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Wirtschaft und Umwelt
Hubertus und sein Heilmittel Arbeit
Arbeitsmoral-Minister
Von Harald Schauff
Der technologische Fortschritt wird in Zukunft zu weniger Arbeit führen. Die Aussage klingt aktuell, könnte von heute stammen. Jedoch gaben bereits in den 50ern und 60ern Philosophen, Soziologen und Ökonomen derartige Prognosen ab. So ganz haben sie sich nicht bewahrheitet. Haben sie sich getäuscht? Irren sich gleichfalls alle, die im Hinblick auf den anrollenden Digitalisierungs-Tsunami Ähnliches vorhersagen? Im Prinzip, heißt gemessen an den technischen Möglichkeiten, nicht. Sie wären längst da, werden jedoch nicht konsequent ausgeschöpft. Warum, erklärt der niederländische Historiker Rutger Bregmann, der im Januar beim Weltwirtschaftsforum im Schweizerischen Davos den dort versammelten Eliten mit einem kritischen Vortrag über Steuern auf die Füße trat. Er sagt klar: Wir hängen zu sehr an der Ideologie der Arbeit (Siehe NRhZ 702: ‘Das Biest zähmen’).
Bregmann verweist auf eine niederländische Studie, der zufolge eine Viertel der Beschäftigten in den Industrieländern ihre Arbeit als nutzlos einstufen, primär solche im Finanz- und Marketingbereich. Der amerikanische Anthropologe und Anarchist David Graeber geht in seinem Buch ‘Bullshit Jobs’ noch weiter, setzt die Zahl der Jobs ohne gesellschaftlichen Nutzen bei ein Drittel bis zur Hälfte an.
Beschäftigung um der Arbeit willen. Arbeit als Selbstzweck, als heilige Kuh, die auf gar keinen Fall geschlachtet werden darf. Längst ist diese Ideologie zur puren Idiotie verkommen. Und doch wird eisern daran festgehalten. Auch der gegenwärtige SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil tut dies. Er macht sowohl seinem Nachnamen als auch seiner Amtsbezeichnung Ehre, in dem er alles politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Heil in der Arbeit sucht. In einem SPIEGEL-Interview zur Diskussion um einen Ausstieg aus Hartz IV (‘Den Alltag verbessern’; Nr.47/ 17.11.2018) beginnt er die erste Antwort mit einem denkwürdigen Satz: ‘Die SPD ist die Partei der Arbeit’. Im folgenden erläutert Heil, dass die meisten Menschen Arbeit nicht nur als ‘Broterwerb’, sondern auch als Teilhabe am sozialen Leben betrachten. Deshalb will er in Zeiten des technologischen Wandels Arbeitslosigkeit verhindern, bevor sie entsteht.
Interessant. Was jahrzehntelang nicht funktioniert hat, soll nun ausgerechnet im Zuge der Digitalisierung gelingen. Heil möchte den Sozialstaat weiterentwickeln, meint, dass man längst dabei ist, das System zu erneuern. Er verweist auf das im Herbst beschlossenen Gesetz für einen ‘sozialen Arbeitsmarkt’, nennt es einen ‘Paradigmenwechsel’, weil dadurch für Arbeitslose dauerhaft Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert werden soll. Eine Grundsicherung soll für Heil primär den Zweck erfüllen ‘Menschen aus der Not zu holen und in Arbeit zu bringen.’
Kurzum: Zuerst kommt die Arbeit, dann alles andere einschließlich sozialer Absicherung. Arbeit soll weiterhin die Mutter aller Heilmittel für soziale Notlagen sein. Allem Gerede von Reform, Umbau, Erneuerung und Weiterentwicklung des Sozialstaats zum Trotz soll im Kern alles beim Alten bleiben. Korrekturen sind rein oberflächlicher, kosmetischer Natur.
‘Neue Zeiten brauchen neue Antworten’, philosophiert Heil einprägsam. Und bietet die Antwort von gestern auf die Fragen von morgen. Neue Farben für alte Zöpfe. Im modernen Jargon: ‘Arbeit im digitalen Wandel’. Alter Wein? Nein, bedenkt man, wie sauer der Masse der Arbeitenden ihr Joch aufstieß und immer noch aufstößt, sollte besser von altem Essig in neuen Schläuchen die Rede sein.
