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Krieg und Frieden
Zu den Vereinbarungen von Doha zwischen USA und Taliban vom 29.02.2020
Der Krieg in Afghanistan war falsch wie alle Kriege der Gegenwart
Von Jürgen Heiducoff (Veteran der Bundeswehr)

Die Vereinbarungen von Doha zwischen den USA und den Taliban vom 29.02.2020 haben die Potenz, ein neues Kapitel in der Geschichte dieses geplagten Landes am Hindukusch aufzuschlagen. So zumindest erwarten es die meisten Menschen – ausgenommen die, die von diesem Krieg profitieren oder politische Privilegien erzielen. Wie schon andere "Deals" des Präsidenten der USA lehren, heißt es abzuwarten. Die Vereinbarungen enthalten auch diesmal wieder viele Fallstricke für die Gegenseite. Wenn Trump das Ziel erreicht hat, wieder zum Präsidenten gewählt zu werden, dann verliert diese auf lange Perioden angelegte Vereinbarung ohnehin ihre Bedeutung.

Die Resonanz in den Medien ist schnell wieder abgeflaut. Immerhin wurde anerkannt, dass der Krieg in Afghanistan falsch gewesen sei (1). Welch eine überraschende Feststellung! Dies haben Beobachter in und außerhalb der Kriegsschauplatzes seit Jahren gesagt. Ihre Begründungen und Empfehlungen sind durch die Bundesregierung permanent ignoriert, sie selbst sind oft verhöhnt worden. Immer schön blind den Interessen Washingtons folgen – das war die Devise und das ist sie auch jetzt nach der spontanen Wendung im Vorfeld des Wahlkampfes in den USA. Bei der Bundesregierung ist keine Spur von einer eigenen, den Interessen des deutschen Volkes dienenden Politik und Strategie zu finden. Es mussten immer wieder Erfolgsmeldungen vom Hindukusch her. Wer die Lage in Afghanistan entsprechend des Wunschdenkens der Berliner Politik geschönt dargestellt hat, ist gefördert, wer die reale Lage geschildert hat, ist bestraft worden. Rehabilitation ist da nicht zu erwarten. Ebenso wenig können Opfer und Kosten infolge politischer Fehlentscheidungen rückgängig gemacht werden.

Die plötzlichen Einsichten in der Beurteilung der Lage und die neue Bewertung des längsten Krieges in der Geschichte der USA kommen mindestens 15 Jahre zu spät. Spätestens mit der Erweiterung des Krieges der NATO auf das gesamte Territorium Afghanistans war die Aussichtslosigkeit dieses Abenteuers offenkundig. Und es war klar, dass dieser Krieg durch keine der Seiten gewonnen werden kann. Doch arrogant und stur setzten die Politiker der NATO-Staaten ihre Strategie der Unterwürfigkeit unter den Willen der US-Administration durch.

Hilferufe von Insidern wurden ignoriert oder in den Müll entsorgt. So blieb zunächst auch mein „Brandbrief aus Kabul“ mit einer scharfen Kritik an der westlichen Kriegführung, den ich als Militärpolitischer Berater des deutschen Botschafters in Afghanistan auf offiziellem Kanal an den damaligen Bundesaußenminister Steinmeier sandte, unbeantwortet. Erst der Hinweis der Medien - ausgelöst durch eine ARD-Monitorsendung am 31. Mai 2007 - führte zur Reaktion der zuständigen Behörden (2). Zunächst erklärte der Botschafter, das Vertrauen zu mir verloren zu haben. Infolge des spontanen und unbegründeten Vertrauensverlustes wurde mir eine nicht erforderliche, aber kostenintensive Dienstreise von Kabul nach Berlin und zurück angeordnet. Dort zogen die Beamten des Auswärtigen Amtes ihr Programm durch und legten mir meine Ablösung vom Dienstposten nahe. Begründung: der Botschafter hat sein Vertrauen mir gegenüber verloren. Die Vertretung durch einen unabhängigen Anwalt half nichts. Mit keiner Silbe wurde auf meinen Brandbrief hingewiesen. Doch der bürokratische Apparat der Ämter arbeitete langsam. Ich kehrte zurück nach Kabul, kam meinen dienstlichen Verpflichtungen ein weiteres Jahr nach. Im Unterschied zum Botschafter gewann ich das Vertrauen der Kolleginnen und Kollegen der Botschaft, die mich in den Personalrat wählten. Erst nach fast einem Jahr wurde mit einem Beschluss des Bundesverwaltungsgerichtes meine Ablösung vom Dienstposten verfügt.

Die Gewaltenvermittlung von der Exekutive (Auswärtiges Amt und Bundesministerium der Verteidigung) und zur Judikative (Bundesverwaltungsgericht) funktionierte hervorragend. Es blieb allerdings nicht nur bei Kritik. Es gab auch konstruktive Vorschläge. Im Juni 2009 veröffentlichte ich den Artikel "Volksaufstand und Versöhnung in Afghanistan – ein langer Prozess". (3)


Fußnoten:

1) Malte Lehming: „Der Krieg in Afghanistan war falsch“, Tagessiegel, 29.02.2020
https://www.tagesspiegel.de/politik/trumps-deal-mit-den-taliban-der-krieg-in-afghanistan-war-falsch/25596560.html
2) https://de.wikipedia.org/wiki/Jürgen_Heiducoff

3) Jürgen Heiducoff: Volksaufstand und Versöhnung in Afghanistan – ein langer Prozess
Friedensforum, Ausgabe 6 / 2009
https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/volksaufstand-und-versoehnung-in-afghanistan-ein


Jürgen Heiducoff, Militärpolitischer Berater der Bundesregierung in Kabul, zuvor Leiter Aufklärung und Sicherheit der „Kabul Multinational Brigade“ der ISAF, schrieb bereits 2007 einen „Brandbrief“ an die Bundesregierung: „Es gibt keine Entschuldigung für das durch unsere westlichen Militärs erzeugte Leid unter den unbeteiligten und unschuldigen Menschen. (...) Ich gerate zunehmend in Widerspruch zu dem, wie die eigenen westlichen Truppen in Afghanistan agieren. (...) Es ist unerträglich, dass unsere Koalitionstruppen und ISAF inzwischen bewusst Teile der Zivilbevölkerung und damit erhoffte Keime der Zivilgesellschaft bekämpfen. (...) Westliche Jagdbomber und Kampfhubschrauber verbreiten Angst und Schrecken unter den Menschen. Dies müssen die Paschtunen als Terror empfinden. Wir sind dabei, durch diese unverhältnismäßige militärische Gewalt das Vertrauen der Afghanen zu verlieren. (...)“. (Quelle: Zeidler, Markus/Restle, Georg: „Brandbrief aus Kabul – Schwere Vorwürfe gegen westliche Militärs in Afghanistan“, Monitor vom 31. Mai 2007)


Siehe auch:

Friedensabkommen zwischen USA und Taliban, 29. Februar 2020, Doha (Katar)
Trump setzt die Signale: Raus aus Afghanistan
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 739 vom 11.03.2020
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26654




Online-Flyer Nr. 738  vom 04.03.2020



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