weniger um materielle Ersparnis. Diese „Spolien“ tragen die Symbolkraft ihrer ursprünglichen Herkunft in sich. Die Säulen des Aachener Oktogons, jedenfalls die nicht tragenden, können eine solch bewegte Lebensgeschichte erzählen. Ursprünglich aus Italien herbeigetragen, wurden sie von Napoleon nach Paris entführt, kehrten jedoch später wieder nach Aachen zurück.
Eine weitaus größere Irrfahrt von Säulen, kreuz und quer durch Europa, begann zu Anfang des 19. Jahrhunderts in der Abtei Brauweiler. Auch hier spielte Napoleon eine Rolle, indem er neben anderen Klöstern, z. B. dem in Maria Laach, auch das in Brauweiler auflöste. Maria Laach wurde als Kloster und Kirchengebäude später von Wilhelm II. wieder hergestellt. Nils Wetter (Lit. 1) beschreibt die „fast einhundertjährige Reise“ der Kapitelle der Säulen aus Brauweiler, die in Bad Homburg endete. Sie kamen aber nicht auf direktem Weg vom Rheinland in den Taunus. Diese Spolien verschlug es auf verschlungeneren Pfaden an ihren jetzigen Standort.
Wetter schreibt: „Wenn man sich im oberen Hof des Homburger Schlosses einmal umsieht, so fällt auf, dass sich ein Gebäude grundlegend von der Barockarchitektur der umgebenden Flügel unterscheidet. In dem Bereich, an dem sich der Schlosshof zum Park und Taunus hin öffnet, steht eine in Sichtmauerwerk ausgeführte, eingeschossige Halle. Sie ist zum Hof hin offen und durch rundbogige Arkaden auf Doppelsäulen mit verzierten Kapitellen gegliedert. Diese Stilmerkmale deuten vermeintlich auf eine Bauzeit im Mittelalter hin, die allgemein als Romanik bekannt ist. Auch wenn sie Romanische Halle heißt, ist sie aber kein mittelalterliches Bauwerk. Die Halle wurde erst 1901 von dem Architekten Louis Jacobi, der für Kaiser Wilhelm II. auch an der Saalburg arbeitete, errichtet. In dieser Zeit war es modern, historische Baustile nachzuahmen. Deshalb ist die Romanische Halle ein charakteristisches Beispiel für die Kunstepoche des Historismus.
Bilder 2,3,4 - Romanische Halle im Homburger Schloss (2: Gesamtansicht, 3: Seitenansicht, 4: Blick aus dem Inneren in Richtung Westen)
Das Besondere an der Romanischen Halle ist aber nicht, dass sie ein Bauwerk des Historismus ist, sondern dass ein Teil der Doppelkapitelle tatsächlich aus der Zeit der Romanik stammt. Sechs der Kapitelle stammen aus dem Mittelalter, allerdings aus einem völlig anderen baulichen Zusammenhang. Geschaffen wurden die reich verzierten Doppelkapitelle für den Kreuzgang des 1024 gegründeten Klosters Brauweiler bei Köln. Nach der Säkularisierung wurden einige Teile des Kreuzganges 1810 abgerissen und verkauft. Zunächst erwarb der französische Steuereinnehmer Dautzenberg die Stücke und ließ sie zur Zierde auf seinem Gut bei Aachen aufstellen.“ So weit Wetter wörtlich.
