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Arbeit und Soziales
Bedingungsloses Grundeinkommen: Eine Idee und ihre Geschichte
Der richtige Weg
Von Harald Schauff

Bereits mehrere Jahrhunderte existiert die Grundeinkommensidee. Zu ihren frühen Verfechtern zählte im 16. Jahrhundert der Brite Thomas Morus. Nie zuvor war sie jedoch so verbreitet wie in der heutigen Zeit, beflügelt durch technischen Fortschritt, Digitalisierung, Anspruch auf freie Entfaltung der Persönlichkeit und freie Lebensgestaltung so wie der Forderung nach sozialer Gerechtigkeit und Sicherheit. Inzwischen gibt es umfangreiche Literatur zum Thema. Ein 514-seitiger Sammelband mit dem Titel ‚Bedingungsloses Grundeinkommen. Grundlagentexte‘ erschien unlängst beim Suhrkamp-Verlag. Er bietet einen Überblick über die historische Entwicklung der Idee und ihre verschiedenen Ansätze.

Herausgegeben haben ihn Philip Kovce, Jahrgang 1986, der an der Seniorprofessur für Wirtschaft und Philosophie der Universität Witten/Herdecke und am Basler Philosophicum forscht und der Inhaber der genannten Professur, Birger P. Priddat. Kovce gab der Frankfurter Rundschau dazu im September ein Interview. Die Fragen stellte der Journalist Arno Widmann. Vor knapp einem Jahr schrieb dieser über das neue Buch des Elitenforschers Michael Hartmann. Er eröffnete seinen Artikel mit einem Paukenschlag, bezeichnete den Begriff der Leistungsgesellschaft als Lüge.

Seine erste Frage an den Philosophen Kovce verrät allerdings, dass er sich noch nicht intensiver mit dem Grundeinkommen auseinander gesetzt hat. Er führt die Legende an, wonach der römische Bürger während der Kaiserzeit eine zum Überleben genügend hohe Weizenration nebst freien Eintritt zu Gladiatorenkämpfen erhalten haben soll. Genau dies meint der Ausdruck ‚Brot und Spiele‘. Daran denkt Widmann, wie er selbst einräumt, wenn er ‚bedingungsloses Grundeinkommen‘ hört.

Hören ist das eine, Verstehen das andere. Von einem Kritiker der Leistungsgesellschaft hätte man mehr erwartet. Gut, dass er in Philip Kovce einen kompetenten Gesprächspartner hat, der ihm in Sachen Grundeinkommen bereitwillig Nachhilfe erteilt. Sogleich klärt Kovce Widmann auf: Das bedingungslose Grundeinkommen hat nichts mit spätrömischer Dekadenz zu tun. Dieser Vorwurf ist so alt wie falsch.

Beim Grundeinkommen handelt es sich keineswegs um ein Herrschaftsinstrument, das seine Empfänger nur abspeist und ruhigstellt. Vielmehr ist es ein ‚emanzipatorisches Projekt‘, welches nicht auf Hörigkeit, sondern auf die Mündigkeit des Einzelnen setzt.

Damit ist es mehr als eine bloße Wunschvorstellung. Kovce sieht es in der Tradition der Aufklärung der Menschen- und Bürgerrechte verortet. Es hat sozialliberale Vordenker wie Thomas Paine, John Stuart Mill und andere. Weder stellt das Grundeinkommen ein Almosen der Reichen für die Armen dar noch eine Abfindung der Mächtigen für die Ohnmächtigen. Vielmehr garantiert es ‚den existenzsichernden Anteil des Individualeinkommens und damit die materielle Grundlage moderner Freiheitsrechte‘, auf Basis von Demokratie und Marktwirtschaft.

Ohne erwähnte Grundlage, also ohne Grundeinkommen, verkümmern andere Grundrechte wie das auf Leben, körperliche Unversehrtheit oder freie Entfaltung der Persönlichkeit bald zu reinen Lippenbekenntnissen. Geldnot und Arbeitszwang setzen diese Rechte praktisch außer Kraft.

Auch der bestehende Sozialstaat gewährleistet sie nicht. Er verbreitet Angst und Schrecken anstatt für Sicherheit und Freiheit zu sorgen. Seine Tradition geht auf die Arbeits- und Zuchthäuser zurück. Dort sollte angeblich Dummen und Faulen Fleiß und Gehorsam eingeprügelt werden. Hartz IV ist die moderne Version davon. Völlig zu Recht prüft das Bundesverfassungsgericht derzeit, ob Hartz IV im Grundsatz gegen die Verfassung verstößt.