Nun ist Arbeit nicht unbedingt gleich Arbeit, wie auch der Arbeitsminister weiß: Er möchte die Chancen auf ‘gute Arbeit’ und anständige Löhne erhöhen und soziale Lebensrisiken absichern. ‘Gute Arbeit’: Vor einigen Jahren erfanden Arbeitsdemagogen der Gewerkschaften, Sozialdemokraten und Linken diesen Begriff, um die von ihnen bevorzugte Beschäftigungsform der Vollzeit-Erwerbstätigkeit gegenüber allen anderen Arten von Jobs im Bereich von Teilzeit, Leiharbeit und Niedriglohn abzugrenzen.
Ihr Favorit ist nach wie vor das 40/40-Modell: 40 Jahre ununterbrochene Berufstätigkeit bei 40 Wochenstunden. Es bildet immer noch den Kern jeglicher Reformüberlegung. Etwa, wenn der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel eine garantierte Mindestrente von 1000 Euro monatlich vorschlägt. Jedoch nur für alle, die besagte 40 Jahre und Wochenstunden nachweisen können. Sie mögen im Augenblick noch die Mehrheit bilden, in absehbarer Zeit werden sie zur Minderheit schrumpfen.
Alle anderen, welche dieses Kriterium schon heute nicht mehr erfüllen, weil ihre Erwerbsbiographie wegen Arbeitslosigkeit oder Kindererziehung Lücken aufweist, sie ‘nur’ in Teilzeit oder befristet beschäftigt waren, haben im Sinne der herrschenden Arbeitsdoktrin eben nicht richtig oder nicht genügend gearbeitet.
Anscheinend mehren sich auch innerhalb der SPD kritische Stimmen, die diesen überholten Wahnwitz in Frage stellen. Wieso betont Heil sonst im Interview, auch innerhalb der SPD müsse klar sein: ‘Wir sind die Partei der Arbeit, und genau das unterscheidet uns von anderen.’ Wirklich? Bislang ist nicht bekannt, dass sich eine der anderen Parteien im Bundestag gegen das alte Vollerwerbsmodell gestellt hat. Noch hängen sie alle der Arbeitsideologie an.
Zum Erhalt des alten Modells will Heil demnächst tatkräftig anpacken: Die Arbeitslosenversicherung zu einer ‘Arbeitsversicherung umbauen’, die Menschen durch ein ‘Recht auf Weiterbildung’ ‘beschäftigungsfähig’ erhalten. Und: Sich nicht nur für Mindestlöhne einsetzen, sondern auch für ‘wieder mehr ordentliche Tariflöhne’. Klingt irgendwie etwas nach ‘Vorwärts zurück’.
Heil will auch eine bessere Grundsicherung. Nur eines will er auf gar keinen Fall: Ein Grundeinkommen. Die Beschäftigten und Arbeitslosen, mit denen er spricht, ‘wollen in erster Linie Einkommen aus Arbeit’. Sicher. Gerade weil dem so ist, würden fast alle auch mit Grundeinkommen weiter arbeiten. Zumal ihnen die bloße Abdeckung des Existenzminimums für ihren Lebensstandard nicht reichen würde. Untersuchungen britischer Forscher zufolge stellt sich bei den meisten Menschen erst ab einem Jahresdurchschnittseinkommen von 60.000 Euro finanzielle Zufriedenheit ein. Die überwiegende Mehrheit möchte weit über das Existenzminimum hinaus verdienen. Neben dem Wunsch, etwas zu leisten, bleibt auch der finanzielle Anreiz erhalten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen schließt Einkommen aus Arbeit also nicht aus, so wie Heil unterstellt.
Wie oft soll es noch wiederholt werden? Es geht beim Grundeinkommen rein um die vorbehaltlose Sicherung des Existenzminimums und nicht die Finanzierung eines bequemen Lebensstandards, so wie häufig klischeehaft dargestellt.
Heil glaubt, einige Menschen würden ‘aus Idealismus’ ein bedingungsloses Grundeinkommen befürworten, im Glauben, ‘dass unserem Land die Arbeit ausgeht. Das stimmt aber nicht.’
