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Trump geht – Biden kommt
Grund zur Hoffnung auf eine friedlichere Welt?
Von Wolfgang Effenberger
Nach der Wahl Bidens zeigten sich die Politiker in den meisten europäischen Hauptstädten, aber vor allem in Brüssel erleichtert, gilt Biden Vielen doch als Demokrat und Freund Europas. Kanzlerin Merkel propagierte sofort den engen Schulterschluss mit den USA. So wie sie, hoffen viele europäische Entscheidungsträger in dem Außenpolitik-Veteranen Biden wieder einen Partner haben. Für den CDU-Hoffnungsträger Norbert Röttgen spricht alles dafür, dass unter Präsident Biden „Rationalität, Berechenbarkeit und der Geist von Partnerschaft in die transatlantischen Beziehungen zurückkehren werden“. Für Biden stelle - seit er 1973 erstmals als Vertreter von Delaware in den Senat gewählt wurde - die „Zusammenarbeit Europas und der USA das Fundament der amerikanischen Außenpolitik“ (1).
Etwas Wasser in den Wein goss Sigmar Gabriel, der frühere Bundesaußenminister und Vorsitzender der Atlantik-Brücke: "Die Europäer sind nicht mehr im Zentrum der Welt. Der Atlantik ist nicht mehr das Gravitationszentrum des Welthandels - das ist längst im indo-pazifischen Raum, daran orientieren sich die USA. Und das ist auch gut so, denn wir haben nicht die Kraft, um China auszubalancieren - aber das bedeutet, dass Amerika immer weniger europäisch und immer pazifischer werden wird.“(2) Gabriel sieht daher Interessenkonflikte auf uns zukommen.
Außenpolitik-Veteran Biden: Partner für wen?
Schon vor der Amtsübergabe am 20. Januar 2021 wird nun die Biografie Bidens auf Hochglanz gebracht. Jeder Makel wird wegpoliert – wie auch im aktuellen Wikipedia-Eintrag. Dieses idealistische Bild vom mächtigsten Mann der Welt ist ziemlich realitätsfern; die Aussichten auf eine ethisch verantwortliche und zukunftsweisende Politik im Schulterschluss mit den USA sind mit Biden eher schlechter geworden.
Der junge Rechtsanwalt Joe Biden gewann sein erstes politisches Mandat im November 1970 bei der Wahl des Rats des New Castle County. Schon zwei Jahre später siegte er in Delaware bei Senatswahl und vertrat den Bundesstaat ab 1973 bis zum Antritt der Vizepräsidentschaft 2009 im Senat der Vereinigten Staaten. Delaware, gut zwei Stunden südlich von New York City gelegen, ist einer der kleinsten US-Staaten mit annähernd einer Million Einwohner und nennt sich stolz "Unternehmenshauptstadt der Vereinigten Staaten". Auf jeden Einwohner kommt hier ein registriertes Unternehmen, darunter 64 Prozent der 500 weltweit größten börsennotierten Konzerne. Dafür gibt es schlagkräftige Argumente: ein äußert attraktives Unternehmensrecht, eine erfolgreiche Anwaltschaft und wirtschaftsfreundliche Gerichte. (3) Unter den in Delaware registrierten Unternehmen finden sich US-Konzerne wie Apple und Google, aber auch deutsche Firmen wie Daimler und Volkswagen. So wundert es nicht, dass 1999 der Senator der Finanzoase den damaligen Präsidenten Bill Clinton bei der Aufhebung des Trennbankengesetzes (Glass-Steagall-Act von 1933) unterstützte. Direkte Folge war die Finanzkrise von 2008, die immer noch nicht überwunden ist. Als Vizepräsident hat Biden damals nichts unternommen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Im Gegenteil: Die Banken wurden mit gigantischen Hilfspaketen aus Steuergeldern gerettet.
Als Friedensstifter hat sich Biden in seiner fast 50jährigen Politkarriere bisher nicht hervorgetan, im Gegenteil. Erinnert sei an seine Forderung militärischer Aktionen gegen die bosnischen Serben an das US-Außenministerium gleich zu Beginn der Unruhen auf dem Balkan 1993. (4)
Gleich nach dem Zerfall Jugoslawiens setzte sich Biden für eine aktive und notfalls gewaltsame US-Außenpolitik auf dem Balkan ein und unterstützte die militärische Aufrüstung der bosnischen Muslime. Sein Eintreten für Lufteinsätze der NATO war mit ausschlaggebend für Bill Clintons Entscheidung für diese Option. (5)
Nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Serbien bildete die UN-Resolution 1244 vom 10. Juni 1999 die völkerrechtliche Grundlage für die Einrichtung der Übergangsverwaltungsmission. Darin wurde die territoriale Zugehörigkeit des Kosovo zu Serbien festgeschrieben. Ungeachtet dessen trieb der Westen die Unabhängigkeit des Kosovo voran und brachte am 17. April 2009 vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag seine Argumente vor. Noch bevor die fünfzehn Richter in Den Haag den Antrag auf Unabhängigkeit prüfen konnten, bezeichnete US-Vizepräsident Biden bei einem Besuch im Kosovo im Mai 2009 die Unabhängigkeit des Landes als unumkehrbar. Eine deutlichere Missachtung eines höchsten Gerichts ist kaum denkbar – und das von einem Juristen! (6)
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 unterstützte Biden US-Präsident George W. Bush und forderte mehr Bodentruppen im Afghanistan-Krieg, obwohl keiner der 19 Attentäter aus Afghanistan kam – dafür aber 15 aus Saudi-Arabien. Bis heute kann eine Verbindung Afghanistans zu den Anschlägen nicht nachgewiesen werden. Dazu heißt es bei Wikipedia lapidar: „Außenpolitisch engagierte sich Biden im Kampf gegen den Terrorismus und gegen Massenvernichtungswaffen“ (7).
