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Literatur
Acht Sonette
März 1920
Von Rudolph Bauer
1. Sonett: Der Putsch
im märz des jahres neunzehnzwanzig
ein herr kapp zu regieren fand sich
es putschten preussische reaktionäre
dem hollenzoller wilhelm zur ehre
der hat sich nach holland verkrochen
von den ruhrindustriellen bestochen
besetzten freikorps der marinebrigade
die hauptstadt berlin sie zogen zu rate
armeegeneräle wie walter von lüttwitz
marschierten auf mit kanonengeschütz
hakenkreuz und faschistisch verrohten
mörderbanden um zu töten die roten
um auszulöschen die hoffnung auf die
neue proletarische demokratie
2. Sonett: Der Generalstreik
ein klassenbündnis hatten beschlossen
gewerkschaftskollegen und genossen
aus U.S.P.D. S.P.D. kommunisten
angestellten und werktätigen christen
selbst bürger begrüßten mutig nicht feig
die massenbewegung zum generalstreik
in den rheinisch-westfälischen industrien
in thüringen mecklenburg und in berlin
im kohlenpott auch unter den sachsen
ist die wut auf die reaktionäre gewachsen
die arbeiter stemmten sich ihr entgegen
der freikorps-putschismus war unterlegen
und die arbeitermassen siegten für die
neue proletarische demokratie
3. Sonett: Besiegung der Putschisten
in essen eroberten rebellisch aufbrausende
die feindeskanonen und an die zehntausende
in bochum westfalens eisenhüttenstadt
besiegten putschisten und den verrat
bekämpft wurden die verräter nicht
von den regulären truppen was ihre pflicht
beschönigend hieß es aus feldherrnsicht
"reichswehr schießt auf reichswehr nicht"
fünfzigtausend männer und sanitäterinnen
der roten ruhrarmee kämpften nahmen binnen
kurzer zeit sechshundert der feinde in haft
verschonten deren leben und wurden bestraft
dafür weil sie nicht blutgierig töteten für die
neue proletarische demokratie
4. Sonett: Die politische Konterrevolution
in schreck um den erhalt ihrer macht im staat
denn die arbeiter planten zentral einen arbeiterrat
befahl ängstlich nunmehr in dumpfer verwirrung
der reichswehr die flüchtige reichsregierung
auf jene arbeiter ohne rücksicht zu schießen
welche zuvor streiken und bluten sie ließen
welche erst gegen die putschisten aufgerufen
jetzt verjagt wurden von den marmorstufen
politischer macht arbeiter sollten wieder klein
sich unterordnen gehorchen und fleißig sein
nicht einfluss zu nehmen auf das regieren
war ihnen bestimmt sondern abzuschmieren
in demut und dank erhalten sollten sie nie die
neue proletarische demokratie
5. Sonett: Die militärische Konterrevolution
mitmörder an der reichswehr seite waren
auch freikorps-truppen die zuvor in scharen
den sturz der regierung in berlin proklamiert
die ihrerseits an deren mordinstinkte appelliert
hunderte von arbeitern und samariterinnen
wurden nun brutal und gnadenlos von ihnen
umgebracht es fanden standgerichte statt
massenerschießung galt dem proletariat
hingerichtet wurden zivilisten auch publico
wenn jemand schon verletzt war ebenso
als dies "gesetzwidrige verhalten" später
verboten war erklärten scheinheilig die täter
"erschossen auf der flucht" fangschuss für die
neue proletarische demokratie
6. Sonett: Der Verrat durch Ebert und Noske
die mörder der werktätigen männer genossen
die rückendeckung eines S.P.D.-genossen
des friedrich ebert des wahrlich horrenden
wirts sattlermeisters und reichspräsidenten
zuständig an eberts seite für das militärische
war minister gustav noske der luziferische
ebenfalls sozialdemokrat und missetäter
der sozialisierung rotbrauner verräter
der kapp-putsch wurde niedergeschlagen
von den arbeitermassen ?noch fragen
das militärmassaker an arbeitern hingegen
erfolgte mit sozialdemokratischem segen
so wurde die hoffnung gemeuchelt auf die
neue proletarische demokratie
7. Sonett: Die Rolle der Reichswehr
im märz des jahres neunzehnzwanzig
ein herr kapp zu regieren fand sich
es putschten preussische reaktionäre
dem hollenzoller wilhelm zur ehre
ein klassenbündnis hatten beschlossen
gewerkschaftskollegen und genossen
aus U.S.P.D. S.P.D. kommunisten
angestellten und werktätigen christen
bekämpft wurden die putschisten nicht
von den regulären truppen was ihre pflicht
beschönigend hieß es aus feldherrnsicht
"reichswehr schießt auf reichswehr nicht"
und so schaufelten das grab sie für die
neue proletarische demokratie
8. Sonett: Vom Ende der letzten Hoffnung
in schreck um den erhalt ihrer macht im staat
denn die räte planten zentral einen arbeiterrat
befahl ängstlich nunmehr in dumpfer verwirrung
der reichswehr die flüchtige reichsregierung
auf jene arbeiter ohne rücksicht zu schießen
welche zuvor streiken und bluten sie ließen
welche erst gegen die putschisten aufgerufen
jetzt verjagt wurden von den marmorstufen
politischer macht arbeiter sollten wieder klein
sich unterordnen gehorchen und fleißig sein
hunderte von arbeitern und samariterinnen
wurden brutal und gnadenlos von ihnen
umgebracht so starb die hoffnung auf die
neue proletarische demokratie
Rudolph Bauers Gedichtzyklus "März 1920. Acht Sonette" erinnert an ein historisches Datum der deutschen und Arbeitergeschichte: Vor 100 Jahren putschten Armeeteile gegen die parlamentarisch eingesetzte Regierung. Arbeiter und Angestellte haben daraufhin die militaristischen und nationalistischen Feinde der Republik mit den Mitteln des Generalstreiks bezwungen.