Bilder 5,6 - Brauweiler: Südwand der Klosterkirche mit den Spuren entnommener Säulen
Wie geht die Geschichte weiter? Nach Gerta Walsh (Lit. 2) so: „1883 verkaufte der neue Besitzer des Gutes acht Doppelsäulen – mitsamt den auf dem Säulenschaft ruhenden Kapitellen, den darüber liegenden Kämpfern und den Basen – an einen russischen General. Dieser in St. Petersburg lebende Kunstfreund zahlte dafür 450 Mark und glaubte, sie stammten vom Grabe Karls des Großen. Nach seinem Tode schenkte die Witwe des Generals 1897 die Bauteile dem deutschen Kaiser [Nach Wetter: 1896]. Einige Jahre lagerten sie im Königlichen Baudepothof zu Berlin und kamen dann auf Wunsch des Kaisers nach Homburg. Vor der Aufstellung zur Romanischen Halle wurde der jeweilige Schaft, also die eigentliche runde Säule, neu hergestellt.“ Nils Wetter berichtet von gründlichen Untersuchungen, die ergeben haben, dass „sich [nur] sechs Kapitelle aus Brauweiler in Homburg nachweisen“ lassen (Lit. 3, S.210). Andere originale Bauplastik aus dem Kreuzgang in Brauweiler befindet im LVR-Museum in Bonn (Lit. 4, S.61).
Nun wieder Wetter (Lit. 1): „Der Kaiser hatte mit den Kapitellen Relikte aus der Zeit des Heiligen Römischen Reiches erhalten, in dessen Herrschertradition er sich stellte. So verwundert es nicht, dass er sie in einem neuen Gebäude als Erweiterung einer seiner beliebten Sommerresidenzen wieder einsetzen ließ.“ Wilhelm II. kurte regelmäßig in Bad Homburg. Als (nicht nur) architektonisch und kunstgeschichtlich dem Historismus Huldigender hatte er nun einen fast echten romanischen Bau vor Augen, wenn er den Schlosshof durchquerte.
Die Taunus-Zeitung (Lit. 5) berichtet auch: „Wilhelm hatte das damalige Homburg als Kind kennengelernt. Später sollten er und seine Familie das Schloss als Sommerresidenz nutzen. Im so genannten Königsflügel befindet sich die einzige weitgehend original erhaltene Wohnung des letzten deutschen Kaiserpaares. [Anmerkung des Autors: Sollte das Interieur im Haus Doorn, dem Exil des Kaisers, weniger authentisch sein? Immerhin durften Kaisers ihr Berliner Mobiliar mitnehmen. 50 Waggons waren für den Transport nötig; und viele Millionen Reichsmark flossen von Berlin nach Doorn.] Noch 1918, kurz vor Flucht und Abdankung, hielt sich Wilhelm II. zeitweilig im Schloss auf.“
Die Flucht des Kaisers in die Niederlande geschah dann konkret als Eisenbahnfahrt. Sie begann im ostbelgischen Spa, wo er die letzten turbulenten Tage seiner Regentschaft verbracht hatte. Wahrscheinlich hatte er die Wellness-Angebote des Badeortes nötig. Als der Kaiser Amt und Reich aufgab, hinterließ er nicht nur eine prekäre politische Situation, sondern auch etliche Kirchen voller Prunk und Pracht – nicht zuletzt die neoromanische Erlöserkirche in Bad Homburg, unmittelbar neben dem Schlossgelände. Im ersten Stock der Kirche befindet sich die „Kaiserloge“. Von außen führt ein pompöser Treppenaufgang zu ihr, weit weg vom Hauptportal. Um direkt vom Schlosspark dorthin gelangen zu können, wurde eigens für den Kaiser eine Tür in die Mauer um den Park eingebaut. Üblicherweise ist sie geschlossen. Doch 2008 zum 100. Geburtstag der Kirche öffnete man sie wieder.
Bild 7 - Hier betrat der Kaiser die Kirche.
Bilder 8,9 - Die Kaiserpforte in der Schlossmauer (8: von innen, 9: von außen)
In Homburg ist der vom Kaiser präferierte historistische Stil, den er an vielen Orten in den ihm eigenen wilhelminischen Stil transformierte, mehrfach präsent, nicht nur in der Romanischen Halle und in der Erlöserkirche. Dass man auf dem Homburger Friedhof Mausoleen in alten Baustilen findet, ist nicht überraschend, auch nicht auf Friedhöfen anderer Städte. Putzig wirkt jedoch eine öffentliche Bedürfnisanstalt im Norden des Schlossbergs: Auch dieses stille Örtchen spricht eine neoromanisch-mittelalterliche Formensprache.