Dabei diente die angebliche Suche nach den nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen im Irak nur als vorgeschobener Kriegsgrund. 2002 tat sich Biden als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Senat als Scharfmacher gegen den Irak hervor und trieb die USA in einen grundlosen Krieg. Der damalige Chef-Waffeninspekteur der UN bezeichnete seine Anhörung vor Bidens Ausschuss als Farce. "Biden und die Spitzen des Kongresses haben vorab bestimmt, dass sie Hussein unabhängig der Fakten entfernen wollen und so einen großangelegten Militärangriff auf Irak durchführen wollen". (8)
Bidens Rolle in der Ukraine
Neben der 100jährigen Konfliktregion Naher Osten brodelt es an einer weiteren Verwerfungslinie des Ersten Weltkriegs. Im Zuge der ersten polnischen Teilung kamen 1772 die westlichen Gebiete der Ukraine als Galizien und Lodomerien zum Habsburgerreich. So standen die Ukrainer während des ersten Weltkriegs im Bruderkampf, ein Kampf, der heute mit Hilfe des Westens seine Fortsetzung findet.
Im November 2013 entzündete sich die Krise in der Ukraine an der Weigerung von Präsident Viktor Janukowitsch, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen – es bestand die Gefahr, dass die Ukraine neutral, wenn nicht gar russlandfreundlich agieren würde. Das war für Washington und Berlin nicht hinnehmbar.
Wie immer ging es um eine Fortsetzung des großen geopolitischen Spiels. Und Theo Sommer stellte in der „ZEIT“ die richtigen Fragen: „Soll die EU wirklich bis Armenien und Georgien reichen? Wären da nicht Freihandelsabkommen, denen nicht expansiver Ehrgeiz aus allen Knopflöchern stinkt, der bessere Weg der Assoziierung?“ (9) Aber kritische Fragen waren nicht opportun. Die gewählte Regierung Janukowitsch musste weggeputscht werden. Maßgeblich beteiligt an der Vertreibung des alten Regimes Ende Februar 2014 waren die auf den Barrikaden meist an vorderster Front kämpfenden Truppen des "Rechten Sektors". Ein kurz zuvor ausgehandelter Vertrag zur verfassungskonformen und gewaltfreien Lösung der Krise wurde über Nacht zu Makulatur gemacht, „um umgehend mit einer von Neofaschisten durchsetzten Putschregierung den politischen Teil eines Assoziierungsabkommens zu unterzeichnen“ (10). Ironischerweise betont das Schriftstück "den Respekt vor dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit als Basis der Innen- und Außenpolitik". (11)
Nach dem illegalen Putsch der USA in Kiew Ende Februar 2014, den sich die USA 5 Milliarden US-Dollar haben kosten lassen, reiste der damalige Vizepräsident Joe Biden im April 2014 als Beauftragter Obamas in die Ukraine, um das neue, prowestliche Kabinett zu unterstützen und die Abhängigkeit der Ukraine von russischen Energielieferungen reduzieren zu helfen. (12) Während Biden von der neuen politischen Führung verlangte, das „Krebsgeschwür der Korruption“ im Land zu bekämpfen, war sein Sohn Hunter, Rechtsanwalt und Gründer des Hedgefonds PARADIGM Global Advisors, bereits dem Verwaltungsrat des ukrainischen Gasunternehmens Burisma Holdings beigetreten, dem er bis April 2019 angehörte. Dafür soll er laut verschiedenen Medien rd. 45.000Euro (50.000 Dollar) monatlich erhalten haben, ohne dass er über Erfahrungen im Gasgeschäft verfügte. (13)
Anfang Dezember 2014 eskalierten mit der überwältigenden Annahme der US-Resolution "H.Res. 758" (14) (113th Congress) im Repräsentantenhaus die Spannungen mit Russland. (15)
Mit H. Res. 758 wurde eine Resolution vorgelegt, die, so wörtlich, "das Vorgehen der russischen Föderation unter Präsident Wladimir Putin als eine Politik der Aggression gegen Nachbarstaaten mit dem Ziel der politischen und wirtschaftlichen Dominanz scharf verurteilt." (16) Der Vorbemerkung folgt ein umfangreiches Sündenregister Russlands. Gebetsmühlenartig wird die Russische Föderation u.a. beschuldigt,
Am Ende der langen Reihe meist unbewiesener oder fraglicher Vorwürfe voller Halbwahrheiten und dreisten Lügen folgen 22 Forderungen, die den Kongress und den US-Präsidenten zu Handlungen zwingen sollen. So soll der Präsident unter anderem - auf die US-Verbündeten und Partner in Europa und die anderen Staaten der Welt hinwirken, gezielte Sanktionen gegen die Russische Föderation und ihre Führung zu verhängen, sowie den Abzug der russischen Truppen samt ihrer Ausrüstung von ukrainischem Territorium durchzusetzen,
- in Abstimmung mit dem Kongress den Zustand und die Einsatzbereitschaft der US-Streitkräfte und der Streitkräfte der anderen NATO-Staaten überprüfen sowie die aus der Beistandsklausel (Art. 5) erwachsene Verpflichtung zur kollektiven Verteidigung ernst nehmen und dafür Sorge zu tragen, dass eventuelle Mängel abgestellt werden.