Auf das Vorgehen der Putschisten und den Generalstreik wird landläufig unter der Bezeichnung "Kappputsch" erinnert. Dass der Putsch in kurzer Zeit durch die streikenden und demonstrierenden Werktätigen beendet wurde, ist nur wenigen bekannt. Darüber schweigen die Geschichtsbücher. Nicht erinnert wird in der Bundesrepublik an die konterrevolutionäre Rolle des Militärs, der Industriellen und Agrarjunker sowie ihrer Parteien und ferner an die Rolle der sozialdemokratischen Führung. Die SPD-Führer Ebert und Noske gaben der Reichswehr den Schießbefehl gegen die revolutionären Werktätigen, nachdem diese zuvor durch den Generalstreik und kämpfend die Putschisten niedergerungen hatten.
Von all dem handelt der Zyklus von "März 1920"-Sonetten. Er ruft mit den Mitteln der politischen Lyrik in Erinnerung, dass es die revolutionären Werktätigen waren, die sich dem republikfeindlichen Putsch entgegen stellten. Er ruft ferner ins Bewusstsein, dass die revolutionären streikenden und kämpfenden Werktätigen nach der Niederschlagung des Putsches auf Befehl der Reichsregierung den Meuchelmorden der Reichswehr zum Opfer fielen, sowie dass es seither nie wieder zu einem Generalstreik in Deutschland gekommen ist. Kein Wunder nach den Erfahrungen von 1920 in einem Land mit antirevolutionärer "Erinnerungskultur" (welch ein verräterisches Wort!).
Online-Flyer Nr. 738 vom 04.03.2020
Acht Sonette
März 1920
Von Rudolph Bauer
1. Sonett: Der Putsch
im märz des jahres neunzehnzwanzig
ein herr kapp zu regieren fand sich
es putschten preussische reaktionäre
dem hollenzoller wilhelm zur ehre
der hat sich nach holland verkrochen
von den ruhrindustriellen bestochen
besetzten freikorps der marinebrigade
die hauptstadt berlin sie zogen zu rate
armeegeneräle wie walter von lüttwitz
marschierten auf mit kanonengeschütz
hakenkreuz und faschistisch verrohten
mörderbanden um zu töten die roten
um auszulöschen die hoffnung auf die
neue proletarische demokratie
2. Sonett: Der Generalstreik
ein klassenbündnis hatten beschlossen
gewerkschaftskollegen und genossen
aus U.S.P.D. S.P.D. kommunisten
angestellten und werktätigen christen
selbst bürger begrüßten mutig nicht feig
die massenbewegung zum generalstreik
in den rheinisch-westfälischen industrien
in thüringen mecklenburg und in berlin
im kohlenpott auch unter den sachsen
ist die wut auf die reaktionäre gewachsen
die arbeiter stemmten sich ihr entgegen
der freikorps-putschismus war unterlegen
und die arbeitermassen siegten für die
neue proletarische demokratie
3. Sonett: Besiegung der Putschisten
in essen eroberten rebellisch aufbrausende
die feindeskanonen und an die zehntausende
in bochum westfalens eisenhüttenstadt
besiegten putschisten und den verrat
bekämpft wurden die verräter nicht
von den regulären truppen was ihre pflicht
beschönigend hieß es aus feldherrnsicht
"reichswehr schießt auf reichswehr nicht"
fünfzigtausend männer und sanitäterinnen
der roten ruhrarmee kämpften nahmen binnen
kurzer zeit sechshundert der feinde in haft
verschonten deren leben und wurden bestraft
dafür weil sie nicht blutgierig töteten für die
neue proletarische demokratie
4. Sonett: Die politische Konterrevolution
in schreck um den erhalt ihrer macht im staat
denn die arbeiter planten zentral einen arbeiterrat
befahl ängstlich nunmehr in dumpfer verwirrung
der reichswehr die flüchtige reichsregierung
auf jene arbeiter ohne rücksicht zu schießen
welche zuvor streiken und bluten sie ließen
welche erst gegen die putschisten aufgerufen
jetzt verjagt wurden von den marmorstufen
politischer macht arbeiter sollten wieder klein
sich unterordnen gehorchen und fleißig sein
nicht einfluss zu nehmen auf das regieren
war ihnen bestimmt sondern abzuschmieren
in demut und dank erhalten sollten sie nie die
neue proletarische demokratie
5. Sonett: Die militärische Konterrevolution
mitmörder an der reichswehr seite waren
auch freikorps-truppen die zuvor in scharen
den sturz der regierung in berlin proklamiert
die ihrerseits an deren mordinstinkte appelliert