Bild 10 - Ein Mausoleum auf dem Friedhof in Bad Homburg
Bild 11 - Öffentliches WC in Bad Homburg
Putzig oder gar kurios darf man getrost den Romanischen Bau überhaupt nennen: Im Ensemble der barocken Schlossgebäude wirkt er wie ein architektonischer Fremdling. Ein stilistischer Fehlgriff, wie er auch im Aachener Oktogon zu sehen ist. Die von Wilhelm II. gegen die Einwände des Domkapitels, der Denkmalpfleger und Kunsthistoriker durchgesetzte neobyzantinisch-mediterrane Mosaizierung (und auch die Marmor-Inkrustation) wurde in ein karolingisches Bauwerk implantiert, das niemals vorher eine solch opulente Mosaikpracht enthalten hatte. Bauten und Restaurierung, die unter die Fittiche des Kaisers gerieten, hatten keine Chance, diesem übermächtigen Schutz zu entfliehen. Es war übrigens ein russischer Adliger, der sich in der erregten Diskussion über die kaiserliche Prunksucht für selbige einsetzte – mit Erfolg.
Erwähnenswert ist auch, dass auf dem „reformierten Friedhof“ in Homburg ein Nachbau des Heiligen Grabs in der Jerusalemer Grabeskirche steht. 1490 in Gelnhausen neben der Marienkirche errichtet, wurde es 1825 nach Bad Homburg verbracht. (Nicht nur Säulen, sondern ganze Gebäude können auf Wanderschaft gehen.) Die Gelnhausener Marienkirche wurde später neben dem Bonner Münster ein Vorbild für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin.
Bild 12 - Heiliges Grab in Bad Homburg
Bild 13 - Romanische Doppelsäulen in der Gelnhausener Pfalz Kaiser Barbarossas
Ein Säulenheiliger ist Wilhelm II. nie geworden. Ohne einen Schemel kam er ja wegen seines behinderten Arms nicht mal aufs Pferd – wo er sich doch so gern hoch zu Ross sah bzw. auf hohem Ross. Sowohl Napoleon wie auch Wilhelm II. hatten persönliche Kränkungen zu kompensieren. Napoleon war kleinwüchsig und der letzte deutsche Kaiser von Geburt an behindert. Hätten doch beide ihren tiefenpsychologischen Antrieb zu Ausgleichshandlungen auf den Transport von Säulen durch Europa beschränkt, anstatt das mit Armeen zu tun! Säulen hin und her zu tragen, ist immerhin keine Tragödie – wohl aber die Tragweite von Entscheidungen, Kriege zu führen.
Bild 14 - Bad Homburg: Fenster im Seitengang des Bahnhofs – vor der Restaurierung des Gebäudes
P.S.: Auch ein anderes Bauteil aus Brauweiler befindet sich übrigens in Hessen. Im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt steht ein romanischer Torbogen aus dem rheinischen Kloster; auch er reiste nicht auf direktem Weg dorthin. Er nahm stattdessen einen Umweg über Schlesien. Doch das ist wieder eine eigene Geschichte (Lit. 4, S.62).
Bilder 2,4,8,9: Marianne Creutz
Alle anderen Bilder: Udo W. Hombach
Alle Zitate erfolgen mit freundlicher Genehmigung der Autoren.
Literatur
1. Nils Wetter: Eine fast hundertjährige Reise – Die Kapitelle der Romanischen Halle in Bad Homburg. In: SehensWerte – Schlösser und Gärten in Hessen, 4/2008, S. 14
2. Gerta Walsh: Die Säulen von Kaiser Wilhelm haben eine bewegte Vergangenheit. Taunus-Zeitung vom 3.9.1994
3. Nils Wetter: Die Wiederverwendung der romanischen Kapitelle aus der Abtei Brauweiler im Schloss Bad Homburg vor der Höhe. Stuttgart 2014, Koldewey-Gesellschaft, Vereinigung für baugeschichtliche Forschung e.V.