Noch am gleichen Tag nahm das Kongress-Urgestein Ron Paul auf seiner Homepage mit dem Artikel " Rücksichtsloser Kongress 'erklärt Krieg' gegen Russland" dazu Stellung:
„Heute wurde im US-Repräsentantenhaus meiner Meinung nach eines der übelsten Gesetze verabschiedet.“ (18)
Unter Punkt 12 fordert das Abgeordnetenhaus die NATO-Verbündeten sowie die anderen US-Partner in Europa und in der ganzen Welt auf, die militärische Zusammenarbeit mit Russland einzustellen, und unter Pkt. 13, den Verpflichtungen aus Art. 5 nachzukommen. Dazu müssten alle Mitgliedstaaten ihren vollen finanziellen Beitrag zur Sicherung der kollektiven Verteidigungsbereitschaft leisten. Unter Pkt. 14 wird der US-Präsident gedrängt, den Zustand der Kampfbereitschaft zu überprüfen und festzustellen, ob die Aktivitäten ausreichen, um den aus Art. 5 erwachsenen Verpflichtungen zur kollektiven Verteidigung gerecht zu werden. Unter Pkt. 19 fordert das Abgeordnetenhaus die Ukraine und andere Staaten auf, „sich um Alternativen in der Energieversorgung zu bemühen, um der Russischen Föderation die Möglichkeit zu nehmen, ihre Energielieferungen als Mittel zur Ausübung politischen oder wirtschaftlichen Drucks einzusetzen, die Erdgasströme nach Westeuropa umzukehren und mehr Flüssiggas aus den USA zu importieren.“
Der Aufbau der Resolution 758 spiegelt das Österreichische Ultimatum vom 23. Juli 1914. In beiden Dokumenten werden zunächst die Verfehlungen der Gegenseite aufgelistet – Österreich konnte damals mit einem Untersuchungsbericht und den Namen eines Teils der Täter aufwarten – und es folgt ein Katalog von Forderungen. Beide Dokumente geißeln die Feindpropaganda: In Pkt 1 des Ultimatums heißt es, „jede Publikation zu unterdrücken, die zum Hasse und zur Verachtung der Monarchie aufreizt und deren allgemeine Tendenz gegen die territoriale Integrität der letzteren gerichtet ist“.
In der Resolution werden die USA aufgefordert, die aggressive Propaganda der Russischen Föderation gegen die Ukraine zu beenden, da dadurch die legitime Autorität der ukrainischen Regierung untergraben, ethnischer Konflikt geschürt und Gewalt gesät werde.
Die Geschwindigkeit, mit der der "Ukraine Freedom Support Act of 2014" verabschiedet wurde, ist in der Geschichte des amerikanischen Gesetzgebungsverfahrens ungewöhnlich. In nur 16 Tagen war H. Res.758 im Außenpolitischen Ausschuss diskutiert und dann zurück an das Repräsentantenhaus zur Aussprache und Verabschiedung verwiesen worden! Das Gesetz passierte am 4. Dezember mit überwältigender Mehrheit das Repräsentantenhaus (H.R. 5859) und am 11. Dezember den Senat (S. 2828). Präsident Obama unterschrieb das Ukraine-Unterstützungsgesetz am 18. Dezember 2014 und führte dazu aus: „Wir fordern Russland erneut auf, seine Besetzung und versuchte Annexion der Krim zu beenden, die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine einzustellen und die Verpflichtungen, die es im Rahmen der Minsker Vereinbarungen eingegangen ist, umzusetzen.“ (19) in dieser Resolution zeigen sich die parteiübergreifenden Leitlinien einer unipolaren „Pax americana“.
Der ehemalige stellvertretende Finanzminister der Regierung Reagan, Paul Craig Roberts, sieht in der Resolution gegen Russland ein Paket von Lügen (20), und der kanadische Ökonom Michel Chossudovsky sorgt sich um die weltweite Sicherheit. Für ihn hat das Abgeordnetenhaus dem amerikanischen Präsidenten und Oberkommandierenden der Streitkräfte praktisch "grünes Licht" gegeben, ohne weitere Zustimmung des Kongresses in einen Prozess der militärischen Konfrontation mit Russland einzutreten. (21) „Diese historische Abstimmung“, so Chossudovsky, „die möglicherweise das Leben von hunderten Millionen Menschen weltweit beeinflusst, wurde in den Medien praktisch völlig ausgeblendet – und dieser Zustand hält an.“ (22)
Ron Paul sieht in dem 16-seitigen Gesetzentwurf reine Kriegspropaganda, die selbst Neocons die Schamesröte ins Gesicht treiben müsse.
Der Gesetzentwurf wurde von Obama unterzeichnet und von seinem Vize mitgetragen. Nun ist zu befürchten, dass Joe Biden diese im Ukraine-Unterstützungsgesetz formulierten Ziele wieder weiter verfolgen wird.
Die Kriegstrommeln gegen Russland schlagen lauter
Seit Joe Biden am 7. Januar als gewählter Präsident bestätigt wurde, wird die Propagandatrommel gegen Russland wieder heftiger geschlagen. Biden wird dem vom militärisch-industriellen Komplex und den US-Geheimdiensten gebildeten "Tiefen Staat" zu Diensten sein und eine aggressivere Politik gegen Russland und China im Geist von TRADOC 525-3-1 mittragen. Diese US-Langzeitstrategie „Win in a complex World 2020-2040“ wurde am 31.10.2014 – nur wenige Wochen vor dem Ukraine-Unterstützungsgesetz – in Kraft gesetzt. Es ist davon auszugehen, dass Biden das unter dem Friedensnobelpreisträger Obama begonnene Zerstörungswerk – Libyen, Syrien und Ukraine – fortsetzen wird. Obamas Kriegspolitik löste im Nahen Osten Millionen eine riesige Flüchtlingswelle aus. Das Tandem Obama/Biden hat dagegen 2015 nur 1.500 und 2016 nur 8.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Ganz zu schweigen von den Tausenden von Drohnenmorden.