Weil es nicht stimmen darf. Wozu braucht es dann noch ein Arbeitsministerium? Sicher, noch geht die Arbeit nicht aus, noch sitzt die SPD im Bundestag. Noch. Ohne die von Bregmann und Graeber angeführten künstlich geschaffenen Jobs sähe es auf dem Arbeitmarkt düster aus. Doch trotz dieses ‘Blasensektors’ ist eine Beschäftigungsform dabei, sich klammheimlich zu verabschieden: Das favorisierte Normalarbeitsverhältnis, das 40/40-Modell, die ‘gute Arbeit’: Die Zahl der Vollzeitstellen liegt bei rund 24 Millionen. Vor rund drei Jahrzehnten waren es einmal über 30 Millionen. Deutlich zugenommen hat dafür der Umfang der Teilzeitarbeit: Auf rund 40 %, macht insgesamt 15 Millionen Stellen. So schleichend sich die Vollzeitarbeit davon macht, so allmählich hält die Arbeitszeitverkürzung Einzug. Die Arbeit wird auf immer mehr Köpfe verteilt. Deshalb gibt es in Deutschland mittlerweile 44 Mill. Erwerbspersonen.
Heil zufolge unterschätzen Grundeinkommensbefürworter ‘den Wert der Arbeit für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.’ Das tun sie eben nicht. Ein Grundeinkommen soll die Arbeit nicht abwerten geschweige denn abschaffen, sondern, ganz im Gegenteil, aufwerten: Zur freiwillig erbrachten und nicht erzwungenen Leistung. Als solche würde sie den, inzwischen recht ramponierten, gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder stärken und wäre tatsächlich ‘gute Arbeit’.
Schlecht bezahlte, überlastende und krank machende Beschäftigung führt zum Gegenteil: Zur Schwächung und zur Spaltung der Gesellschaft. In den Ohren davon Betroffener müssen die Worte Heils wie der blanke Hohn klingen. Etwa, wenn er fordert, unser Land dürfe kein ‘gebrochenes Verhältnis zu ordentlicher Erwerbsarbeit bekommen’.
Arbeitsmarkt und Gesellschaft sind inzwischen von unübersehbaren Bruchlinien durchzogen. Die ‘ordentliche Erwerbsarbeit’ der Marke 40/40 ist im Schrumpfen begriffen. Doch gerade, weil sie ein immer knapperes Gut wird, steigt ihr ideeller Wert und sie gilt mehr denn je als Maß aller sozialen Dinge, als Inbegriff von Arbeit überhaupt. Politiker wie Heil glauben an ihre Renaissance mittels ‘Fortbildung’ und ‘Qualifikation’.
Manche wie Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) oder Kanzleramtsminister Helge Braun (gleichfalls CDU) halten sogar Vollbeschäftigung für möglich. Meldungen wie jene, dass VW bis 2023 einen Abbau von bis zu 7000 Stellen beschlossen hat, stellen den Realitätssinn solcher Realpolitiker in Frage. Doch unbeirrt blasen sie weiter zur großen Offensive in der Arbeitsmarktpolitik, die in Wahrheit ein Rückzugsgefecht ist. Sie halten ‘Qualifizierung’ und ‘Weiterbildung’ für wirksame Waffen im Kampf gegen Arbeitslosigkeit. Offensichtlich wissen sie, dass dadurch fehlende Arbeitsplätze nicht automatisch vom Himmel regnen. Aus diesem Grund reden sie vorsichtigerweise von ‘besseren Chancen’ auf dem Arbeitsmarkt.
Arbeitsminister Heil hält die Diskussion um das Grundeinkommen für eine ‘abgehobene Debatte’. Das stimmt insofern, als diese Diskussion von der herrschenden Arbeitsideologie abhebt. Diese ist für Heil tabu. Auf der anderen Seite will er ‘den Alltag der arbeitenden Menschen verbessern und Zuversicht geben, dass der Sozialstaat verlässlich schützt’.
Schöne Worte. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde sie mit Inhalt füllen.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Mai 2019, erschienen.