4. Sabine Cornelius: Die Abtei Brauweiler in drei Gängen. Köln 2018
5. Auf den Spuren des letzten Kaisers – So lebte Wilhelm II. in der Kurstadt. Redaktioneller Beitrag in der Taunus-Zeitung am 1.9.2018
Siehe auch die website des Autors:
www.udo-w-hombach.de
Online-Flyer Nr. 692 vom 13.02.2019
Brauweiler – Bad Homburg:
Die wundersamen Wege der Wandersäulen
Von Udo W. Hombach
Über den letzten deutschen Kaiser, seinen Abschied von der Regentschaft sowie über den Ersten Weltkrieg und die Entwicklung Deutschlands danach pfiffen im Herbst 2018 die Spatzen von den Dächern der öffentlich-rechtlichen Fernsehanstalten. Nicht erwähnt wurde, dass Wilhelm II. dreißig Jahre lang auch stets emsig daran gearbeitet hatte, weltliche und vor allem kirchliche Bauten zu errichten oder zu restaurieren – einige besonders pompös und prunkvoll und stets als Denkmäler ihm zu Ehren. Das geschah nicht nur in Deutschland, sondern auch in Metz, Strassburg, Madrid, Rom, Bethlehem, Jerusalem und sogar im fernöstlichen Tsingtau. (Heute noch heiraten chinesische Paare gerne in der dortigen wilhelminisch-neoromanischen Kirche.) Bei den Restaurierungen, die vom preußischen Berlin ausgingen, war „Werktreue“ nicht das vorherrschende Prinzip. Deshalb ähneln die romanischen Kölner Kirchen eher ihren neoromanisch historistischen Nachfolgern als ihrer ursprünglichen mittelalterlichen Erscheinung. Der folgende Artikel berichtet von einem baulichen Objekt, in dem historische und historistische Elemente miteinander verschmolzen wurden, und zwar unter den besonderen Fittichen des Kaisers.
Bild 1 - Berlin: Wo bitte, geht’s zum Sieg?
Eigentlich ist es die Aufgabe von Säulen, tragende Stützen in Bauwerken zu sein – es sei denn, sie sind von vornherein allein stehend, wie etwa die Siegessäule mit der „Goldelse“ in Berlin. Manche Säulen sind aber auch nicht tragend; dann dienen sie der Dekoration und Strukturierung von Wänden und Räumen. Viele Säulen bleiben über lange Zeiträume hinweg stehen, auch wenn ihnen das Dach oder das Mauerwerk abhanden gekommen ist. Oder aber, der IS sprengt sie nach Jahrtausenden der Standhaftigkeit weg.
Säulen können aber auch ein bewegtes Leben erfahren. Denn nicht immer verbleiben sie an dem Ort, an dem sie aufgestellt wurden. Sie werden einem Gebäude entnommen, um anderenorts in einem anderen Gebäude wieder eingesetzt zu werden. Dabei geht es weniger um materielle Ersparnis. Diese „Spolien“ tragen die Symbolkraft ihrer ursprünglichen Herkunft in sich. Die Säulen des Aachener Oktogons, jedenfalls die nicht tragenden, können eine solch bewegte Lebensgeschichte erzählen. Ursprünglich aus Italien herbeigetragen, wurden sie von Napoleon nach Paris entführt, kehrten jedoch später wieder nach Aachen zurück.