Da überrascht die Naivität vieler westlicher Journalisten. Ein Beispiel: „Es ist geradezu hörbar, wie die Welt aufatmet. Mit den Männern und Frauen, die der designierte amerikanische Präsident als Teil seines künftigen Kabinetts am Dienstag [24. November 2020] vorgestellt hat, ist der Weg für einen radikalen Kurswechsel der US-Politik vorgezeichnet.“ (23)
Das ist leider durchaus möglich. Als Verteidigungsminister hat Biden den ehemaligen General Lloyd Austin nominiert. In führender Position am Einmarsch der US-Truppen in Bagdad beteiligt, wurde er von Obama später zum Chef des US-Zentralkommandos Centcom ernannt. Dort hatte Austin die Verantwortung für die US-Militäreinsätze in Irak, Afghanistan, Syrien und Jemen. Nach der Pensionierung übernahm Austin 2016 dann einen lukrativen Posten im Rüstungskonzern Raytheon. (24) Eine hervorragende Wahl für kommende Kriegseinsätze und eine schlechte Wahl in Bezug auf die Notwendigkeit einer Politik des Friedens und der Verständigung. Der irische Journalist Finian Cunningham sieht in den USA eine „Kriegsmaschinerie, die sich als Staat getarnt hat, und ihre politische Klasse und ihre Massenmedien sind so intensiv gehirngewaschen, dass eine Umkehr kaum noch vorstellbar ist. (25)
Für Europa, das im Kriegsfall zum Schlachtfeld würde, sind das denkbar düstere Aussichten. Hoffen wir also, dass die US-Kriegsmaschinerie noch gestoppt werden kann. Es wäre äußerst tragisch, wenn Thomas Manns Appell an die Europäischen Hörer 1953 ungehört verhallen würde. Er hatte im amerikanischen Exil die Neigung der USA erkannt,
„Europa als ökonomische Kolonie, militärische Basis, Glacis im zukünftigen Atom-Kreuzzug gegen Russland zu behandeln, als ein zwar antiquarisch interessantes und bereisenswertes Stück Erde, um dessen vollständigen Ruin man sich aber den Teufel scheren wird, wenn es den Kampf um die Weltherrschaft gilt.“ (26)
Anmerkungen
1) https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-joe-bidens-wahlerfolg-rueckt-die-usa-wieder-naeher-an-europa/26598702.html?ticket=ST-9673917-6ofsn5lX6YGw0iZaCOgH-ap5
2) https://www.tagesschau.de/ausland/uswahl2020-transatlantisches-verhaeltnis-101.html vom 9.11.2020
3) Steueroasen: Delaware, Liebling der Weltkonzerne vom 3. Mai 2013 unter https://www.zeit.de/wirtschaft/2013-05/delaware-steuerparadies?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
4) Wolfgang Effenberger: Schwarzbuch EU & NATO Warum die Welt keinen Frieden findet, Höhr-Grenzhausen 2020, S. 222
5) Michael Barone: The Almanac of American Politics. University of Chicago Press, Chicago 2007
6) Effenberger, Schwarzbuch, S. 308
7) https://de.wikipedia.org/wiki/Joe_Biden
8) https://www.n-tv.de/politik/Biden-kaempft-auch-gegen-die-Vergangenheit-article21977738.html
9) Theo Sommer: Ein neuer Eiserner Vorhang? 25. November 2013 Unter http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-11/ukraine-russland-eu-eisernervorhang
10) Norman M. Spreng: Putin-Versteher: Warum immer mehr Deutsche Verständnis für Russland haben, Norderstedt 2015, S. 118
11) EU/Ukraine: „Gemeinsame militärische Krisenmanagementoperationen“ vom 16. April 2014 unter
http://www.neopresse.com/europa/euukraine-gemeinsame-militaerische-krisenmanagementoperationen/
12) https://www.welt.de/politik/ausland/article127173350/US-Vize-fordert-von-Ukraine-Korruptionsbekaempfung.html
13) https://www.tagesspiegel.de/politik/trump-und-die-ukraine-affaere-joe-bidens-aerger-mit-hunters-geschaeften/25063268.html
14) H.Res.758 — 113th Congress (2013-2014) (Except Text) Passed House amended (12/04/2014)https://www.congress.gov/bill/113th-congress/house-resolution/758
15) https://www.govtrack.us/congress/bills/113/hres758/text
16) https://www.congress.gov/bill/113th-congress/house-resolution/758/titles
17) https://www.congress.gov/bill/113th-congress/house-resolution/758/text
18) http://www.ronpaulinstitute.org/archives/featured-articles/2014/december/04/reckless-congress-declares-war-on-russia/
19) https://obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2014/12/18/statement-president-ukraine-freedom-support-act
20) Paul Craig Roberts: Russia Has Western Enemies, Not Partners vom 5. Dezember 2014, unter http://www.paulcraigroberts.org/2014/12/05/russia-western-enemies-partners-paul-craig-roberts/
21) Michel Chossudovsky: Amerika auf dem »Kriegspfad«: Repräsentantenhaus ebnet Krieg mit Russland den Weg vom 6.112.2014 unter http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/prof-michel-chossudovsky/amerika-auf-demkriegspfad-repraesentantenhaus-ebnet-krieg-mit-russland-den-weg.html
22) Ebd.
23) Carolina Chimoy: Meinung: Joe Bidens Kabinett - ein Zeichen der Hoffnung 25.11.20 unter https://www.dw.com/de/meinung-joe-bidens-kabinett-ein-zeichen-der-hoffnung/a-55721416
24) https://taz.de/Biden-nominiert-Verteidigungsminister/!5736993/
25) Finian Cunningham: US War Machine Masquerading as Country vom 21. Dezember 2020 unter https://www.worldmilitarynews.com/2020/12/21/us-war-machine-masquerading-as-country/
26) Thomas Mann: Deutsche Hörer! Europäische Hörer! Darmstadt 1980, Rückseite
Online-Flyer Nr. 761 vom 20.01.2021
Trump geht – Biden kommt
Grund zur Hoffnung auf eine friedlichere Welt?
