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WANTED - Julian Assange, ein Leben
Folge 12: DIE BANKEN ERSCHÜTTERN (Februar 2008)
Von Delphine Noels (Belgium4Assange) in Zusammenarbeit mit Marc Molitor, Pascale Vielle und Bogdan Zamfir - ins Deutsche übersetzt von Claudia Daseking

Ab Ende Oktober 2021 geht es in London wieder um den Antrag der USA auf Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Am 27. Oktober 2021 wird das Berufungsgericht zum ersten Mal tagen. Die Zeit bis dahin begleitet die NRhZ mit einem CountDown von 34 Folgen über das Leben von Julian Assange. Sie wiederholt damit den Countdown von Belgium4Assange, der zum 4. Januar 2021 führte, als die britische Justiz ihr Urteil im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in der ersten Instanz gesprochen hatte. Belgium4Assange schrieb dazu: "Was steht bei diesem Prozess auf dem Spiel? Inwiefern betrifft uns das persönlich? Schwierig, hierzu klare Vorstellungen zu haben, da so viele Falschmeldungen und Desinformationen kursieren... Tag für Tag zeichnen wir seinen Weg voller Überraschungen und Enthüllungen nach und richten den Blick auf die näheren Umstände einer der fundamentalsten Kämpfe unserer Zeit." (Auf der website pour.press auf Französisch nachzulesen). Hier jetzt Folge 12:


Im Januar 2008, als die Finanzkrise in vollem Gange war, setzte die Julius-Bär-Bank (die größte Schweizer Bank) ohne Skrupel ihre illegalen Transaktionen mit ihrer Tochtergesellschaft auf den Cayman-Inseln (Steueroase) fort, damit ihre Kunden weiter ihre Steuern reduzieren oder vermeiden konnten...

Diese Informationen kommen über ein Leak von Rudolf Elmer, dem ehemaligen geschäftsführenden Direktor der Tochtergesellschaft auf den Cayman-Inseln, der Julius Bär Bank & Trust Company, zu WikiLeaks. Elmer, der des Betrugs verdächtigt und dann von seiner Bank entlassen wurde, hatte beschlossen, sich zu rächen. WikiLeaks ist es eine Freude, die von Elmer anvertrauten äußerst kompromittierenden Dokumente zu veröffentlichen. Zu diesen Dokumenten gehört die Liste der Kunden, die Steueroasen nutzen. Einige Namen sind nicht unbekannt: Bruce Willis, Arnold Schwarzenegger, Jim Carrey, Celine Dion…

Die Reaktion der Bank und der Anwälte der Kunden ließ nicht lange auf sich warten. Die Anwaltskanzlei "Ludley & Sanger" schickt einen Brief an WikiLeaks und fordert den Rückruf der Kundenliste. Im Falle der Ablehnung von WikiLeaks sind die Drohungen der Kanzlei so aggressiv, dass der Anwalt von WikiLeaks Julian rät, die Sache fallen zu lassen: „Diese Leute sind zu mächtig, zu vernetzt, zu reich, nichts wird sie aufhalten, es ist viel zu obskur und zu gefährlich“. Julian antwortet ihm, dass ihn auch nichts aufhält: Er bleibt dran und setzt die Veröffentlichungen fort ... Als die Bank von Wikileaks Weigerung erfährt, die Kundenliste zurückzuziehen, beschließt sie sofort, die Organisation sowie den Anmelder des Domainnamens wikileaks.org vor einem Gericht in Kalifornien zu verklagen.

Die amerikanische Justiz ordnet die Schließung der Domain von WikiLeaks an. Im Februar 2008 wurde der Domainname wikileaks.org nach dem Löschen seiner DNS-Einträge offline geschaltet. (WikiLeaks blieb über seine digitale IP-Adresse und Spiegelseiten zugänglich)… Ein schwerer Schlag für Julian, der aber zum Glück diese Art von Problem bei der Konzipierung von WikiLeaks vorhergesehen hatte.