Eine weitaus größere Irrfahrt von Säulen, kreuz und quer durch Europa, begann zu Anfang des 19. Jahrhunderts in der Abtei Brauweiler. Auch hier spielte Napoleon eine Rolle, indem er neben anderen Klöstern, z. B. dem in Maria Laach, auch das in Brauweiler auflöste. Maria Laach wurde als Kloster und Kirchengebäude später von Wilhelm II. wieder hergestellt. Nils Wetter (Lit. 1) beschreibt die „fast einhundertjährige Reise“ der Kapitelle der Säulen aus Brauweiler, die in Bad Homburg endete. Sie kamen aber nicht auf direktem Weg vom Rheinland in den Taunus. Diese Spolien verschlug es auf verschlungeneren Pfaden an ihren jetzigen Standort.
Wetter schreibt: „Wenn man sich im oberen Hof des Homburger Schlosses einmal umsieht, so fällt auf, dass sich ein Gebäude grundlegend von der Barockarchitektur der umgebenden Flügel unterscheidet. In dem Bereich, an dem sich der Schlosshof zum Park und Taunus hin öffnet, steht eine in Sichtmauerwerk ausgeführte, eingeschossige Halle. Sie ist zum Hof hin offen und durch rundbogige Arkaden auf Doppelsäulen mit verzierten Kapitellen gegliedert. Diese Stilmerkmale deuten vermeintlich auf eine Bauzeit im Mittelalter hin, die allgemein als Romanik bekannt ist. Auch wenn sie Romanische Halle heißt, ist sie aber kein mittelalterliches Bauwerk. Die Halle wurde erst 1901 von dem Architekten Louis Jacobi, der für Kaiser Wilhelm II. auch an der Saalburg arbeitete, errichtet. In dieser Zeit war es modern, historische Baustile nachzuahmen. Deshalb ist die Romanische Halle ein charakteristisches Beispiel für die Kunstepoche des Historismus.
Bilder 2,3,4 - Romanische Halle im Homburger Schloss (2: Gesamtansicht, 3: Seitenansicht, 4: Blick aus dem Inneren in Richtung Westen)
Das Besondere an der Romanischen Halle ist aber nicht, dass sie ein Bauwerk des Historismus ist, sondern dass ein Teil der Doppelkapitelle tatsächlich aus der Zeit der Romanik stammt. Sechs der Kapitelle stammen aus dem Mittelalter, allerdings aus einem völlig anderen baulichen Zusammenhang. Geschaffen wurden die reich verzierten Doppelkapitelle für den Kreuzgang des 1024 gegründeten Klosters Brauweiler bei Köln. Nach der Säkularisierung wurden einige Teile des Kreuzganges 1810 abgerissen und verkauft. Zunächst erwarb der französische Steuereinnehmer Dautzenberg die Stücke und ließ sie zur Zierde auf seinem Gut bei Aachen aufstellen.“ So weit Wetter wörtlich.
Bilder 5,6 - Brauweiler: Südwand der Klosterkirche mit den Spuren entnommener Säulen
Wie geht die Geschichte weiter? Nach Gerta Walsh (Lit. 2) so: „1883 verkaufte der neue Besitzer des Gutes acht Doppelsäulen – mitsamt den auf dem Säulenschaft ruhenden Kapitellen, den darüber liegenden Kämpfern und den Basen – an einen russischen General. Dieser in St. Petersburg lebende Kunstfreund zahlte dafür 450 Mark und glaubte, sie stammten vom Grabe Karls des Großen. Nach seinem Tode schenkte die Witwe des Generals 1897 die Bauteile dem deutschen Kaiser [Nach Wetter: 1896]. Einige Jahre lagerten sie im Königlichen Baudepothof zu Berlin und kamen dann auf Wunsch des Kaisers nach Homburg. Vor der Aufstellung zur Romanischen Halle wurde der jeweilige Schaft, also die eigentliche runde Säule, neu hergestellt.“ Nils Wetter berichtet von gründlichen Untersuchungen, die ergeben haben, dass „sich [nur] sechs Kapitelle aus Brauweiler in Homburg nachweisen“ lassen (Lit. 3, S.210). Andere originale Bauplastik aus dem Kreuzgang in Brauweiler befindet im LVR-Museum in Bonn (Lit. 4, S.61).
