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WANTED - Julian Assange, ein Leben
Folge 32: DIE EINKERKERUNG IN BELMARSH, DEM „BRITISCHEN GUANTANAMO" (2019)
Von Delphine Noels (Belgium4Assange) in Zusammenarbeit mit Marc Molitor, Pascale Vielle und Bogdan Zamfir - ins Deutsche übersetzt von Claudia Daseking

Ab Ende Oktober 2021 geht es in London wieder um den Antrag der USA auf Auslieferung von Wikileaks-Gründer Julian Assange. Am 27. Oktober 2021 wird das Berufungsgericht zum ersten Mal tagen. Die Zeit bis dahin begleitet die NRhZ mit einem CountDown von 34 Folgen über das Leben von Julian Assange. Sie wiederholt damit den Countdown von Belgium4Assange, der zum 4. Januar 2021 führte, als die britische Justiz ihr Urteil im Auslieferungsverfahren gegen Julian Assange in der ersten Instanz gesprochen hatte. Belgium4Assange schrieb dazu: "Was steht bei diesem Prozess auf dem Spiel? Inwiefern betrifft uns das persönlich? Schwierig, hierzu klare Vorstellungen zu haben, da so viele Falschmeldungen und Desinformationen kursieren... Tag für Tag zeichnen wir seinen Weg voller Überraschungen und Enthüllungen nach und richten den Blick auf die näheren Umstände einer der fundamentalsten Kämpfe unserer Zeit." (Auf der website pour.press auf Französisch nachzulesen). Hier jetzt Folge 32:


Am 11. April 2019 bringt ein Polizeiwagen Julian Assange mit heulenden Sirenen zum Westminster Court. Er wurde gerade gewaltsam aus der ecuadorianischen Botschaft verschleppt. Richter Michael Snow befand ihn auf der Stelle für schuldig, 7 Jahre zuvor gegen seine Bewährungsauflagen verstoßen zu haben, seine elektronische Fußfessel geknackt und Zuflucht in der Botschaft gesucht zu haben.

Unmittelbar danach, dieses Mal auf der Londoner Central Police Station, wird er über das Auslieferungsersuchen der USA informiert. Die erste - weil es mehrere geben wird - amerikanische Anklage wird ihm mitgeteilt. Am Ende des Tages befindet sich Julian in der Vollzuganstalt Belmarsh eingesperrt. Dieses Hochsicherheitsgefängnis wurde nach dem 11. September 2001 am Stadtrand von London für Terroristen und Insassen mit langen Haftstrafen errichtet. Es trägt den Spitznamen „Britisches Guantanamo“… Um das ganze noch zu krönen, kündigt Schweden am selben Tag auch noch die Wiederaufnahme seiner Untersuchung an (WANTED 17/34).

Die Vereinigten Staaten enthüllen also endlich ihre Anklage gegen Julian Assange. Eine Anklageschrift, die über ein Jahr lang von einer geheimen Grand Jury verfasst und vertraulich behandelt wurde (WANTED 31/34). Sie kreist im Wesentlichen um den Hacking-Vorwurf: Julian wird beschuldigt, Chelsea Manning dabei geholfen zu haben, ein Passwort zu knacken, um an Verschlusssachen zu Kommen (WANTED 15/34). Er wird daher der Verschwörung wegen Diebstahls geheimer Akten der US-Regierung beschuldigt. Die USA vermeiden es sorgfältig, darauf hinzuweisen, dass der Grund für das Auslieferungsersuchen politisch ist, was das ganze untergraben könnte. US-Staatsanwälte vermeiden es auch, Julian als Journalisten anzuerkennen, was ihn unter den Schutz des Presserechts stellen würde.

