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Kultur und Wissen
Kritik einer längst nicht überholten US-amerikanischen Abtreibungs-Fiktion
"Gottes Werk und Teufels Beitrag"
Von Irene Eckert
Anderswo, ging's mal anders zu: „In anderen Teilen der Welt (3) wird das Leben gefeiert. In jenen US-fernen, menschen- und kinderfreundlichen Zonen der Erde gilt der Knosp im Mutterschoß als kostbare Frucht. In jenen anderen Teilen der Welt gibt es kostenlose Beratung für werdende Mütter. Es gibt dort Mutter-Schutz-Gesetze, umfassende medizinische Betreuung und soziale Fürsorge durch die öffentliche Hand. Es gibt dort also Gesetze, die Schwangere und junge Mütter unter besonderen Schutz stellen. Auch für das werdende Leben ist bestens gesorgt: Es gibt Hebammen und Säuglingsschwestern, Kinderkrippen und Kindergeld, Elternzeit und Teilzeitarbeit für junge Mütter und Väter, außerdem gut ausgebildete, fähige und vor allem liebevolle Erzieherinnen. Das gesamte Umfeld freut sich auf das willkommene, neue Leben. Falls ein Neugeborenes dennoch einmal zur Adoption freigegeben wird, weil die Umstände es gebieten, dann werden sorgfältig ausgewählte, geeignete Ersatzeltern gefunden, die dem Kinde eine freundliche Zukunftsperspektive bieten. Sollten sich Schwangerschaftsunterbrechungen (4) trotz alledem einmal, umständehalber, als unausweichliche Notlösung abzeichnen, dann wird es den Frauen anheim gestellt, diese innerhalb gewisser Fristen unter medizinisch einwandfreien Bedingungen vornehmen zu lassen. Den allermeisten Eltern aber bereiten in freudiger Erwartung alles für den neuen Erdenbürger vor. (5)
„Ehrfurcht vor dem Leben“ wider lebensfeindliche All-Macht-Phobie
In anderen Zeiten galt die „Ehrfurcht vor dem Leben“ als universelles Ethikkonzept. Albert Schweitzer, der 'Urwaldarzt aus Lambarene' entschiedenster Verfechter dieser Doktrin, dreifacher Doktor, Musiker, Schriftsteller und Professor für Theologie aus dem Elsass wurde dafür 1954 mit dem Friedensnobelpreis belohnt. (6) In jenen, doch nicht so fernen Zeiten wäre jemand, der ein „Menschenrecht auf Abtreibung“ eingefordert hätte, für plem plem erklärt worden. Heute hat er Amnesty International auf seiner Seite (7).
In jenen vormals anderen Zeitwelten beherrschten die morbiden Unwerte und anarcho-nekrophilen Machtphobien des todgeweihten General-Imperiums noch nicht weitgehend unbeschränkt die Herzen und Hirne von Millionen Menschen der vielbeschworenen westlichen Wertegemeinschaft. Zu nahe noch waren die Schatten zweier völkermörderischer Kriege.
Zwischen den zwei Großen Kriegen wurde das Thema aber durchaus nicht ausgespart. Friedrich Wolf hat es etwa 1929 mit seinem international erfolgreichen Drama „Cyankali“ sozial relevant gestaltet. (8)
John Irving, ein seelenloser US-Seeleningenieur schafft Figuren ohne Herz
Inzwischen wird der die Seele spottende „Seeleningenieur“ (9) John Irving, der Erfinder einer illegalen, weltfernen, hoch in den Wolken gelegenen Abortpraxis aus der ersten Hälfte des 20sten Jahrhunderts im US-Bundesstaat Maine, als nobelpreisverdächtig bejubelt (10). Der Autor und sein äußerst zwielichtiger Protagonist, der menschenscheue, a-sexuelle, äthersüchtige Gynäkologe und Engelmacher Dr. Wilbur Larch werden insbesondere von der westlichen Filmkritik in den Himmel gelobt. Mit vorgeblich „sanften“ Händen will der Abtreibungsfanatiker die ebenfalls ätherbetäubten Schwangeren aus ihrer Not erlösen. Nacht für Nacht (!) nimmt der bis ins höchste Greisenalter aktive Abortpraktiker unter recht unhygienischen Umständen, in jeglichem Stadium Aborte vor. Die Föten liegen schon mal tagelang in der Nierenschale oder im Müll, so dass die Waisenkinder sie aufspüren. Als Tagewerk betreibt der noble Menschenfreund, quasi zur Tarnung, ein lieblos geführtes Waisenhaus, denn „Liebe im Waisenhaus kreiert nur Monster“, meint Dr. Larch. Als Agent für die Vermittlung von Adoptiveltern, versagt sein „Händchen“ nun ganz und gar. Die von ihm aufgetriebenen Paare erweisen sich fast ausnahmslos als noch haarsträubender und unmenschlicher als der von ihm geführte Notbehelf.
Ein Geburtshelfer/Engelmacher, der auf Leichenjagd geht
Von seinen stumpfsinnigen, ihm hörigen Krankenschwestern wird er trotz alledem als Held gefeiert. Dem tut auch kein Abbruch, dass der Abortspezialist auch schon mal auf Leichenjagd geht und selbstherrlich tote Körper beschnippelt. Ein von ihm aufgetriebener Kadaver mit dem sprechenden Namen „Clara“ tingelt als Motiv anhaltend durch das Romangeschehen. Die Beschaffung des Kadavers „Clara“ wird, genau wie das andere Tun Larchs, als „humanitärer“ Akt ausgewiesen. Er benötigt schließlich den leblosen Frauenkörper als Anschauungsmaterial und Übungsfeld für seinen früh traumatisierten, immer wieder verstoßenen „Lieblingszögling“ Homer Wells, dem er in ziemlich homo-erotischer Weise zugetan scheint. Dieses halbe Kind nötigt er im zarten Jünglingsalter, sich gefälligst nützlich zu machen. Der Waisenknabe muss ihm bei seinem nächtlichen Handwerk zur Seite zu stehen. Schließlich hat er den anstelligen Knaben zu seinem Nachfolger designiert. Dazu greift der „Hexenmeister“ (11) tief in die Lügenkiste. Als guter Amerikaner ist er auch versierter Chronist in Sachen Fake News. Um seinen Lieblingswaisen Arzt werden zulassen, muss Larch ihm eine Biografie andichten. Der Junge wird schließlich nie eine Schule abschließen, geschweige denn eine Hochschule von innen sehen. Also lässt der versierte Geschichtenerfinder und Engelmacher 'Homer Wells' fiktiv „sterben“ und verpasst ihm stattdessen das frei erfundene Gewand eines wirklich Toten. Es handelt sich um den unter seiner 'Fürsorge' früh zugrunde gegangenen, asthmatischen Waisenknaben 'Fuzzy Stone'. Solch absurde, um den Tod kreisende Schauer-Märchen-Details denkt sich der Möchtegerne Shakespeare unendlich viele in dieser skurrilen Phantasmagorie aus. So etwa, wenn der nochblutjunge Gynäkologe auf dem Weg zu seiner ersten Tätigkeit als Geburtshelfer - in einem Armenviertel in Boston - über einen matschigen Kopfsalat im düsteren Treppenhaus stolpert und meint, auf den weichen Schädel eines Neugeborenen zu treten. Während er das erste Baby zur Welt bringt, klingen ihm die Schreie des Säuglings dann wie Katzenjammer im Ohr. Da kommt wahrlich keine Freude.