Von Wolfgang Effenberger
Nach der Wahl Bidens zeigten sich die Politiker in den meisten europäischen Hauptstädten, aber vor allem in Brüssel erleichtert, gilt Biden Vielen doch als Demokrat und Freund Europas. Kanzlerin Merkel propagierte sofort den engen Schulterschluss mit den USA. So wie sie, hoffen viele europäische Entscheidungsträger in dem Außenpolitik-Veteranen Biden wieder einen Partner haben. Für den CDU-Hoffnungsträger Norbert Röttgen spricht alles dafür, dass unter Präsident Biden „Rationalität, Berechenbarkeit und der Geist von Partnerschaft in die transatlantischen Beziehungen zurückkehren werden“. Für Biden stelle - seit er 1973 erstmals als Vertreter von Delaware in den Senat gewählt wurde - die „Zusammenarbeit Europas und der USA das Fundament der amerikanischen Außenpolitik“ (1).
Etwas Wasser in den Wein goss Sigmar Gabriel, der frühere Bundesaußenminister und Vorsitzender der Atlantik-Brücke: "Die Europäer sind nicht mehr im Zentrum der Welt. Der Atlantik ist nicht mehr das Gravitationszentrum des Welthandels - das ist längst im indo-pazifischen Raum, daran orientieren sich die USA. Und das ist auch gut so, denn wir haben nicht die Kraft, um China auszubalancieren - aber das bedeutet, dass Amerika immer weniger europäisch und immer pazifischer werden wird.“(2) Gabriel sieht daher Interessenkonflikte auf uns zukommen.
Außenpolitik-Veteran Biden: Partner für wen?
Schon vor der Amtsübergabe am 20. Januar 2021 wird nun die Biografie Bidens auf Hochglanz gebracht. Jeder Makel wird wegpoliert – wie auch im aktuellen Wikipedia-Eintrag. Dieses idealistische Bild vom mächtigsten Mann der Welt ist ziemlich realitätsfern; die Aussichten auf eine ethisch verantwortliche und zukunftsweisende Politik im Schulterschluss mit den USA sind mit Biden eher schlechter geworden.
Der junge Rechtsanwalt Joe Biden gewann sein erstes politisches Mandat im November 1970 bei der Wahl des Rats des New Castle County. Schon zwei Jahre später siegte er in Delaware bei Senatswahl und vertrat den Bundesstaat ab 1973 bis zum Antritt der Vizepräsidentschaft 2009 im Senat der Vereinigten Staaten. Delaware, gut zwei Stunden südlich von New York City gelegen, ist einer der kleinsten US-Staaten mit annähernd einer Million Einwohner und nennt sich stolz "Unternehmenshauptstadt der Vereinigten Staaten". Auf jeden Einwohner kommt hier ein registriertes Unternehmen, darunter 64 Prozent der 500 weltweit größten börsennotierten Konzerne. Dafür gibt es schlagkräftige Argumente: ein äußert attraktives Unternehmensrecht, eine erfolgreiche Anwaltschaft und wirtschaftsfreundliche Gerichte. (3) Unter den in Delaware registrierten Unternehmen finden sich US-Konzerne wie Apple und Google, aber auch deutsche Firmen wie Daimler und Volkswagen. So wundert es nicht, dass 1999 der Senator der Finanzoase den damaligen Präsidenten Bill Clinton bei der Aufhebung des Trennbankengesetzes (Glass-Steagall-Act von 1933) unterstützte. Direkte Folge war die Finanzkrise von 2008, die immer noch nicht überwunden ist. Als Vizepräsident hat Biden damals nichts unternommen, um die Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen. Im Gegenteil: Die Banken wurden mit gigantischen Hilfspaketen aus Steuergeldern gerettet.
Als Friedensstifter hat sich Biden in seiner fast 50jährigen Politkarriere bisher nicht hervorgetan, im Gegenteil. Erinnert sei an seine Forderung militärischer Aktionen gegen die bosnischen Serben an das US-Außenministerium gleich zu Beginn der Unruhen auf dem Balkan 1993. (4)
Gleich nach dem Zerfall Jugoslawiens setzte sich Biden für eine aktive und notfalls gewaltsame US-Außenpolitik auf dem Balkan ein und unterstützte die militärische Aufrüstung der bosnischen Muslime. Sein Eintreten für Lufteinsätze der NATO war mit ausschlaggebend für Bill Clintons Entscheidung für diese Option. (5)
Nach dem völkerrechtswidrigen Angriffskrieg gegen Serbien bildete die UN-Resolution 1244 vom 10. Juni 1999 die völkerrechtliche Grundlage für die Einrichtung der Übergangsverwaltungsmission. Darin wurde die territoriale Zugehörigkeit des Kosovo zu Serbien festgeschrieben. Ungeachtet dessen trieb der Westen die Unabhängigkeit des Kosovo voran und brachte am 17. April 2009 vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag seine Argumente vor. Noch bevor die fünfzehn Richter in Den Haag den Antrag auf Unabhängigkeit prüfen konnten, bezeichnete US-Vizepräsident Biden bei einem Besuch im Kosovo im Mai 2009 die Unabhängigkeit des Landes als unumkehrbar. Eine deutlichere Missachtung eines höchsten Gerichts ist kaum denkbar – und das von einem Juristen! (6)
Nach den Anschlägen vom 11. September 2001 unterstützte Biden US-Präsident George W. Bush und forderte mehr Bodentruppen im Afghanistan-Krieg, obwohl keiner der 19 Attentäter aus Afghanistan kam – dafür aber 15 aus Saudi-Arabien. Bis heute kann eine Verbindung Afghanistans zu den Anschlägen nicht nachgewiesen werden. Dazu heißt es bei Wikipedia lapidar: „Außenpolitisch engagierte sich Biden im Kampf gegen den Terrorismus und gegen Massenvernichtungswaffen“ (7).