Um die Geschichte des Grundeinkommens zu dokumentieren, ist es notwendig, historisch wie ideologisch weit auszuholen. Die Idee verbindet die unterschiedlichsten Zeiten, Denker und Milieus miteinander. Der erste Text des von Kovce mit heraus gegebenen Sammelbandes stammt aus dem Dialogroman ‚Utopia‘, den 1516 der britische Staatsmann und Humorist Thomas Morus verfasste.

Ihm schwebt ein Grundeinkommen als passendes Mittel zur Bekämpfung der Kriminalität vor. Üblicherweise werden Diebe damals hingerichtet. Morus findet die Todesstrafe moralisch unangemessen und disziplinarisch ungeeignet. Wer Hunger leidet, steht Strafen gleichgültig gegenüber und ist zumeist nicht schuldfähig. Morus plädiert dafür, nicht die Diebe, sondern Not und Elend als Ursachen des Diebstahls zu beseitigen.

Eher zwiespältig schaut der US-Ökonom Milton Friedman auf das Grundeinkommen. Er befürwortet es seinerzeit als Mittel zur Armutsbekämpfung. Weniger aus Überzeugung als vielmehr aus Verlegenheit. Im Hinblick auf die aufgeblähte Sozialbürokratie erscheint es ihm als das kleinere Übel. Im Prinzip möchte er bei der sozialen Sicherung keine Rechtsansprüche, lieber sind ihm unverbindliche milde Gaben.

Das Vorwort im Sammelband beginnt mit dem programmatischen Satz: ‘Wer darüber befinden will, ob die Zeit einer Idee gekommen sei, der hat sich nicht nur mit dem herrschenden Zeitgeist, sondern ebenfalls mit der Zeitgestalt der Idee auseinanderzusetzen.‘

Kovce erklärt dazu: Ideen fallen nicht vom Himmel, sondern entwickeln sich im Laufe der Zeit. Das Grundeinkommen braucht an die 500 Jahre, bevor es die intellektuellen Zirkel verlässt und auf die große politische Bühne gelangt. Der Reichtum seiner Ideengeschichte zeigt: Das Grundeinkommen ist keine mediale Eintagsfliege. Wer es dennoch so behandelt, trägt zur ideellen Verarmung der Gegenwart bei.

In Deutschland zündet das Grundeinkommen erst spät. Die ersten deutschen Grundlagentexte im Sammelband stammen aus dem 20. Jahrhundert. Erste Ansätze tauchen allerdings sehr viel früher auf. Etwa bei Friedrich Schiller in seinen Überlegungen zum ‚ästhetischen Staat‘, die er 1805 in den ‚Ästhetischen Briefen‘ vertieft. Schon 1793 schreibt er seinem Gönner, dem Prinzen von Augustenburg: „Der Mensch ist noch sehr wenig, wenn er warm wohnt und sich satt gegessen hat, aber er muss warm wohnen und satt zu essen haben, wenn sich die bessere Natur in ihm regen soll.“

1797 fordert ein Zweizeiler Schillers: „Nichts mehr davon, ich bitt‘ euch. Zu essen gebt ihm, zu wohnen./ Habt ihr die Blöße bedeckt, gibt sich die Würde von selbst.“

Die Grundeinkommensidee blickt bereits auf eine lange Geschichte zurück. Die Frage drängt sich auf, warum sie gerade heute so hoch im Kurs steht. Offensichtlich treffen hier zwei Entwicklungen aufeinander: Zunehmende Digitalisierung und Individualisierung. Kovce zufolge vereinigen sich darin die pragmatisch-sozial-politische und die idealistisch-grundrechtliche Strömung des Grundeinkommens. Für den Menschen bedeutet beides die Befreiung aus der Gefangenschaft der industriellen Monotonie.

Das Industriezeitalter war die letzte von Knappheit geprägte Epoche. Arbeit war darin Frondienst und Leben fand nur in der Freizeit statt. Heute befinden wir uns jedoch in Zeiten ‚postindustriellen Überflusses‘. Dieser ermöglicht längst, dass Arbeit und Leben frei gewählt und selbst bestimmt werden können. Damit dies tatsächlich geschieht, dafür sorgt das Grundeinkommen.