Drei Wochen später wird Julian zu 50 Wochen Gefängnis verurteilt, eine exorbitante Strafe für die geringfügige Straftat, eine elektronische Fußfessel geknackt zu haben. Sowohl in Bezug auf die Schuld als auch bezüglich des Urteils argumentierten seine Anwälte, dass seine Zuflucht in der Botschaft durch das von Julian damals befürchtete Risiko einer Auslieferung an die Vereinigten Staaten motiviert gewesen sei (25/34 WANTED). Dies war ein triftiger Grund für die Verletzung der Bedingungen seiner Bewährung, und gelinde gesagt ist dieses Risiko im Nachhinein und zum Zeitpunkt der Anhörungen erwiesen! Die Richter Michael Snow und Deborah Taylor behaupteten jedoch, dass 2012 keine Auslieferungsgefahr an die Vereinigten Staaten bestanden habe. Sie wiesen auch das Argument einer nachgewiesenen Absprache zwischen schwedischen und britischen Staatsanwälten zurück (WANTED 31/34) und ebenso Beweise dafür, dass Schweden entgegen dem Völkerrecht bereits Personen an die CIA übergeben hatte, die diese dann gefoltert hatte. Richter Taylor sagte, Julian Assange sei wegen eines Verbrechens in Schweden angeklagt worden - während Sie als Leser von WANTED wissen, dass der Fall nicht über die Voruntersuchungen hinausgegangen ist und dass Julian nie angeklagt wurde. Richter Snow seinerseits nahm sich die Freiheit, Julian zu beleidigen: Er beschrieb seine Beschwerden über die Ungerechtigkeit seines Prozesses als lächerlich und nannte ihn "einen Narzissten, der nicht über seine eigenen egoistischen Interessen hinausgehen kann". Die Verteidigungsargumente in Bezug auf seinen prekären Gesundheitszustand wurden einfach ignoriert.

In Belmarsh sind Julians Haftbedingungen schrecklich. Die meiste Zeit befindet er sich in Einzelhaft und sein Gesundheitszustand, der bereits nach den Misshandlungen in den letzten Monaten innerhalb der Botschaftsmauern prekär ist, verschlechtert sich weiter. Schon am 9. Mai erklären Nils Melzer, Sonderberichterstatter der Vereinten Nationen für Folter, und zwei unabhängige UN-Experten, dass Julian chronische Angstzustände und ein intensives psychisches Trauma aufweist: die typischen Symptome, wenn man längere Zeit psychischer Folter ausgesetzt ist. Nach Verbänden von Ärzten und Anwälten wird auch er England im Dezember 2020 erneut über Julians Gesundheitszustand informieren und seine sofortige Freilassung fordern.

Am 13. Mai 2019 schrieb Julian einen Brief an den freien britischen Journalisten Gordon Dimmack, der ihn veröffentlichen wird: „Ich wurde jeglicher Möglichkeit beraubt, meine Verteidigung vorzubereiten, ohne Computer, ohne Internet, ohne Bibliothek und selbst wenn ich Zugang dazu hätte, wäre es nur einmal pro Woche und für eine halbe Stunde möglich, mit allen anderen Insassen. Nicht mehr als zwei Besuche pro Monat und es dauert Wochen, bis jemand auf die Besucherliste gesetzt wird, sofern man die vollständigen Kontaktdaten angibt, damit die Person einer Sicherheitsüberprüfung unterzogen werden kann. Dann werden alle Anrufe mit Ausnahme von Anwälten aufgezeichnet und dürfen maximal 10 Minuten dauern in einem Zeitraum von 30 Minuten pro Tag, während dem alle Insassen um das Telefon konkurrieren. Und das Guthaben? Nur ein paar Pfund pro Woche und niemand kann von außen anrufen. Der Gegner ?

Eine Supermacht, die sich seit 9 Jahren vorbereitet und Hunderte von Menschen damit beschäftigt und Millionen in diese Angelegenheit investiert hat. Ich bin hilflos und zähle auf dich (...), um mein Leben zu retten (...) Am Ende haben wir nur die Wahrheit. "

US-Staatsanwälte wussten, dass die Verteidigung den ersten Anklagepunkt leicht auseinander-nehmen konnte. Chelsea Manning war im Besitz der geheimen Dokumente gewesen, bevor sie sich an Julian Assange gewandt hatte - sie hatte die Übermittlung der Daten tatsächlich schon der amerikanischen Mainstream-Presse angeboten, bevor sie sich an Wikileaks wandte. Darüber hinaus gab ihr beruflicher Status Zugang zu diesen Dokumenten, ohne dass sie Passwörter knacken musste (WANTED 15/34).