Dabei diente die angebliche Suche nach den nicht vorhandenen Massenvernichtungswaffen im Irak nur als vorgeschobener Kriegsgrund. 2002 tat sich Biden als Vorsitzender des Auswärtigen Ausschusses im Senat als Scharfmacher gegen den Irak hervor und trieb die USA in einen grundlosen Krieg. Der damalige Chef-Waffeninspekteur der UN bezeichnete seine Anhörung vor Bidens Ausschuss als Farce. "Biden und die Spitzen des Kongresses haben vorab bestimmt, dass sie Hussein unabhängig der Fakten entfernen wollen und so einen großangelegten Militärangriff auf Irak durchführen wollen". (8)
Bidens Rolle in der Ukraine
Neben der 100jährigen Konfliktregion Naher Osten brodelt es an einer weiteren Verwerfungslinie des Ersten Weltkriegs. Im Zuge der ersten polnischen Teilung kamen 1772 die westlichen Gebiete der Ukraine als Galizien und Lodomerien zum Habsburgerreich. So standen die Ukrainer während des ersten Weltkriegs im Bruderkampf, ein Kampf, der heute mit Hilfe des Westens seine Fortsetzung findet.
Im November 2013 entzündete sich die Krise in der Ukraine an der Weigerung von Präsident Viktor Janukowitsch, das Assoziierungsabkommen mit der EU zu unterzeichnen – es bestand die Gefahr, dass die Ukraine neutral, wenn nicht gar russlandfreundlich agieren würde. Das war für Washington und Berlin nicht hinnehmbar.
Wie immer ging es um eine Fortsetzung des großen geopolitischen Spiels. Und Theo Sommer stellte in der „ZEIT“ die richtigen Fragen: „Soll die EU wirklich bis Armenien und Georgien reichen? Wären da nicht Freihandelsabkommen, denen nicht expansiver Ehrgeiz aus allen Knopflöchern stinkt, der bessere Weg der Assoziierung?“ (9) Aber kritische Fragen waren nicht opportun. Die gewählte Regierung Janukowitsch musste weggeputscht werden. Maßgeblich beteiligt an der Vertreibung des alten Regimes Ende Februar 2014 waren die auf den Barrikaden meist an vorderster Front kämpfenden Truppen des "Rechten Sektors". Ein kurz zuvor ausgehandelter Vertrag zur verfassungskonformen und gewaltfreien Lösung der Krise wurde über Nacht zu Makulatur gemacht, „um umgehend mit einer von Neofaschisten durchsetzten Putschregierung den politischen Teil eines Assoziierungsabkommens zu unterzeichnen“ (10). Ironischerweise betont das Schriftstück "den Respekt vor dem Prinzip der Rechtsstaatlichkeit als Basis der Innen- und Außenpolitik". (11)
Nach dem illegalen Putsch der USA in Kiew Ende Februar 2014, den sich die USA 5 Milliarden US-Dollar haben kosten lassen, reiste der damalige Vizepräsident Joe Biden im April 2014 als Beauftragter Obamas in die Ukraine, um das neue, prowestliche Kabinett zu unterstützen und die Abhängigkeit der Ukraine von russischen Energielieferungen reduzieren zu helfen. (12) Während Biden von der neuen politischen Führung verlangte, das „Krebsgeschwür der Korruption“ im Land zu bekämpfen, war sein Sohn Hunter, Rechtsanwalt und Gründer des Hedgefonds PARADIGM Global Advisors, bereits dem Verwaltungsrat des ukrainischen Gasunternehmens Burisma Holdings beigetreten, dem er bis April 2019 angehörte. Dafür soll er laut verschiedenen Medien rd. 45.000Euro (50.000 Dollar) monatlich erhalten haben, ohne dass er über Erfahrungen im Gasgeschäft verfügte. (13)
Anfang Dezember 2014 eskalierten mit der überwältigenden Annahme der US-Resolution "H.Res. 758" (14) (113th Congress) im Repräsentantenhaus die Spannungen mit Russland. (15)
Mit H. Res. 758 wurde eine Resolution vorgelegt, die, so wörtlich, "das Vorgehen der russischen Föderation unter Präsident Wladimir Putin als eine Politik der Aggression gegen Nachbarstaaten mit dem Ziel der politischen und wirtschaftlichen Dominanz scharf verurteilt." (16) Der Vorbemerkung folgt ein umfangreiches Sündenregister Russlands. Gebetsmühlenartig wird die Russische Föderation u.a. beschuldigt,
- in die Ukraine einmarschiert zu sein und deren Souveränität verletzt zu haben,
- Computerattacken in den USA durchzuführen,
- 2008 in Georgien einmarschiert zu sein,
- an Syrien Waffen verkauft zu haben, etc.
Am Ende der langen Reihe meist unbewiesener oder fraglicher Vorwürfe voller Halbwahrheiten und dreisten Lügen folgen 22 Forderungen, die den Kongress und den US-Präsidenten zu Handlungen zwingen sollen. So soll der Präsident unter anderem - auf die US-Verbündeten und Partner in Europa und die anderen Staaten der Welt hinwirken, gezielte Sanktionen gegen die Russische Föderation und ihre Führung zu verhängen, sowie den Abzug der russischen Truppen samt ihrer Ausrüstung von ukrainischem Territorium durchzusetzen,
- in Abstimmung mit dem Kongress den Zustand und die Einsatzbereitschaft der US-Streitkräfte und der Streitkräfte der anderen NATO-Staaten überprüfen sowie die aus der Beistandsklausel (Art. 5) erwachsene Verpflichtung zur kollektiven Verteidigung ernst nehmen und dafür Sorge zu tragen, dass eventuelle Mängel abgestellt werden.