Online-Flyer Nr. 704 vom 08.05.2019
Hubertus und sein Heilmittel Arbeit
Arbeitsmoral-Minister
Von Harald Schauff
Der technologische Fortschritt wird in Zukunft zu weniger Arbeit führen. Die Aussage klingt aktuell, könnte von heute stammen. Jedoch gaben bereits in den 50ern und 60ern Philosophen, Soziologen und Ökonomen derartige Prognosen ab. So ganz haben sie sich nicht bewahrheitet. Haben sie sich getäuscht? Irren sich gleichfalls alle, die im Hinblick auf den anrollenden Digitalisierungs-Tsunami Ähnliches vorhersagen? Im Prinzip, heißt gemessen an den technischen Möglichkeiten, nicht. Sie wären längst da, werden jedoch nicht konsequent ausgeschöpft. Warum, erklärt der niederländische Historiker Rutger Bregmann, der im Januar beim Weltwirtschaftsforum im Schweizerischen Davos den dort versammelten Eliten mit einem kritischen Vortrag über Steuern auf die Füße trat. Er sagt klar: Wir hängen zu sehr an der Ideologie der Arbeit (Siehe NRhZ 702: ‘Das Biest zähmen’).
Bregmann verweist auf eine niederländische Studie, der zufolge eine Viertel der Beschäftigten in den Industrieländern ihre Arbeit als nutzlos einstufen, primär solche im Finanz- und Marketingbereich. Der amerikanische Anthropologe und Anarchist David Graeber geht in seinem Buch ‘Bullshit Jobs’ noch weiter, setzt die Zahl der Jobs ohne gesellschaftlichen Nutzen bei ein Drittel bis zur Hälfte an.
Beschäftigung um der Arbeit willen. Arbeit als Selbstzweck, als heilige Kuh, die auf gar keinen Fall geschlachtet werden darf. Längst ist diese Ideologie zur puren Idiotie verkommen. Und doch wird eisern daran festgehalten. Auch der gegenwärtige SPD-Bundesarbeitsminister Hubertus Heil tut dies. Er macht sowohl seinem Nachnamen als auch seiner Amtsbezeichnung Ehre, in dem er alles politische, wirtschaftliche und gesellschaftliche Heil in der Arbeit sucht. In einem SPIEGEL-Interview zur Diskussion um einen Ausstieg aus Hartz IV (‘Den Alltag verbessern’; Nr.47/ 17.11.2018) beginnt er die erste Antwort mit einem denkwürdigen Satz: ‘Die SPD ist die Partei der Arbeit’. Im folgenden erläutert Heil, dass die meisten Menschen Arbeit nicht nur als ‘Broterwerb’, sondern auch als Teilhabe am sozialen Leben betrachten. Deshalb will er in Zeiten des technologischen Wandels Arbeitslosigkeit verhindern, bevor sie entsteht.
Interessant. Was jahrzehntelang nicht funktioniert hat, soll nun ausgerechnet im Zuge der Digitalisierung gelingen. Heil möchte den Sozialstaat weiterentwickeln, meint, dass man längst dabei ist, das System zu erneuern. Er verweist auf das im Herbst beschlossenen Gesetz für einen ‘sozialen Arbeitsmarkt’, nennt es einen ‘Paradigmenwechsel’, weil dadurch für Arbeitslose dauerhaft Arbeit statt Arbeitslosigkeit finanziert werden soll. Eine Grundsicherung soll für Heil primär den Zweck erfüllen ‘Menschen aus der Not zu holen und in Arbeit zu bringen.’
Kurzum: Zuerst kommt die Arbeit, dann alles andere einschließlich sozialer Absicherung. Arbeit soll weiterhin die Mutter aller Heilmittel für soziale Notlagen sein. Allem Gerede von Reform, Umbau, Erneuerung und Weiterentwicklung des Sozialstaats zum Trotz soll im Kern alles beim Alten bleiben. Korrekturen sind rein oberflächlicher, kosmetischer Natur.
‘Neue Zeiten brauchen neue Antworten’, philosophiert Heil einprägsam. Und bietet die Antwort von gestern auf die Fragen von morgen. Neue Farben für alte Zöpfe. Im modernen Jargon: ‘Arbeit im digitalen Wandel’. Alter Wein? Nein, bedenkt man, wie sauer der Masse der Arbeitenden ihr Joch aufstieß und immer noch aufstößt, sollte besser von altem Essig in neuen Schläuchen die Rede sein.