Die Kulturkritik hört nicht, sieht nicht, fühlt nicht, liest sie überhaupt?
Bereits das Sprachniveau dieses makabren Wortgeplänkels ist für den anspruchsvollen Leser eine Zumutung. Die Geschichte ist äußerst langatmig erzählt, verliert sich - wie jede von Irvings Fiktionen - in sinnlosen Details, das Motiv wiederholt sich in Endlosschleifen. Dafür wird dem Konsumenten solcher Lektüre teils abtreibungsgynäkologisches Spezialvokabular, teils niedrigster Gassenhauer-Jargon aufgedrängt. Die Kulturkritik sieht großzügig über sprachliche Patzer und literarische Dürftigkeit hinweg und urteilt: „Es gibt viele Gründe, Irvings Werke zu lieben, und wer sie beschreiben will, muss Worte wählen, die verdächtig altmodisch klingen. Worte wie "menschlich", "zärtlich" oder "warm". (12)
Das ist starker Tobak und belegt einmal mehr, wie sehr die westliche Welt, wie sehr wir uns im Schlepptau US-amerikanischer Lebensfeindlichkeit bewegen und gelernt haben, uns unterzuordnen. Es gibt aber viele, unendlich viele Gründe dafür, solch absurder Lobhudelei, die das Wesen des Irvingschen Oeuvres geradezu auf den Kopf stellt, ins Wort zu fallen. (13) Bei Lichte besehen ist der ganze, im englischen Original fast 600 Seiten umfassende Roman ein vor Lieblosigkeit nur so triefendes Teufelswerk. Sein Protagonist Dr. Wilbur Larch behauptet zwar mit zynischer Häme „Gottes Werk“ auszuführen. 'Liebe' im Sinne von „Agape“, Wertschätzung, Ehrfurcht vor altmodisch gesprochen „Gottes Schöpfung“ oder einfach Menschenliebe, Verständnis für einander, tiefe Gefühle, freundliche Gesten so etwas kommt in John Irvings Werken generell nicht vor. Menschlich nahe kommen sich die Akteure praktisch nur in körperlich anzüglicher Form und in fast ausschließlich enthumanisierten Sexualakten. Wilbur Larchs einziger Versuch, der „Liebe“ zu begegnen, fand in einem Hurenhaus statt, wohin ihn sein Alkoholiker-Vater geschickt hatte. Dort holt er sich noch vor Beginn seines Medizinstudiums eine Geschlechtskrankheit und verzichtete folglich für den Rest seines Lebens auf derlei „Freuden“. Andere lernt er nicht kennen. Melony, das weibliche pendant zu Homer, wie er ein Waisenzögling von St. Cloud, ist hässlich und durchweg schlechter Laune. Sie hält sich männliche wie weibliche Annäherungsversuche mit brutaler Körpergewalt vom Leib oder schafft sich gemeine Abhängigkeiten. Auch zwischen Homer, den sie für ihren Typen hält, und ihr gibt es nie Zärtlichkeit oder Seelennähe, genau so wenig wie zwischen Candy und Homer, die doch immerhin ein gemeinsames Kind haben. Auch dieser Junge wird früh Assistent bei einer leider Not-wendigen Abtreibung, die der Vater Homer vornimmt.
Brutalo-Sex statt zärtlicher Liebe
Auch in der potentiell paradiesischen Gegenwelt „Ocean View“, dem Apfelhain, wo sich das Mostkelterhaus befindet, gibt es nur sexualisierte Anmache, brutalisierte Kontakte, Kindes-Missbrauch, Gehorsamserzwingung durch Messerspielerei, Vergewaltigung, misshandelnde Ehemänner oder ein sich gegenseitig Übers-Ohr-Hauen durch den hämisch-kostenlosen Vertrieb durchlöcherter Präservative. Daneben existieren abgestumpfte, a-sexuelle Charaktere (14), mehr oder weniger vereinsamte Einzelwesen. In Irvings Roman ist von Gottes Wirken wenig zu spüren.
Frauenbefreiung geht anders
Hier wird im Dunkeln gemunkelt und eher dem Teufel gehuldigt. Hier findet alles andere als Frauenbefreiung statt. Wenn der ätherbesoffene Doktor chirurgische Eingriffe in weibliche Unterleiber vornimmt, befreit er sich eher selbst von unterdrücktem Frauenhass, von seiner eigenen Angst vor der Fruchtbarkeit. Für ihn gibt es nur die groteske Alternative: Abort oder Waisenproduktion. Wenn der nie zur Ruhe kommende, engelmachende Alleinherrscher sein illegales Tun in seiner gefälschten Chronik beweihräuchert, dann bezeugt der enttäuschte Bordellbesucher nur einen gescheiterten Lebensentwurf, in dem es keine Freude gibt. Wenn der Autor John Irving Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts seinen Helden mit stetiger Beharrlichkeit die Legalisierung der Abtreibung fordern lässt (15), dann verkennt er die Züge der Zeit. Es ist die Epoche der großen weltweiten Anti-Atom-Kriegs-Bewegung. Irvings alias Larchs kämpferischer Einsatz gilt unterdessen der Erlösung jener Mühseligen und Beladenen, die ihre Leibesfrucht loswerden wollen, ein Kampf gegen, nicht für das Über-Leben. Die Frauen verlassen genauso traurig wie vor Eingriff, von Nachblutungen geplagt, die Abortklinik.