Inzwischen schwimmen auf der anschwellenden Woge des bedingungslosen Grundeinkommens zahlreiche Falschmünzer mit. Sie zweckentfremden den Begriff für ihre Interessen und betreiben damit Etikettenschwindel. Im Visier hat Kovce vor allem die SPD, die sich zuletzt mehrmals versündigte. Etwa bei der Forderung nach einem staatlich geförderten Sabbatjahr, das als ‚Grundeinkommensjahr‘ ausgegeben wird.

Ein weiteres Beispiel ist das ‚solidarische Grundeinkommen‘. Dahinter verbirgt sich letztlich eine Art Arbeitsplatzbeschaffungsmaßnahme (ABM), ein Projekt auf dem sozialen Arbeitsmarkt. Das ‚solidarische Grundeinkommen‘ tauchte letztes Jahrzehnt schon einmal auf, allerdings nicht in den Schlagzeilen der Presse. Der Rhein-Erft-Kreisverband der SPD verstand darunter ein wirkliches Grundeinkommensmodell, das über eine negative Einkommenssteuer finanziert werden soll.

Berlins Oberbürgermeister Müller hat den Begriff von den eigenen Genossen gestohlen. Etikettenschwindel und -diebstahl in Einem. Kovce nennt das ‚dreistes Marketing‘. Er unterstreicht: Beim Grundeinkommen ist es wichtig, die Spreu vom Weizen zu trennen. Dafür gilt es zu beachten: Es ist in existenzsichernder Höhe, als individueller Rechtsanspruch und ohne Gegenleistung, eben tatsächlich bedingungslos, zu gewähren.

Bis heute stehen der Einführung des Grundeinkommens hauptsächlich zwei Behauptungen im Wege:
<ol>
1) Es lässt sich nicht finanzieren.
2) Niemand will dann mehr arbeiten, es macht die Menschen also faul.
</ol>

Kovce betont: Beide Einwände stimmen nicht. Vielmehr ist richtig: ‚Kontrolle ist gut, Vertrauen ist besser.‘ Nicht die Bedingungslosigkeit kommt uns teuer zu stehen, ‚sondern der Hartz-IV-Sozialstaat, der mündige Bürger überwacht und abstraft!‘

Dann spricht Kovce die Wahrheit über die real existierende Arbeit aus: Wer dazu gezwungen ist, also arbeiten ‚muss‘, tut alles Mögliche, um es sein zu lassen. Daher gilt: Je unfreier die Arbeit, desto fauler die Mitarbeiter. Schlimmstenfalls geben sie sich noch geschäftig, während sie innerlich längst gekündigt haben. Für Kovce ist das ‚die Krux des aktuellen Arbeitszwangs.‘

Mit einem bedingungslosen Grundeinkommen würde sich die Arbeit im Kern verändern, wir könnten auf elende Plackerei verzichten. Früher nahmen uns Dampfmaschinen ständig mehr Handarbeit ab. Heute erledigen Rechenmaschinen mehr und mehr Kopfarbeit.

Für die Menschen bleiben Dienstleistungen von Mensch zu Mensch übrig. Im Bereich von Bildung, Beratung, Betreuung usw. Gerade hier bildet Freiwilligkeit die beste Voraussetzung für gute Leistungen. Echte Freiwilligkeit setzt wiederum Sinnhaftigkeit voraus. Mit dem bedingungslosen Grundeinkommen muss niemand mehr sinnlos arbeiten. Dadurch können wir auch auf die Freiwilligkeit der anderen bauen. Kovce selbst tut, was er will und was andere brauchen, wie er sagt. Das ist seine Arbeit. Er ist dadurch mehr als vollbeschäftigt.

Die Grundeinkommensidee existiert bereits seit Jahrhunderten. Bisher wurde sie nur im kleinen, überschaubaren Rahmen getestet. Im Hinblick auf die lange Geschichte ließe sich fragen, ob sie überhaupt Chancen hat, jemals in größerem Maßstab umgesetzt zu werden.

Die positive Antwort gibt der Traum vom Fliegen. Ihn gab es seit Jahrtausenden, bevor sich vor über 200 Jahren daran gemacht wurde, ihn endlich zu verwirklichen. Beim Grundeinkommen dürfte es deutlich schneller gehen.


Harald Schauff ist Redakteur der Kölner Obdachlosen- und Straßenzeitung "Querkopf". Sein Artikel ist im "Querkopf", Ausgabe November 2019, erschienen.

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