Jetzt wird klar, dass die Entscheidung, die Anmeldung der Domain in San Francisco, der Hauptstadt der Cypherpunks, erstellt zu haben, eine kluge Entscheidung von Julian Assange war, denn sobald die Nachricht über Wikileaks rumging, gingen die ganzen Vereinigungen und Verbände zur Verteidigung der Pressefreiheit auf die Barrikaden. Sehr schnell reichten sie einen Protestantrag gegen die Zensur von WikiLeaks ein. Sie möchten vor Gericht angehört werden, um auf relevante Rechtsfragen aufmerksam zu machen, die ihrer Meinung nach vom Gericht übersehen wurden. WikiLeaks hatte sich nicht vor Gericht verteidigen können, und Probleme mit dem First Amendment waren in der Verhandlung nicht zur Sprache gekommen (Erster Zusatzartikel der Verfassung: „Der Kongress darf kein Gesetz erlassen, das die Einführung einer Staatsreligion zum Gegenstand hat, die freie Religionsausübung verbietet, die Rede- oder Pressefreiheit oder das Recht des Volkes einschränkt, sich friedlich zu versammeln und die Regierung durch Petition um Abstellung von Missständen zu ersuchen.“)

Der Druck ist so stark, dass der Richter Jeffrey White, der die Schließung des WikiLeaks-Domainnamens angeordnet hat, zurückrudert. Am 29. Februar 2008 hebt er seine einstweilige Verfügung unter Berufung auf Bedenken hinsichtlich des First Amendment und Zuständigkeitsfragen auf. Er lehnt auch den Antrag der Bank auf Anordnung des Verbots der Veröffentlichung der Website ab. Lucy Dalglish, Exekutivdirektorin des Komitees Reporter für Pressefreiheit, kommentierte die Ereignisse wie folgt: "Es kommt nicht sehr oft vor, dass ein Bundesrichter einen Fall um 180 Grad dreht und eine Anordnung auflöst. Wir sind sehr glücklich, dass der Richter die verfassungsrechtlichen Auswirkungen seiner Anordnung erkannt hat."

Der Ausgang des Prozesses ist, dass die Bank Geldstrafen in Höhe von 300 Millionen Dollar zahlen muss... Es war ein großer und entscheidender Sieg für WikiLeaks, der in diesem Jahr den Economist New Media Award erhalten wird…

Dieser Fall ermöglichte es Julian Assange, die Funktionsweise von Steueroasen genau zu beobachten: Investoren wählen abgelegene Orte auf der Welt, dünn besiedelt und hauptsächlich Inseln in der Weite des Pazifiks, wo es mit einiger Lobbyarbeit einfach ist, die entsprechenden Gesetze zu verabschieden, die den Ort in eine Steueroase verwandeln.

Und diese Beobachtung ließ in Assange eine Idee keimen… Könnte man diese Strategie aufgreifen und anstelle einer Steueroase ein Informationsparadies schaffen?

Bitteschön. Dies war die zwölfte Folge von WANTED, der Serie, die Sie zur Herzkammer unserer Welt führt und Ihnen ihre verborgenen Seiten offenbart... Morgen werden wir sehen, wie WikiLeaks seine Arbeit fortsetzen wird, was Julian nicht daran hindert, seine Überlegungen zur Schaffung eines Informationsparadieses fortzusetzen...


Quellen:

The most dangerous man in the world, Andrew Fowler, Skyhorse Publishing, 2011
The unauthorized autobiography, Julian Assange, Canongate Books Ltd, 2011.
https://wikileaks.org/wiki/Bank_Julius_Baer_vs._Wikileaks
https://www.journalistefreelance.be/A-Leak-in-Paradise
https://wikileaks.org/wiki/Wikileaks_victorious_over_Bank_Julius_Baer
https://wikileaks.org/wiki/Bank_Julius_Baer
Die Verbände, die Wikileaks unterstützt haben:
L’Electronic Frontiers Fondation, the American Society of News Editors, l'Associated Press, le Citizen Media Law Project, die E. W. Scripps Company, die Gannett Company, die Hearst Corporation, die Los Angeles Times, la National Newspaper Publishers Association, die Newspaper Association of America et die Society of Professional Journalists…
https://wikileaks.org/wiki/Media_and_civil_liberties_organizations_file_briefs_in_support_of_Wikileaks
https://www.letemps.ch/economie/un-exbanquier-remet-documents-wikileaks
Economist New media Award:
https://www.indexoncensorship.org/2017/04/indexawards2008-wikileaks-economist-new-media-award/


Link zu Folge 11: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27674
Link zu Folge 13: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27676


Siehe auch:

In einer Zeit, in der unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge eine ungeahnte digitale Überwachungsstruktur etabliert wird, fehlt WikiLeaks
Julian Assange: dem kommenden Überwachungsregime trotzen!
Von Erich Sturm
NRhZ 777 vom 22.09.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27648

Online-Flyer Nr. 777  vom 03.10.2021



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