Nun ist Arbeit nicht unbedingt gleich Arbeit, wie auch der Arbeitsminister weiß: Er möchte die Chancen auf ‘gute Arbeit’ und anständige Löhne erhöhen und soziale Lebensrisiken absichern. ‘Gute Arbeit’: Vor einigen Jahren erfanden Arbeitsdemagogen der Gewerkschaften, Sozialdemokraten und Linken diesen Begriff, um die von ihnen bevorzugte Beschäftigungsform der Vollzeit-Erwerbstätigkeit gegenüber allen anderen Arten von Jobs im Bereich von Teilzeit, Leiharbeit und Niedriglohn abzugrenzen.
Ihr Favorit ist nach wie vor das 40/40-Modell: 40 Jahre ununterbrochene Berufstätigkeit bei 40 Wochenstunden. Es bildet immer noch den Kern jeglicher Reformüberlegung. Etwa, wenn der ehemalige SPD-Vorsitzende Sigmar Gabriel eine garantierte Mindestrente von 1000 Euro monatlich vorschlägt. Jedoch nur für alle, die besagte 40 Jahre und Wochenstunden nachweisen können. Sie mögen im Augenblick noch die Mehrheit bilden, in absehbarer Zeit werden sie zur Minderheit schrumpfen.
Alle anderen, welche dieses Kriterium schon heute nicht mehr erfüllen, weil ihre Erwerbsbiographie wegen Arbeitslosigkeit oder Kindererziehung Lücken aufweist, sie ‘nur’ in Teilzeit oder befristet beschäftigt waren, haben im Sinne der herrschenden Arbeitsdoktrin eben nicht richtig oder nicht genügend gearbeitet.
Anscheinend mehren sich auch innerhalb der SPD kritische Stimmen, die diesen überholten Wahnwitz in Frage stellen. Wieso betont Heil sonst im Interview, auch innerhalb der SPD müsse klar sein: ‘Wir sind die Partei der Arbeit, und genau das unterscheidet uns von anderen.’ Wirklich? Bislang ist nicht bekannt, dass sich eine der anderen Parteien im Bundestag gegen das alte Vollerwerbsmodell gestellt hat. Noch hängen sie alle der Arbeitsideologie an.
Zum Erhalt des alten Modells will Heil demnächst tatkräftig anpacken: Die Arbeitslosenversicherung zu einer ‘Arbeitsversicherung umbauen’, die Menschen durch ein ‘Recht auf Weiterbildung’ ‘beschäftigungsfähig’ erhalten. Und: Sich nicht nur für Mindestlöhne einsetzen, sondern auch für ‘wieder mehr ordentliche Tariflöhne’. Klingt irgendwie etwas nach ‘Vorwärts zurück’.
Heil will auch eine bessere Grundsicherung. Nur eines will er auf gar keinen Fall: Ein Grundeinkommen. Die Beschäftigten und Arbeitslosen, mit denen er spricht, ‘wollen in erster Linie Einkommen aus Arbeit’. Sicher. Gerade weil dem so ist, würden fast alle auch mit Grundeinkommen weiter arbeiten. Zumal ihnen die bloße Abdeckung des Existenzminimums für ihren Lebensstandard nicht reichen würde. Untersuchungen britischer Forscher zufolge stellt sich bei den meisten Menschen erst ab einem Jahresdurchschnittseinkommen von 60.000 Euro finanzielle Zufriedenheit ein. Die überwiegende Mehrheit möchte weit über das Existenzminimum hinaus verdienen. Neben dem Wunsch, etwas zu leisten, bleibt auch der finanzielle Anreiz erhalten. Ein bedingungsloses Grundeinkommen schließt Einkommen aus Arbeit also nicht aus, so wie Heil unterstellt.
Wie oft soll es noch wiederholt werden? Es geht beim Grundeinkommen rein um die vorbehaltlose Sicherung des Existenzminimums und nicht die Finanzierung eines bequemen Lebensstandards, so wie häufig klischeehaft dargestellt.
Heil glaubt, einige Menschen würden ‘aus Idealismus’ ein bedingungsloses Grundeinkommen befürworten, im Glauben, ‘dass unserem Land die Arbeit ausgeht. Das stimmt aber nicht.’