Unterdessen spottet der „behutsame Geburtshelfer“ am offenen Körper über die nicht vorhandene Seele. Als Frauenarzt und eigentlich Nicht-Chirurg obduziert er selbstherrlich die Leiche eines kleinen Beamten, einer der sah, was da oben getrieben wurde und ihm lebend hätte gefährlich werden können.
Anmaßung gepaart mit moralischer Untiefe oder US-imperiales Kulturgut
Man könnte nun den missglückten, in zwei Hälften zerfallenen Schinken (16) auf Grund seiner moralischen Untiefe und seines Gassenhauer-Jargons als postmoderne Posse, als morbide, herz- und seelenlose Farce bezeichnen und mehr oder weniger unbeachtet beiseite legen. Man könnte sie als überholt abtun oder als unvermeidliche Schund- oder Trivial-Literatur der Mülltonne anheimstelle. Aber damit wäre die Chance vertan, der Wirkungsmacht eines US-amerikanischen, künstlich hoch gepreisten Propagandaprodukts zumindest die rote Karte zu zeigen. (17) Mittels Irvings propagandistisch vertriebenem Fascho-Kitsch wird nämlich Millionen Lesern ganz unmerklich und nebenbei das unheilfördernde US-amerikanische Menschen- und Weltbild als feinstes Geistesgift eingetrichtert. Es vermag - da meist unwidersprochen - durchaus auch akademisch gebildete Köpfe zu infiltrieren. Viel gewichtiger aber: es handelt sich um Begleitmusik für Schlimmeres. Es zielen solche Kunstfabrikate darauf, dass wir fraglos akzeptieren, hinnehmen oder gar für humanistisch halten sollen, was US-amerikanische Politik uns seit Jahrzehnten zumutet.
Begleitmusik für US-amerikanisches Teufelswerk in der Welt
Solcher Art hochgepeitschte, hochgepriesene Inhumanität regiert schließlich seit Jahrzehnten fast unumstritten die Welt. Dieses Geistes Kinder überziehen den Globus seit 1945 mit endlosen Interventionskriegen, Regierungsstürzen und nachfolgenden Raubzügen: Hiroshima, Korea, Vietnam, Lateinamerika, Indonesien, Philippinen, Nahost, Nordafrika... Die „unverzichtbare Nation“ - “god's own nation“ gibt diese gewalttätigen Eingriffe selbstredend stets als humanitäre Akte aus. Sie bemänteln genau wie unser Romanheld ihr teuflisches Tun als 'Gottes Werk'.
Schwerer noch als die so gezeugten Demütigungen, Entrechtungen, Zerstörungen, schwerer noch wiegen die Zertrümmerung von Kulturgut, die Verunreinigung des Denkens und Fühlens. Entmenschlichende Brutalisierung findet nicht nur in Irvings Romanen, sondern in den sehr realen Feldzügen und Folterlagern der USA auf dem ganzen Globus vor aller Welt sichtbar statt. Als Begleitmusik dazu gibt es als Dauerberieselung von der transatlantisch gesteuerten Filmindustrie, in sämtlichen Medien, in der Unterhaltungsindustrie, in den Werbekampagnen, der PR-Industrie, aber auch in den Bereichen, die sich einst Hochkultur nannte, auf dem Buchmarkt und auf der Bühne Szenen abstumpfender Gewalt.
John Irvings Roman spiegelt uns diese todgeweihte US-imperialistische Gefühls- und Gedankenwelt wie in einer Nussschale. Seine Figuren als Charaktere zu bezeichnen wäre ein Euphemismus. Familie und Heimat haben jegliche positive Konnotation verloren. Selbst vermeintliche Kriegshelden sind nicht ausgenommen: Wally Worthington, Sohn gut situierter Eltern, Leute die den zweiten Handlungsschauplatz besiedeln, Eigner eines Obstguts, einer Apfelfarm mit Most-Verarbeitungsanlage. Der junge Mann verzichtet auf Vaterschaft, drängt seine Quasi-Verlobte, eine immerhin junge und schöne Braut zum Abort und kommt als steriler Krüppel aus dem Krieg gegen die „Japse“ über Burma nach Hause. Ende der Fahnenstange. Ein Kind hat die Zuckerpuppe inzwischen von Homer, dem Waisen, ausgerechnet in der idyllischen Abtreibungsklinik geboren. Sie ziehen dieses dann zu dritt als adoptiertes „Waisenkind“ auf.
Das ist alles was bleibt von solchem American Way of Life. Wahrlich kein göttlich-schöpferisches Werk. Eine Gesellschaft, die solche Werke heroisiert, die als faktisch einzigen Roman-Inhalt Freiheit als Recht auf Abtreibung feiert, hat weder Herz noch Vernunft noch Zukunft.
Wir sollten nicht unbedingt von solcher Lektüre Abstand nehmen, aber uns doch auf Recht und Gesetz und vor allem auf eigene Moralvorstellungen besinnen. Es ist an der Zeit, die Idealisierung des US-Hegemons beiseite zu legen und der von ihm angeführten Pseudo-Wertegemeinschaft Adieu zu sagen.
Fußnoten:
1 Anmerkung zum Artikel-Titel "Gottes Werk und Teufels Beitrag": Kritik des Roman von John Irving (Englischer Original: The Cider House Rules, erschienen in New York 1985, sofort Buch des Monats des „Club Maine“ im Summer 1985, Maine Ort der Handlung), Vorabdruck in der renommierten Frauenzeitschrift Ms Magazine, verfilmt 1999, Drehbuch vom Autor mit Oscar prämiert. Der Film erhielt höchste Wertschätzungen der Kritik: „Die Verfilmung von John Irvings 'Gottes Werk und Teufels Beitrag' berührt durch ihre Menschlichkeit, verzaubert in ihrer Zartheit, überzeugt mit ihrer Weisheit - und fordert das Recht auf Abtreibung ... Hier haben wir es mit einer Verfilmung zu tun, die seiner Vorlage gerecht wird.“ (https://www.cinema.de/film/gottes-werk-und-teufels-beitrag,1339744.html) Das verfilmte Machwerk ist kosten– und problemlos im Internet abrufbar.