Um Julians Freilassung am Ende seiner 50-wöchigen Haftstrafe zu verhindern, werden die Vereinigten Staaten daher am 23. Mai 2019 eine zweite, fundiertere Anklage erheben. Sie basiert auf dem Spionagegesetz von 1917 und ... Julian sieht sich mit siebzehn neuen Anklagepunkten konfrontiert, die ihm möglicherweise 175 Jahre Gefängnis einbringen! Die Anklagen liegen diesmal viel näher an den zugrunde liegenden Motiven des Prozesses: Alle beziehen sich auf das Erhalten und Veröffentlichen der Dokumente von 2010 (WANTED 15/34). Wir haben es tatsächlich mit einem politischen Prozess zu tun.

Als ob sie sich der Schwächen dieser zweiten Anklage bewusst waren, versuchen die Vereinigten Staaten parallel dazu, Chelsea Manning zu brechen – sie war ja bereits vor Gericht gestanden, verurteilt und dann von Barack Obama begnadigt worden. Sie wird erneut vor eine geheime Grand Jury in Virginia gerufen und inhaftiert, um sie zu zwingen, Julian als direkten und aktiven Komplizen ihres Computer-"Diebstahls" von Dokumenten im Jahre 2010 zu belasten. Sie wird sich ebenso wie Jeremy Hammond , der dem gleichen Druck ausgesetzt war, weigern, auszusagen. "Ich habe alles gesagt und wurde 2010 verurteilt", sagt sie ... und ihre Einstellung wird sie teuer kosten. Unbeugsam, bis zum Selbstmordversuch, wird sie zu einem Jahr Gefängnis verurteilt, mit einer Geldstrafe von 1.000 US-Dollar pro Tag, weil sie sich weigert, auszusagen. Als sie am 12. März 2020 aus dem Gefängnis entlassen wird, hat sie eine Schuld von 257.000 Dollar angehäuft… Ein Aufruf zur Solidarität wird in zwei Tagen 267.000 Dollar für sie einbringen!

Die Anhörungen zu Assange' Auslieferungsverfahren sollen im Herbst 2019 und der Prozess selbst im Februar 2020 beginnen.

Das war die 32. Folge von WANTED, der Serie, die Euch zur Herzkammer unserer Welt führt, und Julian Assange, der euch ihre Geheimnisse preisgegeben hat, ist jetzt im Gefängnis… Morgen werden wir sehen, ob er auf ein faires Verfahren hoffen kann ...


Quellen / Für weitere Informationen:

https://www.theguardian.com/uk-news/2019/apr/11/julian-assange-arrested-at-ecuadorian-embassy-wikileaks

Die offiziellen amerikanischen Dokumente:
2. Juni 2020: https://www.justice.gov/opa/press-release/file/1289641/download
23. Mai 2019: https://www.justice.gov/opa/press-release/file/1165636/download

Der Brief von Julian Assange (auf Frz):
http://canempechepasnicolas.over-blog.com/2019/05/j-ai-recu-une-lettre-de-julian-assange.html

Nils Melzer, der UN-Sonderbeauftragte für Folter:
https://www.youtube.com/watch?v=nZqlQnbQzDk&feature=share&fbclid=IwAR1Cft-fgNuNBNTu8aGIUZGUD_JaFuk309tLV_BEnuG4J9KT77cN0gRG62Q&ab_channel=LiveontheFlywithRandyCredico
https://m.facebook.com/nt/screen/?params=%7B%22note_id%22%3A1086092678460490%7D&path=%2Fnotes%2F%7Bnote_id%7D&_rdr
Im Dezember 2020, appelliert Nils Melzer noch einmal an England:
https://news.un.org/en/story/2020/12/1079542

Offene Briefe von Ärzten für Julian Assange:
https://doctorsassange.org

Offene Briefe von Juristen zur rechtlichen Situation de Julian Assange:
https://www.lawyersforassange.org


Link zu Folge 31: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27694
Link zu Folge 33: http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27696


Siehe auch:

In einer Zeit, in der unter dem Deckmantel der Gesundheitsvorsorge eine ungeahnte digitale Überwachungsstruktur etabliert wird, fehlt WikiLeaks
Julian Assange: dem kommenden Überwachungsregime trotzen!
Von Erich Sturm
NRhZ 777 vom 22.09.2021
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=27648

Online-Flyer Nr. 777  vom 23.10.2021



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