Nun wieder Wetter (Lit. 1): „Der Kaiser hatte mit den Kapitellen Relikte aus der Zeit des Heiligen Römischen Reiches erhalten, in dessen Herrschertradition er sich stellte. So verwundert es nicht, dass er sie in einem neuen Gebäude als Erweiterung einer seiner beliebten Sommerresidenzen wieder einsetzen ließ.“ Wilhelm II. kurte regelmäßig in Bad Homburg. Als (nicht nur) architektonisch und kunstgeschichtlich dem Historismus Huldigender hatte er nun einen fast echten romanischen Bau vor Augen, wenn er den Schlosshof durchquerte.
Die Taunus-Zeitung (Lit. 5) berichtet auch: „Wilhelm hatte das damalige Homburg als Kind kennengelernt. Später sollten er und seine Familie das Schloss als Sommerresidenz nutzen. Im so genannten Königsflügel befindet sich die einzige weitgehend original erhaltene Wohnung des letzten deutschen Kaiserpaares. [Anmerkung des Autors: Sollte das Interieur im Haus Doorn, dem Exil des Kaisers, weniger authentisch sein? Immerhin durften Kaisers ihr Berliner Mobiliar mitnehmen. 50 Waggons waren für den Transport nötig; und viele Millionen Reichsmark flossen von Berlin nach Doorn.] Noch 1918, kurz vor Flucht und Abdankung, hielt sich Wilhelm II. zeitweilig im Schloss auf.“
Die Flucht des Kaisers in die Niederlande geschah dann konkret als Eisenbahnfahrt. Sie begann im ostbelgischen Spa, wo er die letzten turbulenten Tage seiner Regentschaft verbracht hatte. Wahrscheinlich hatte er die Wellness-Angebote des Badeortes nötig. Als der Kaiser Amt und Reich aufgab, hinterließ er nicht nur eine prekäre politische Situation, sondern auch etliche Kirchen voller Prunk und Pracht – nicht zuletzt die neoromanische Erlöserkirche in Bad Homburg, unmittelbar neben dem Schlossgelände. Im ersten Stock der Kirche befindet sich die „Kaiserloge“. Von außen führt ein pompöser Treppenaufgang zu ihr, weit weg vom Hauptportal. Um direkt vom Schlosspark dorthin gelangen zu können, wurde eigens für den Kaiser eine Tür in die Mauer um den Park eingebaut. Üblicherweise ist sie geschlossen. Doch 2008 zum 100. Geburtstag der Kirche öffnete man sie wieder.
Bild 7 - Hier betrat der Kaiser die Kirche.
Bilder 8,9 - Die Kaiserpforte in der Schlossmauer (8: von innen, 9: von außen)
In Homburg ist der vom Kaiser präferierte historistische Stil, den er an vielen Orten in den ihm eigenen wilhelminischen Stil transformierte, mehrfach präsent, nicht nur in der Romanischen Halle und in der Erlöserkirche. Dass man auf dem Homburger Friedhof Mausoleen in alten Baustilen findet, ist nicht überraschend, auch nicht auf Friedhöfen anderer Städte. Putzig wirkt jedoch eine öffentliche Bedürfnisanstalt im Norden des Schlossbergs: Auch dieses stille Örtchen spricht eine neoromanisch-mittelalterliche Formensprache.
Bild 10 - Ein Mausoleum auf dem Friedhof in Bad Homburg
Bild 11 - Öffentliches WC in Bad Homburg
Putzig oder gar kurios darf man getrost den Romanischen Bau überhaupt nennen: Im Ensemble der barocken Schlossgebäude wirkt er wie ein architektonischer Fremdling. Ein stilistischer Fehlgriff, wie er auch im Aachener Oktogon zu sehen ist. Die von Wilhelm II. gegen die Einwände des Domkapitels, der Denkmalpfleger und Kunsthistoriker durchgesetzte neobyzantinisch-mediterrane Mosaizierung (und auch die Marmor-Inkrustation) wurde in ein karolingisches Bauwerk implantiert, das niemals vorher eine solch opulente Mosaikpracht enthalten hatte. Bauten und Restaurierung, die unter die Fittiche des Kaisers gerieten, hatten keine Chance, diesem übermächtigen Schutz zu entfliehen. Es war übrigens ein russischer Adliger, der sich in der erregten Diskussion über die kaiserliche Prunksucht für selbige einsetzte – mit Erfolg.