Noch am gleichen Tag nahm das Kongress-Urgestein Ron Paul auf seiner Homepage mit dem Artikel " Rücksichtsloser Kongress 'erklärt Krieg' gegen Russland" dazu Stellung:
„Heute wurde im US-Repräsentantenhaus meiner Meinung nach eines der übelsten Gesetze verabschiedet.“ (18)
Unter Punkt 12 fordert das Abgeordnetenhaus die NATO-Verbündeten sowie die anderen US-Partner in Europa und in der ganzen Welt auf, die militärische Zusammenarbeit mit Russland einzustellen, und unter Pkt. 13, den Verpflichtungen aus Art. 5 nachzukommen. Dazu müssten alle Mitgliedstaaten ihren vollen finanziellen Beitrag zur Sicherung der kollektiven Verteidigungsbereitschaft leisten. Unter Pkt. 14 wird der US-Präsident gedrängt, den Zustand der Kampfbereitschaft zu überprüfen und festzustellen, ob die Aktivitäten ausreichen, um den aus Art. 5 erwachsenen Verpflichtungen zur kollektiven Verteidigung gerecht zu werden. Unter Pkt. 19 fordert das Abgeordnetenhaus die Ukraine und andere Staaten auf, „sich um Alternativen in der Energieversorgung zu bemühen, um der Russischen Föderation die Möglichkeit zu nehmen, ihre Energielieferungen als Mittel zur Ausübung politischen oder wirtschaftlichen Drucks einzusetzen, die Erdgasströme nach Westeuropa umzukehren und mehr Flüssiggas aus den USA zu importieren.“
Der Aufbau der Resolution 758 spiegelt das Österreichische Ultimatum vom 23. Juli 1914. In beiden Dokumenten werden zunächst die Verfehlungen der Gegenseite aufgelistet – Österreich konnte damals mit einem Untersuchungsbericht und den Namen eines Teils der Täter aufwarten – und es folgt ein Katalog von Forderungen. Beide Dokumente geißeln die Feindpropaganda: In Pkt 1 des Ultimatums heißt es, „jede Publikation zu unterdrücken, die zum Hasse und zur Verachtung der Monarchie aufreizt und deren allgemeine Tendenz gegen die territoriale Integrität der letzteren gerichtet ist“.
In der Resolution werden die USA aufgefordert, die aggressive Propaganda der Russischen Föderation gegen die Ukraine zu beenden, da dadurch die legitime Autorität der ukrainischen Regierung untergraben, ethnischer Konflikt geschürt und Gewalt gesät werde.
Die Geschwindigkeit, mit der der "Ukraine Freedom Support Act of 2014" verabschiedet wurde, ist in der Geschichte des amerikanischen Gesetzgebungsverfahrens ungewöhnlich. In nur 16 Tagen war H. Res.758 im Außenpolitischen Ausschuss diskutiert und dann zurück an das Repräsentantenhaus zur Aussprache und Verabschiedung verwiesen worden! Das Gesetz passierte am 4. Dezember mit überwältigender Mehrheit das Repräsentantenhaus (H.R. 5859) und am 11. Dezember den Senat (S. 2828). Präsident Obama unterschrieb das Ukraine-Unterstützungsgesetz am 18. Dezember 2014 und führte dazu aus: „Wir fordern Russland erneut auf, seine Besetzung und versuchte Annexion der Krim zu beenden, die Unterstützung der Separatisten in der Ostukraine einzustellen und die Verpflichtungen, die es im Rahmen der Minsker Vereinbarungen eingegangen ist, umzusetzen.“ (19) in dieser Resolution zeigen sich die parteiübergreifenden Leitlinien einer unipolaren „Pax americana“.
Der ehemalige stellvertretende Finanzminister der Regierung Reagan, Paul Craig Roberts, sieht in der Resolution gegen Russland ein Paket von Lügen (20), und der kanadische Ökonom Michel Chossudovsky sorgt sich um die weltweite Sicherheit. Für ihn hat das Abgeordnetenhaus dem amerikanischen Präsidenten und Oberkommandierenden der Streitkräfte praktisch "grünes Licht" gegeben, ohne weitere Zustimmung des Kongresses in einen Prozess der militärischen Konfrontation mit Russland einzutreten. (21) „Diese historische Abstimmung“, so Chossudovsky, „die möglicherweise das Leben von hunderten Millionen Menschen weltweit beeinflusst, wurde in den Medien praktisch völlig ausgeblendet – und dieser Zustand hält an.“ (22)
Ron Paul sieht in dem 16-seitigen Gesetzentwurf reine Kriegspropaganda, die selbst Neocons die Schamesröte ins Gesicht treiben müsse.
Der Gesetzentwurf wurde von Obama unterzeichnet und von seinem Vize mitgetragen. Nun ist zu befürchten, dass Joe Biden diese im Ukraine-Unterstützungsgesetz formulierten Ziele wieder weiter verfolgen wird.
Die Kriegstrommeln gegen Russland schlagen lauter
Seit Joe Biden am 7. Januar als gewählter Präsident bestätigt wurde, wird die Propagandatrommel gegen Russland wieder heftiger geschlagen. Biden wird dem vom militärisch-industriellen Komplex und den US-Geheimdiensten gebildeten "Tiefen Staat" zu Diensten sein und eine aggressivere Politik gegen Russland und China im Geist von TRADOC 525-3-1 mittragen. Diese US-Langzeitstrategie „Win in a complex World 2020-2040“ wurde am 31.10.2014 – nur wenige Wochen vor dem Ukraine-Unterstützungsgesetz – in Kraft gesetzt. Es ist davon auszugehen, dass Biden das unter dem Friedensnobelpreisträger Obama begonnene Zerstörungswerk – Libyen, Syrien und Ukraine – fortsetzen wird. Obamas Kriegspolitik löste im Nahen Osten Millionen eine riesige Flüchtlingswelle aus. Das Tandem Obama/Biden hat dagegen 2015 nur 1.500 und 2016 nur 8.000 Flüchtlinge aus Syrien aufgenommen. Ganz zu schweigen von den Tausenden von Drohnenmorden.