hunderte von arbeitern und samariterinnen
wurden nun brutal und gnadenlos von ihnen
umgebracht es fanden standgerichte statt
massenerschießung galt dem proletariat
hingerichtet wurden zivilisten auch publico
wenn jemand schon verletzt war ebenso
als dies "gesetzwidrige verhalten" später
verboten war erklärten scheinheilig die täter
"erschossen auf der flucht" fangschuss für die
neue proletarische demokratie
6. Sonett: Der Verrat durch Ebert und Noske
die mörder der werktätigen männer genossen
die rückendeckung eines S.P.D.-genossen
des friedrich ebert des wahrlich horrenden
wirts sattlermeisters und reichspräsidenten
zuständig an eberts seite für das militärische
war minister gustav noske der luziferische
ebenfalls sozialdemokrat und missetäter
der sozialisierung rotbrauner verräter
der kapp-putsch wurde niedergeschlagen
von den arbeitermassen ?noch fragen
das militärmassaker an arbeitern hingegen
erfolgte mit sozialdemokratischem segen
so wurde die hoffnung gemeuchelt auf die
neue proletarische demokratie
7. Sonett: Die Rolle der Reichswehr
im märz des jahres neunzehnzwanzig
ein herr kapp zu regieren fand sich
es putschten preussische reaktionäre
dem hollenzoller wilhelm zur ehre
ein klassenbündnis hatten beschlossen
gewerkschaftskollegen und genossen
aus U.S.P.D. S.P.D. kommunisten
angestellten und werktätigen christen
bekämpft wurden die putschisten nicht
von den regulären truppen was ihre pflicht
beschönigend hieß es aus feldherrnsicht
"reichswehr schießt auf reichswehr nicht"
und so schaufelten das grab sie für die
neue proletarische demokratie
8. Sonett: Vom Ende der letzten Hoffnung
in schreck um den erhalt ihrer macht im staat
denn die räte planten zentral einen arbeiterrat
befahl ängstlich nunmehr in dumpfer verwirrung
der reichswehr die flüchtige reichsregierung
auf jene arbeiter ohne rücksicht zu schießen
welche zuvor streiken und bluten sie ließen
welche erst gegen die putschisten aufgerufen
jetzt verjagt wurden von den marmorstufen
politischer macht arbeiter sollten wieder klein
sich unterordnen gehorchen und fleißig sein
hunderte von arbeitern und samariterinnen
wurden brutal und gnadenlos von ihnen
umgebracht so starb die hoffnung auf die
neue proletarische demokratie
Rudolph Bauers Gedichtzyklus "März 1920. Acht Sonette" erinnert an ein historisches Datum der deutschen und Arbeitergeschichte: Vor 100 Jahren putschten Armeeteile gegen die parlamentarisch eingesetzte Regierung. Arbeiter und Angestellte haben daraufhin die militaristischen und nationalistischen Feinde der Republik mit den Mitteln des Generalstreiks bezwungen.
Auf das Vorgehen der Putschisten und den Generalstreik wird landläufig unter der Bezeichnung "Kappputsch" erinnert. Dass der Putsch in kurzer Zeit durch die streikenden und demonstrierenden Werktätigen beendet wurde, ist nur wenigen bekannt. Darüber schweigen die Geschichtsbücher. Nicht erinnert wird in der Bundesrepublik an die konterrevolutionäre Rolle des Militärs, der Industriellen und Agrarjunker sowie ihrer Parteien und ferner an die Rolle der sozialdemokratischen Führung. Die SPD-Führer Ebert und Noske gaben der Reichswehr den Schießbefehl gegen die revolutionären Werktätigen, nachdem diese zuvor durch den Generalstreik und kämpfend die Putschisten niedergerungen hatten.
Von all dem handelt der Zyklus von "März 1920"-Sonetten. Er ruft mit den Mitteln der politischen Lyrik in Erinnerung, dass es die revolutionären Werktätigen waren, die sich dem republikfeindlichen Putsch entgegen stellten. Er ruft ferner ins Bewusstsein, dass die revolutionären streikenden und kämpfenden Werktätigen nach der Niederschlagung des Putsches auf Befehl der Reichsregierung den Meuchelmorden der Reichswehr zum Opfer fielen, sowie dass es seither nie wieder zu einem Generalstreik in Deutschland gekommen ist. Kein Wunder nach den Erfahrungen von 1920 in einem Land mit antirevolutionärer "Erinnerungskultur" (welch ein verräterisches Wort!).
Online-Flyer Nr. 738 vom 04.03.2020