2 Anmerkung zum Artikel-Zweittitel "Kritik einer längst nicht überholten US-amerikanischen Abtreibungs-Fiktion": Mangels literarischer Qualität völlig unbegreiflicher Weise wurde der Titel zum Verkaufsschlager hochgejubelt: „Irvings Romane haben sich millionenfach verkauft, in Dutzenden Sprachen. Kritiker nennen ihn den Dickens der Gegenwart, seine Bücher – darunter der Bestseller „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ verbinden eine fast schon journalistisch genaue Beobachtungsgabe mit überbordender Fantasie.“ 1999 erlebte dieser als Verfilmung noch größeren Ruhm. Irving schrieb selbst das Drehbuch und wurde mit dem Oscar ausgezeichnet, dem höchsten Preis ausgezeichnet, den die Filmindustrie zu vergeben hat. Sein 15. Roman müsste inzwischen erschienen sein: https://www.deutschlandfunk.de/75-geburtstag-irvings-erfolgsrezept.1773.de.html?dram:article_id=380261 Zu seinem 75. Geburtstag wurde im März 2017 von den bundesdeutschen Gazetten noch einmal gepriesen: „John Irving gilt vielen als „der letzte noch aktive große amerikanische Autor“ https://www.svz.de/deutschland-welt/leute/den-letzten-satz-immer-zuerst-id16245391.html ©2020. Inzwischen sorgt sogar ein literarischer Frischling ganz in seinem Sinne und Stil für Irvings und seines Helden Homer Wells Fortleben. Unter dem Pseudonym Benedict Wells fabuliert dieser Nachkomme Baldur Benedikt von Schirachs über „Das Ende der Einsamkeit“, Baldur Benedikt von Schirach (1907-1974) war während der Zeit des Nationalsozialismus und Reichsjugendführer der NSDAP. Schirach gehörte zu den 24 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof angeklagten Personen und wurde am 1. Oktober 1946 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt,
3 „In other parts of the world“, so beginnt Dr. W. Larch, Irvings Protagonist, jede seiner sehr eigenwillig bis verlogenen „Chronik“-Eintragungen und stellt seine Welt der ganz anderen gegenüber, womit er gleichzeitig zum Ausdruck bringt, dass für ihn und sein Reich andere Regeln, vor allem aber keine Gesetze gelten.
4 Es muss leider gesagt werden: Der auch in Zeiten allseits zugänglicher Empfängnisverhütungsmittel manchmal Not-wendig erscheinende Abort ist für Frauen immer Ausdruck einer inneren oder äußeren Notlage, vielleicht gar einer ansonsten unabwendbaren Tragödie. Das gilt auch dann, wenn er legal und unter medizinisch einwandfreien Umständen erfolgt. Junge, besonders sehr junge Frauen und vor allem ihre Partner mögen das Abtreibungsergebnis zunächst als befreiend erleben. Vielleicht erleben sie die volle Bedeutung des Eingriffs in zeitlicher Verschiebung erst Jahre später oder auch nie. Die bedingte Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in gewissen festgelegten Grenzen mag schon manches Frauenleid minimiert haben. Der wichtigere Beitrag nicht nur für die Befreiung der Frau sondern vor allem für gebär- und kinderfreudige Bedingungen war und bleibt die Schaffung einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Die Weiterentwicklung von frauenfreundlichen Empfängnisverhütungsmitteln und die Schaffung sozialer Voraussetzungen für werdende, junge Mütter ergänzen sich gegenseitig. Die Forderung nach einem „Menschenrecht für Abtreibung“ wie es der Protagonist in der Abtreibungsfiktion John Irvings, vermeintlich im Interesse der Frauen und womöglich ihrer ungeborenen Kinder fordert, hat die Perpetuierung eines sozialen Notstands zur Voraussetzung.
5 Die aufgezählten, staatlich gewährten Sozialleistungen gelten insbesondere nicht in den USA, also auch nicht im Ostküstenstaat Maine Kinderkriegen gilt in den USA als reine Privatangelegenheit.
6 https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/albert-schweitzers-ehrfurcht-vor-dem-leben, https://www.mdr.de/zeitreise/ddr/albert-schweitzer102.html
7 Die Tatsache, dass Amnesty 2018 diese Forderung aufgriff, zeigt nur wessen Geistes Kind diese US- gesteuerte NGO ist. https://www.die-tagespost.de/politik/Amnesty-Abtreibung-soll-Menschenrecht-sein;art438,190403
8 https://de.wikipedia.org/wiki/Cyankali_(Wolf)
9 Als „Ingenieure der Seele“ bezeichnete einst Josef Stalin Schriftsteller und Literaten
10 „John Irving ist vielleicht kein Wortakrobat unter den Schriftstellern, kein Zeilendrechsler, aber er ist ein Menschenfänger, ein Seelenzauberer.“ https://rp-online.de/kultur/buch/john-irving-und-der-nobelpreis_aid-32873961 Mit diesen Worten wird der Autor für 2018 als Nobelpreisempfänger empfohlen, hat er doch 15 Erfolgs-Bücher seit 1968 verzapft.
11 So nennt der Protagonist sich einmal selber!
12 https://www.cinema.de/film/gottes-werk-und-teufels-beitrag,1339744.html
13 Auch wenn der „Cider House“ Roman schon 35 Jahre alt ist, wird er noch immer zitiert, gelesen und als belangvoll gehandelt. Alle der bisher erschienen vierzehn Romane des Autors sind Weltbestseller und in mehr als 35 Sprachen übersetzt, vier davon mit erstklassigen Schauspielern verfilmt.
14 Am abgelegenen Ort A – St. Cloud der Handlung gibt es nur willenlose Mitarbeiterinnen des Protagonisten, Krankenschwestern, die keine Hebammen sind eine sentimentale, überforderte Heimleiterin, Vertreter der fernen und gänzlich inkompetenten Aufsichtsbehörde. Im Tal: alleinstehende Bahnhofsvorsteher und Herumlungerer, schemenhaft auftauchende Abtreibungswillige in allen Stadien der Schwangerschaft, Prostituierte samt Töchter, die demselben Gewerbe nachgehen und ein schwer drogensüchtiger Junkie als Arzt, der dauerhaft viel zu zugedröhnt ist, um andere, etwa sexuelle Ambitionen zu haben.
15 Das Verbot wurde in den USA 1973 aufgehoben
16 Die zweite Hälfte des Schinkens spielt im Most- oder Apfelweinhaus, trotz der Örtlichkeit 'Ocean View' am Meer in einem Apfelhain gelegen, alles andere als ein Paradies.