Weil es nicht stimmen darf. Wozu braucht es dann noch ein Arbeitsministerium? Sicher, noch geht die Arbeit nicht aus, noch sitzt die SPD im Bundestag. Noch. Ohne die von Bregmann und Graeber angeführten künstlich geschaffenen Jobs sähe es auf dem Arbeitmarkt düster aus. Doch trotz dieses ‘Blasensektors’ ist eine Beschäftigungsform dabei, sich klammheimlich zu verabschieden: Das favorisierte Normalarbeitsverhältnis, das 40/40-Modell, die ‘gute Arbeit’: Die Zahl der Vollzeitstellen liegt bei rund 24 Millionen. Vor rund drei Jahrzehnten waren es einmal über 30 Millionen. Deutlich zugenommen hat dafür der Umfang der Teilzeitarbeit: Auf rund 40 %, macht insgesamt 15 Millionen Stellen. So schleichend sich die Vollzeitarbeit davon macht, so allmählich hält die Arbeitszeitverkürzung Einzug. Die Arbeit wird auf immer mehr Köpfe verteilt. Deshalb gibt es in Deutschland mittlerweile 44 Mill. Erwerbspersonen.
Heil zufolge unterschätzen Grundeinkommensbefürworter ‘den Wert der Arbeit für den Zusammenhalt unserer Gesellschaft.’ Das tun sie eben nicht. Ein Grundeinkommen soll die Arbeit nicht abwerten geschweige denn abschaffen, sondern, ganz im Gegenteil, aufwerten: Zur freiwillig erbrachten und nicht erzwungenen Leistung. Als solche würde sie den, inzwischen recht ramponierten, gesellschaftlichen Zusammenhalt wieder stärken und wäre tatsächlich ‘gute Arbeit’.
Schlecht bezahlte, überlastende und krank machende Beschäftigung führt zum Gegenteil: Zur Schwächung und zur Spaltung der Gesellschaft. In den Ohren davon Betroffener müssen die Worte Heils wie der blanke Hohn klingen. Etwa, wenn er fordert, unser Land dürfe kein ‘gebrochenes Verhältnis zu ordentlicher Erwerbsarbeit bekommen’.
Arbeitsmarkt und Gesellschaft sind inzwischen von unübersehbaren Bruchlinien durchzogen. Die ‘ordentliche Erwerbsarbeit’ der Marke 40/40 ist im Schrumpfen begriffen. Doch gerade, weil sie ein immer knapperes Gut wird, steigt ihr ideeller Wert und sie gilt mehr denn je als Maß aller sozialen Dinge, als Inbegriff von Arbeit überhaupt. Politiker wie Heil glauben an ihre Renaissance mittels ‘Fortbildung’ und ‘Qualifikation’.
Manche wie Wirtschaftsminister Altmaier (CDU) oder Kanzleramtsminister Helge Braun (gleichfalls CDU) halten sogar Vollbeschäftigung für möglich. Meldungen wie jene, dass VW bis 2023 einen Abbau von bis zu 7000 Stellen beschlossen hat, stellen den Realitätssinn solcher Realpolitiker in Frage. Doch unbeirrt blasen sie weiter zur großen Offensive in der Arbeitsmarktpolitik, die in Wahrheit ein Rückzugsgefecht ist. Sie halten ‘Qualifizierung’ und ‘Weiterbildung’ für wirksame Waffen im Kampf gegen Arbeitslosigkeit. Offensichtlich wissen sie, dass dadurch fehlende Arbeitsplätze nicht automatisch vom Himmel regnen. Aus diesem Grund reden sie vorsichtigerweise von ‘besseren Chancen’ auf dem Arbeitsmarkt.
Arbeitsminister Heil hält die Diskussion um das Grundeinkommen für eine ‘abgehobene Debatte’. Das stimmt insofern, als diese Diskussion von der herrschenden Arbeitsideologie abhebt. Diese ist für Heil tabu. Auf der anderen Seite will er ‘den Alltag der arbeitenden Menschen verbessern und Zuversicht geben, dass der Sozialstaat verlässlich schützt’.
Schöne Worte. Ein bedingungsloses Grundeinkommen würde sie mit Inhalt füllen.
Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe Mai 2019, erschienen.
Online-Flyer Nr. 704 vom 08.05.2019