Erwähnenswert ist auch, dass auf dem „reformierten Friedhof“ in Homburg ein Nachbau des Heiligen Grabs in der Jerusalemer Grabeskirche steht. 1490 in Gelnhausen neben der Marienkirche errichtet, wurde es 1825 nach Bad Homburg verbracht. (Nicht nur Säulen, sondern ganze Gebäude können auf Wanderschaft gehen.) Die Gelnhausener Marienkirche wurde später neben dem Bonner Münster ein Vorbild für die Kaiser-Wilhelm-Gedächtniskirche in Berlin.
Bild 12 - Heiliges Grab in Bad Homburg
Bild 13 - Romanische Doppelsäulen in der Gelnhausener Pfalz Kaiser Barbarossas
Ein Säulenheiliger ist Wilhelm II. nie geworden. Ohne einen Schemel kam er ja wegen seines behinderten Arms nicht mal aufs Pferd – wo er sich doch so gern hoch zu Ross sah bzw. auf hohem Ross. Sowohl Napoleon wie auch Wilhelm II. hatten persönliche Kränkungen zu kompensieren. Napoleon war kleinwüchsig und der letzte deutsche Kaiser von Geburt an behindert. Hätten doch beide ihren tiefenpsychologischen Antrieb zu Ausgleichshandlungen auf den Transport von Säulen durch Europa beschränkt, anstatt das mit Armeen zu tun! Säulen hin und her zu tragen, ist immerhin keine Tragödie – wohl aber die Tragweite von Entscheidungen, Kriege zu führen.
Bild 14 - Bad Homburg: Fenster im Seitengang des Bahnhofs – vor der Restaurierung des Gebäudes
P.S.: Auch ein anderes Bauteil aus Brauweiler befindet sich übrigens in Hessen. Im Hessischen Landesmuseum in Darmstadt steht ein romanischer Torbogen aus dem rheinischen Kloster; auch er reiste nicht auf direktem Weg dorthin. Er nahm stattdessen einen Umweg über Schlesien. Doch das ist wieder eine eigene Geschichte (Lit. 4, S.62).
Bilder 2,4,8,9: Marianne Creutz
Alle anderen Bilder: Udo W. Hombach
Alle Zitate erfolgen mit freundlicher Genehmigung der Autoren.
Literatur
1. Nils Wetter: Eine fast hundertjährige Reise – Die Kapitelle der Romanischen Halle in Bad Homburg. In: SehensWerte – Schlösser und Gärten in Hessen, 4/2008, S. 14
2. Gerta Walsh: Die Säulen von Kaiser Wilhelm haben eine bewegte Vergangenheit. Taunus-Zeitung vom 3.9.1994
3. Nils Wetter: Die Wiederverwendung der romanischen Kapitelle aus der Abtei Brauweiler im Schloss Bad Homburg vor der Höhe. Stuttgart 2014, Koldewey-Gesellschaft, Vereinigung für baugeschichtliche Forschung e.V.
4. Sabine Cornelius: Die Abtei Brauweiler in drei Gängen. Köln 2018
5. Auf den Spuren des letzten Kaisers – So lebte Wilhelm II. in der Kurstadt. Redaktioneller Beitrag in der Taunus-Zeitung am 1.9.2018
Siehe auch die website des Autors:
www.udo-w-hombach.de
Online-Flyer Nr. 692 vom 13.02.2019