17 Irving stand 2018 auf der Short-Liste für den Literaturnobelpreis!
Online-Flyer Nr. 733 vom 29.01.2020
Kritik einer längst nicht überholten US-amerikanischen Abtreibungs-Fiktion
"Gottes Werk und Teufels Beitrag"
Von Irene Eckert
Anderswo, ging's mal anders zu: „In anderen Teilen der Welt (3) wird das Leben gefeiert. In jenen US-fernen, menschen- und kinderfreundlichen Zonen der Erde gilt der Knosp im Mutterschoß als kostbare Frucht. In jenen anderen Teilen der Welt gibt es kostenlose Beratung für werdende Mütter. Es gibt dort Mutter-Schutz-Gesetze, umfassende medizinische Betreuung und soziale Fürsorge durch die öffentliche Hand. Es gibt dort also Gesetze, die Schwangere und junge Mütter unter besonderen Schutz stellen. Auch für das werdende Leben ist bestens gesorgt: Es gibt Hebammen und Säuglingsschwestern, Kinderkrippen und Kindergeld, Elternzeit und Teilzeitarbeit für junge Mütter und Väter, außerdem gut ausgebildete, fähige und vor allem liebevolle Erzieherinnen. Das gesamte Umfeld freut sich auf das willkommene, neue Leben. Falls ein Neugeborenes dennoch einmal zur Adoption freigegeben wird, weil die Umstände es gebieten, dann werden sorgfältig ausgewählte, geeignete Ersatzeltern gefunden, die dem Kinde eine freundliche Zukunftsperspektive bieten. Sollten sich Schwangerschaftsunterbrechungen (4) trotz alledem einmal, umständehalber, als unausweichliche Notlösung abzeichnen, dann wird es den Frauen anheim gestellt, diese innerhalb gewisser Fristen unter medizinisch einwandfreien Bedingungen vornehmen zu lassen. Den allermeisten Eltern aber bereiten in freudiger Erwartung alles für den neuen Erdenbürger vor. (5)
„Ehrfurcht vor dem Leben“ wider lebensfeindliche All-Macht-Phobie
In anderen Zeiten galt die „Ehrfurcht vor dem Leben“ als universelles Ethikkonzept. Albert Schweitzer, der 'Urwaldarzt aus Lambarene' entschiedenster Verfechter dieser Doktrin, dreifacher Doktor, Musiker, Schriftsteller und Professor für Theologie aus dem Elsass wurde dafür 1954 mit dem Friedensnobelpreis belohnt. (6) In jenen, doch nicht so fernen Zeiten wäre jemand, der ein „Menschenrecht auf Abtreibung“ eingefordert hätte, für plem plem erklärt worden. Heute hat er Amnesty International auf seiner Seite (7).
In jenen vormals anderen Zeitwelten beherrschten die morbiden Unwerte und anarcho-nekrophilen Machtphobien des todgeweihten General-Imperiums noch nicht weitgehend unbeschränkt die Herzen und Hirne von Millionen Menschen der vielbeschworenen westlichen Wertegemeinschaft. Zu nahe noch waren die Schatten zweier völkermörderischer Kriege.
Zwischen den zwei Großen Kriegen wurde das Thema aber durchaus nicht ausgespart. Friedrich Wolf hat es etwa 1929 mit seinem international erfolgreichen Drama „Cyankali“ sozial relevant gestaltet. (8)
John Irving, ein seelenloser US-Seeleningenieur schafft Figuren ohne Herz
Inzwischen wird der die Seele spottende „Seeleningenieur“ (9) John Irving, der Erfinder einer illegalen, weltfernen, hoch in den Wolken gelegenen Abortpraxis aus der ersten Hälfte des 20sten Jahrhunderts im US-Bundesstaat Maine, als nobelpreisverdächtig bejubelt (10). Der Autor und sein äußerst zwielichtiger Protagonist, der menschenscheue, a-sexuelle, äthersüchtige Gynäkologe und Engelmacher Dr. Wilbur Larch werden insbesondere von der westlichen Filmkritik in den Himmel gelobt. Mit vorgeblich „sanften“ Händen will der Abtreibungsfanatiker die ebenfalls ätherbetäubten Schwangeren aus ihrer Not erlösen. Nacht für Nacht (!) nimmt der bis ins höchste Greisenalter aktive Abortpraktiker unter recht unhygienischen Umständen, in jeglichem Stadium Aborte vor. Die Föten liegen schon mal tagelang in der Nierenschale oder im Müll, so dass die Waisenkinder sie aufspüren. Als Tagewerk betreibt der noble Menschenfreund, quasi zur Tarnung, ein lieblos geführtes Waisenhaus, denn „Liebe im Waisenhaus kreiert nur Monster“, meint Dr. Larch. Als Agent für die Vermittlung von Adoptiveltern, versagt sein „Händchen“ nun ganz und gar. Die von ihm aufgetriebenen Paare erweisen sich fast ausnahmslos als noch haarsträubender und unmenschlicher als der von ihm geführte Notbehelf.
Ein Geburtshelfer/Engelmacher, der auf Leichenjagd geht
Von seinen stumpfsinnigen, ihm hörigen Krankenschwestern wird er trotz alledem als Held gefeiert. Dem tut auch kein Abbruch, dass der Abortspezialist auch schon mal auf Leichenjagd geht und selbstherrlich tote Körper beschnippelt. Ein von ihm aufgetriebener Kadaver mit dem sprechenden Namen „Clara“ tingelt als Motiv anhaltend durch das Romangeschehen. Die Beschaffung des Kadavers „Clara“ wird, genau wie das andere Tun Larchs, als „humanitärer“ Akt ausgewiesen. Er benötigt schließlich den leblosen Frauenkörper als Anschauungsmaterial und Übungsfeld für seinen früh traumatisierten, immer wieder verstoßenen „Lieblingszögling“ Homer Wells, dem er in ziemlich homo-erotischer Weise zugetan scheint. Dieses halbe Kind nötigt er im zarten Jünglingsalter, sich gefälligst nützlich zu machen. Der Waisenknabe muss ihm bei seinem nächtlichen Handwerk zur Seite zu stehen. Schließlich hat er den anstelligen Knaben zu seinem Nachfolger designiert. Dazu greift der „Hexenmeister“ (11) tief in die Lügenkiste. Als guter Amerikaner ist er auch versierter Chronist in Sachen Fake News. Um seinen Lieblingswaisen Arzt werden zulassen, muss Larch ihm eine Biografie andichten. Der Junge wird schließlich nie eine Schule abschließen, geschweige denn eine Hochschule von innen sehen. Also lässt der versierte Geschichtenerfinder und Engelmacher 'Homer Wells' fiktiv „sterben“ und verpasst ihm stattdessen das frei erfundene Gewand eines wirklich Toten. Es handelt sich um den unter seiner 'Fürsorge' früh zugrunde gegangenen, asthmatischen Waisenknaben 'Fuzzy Stone'. Solch absurde, um den Tod kreisende Schauer-Märchen-Details denkt sich der Möchtegerne Shakespeare unendlich viele in dieser skurrilen Phantasmagorie aus. So etwa, wenn der nochblutjunge Gynäkologe auf dem Weg zu seiner ersten Tätigkeit als Geburtshelfer - in einem Armenviertel in Boston - über einen matschigen Kopfsalat im düsteren Treppenhaus stolpert und meint, auf den weichen Schädel eines Neugeborenen zu treten. Während er das erste Baby zur Welt bringt, klingen ihm die Schreie des Säuglings dann wie Katzenjammer im Ohr. Da kommt wahrlich keine Freude.