Da überrascht die Naivität vieler westlicher Journalisten. Ein Beispiel: „Es ist geradezu hörbar, wie die Welt aufatmet. Mit den Männern und Frauen, die der designierte amerikanische Präsident als Teil seines künftigen Kabinetts am Dienstag [24. November 2020] vorgestellt hat, ist der Weg für einen radikalen Kurswechsel der US-Politik vorgezeichnet.“ (23)
Das ist leider durchaus möglich. Als Verteidigungsminister hat Biden den ehemaligen General Lloyd Austin nominiert. In führender Position am Einmarsch der US-Truppen in Bagdad beteiligt, wurde er von Obama später zum Chef des US-Zentralkommandos Centcom ernannt. Dort hatte Austin die Verantwortung für die US-Militäreinsätze in Irak, Afghanistan, Syrien und Jemen. Nach der Pensionierung übernahm Austin 2016 dann einen lukrativen Posten im Rüstungskonzern Raytheon. (24) Eine hervorragende Wahl für kommende Kriegseinsätze und eine schlechte Wahl in Bezug auf die Notwendigkeit einer Politik des Friedens und der Verständigung. Der irische Journalist Finian Cunningham sieht in den USA eine „Kriegsmaschinerie, die sich als Staat getarnt hat, und ihre politische Klasse und ihre Massenmedien sind so intensiv gehirngewaschen, dass eine Umkehr kaum noch vorstellbar ist. (25)
Für Europa, das im Kriegsfall zum Schlachtfeld würde, sind das denkbar düstere Aussichten. Hoffen wir also, dass die US-Kriegsmaschinerie noch gestoppt werden kann. Es wäre äußerst tragisch, wenn Thomas Manns Appell an die Europäischen Hörer 1953 ungehört verhallen würde. Er hatte im amerikanischen Exil die Neigung der USA erkannt,
„Europa als ökonomische Kolonie, militärische Basis, Glacis im zukünftigen Atom-Kreuzzug gegen Russland zu behandeln, als ein zwar antiquarisch interessantes und bereisenswertes Stück Erde, um dessen vollständigen Ruin man sich aber den Teufel scheren wird, wenn es den Kampf um die Weltherrschaft gilt.“ (26)
Anmerkungen
1) https://www.handelsblatt.com/meinung/gastbeitraege/gastkommentar-joe-bidens-wahlerfolg-rueckt-die-usa-wieder-naeher-an-europa/26598702.html?ticket=ST-9673917-6ofsn5lX6YGw0iZaCOgH-ap5
2) https://www.tagesschau.de/ausland/uswahl2020-transatlantisches-verhaeltnis-101.html vom 9.11.2020
3) Steueroasen: Delaware, Liebling der Weltkonzerne vom 3. Mai 2013 unter https://www.zeit.de/wirtschaft/2013-05/delaware-steuerparadies?utm_referrer=https%3A%2F%2Fwww.google.com%2F
4) Wolfgang Effenberger: Schwarzbuch EU & NATO Warum die Welt keinen Frieden findet, Höhr-Grenzhausen 2020, S. 222
5) Michael Barone: The Almanac of American Politics. University of Chicago Press, Chicago 2007
6) Effenberger, Schwarzbuch, S. 308
7) https://de.wikipedia.org/wiki/Joe_Biden
8) https://www.n-tv.de/politik/Biden-kaempft-auch-gegen-die-Vergangenheit-article21977738.html
9) Theo Sommer: Ein neuer Eiserner Vorhang? 25. November 2013 Unter http://www.zeit.de/politik/ausland/2013-11/ukraine-russland-eu-eisernervorhang
10) Norman M. Spreng: Putin-Versteher: Warum immer mehr Deutsche Verständnis für Russland haben, Norderstedt 2015, S. 118
11) EU/Ukraine: „Gemeinsame militärische Krisenmanagementoperationen“ vom 16. April 2014 unter
http://www.neopresse.com/europa/euukraine-gemeinsame-militaerische-krisenmanagementoperationen/
12) https://www.welt.de/politik/ausland/article127173350/US-Vize-fordert-von-Ukraine-Korruptionsbekaempfung.html
13) https://www.tagesspiegel.de/politik/trump-und-die-ukraine-affaere-joe-bidens-aerger-mit-hunters-geschaeften/25063268.html
14) H.Res.758 — 113th Congress (2013-2014) (Except Text) Passed House amended (12/04/2014)https://www.congress.gov/bill/113th-congress/house-resolution/758
15) https://www.govtrack.us/congress/bills/113/hres758/text
16) https://www.congress.gov/bill/113th-congress/house-resolution/758/titles
17) https://www.congress.gov/bill/113th-congress/house-resolution/758/text
18) http://www.ronpaulinstitute.org/archives/featured-articles/2014/december/04/reckless-congress-declares-war-on-russia/
19) https://obamawhitehouse.archives.gov/the-press-office/2014/12/18/statement-president-ukraine-freedom-support-act
20) Paul Craig Roberts: Russia Has Western Enemies, Not Partners vom 5. Dezember 2014, unter http://www.paulcraigroberts.org/2014/12/05/russia-western-enemies-partners-paul-craig-roberts/
21) Michel Chossudovsky: Amerika auf dem »Kriegspfad«: Repräsentantenhaus ebnet Krieg mit Russland den Weg vom 6.112.2014 unter http://info.kopp-verlag.de/hintergruende/geostrategie/prof-michel-chossudovsky/amerika-auf-demkriegspfad-repraesentantenhaus-ebnet-krieg-mit-russland-den-weg.html
22) Ebd.
23) Carolina Chimoy: Meinung: Joe Bidens Kabinett - ein Zeichen der Hoffnung 25.11.20 unter https://www.dw.com/de/meinung-joe-bidens-kabinett-ein-zeichen-der-hoffnung/a-55721416
24) https://taz.de/Biden-nominiert-Verteidigungsminister/!5736993/
25) Finian Cunningham: US War Machine Masquerading as Country vom 21. Dezember 2020 unter https://www.worldmilitarynews.com/2020/12/21/us-war-machine-masquerading-as-country/
26) Thomas Mann: Deutsche Hörer! Europäische Hörer! Darmstadt 1980, Rückseite
Online-Flyer Nr. 761 vom 20.01.2021