Die Kulturkritik hört nicht, sieht nicht, fühlt nicht, liest sie überhaupt?
Bereits das Sprachniveau dieses makabren Wortgeplänkels ist für den anspruchsvollen Leser eine Zumutung. Die Geschichte ist äußerst langatmig erzählt, verliert sich - wie jede von Irvings Fiktionen - in sinnlosen Details, das Motiv wiederholt sich in Endlosschleifen. Dafür wird dem Konsumenten solcher Lektüre teils abtreibungsgynäkologisches Spezialvokabular, teils niedrigster Gassenhauer-Jargon aufgedrängt. Die Kulturkritik sieht großzügig über sprachliche Patzer und literarische Dürftigkeit hinweg und urteilt: „Es gibt viele Gründe, Irvings Werke zu lieben, und wer sie beschreiben will, muss Worte wählen, die verdächtig altmodisch klingen. Worte wie "menschlich", "zärtlich" oder "warm". (12)
Das ist starker Tobak und belegt einmal mehr, wie sehr die westliche Welt, wie sehr wir uns im Schlepptau US-amerikanischer Lebensfeindlichkeit bewegen und gelernt haben, uns unterzuordnen. Es gibt aber viele, unendlich viele Gründe dafür, solch absurder Lobhudelei, die das Wesen des Irvingschen Oeuvres geradezu auf den Kopf stellt, ins Wort zu fallen. (13) Bei Lichte besehen ist der ganze, im englischen Original fast 600 Seiten umfassende Roman ein vor Lieblosigkeit nur so triefendes Teufelswerk. Sein Protagonist Dr. Wilbur Larch behauptet zwar mit zynischer Häme „Gottes Werk“ auszuführen. 'Liebe' im Sinne von „Agape“, Wertschätzung, Ehrfurcht vor altmodisch gesprochen „Gottes Schöpfung“ oder einfach Menschenliebe, Verständnis für einander, tiefe Gefühle, freundliche Gesten so etwas kommt in John Irvings Werken generell nicht vor. Menschlich nahe kommen sich die Akteure praktisch nur in körperlich anzüglicher Form und in fast ausschließlich enthumanisierten Sexualakten. Wilbur Larchs einziger Versuch, der „Liebe“ zu begegnen, fand in einem Hurenhaus statt, wohin ihn sein Alkoholiker-Vater geschickt hatte. Dort holt er sich noch vor Beginn seines Medizinstudiums eine Geschlechtskrankheit und verzichtete folglich für den Rest seines Lebens auf derlei „Freuden“. Andere lernt er nicht kennen. Melony, das weibliche pendant zu Homer, wie er ein Waisenzögling von St. Cloud, ist hässlich und durchweg schlechter Laune. Sie hält sich männliche wie weibliche Annäherungsversuche mit brutaler Körpergewalt vom Leib oder schafft sich gemeine Abhängigkeiten. Auch zwischen Homer, den sie für ihren Typen hält, und ihr gibt es nie Zärtlichkeit oder Seelennähe, genau so wenig wie zwischen Candy und Homer, die doch immerhin ein gemeinsames Kind haben. Auch dieser Junge wird früh Assistent bei einer leider Not-wendigen Abtreibung, die der Vater Homer vornimmt.
Brutalo-Sex statt zärtlicher Liebe
Auch in der potentiell paradiesischen Gegenwelt „Ocean View“, dem Apfelhain, wo sich das Mostkelterhaus befindet, gibt es nur sexualisierte Anmache, brutalisierte Kontakte, Kindes-Missbrauch, Gehorsamserzwingung durch Messerspielerei, Vergewaltigung, misshandelnde Ehemänner oder ein sich gegenseitig Übers-Ohr-Hauen durch den hämisch-kostenlosen Vertrieb durchlöcherter Präservative. Daneben existieren abgestumpfte, a-sexuelle Charaktere (14), mehr oder weniger vereinsamte Einzelwesen. In Irvings Roman ist von Gottes Wirken wenig zu spüren.
Frauenbefreiung geht anders
Hier wird im Dunkeln gemunkelt und eher dem Teufel gehuldigt. Hier findet alles andere als Frauenbefreiung statt. Wenn der ätherbesoffene Doktor chirurgische Eingriffe in weibliche Unterleiber vornimmt, befreit er sich eher selbst von unterdrücktem Frauenhass, von seiner eigenen Angst vor der Fruchtbarkeit. Für ihn gibt es nur die groteske Alternative: Abort oder Waisenproduktion. Wenn der nie zur Ruhe kommende, engelmachende Alleinherrscher sein illegales Tun in seiner gefälschten Chronik beweihräuchert, dann bezeugt der enttäuschte Bordellbesucher nur einen gescheiterten Lebensentwurf, in dem es keine Freude gibt. Wenn der Autor John Irving Mitte der 80er Jahre des vorigen Jahrhunderts seinen Helden mit stetiger Beharrlichkeit die Legalisierung der Abtreibung fordern lässt (15), dann verkennt er die Züge der Zeit. Es ist die Epoche der großen weltweiten Anti-Atom-Kriegs-Bewegung. Irvings alias Larchs kämpferischer Einsatz gilt unterdessen der Erlösung jener Mühseligen und Beladenen, die ihre Leibesfrucht loswerden wollen, ein Kampf gegen, nicht für das Über-Leben. Die Frauen verlassen genauso traurig wie vor Eingriff, von Nachblutungen geplagt, die Abortklinik.
Unterdessen spottet der „behutsame Geburtshelfer“ am offenen Körper über die nicht vorhandene Seele. Als Frauenarzt und eigentlich Nicht-Chirurg obduziert er selbstherrlich die Leiche eines kleinen Beamten, einer der sah, was da oben getrieben wurde und ihm lebend hätte gefährlich werden können.
Anmaßung gepaart mit moralischer Untiefe oder US-imperiales Kulturgut
Man könnte nun den missglückten, in zwei Hälften zerfallenen Schinken (16) auf Grund seiner moralischen Untiefe und seines Gassenhauer-Jargons als postmoderne Posse, als morbide, herz- und seelenlose Farce bezeichnen und mehr oder weniger unbeachtet beiseite legen. Man könnte sie als überholt abtun oder als unvermeidliche Schund- oder Trivial-Literatur der Mülltonne anheimstelle. Aber damit wäre die Chance vertan, der Wirkungsmacht eines US-amerikanischen, künstlich hoch gepreisten Propagandaprodukts zumindest die rote Karte zu zeigen. (17) Mittels Irvings propagandistisch vertriebenem Fascho-Kitsch wird nämlich Millionen Lesern ganz unmerklich und nebenbei das unheilfördernde US-amerikanische Menschen- und Weltbild als feinstes Geistesgift eingetrichtert. Es vermag - da meist unwidersprochen - durchaus auch akademisch gebildete Köpfe zu infiltrieren. Viel gewichtiger aber: es handelt sich um Begleitmusik für Schlimmeres. Es zielen solche Kunstfabrikate darauf, dass wir fraglos akzeptieren, hinnehmen oder gar für humanistisch halten sollen, was US-amerikanische Politik uns seit Jahrzehnten zumutet.
Begleitmusik für US-amerikanisches Teufelswerk in der Welt
Solcher Art hochgepeitschte, hochgepriesene Inhumanität regiert schließlich seit Jahrzehnten fast unumstritten die Welt. Dieses Geistes Kinder überziehen den Globus seit 1945 mit endlosen Interventionskriegen, Regierungsstürzen und nachfolgenden Raubzügen: Hiroshima, Korea, Vietnam, Lateinamerika, Indonesien, Philippinen, Nahost, Nordafrika... Die „unverzichtbare Nation“ - “god's own nation“ gibt diese gewalttätigen Eingriffe selbstredend stets als humanitäre Akte aus. Sie bemänteln genau wie unser Romanheld ihr teuflisches Tun als 'Gottes Werk'.
Schwerer noch als die so gezeugten Demütigungen, Entrechtungen, Zerstörungen, schwerer noch wiegen die Zertrümmerung von Kulturgut, die Verunreinigung des Denkens und Fühlens. Entmenschlichende Brutalisierung findet nicht nur in Irvings Romanen, sondern in den sehr realen Feldzügen und Folterlagern der USA auf dem ganzen Globus vor aller Welt sichtbar statt. Als Begleitmusik dazu gibt es als Dauerberieselung von der transatlantisch gesteuerten Filmindustrie, in sämtlichen Medien, in der Unterhaltungsindustrie, in den Werbekampagnen, der PR-Industrie, aber auch in den Bereichen, die sich einst Hochkultur nannte, auf dem Buchmarkt und auf der Bühne Szenen abstumpfender Gewalt.
John Irvings Roman spiegelt uns diese todgeweihte US-imperialistische Gefühls- und Gedankenwelt wie in einer Nussschale. Seine Figuren als Charaktere zu bezeichnen wäre ein Euphemismus. Familie und Heimat haben jegliche positive Konnotation verloren. Selbst vermeintliche Kriegshelden sind nicht ausgenommen: Wally Worthington, Sohn gut situierter Eltern, Leute die den zweiten Handlungsschauplatz besiedeln, Eigner eines Obstguts, einer Apfelfarm mit Most-Verarbeitungsanlage. Der junge Mann verzichtet auf Vaterschaft, drängt seine Quasi-Verlobte, eine immerhin junge und schöne Braut zum Abort und kommt als steriler Krüppel aus dem Krieg gegen die „Japse“ über Burma nach Hause. Ende der Fahnenstange. Ein Kind hat die Zuckerpuppe inzwischen von Homer, dem Waisen, ausgerechnet in der idyllischen Abtreibungsklinik geboren. Sie ziehen dieses dann zu dritt als adoptiertes „Waisenkind“ auf.
Das ist alles was bleibt von solchem American Way of Life. Wahrlich kein göttlich-schöpferisches Werk. Eine Gesellschaft, die solche Werke heroisiert, die als faktisch einzigen Roman-Inhalt Freiheit als Recht auf Abtreibung feiert, hat weder Herz noch Vernunft noch Zukunft.
Wir sollten nicht unbedingt von solcher Lektüre Abstand nehmen, aber uns doch auf Recht und Gesetz und vor allem auf eigene Moralvorstellungen besinnen. Es ist an der Zeit, die Idealisierung des US-Hegemons beiseite zu legen und der von ihm angeführten Pseudo-Wertegemeinschaft Adieu zu sagen.
Fußnoten:
1 Anmerkung zum Artikel-Titel "Gottes Werk und Teufels Beitrag": Kritik des Roman von John Irving (Englischer Original: The Cider House Rules, erschienen in New York 1985, sofort Buch des Monats des „Club Maine“ im Summer 1985, Maine Ort der Handlung), Vorabdruck in der renommierten Frauenzeitschrift Ms Magazine, verfilmt 1999, Drehbuch vom Autor mit Oscar prämiert. Der Film erhielt höchste Wertschätzungen der Kritik: „Die Verfilmung von John Irvings 'Gottes Werk und Teufels Beitrag' berührt durch ihre Menschlichkeit, verzaubert in ihrer Zartheit, überzeugt mit ihrer Weisheit - und fordert das Recht auf Abtreibung ... Hier haben wir es mit einer Verfilmung zu tun, die seiner Vorlage gerecht wird.“ (https://www.cinema.de/film/gottes-werk-und-teufels-beitrag,1339744.html) Das verfilmte Machwerk ist kosten– und problemlos im Internet abrufbar.
2 Anmerkung zum Artikel-Zweittitel "Kritik einer längst nicht überholten US-amerikanischen Abtreibungs-Fiktion": Mangels literarischer Qualität völlig unbegreiflicher Weise wurde der Titel zum Verkaufsschlager hochgejubelt: „Irvings Romane haben sich millionenfach verkauft, in Dutzenden Sprachen. Kritiker nennen ihn den Dickens der Gegenwart, seine Bücher – darunter der Bestseller „Gottes Werk und Teufels Beitrag“ verbinden eine fast schon journalistisch genaue Beobachtungsgabe mit überbordender Fantasie.“ 1999 erlebte dieser als Verfilmung noch größeren Ruhm. Irving schrieb selbst das Drehbuch und wurde mit dem Oscar ausgezeichnet, dem höchsten Preis ausgezeichnet, den die Filmindustrie zu vergeben hat. Sein 15. Roman müsste inzwischen erschienen sein: https://www.deutschlandfunk.de/75-geburtstag-irvings-erfolgsrezept.1773.de.html?dram:article_id=380261 Zu seinem 75. Geburtstag wurde im März 2017 von den bundesdeutschen Gazetten noch einmal gepriesen: „John Irving gilt vielen als „der letzte noch aktive große amerikanische Autor“ https://www.svz.de/deutschland-welt/leute/den-letzten-satz-immer-zuerst-id16245391.html ©2020. Inzwischen sorgt sogar ein literarischer Frischling ganz in seinem Sinne und Stil für Irvings und seines Helden Homer Wells Fortleben. Unter dem Pseudonym Benedict Wells fabuliert dieser Nachkomme Baldur Benedikt von Schirachs über „Das Ende der Einsamkeit“, Baldur Benedikt von Schirach (1907-1974) war während der Zeit des Nationalsozialismus und Reichsjugendführer der NSDAP. Schirach gehörte zu den 24 im Nürnberger Prozess gegen die Hauptkriegsverbrecher vor dem Internationalen Militärgerichtshof angeklagten Personen und wurde am 1. Oktober 1946 wegen Verbrechens gegen die Menschlichkeit zu 20 Jahren Haft verurteilt,
3 „In other parts of the world“, so beginnt Dr. W. Larch, Irvings Protagonist, jede seiner sehr eigenwillig bis verlogenen „Chronik“-Eintragungen und stellt seine Welt der ganz anderen gegenüber, womit er gleichzeitig zum Ausdruck bringt, dass für ihn und sein Reich andere Regeln, vor allem aber keine Gesetze gelten.
4 Es muss leider gesagt werden: Der auch in Zeiten allseits zugänglicher Empfängnisverhütungsmittel manchmal Not-wendig erscheinende Abort ist für Frauen immer Ausdruck einer inneren oder äußeren Notlage, vielleicht gar einer ansonsten unabwendbaren Tragödie. Das gilt auch dann, wenn er legal und unter medizinisch einwandfreien Umständen erfolgt. Junge, besonders sehr junge Frauen und vor allem ihre Partner mögen das Abtreibungsergebnis zunächst als befreiend erleben. Vielleicht erleben sie die volle Bedeutung des Eingriffs in zeitlicher Verschiebung erst Jahre später oder auch nie. Die bedingte Legalisierung von Schwangerschaftsabbrüchen in gewissen festgelegten Grenzen mag schon manches Frauenleid minimiert haben. Der wichtigere Beitrag nicht nur für die Befreiung der Frau sondern vor allem für gebär- und kinderfreudige Bedingungen war und bleibt die Schaffung einer kinderfreundlichen Gesellschaft. Die Weiterentwicklung von frauenfreundlichen Empfängnisverhütungsmitteln und die Schaffung sozialer Voraussetzungen für werdende, junge Mütter ergänzen sich gegenseitig. Die Forderung nach einem „Menschenrecht für Abtreibung“ wie es der Protagonist in der Abtreibungsfiktion John Irvings, vermeintlich im Interesse der Frauen und womöglich ihrer ungeborenen Kinder fordert, hat die Perpetuierung eines sozialen Notstands zur Voraussetzung.
5 Die aufgezählten, staatlich gewährten Sozialleistungen gelten insbesondere nicht in den USA, also auch nicht im Ostküstenstaat Maine Kinderkriegen gilt in den USA als reine Privatangelegenheit.
6 https://albert-schweitzer-stiftung.de/aktuell/albert-schweitzers-ehrfurcht-vor-dem-leben, https://www.mdr.de/zeitreise/ddr/albert-schweitzer102.html
7 Die Tatsache, dass Amnesty 2018 diese Forderung aufgriff, zeigt nur wessen Geistes Kind diese US- gesteuerte NGO ist. https://www.die-tagespost.de/politik/Amnesty-Abtreibung-soll-Menschenrecht-sein;art438,190403
8 https://de.wikipedia.org/wiki/Cyankali_(Wolf)
9 Als „Ingenieure der Seele“ bezeichnete einst Josef Stalin Schriftsteller und Literaten
10 „John Irving ist vielleicht kein Wortakrobat unter den Schriftstellern, kein Zeilendrechsler, aber er ist ein Menschenfänger, ein Seelenzauberer.“ https://rp-online.de/kultur/buch/john-irving-und-der-nobelpreis_aid-32873961 Mit diesen Worten wird der Autor für 2018 als Nobelpreisempfänger empfohlen, hat er doch 15 Erfolgs-Bücher seit 1968 verzapft.
11 So nennt der Protagonist sich einmal selber!
12 https://www.cinema.de/film/gottes-werk-und-teufels-beitrag,1339744.html
13 Auch wenn der „Cider House“ Roman schon 35 Jahre alt ist, wird er noch immer zitiert, gelesen und als belangvoll gehandelt. Alle der bisher erschienen vierzehn Romane des Autors sind Weltbestseller und in mehr als 35 Sprachen übersetzt, vier davon mit erstklassigen Schauspielern verfilmt.
14 Am abgelegenen Ort A – St. Cloud der Handlung gibt es nur willenlose Mitarbeiterinnen des Protagonisten, Krankenschwestern, die keine Hebammen sind eine sentimentale, überforderte Heimleiterin, Vertreter der fernen und gänzlich inkompetenten Aufsichtsbehörde. Im Tal: alleinstehende Bahnhofsvorsteher und Herumlungerer, schemenhaft auftauchende Abtreibungswillige in allen Stadien der Schwangerschaft, Prostituierte samt Töchter, die demselben Gewerbe nachgehen und ein schwer drogensüchtiger Junkie als Arzt, der dauerhaft viel zu zugedröhnt ist, um andere, etwa sexuelle Ambitionen zu haben.
15 Das Verbot wurde in den USA 1973 aufgehoben
16 Die zweite Hälfte des Schinkens spielt im Most- oder Apfelweinhaus, trotz der Örtlichkeit 'Ocean View' am Meer in einem Apfelhain gelegen, alles andere als ein Paradies.
17 Irving stand 2018 auf der Short-Liste für den Literaturnobelpreis!
Online-Flyer Nr. 733 vom 29.01.2020