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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Kontinuität der Aggressionen – die Freiheit am "Berg Sinai" verteidigen?
Von Evelyn Hecht-Galinski

Was für eine Reiseroute! Vom „Stellvertreter“ Gottes führte es Merkel zu Gottes „auserwähltem Volk“ ins „Heilige Apartheidland“. Es ist schon erstaunlich, wie es dieser Kanzlerin gelingt, Papst Franziskus und den gnadenlosen Palästinenserhasser Naftali Bennett für sich einzunehmen. Was sie mit dem Papst während ihrer Privataudienz besprach, wird ein vatikanisches Geheimnis bleiben. Was sie allerdings im „jüdischen Staat“ von sich gab, das war ganz typisch „Merkel Stil“. Da kam eine „wahre Freundin“ zu ihrem achten Besuch. Natürlich nicht ohne wieder einmal Yad Vashem zu besuchen, dort demütig ganz in schwarz einen Kranz niederzulegen, im stillen Gedenken versunken. Dieses Gedenken hätte ich mir – nebenbei gesagt – auch für die Opfer der Nakba und die unzähligen palästinensischen Opfer gewünscht, ermordet im Kampf um ihre Freiheit und gegen die illegale zionistische Besatzung. Wo bleibt ihr christliches „Werteverständnis“, wenn es um Palästina geht? Was allerdings Merkel in ihrer Amtszeit aufweisen kann, ist der rapide Anstieg von jüdischen Siedlungen und Siedlern, hochgeschnellt von 200.000 auf etwa 600.000 Siedler.

Ausbruchsartiger Anstieg des Siedlerterrors

Als sie in einer gemeinsamen Pressekonferenz mit Bennett sagte, sie denke, dass die Idee einer Zweistaatenlösung nicht vom Tisch genommen werden sollte, auch wenn sie in diesem Stadium fast aussichtslos erscheint, aber ihrer Auffassung nach, der beste Weg sei, um den jahrzehntelangen Konflikt zwischen Israel und den Palästinensern zu beenden, tat sie nichts dafür, um diesen Zustand zu erreichen. Sie fügte noch hinzu, dass der Siedlungsbau in den besetzten Gebieten nicht hilfreich sei. Mit dieser Aussage bewies sie abermals, wie nebensächlich ihr Palästinenser und deren Interessen sind. Kann doch von „nebensächlich“ keine Rede sein, angesichts des unter der Bennett-Regierung ausbruchsartigen Anstiegs des Siedlerterrors, unter dem Schutz der jüdischen „Verteidigungsarmee“.

Das palästinensische Außenministerium warf Israel am 11. Oktober vor, die Zweistaatenlösung durch ein Apartheidsystem zu ersetzen, indem es die Zahl der Übergriffe seiner Streitkräfte auf Palästinenser erhöht und jüdische Siedler schützt. Das Ministerium bekräftigte in einer Erklärung, dass die israelische Regierung die volle und direkte Verantwortung für die von den Besatzungstruppen und den Siedlern begangenen Angriffe, Übergriffe und Verbrechen trägt, und fügte hinzu, dass diese Angriffe "eine ausdrückliche Einladung zum Chaos und zu einem neuen Zyklus der Gewalt als Teil einer offiziellen israelischen Entscheidung sind, die Zweistaatenlösung durch ein Apartheidsystem zu ersetzen". "Dieses System wird täglich vor den Augen der internationalen Gemeinschaft vertieft", heißt es in der Erklärung, und die täglichen Angriffe der Siedler seien "das wichtigste Instrument zur Aufrechterhaltung der Besatzung und zur Annexion des besetzten Westjordanlandes".

Besatzung: schlimmste Form des Terrorismus

Unter Merkel wurden die Hamas und die Hisbollah zu „Terrororganisationen“ erklärt, Organisationen ohne die es überhaupt keine Widerstandsgruppen gegen die illegale Besatzung mehr gäbe. Während Merkel zum jüdischen Siedlerterror schwieg, unterstrich Ministerpräsident Bennett seine Ablehnung eines Palästinenserstaats: „Ausgehend von seiner Erfahrung bedeutet die Gründung eines palästinensischen Staates, dass sehr wahrscheinlich ein Terrorstaat gegründet wird, der etwa sieben Minuten von meinem Haus entfernt und von fast jedem Punkt Israels zu erreichen ist. Er selbst bezeichnet sich als 'pragmatischer Mann', der stattdessen bereit sei, Schritte vor Ort zu unternehmen, um die Lebensbedingungen der Palästinenser im Westjordanland und im Gazastreifen zu verbessern. Schließlich habe er auch Covid-Impfungen für Palästinenser geschickt“. Ist tatsächlich die Errichtung eines palästinensischen Staates die schlimmste Form des Terrorismus? Ist es nicht vielmehr die Besatzung?

Dieser Besuch der Kanzlerin musste wie eine Ohrfeige für die Palästinenser gewesen sein, weder bekamen sie genügend Impfstoff, noch wirkliche Erleichterungen oder eine Aussicht auf ein Ende der illegalen Besatzung. Da sprach ein zionistischer Hardliner, ein Mann mit Blut an den Händen, ein ehemaliger Siedlerkönig, der sich dafür rühmte, während seiner Armeezeit viele Araber=Terroristen getötet zu haben „Das ist gut – und es ist eine Schande, dass wir nicht mehr Terroristen getötet haben“. Er, der momentane Führer „eines Leuchtturms der Demokratie“, eines Staates der jüdischen Wiedergeburt, heimgekehrt in die alte Heimat mit ihrer alten Sprache und ihrer eigenen Souveränität.

"Glücksfall" freundschaftlicher Beziehungen mit den Aggressionsverbrechern

Da steht also ein „Kollege“ neben Merkel, der so skrupellos in der Verfolgung seiner Ziele ist und genau weiß, dass er weder von dieser deutschen Kanzlerin noch von ihren Nachfolgern mit gravierenden Konsequenzen für Besatzungs- und Aggressionsverbrechen zu rechnen hat. Während die „gute Freundin“ die, „beeindruckende, sehr starke Frau, die kompromisslose“, wenn es um die von ihr verkündete Staatsräson für Israel geht, diese als nicht verhandelbar sieht. Sie schwelgt im Glücksfall der freundschaftlichen Beziehungen nach dem Holocaust, und aus dieser Schuld heraus erwächst für sie die Verpflichtung für ihr Land. „Deutschland ist nicht neutral, wenn es um die Frage der Sicherheit Israels geht, sondern die Sicherheit Israels ist ein Teil unserer Staatsräson“.

Was für eine Aussage! Nicht neutral heißt doch im deutschen Fall, dass Deutschland mit seiner Aufrüstung des „jüdischen Staats“, mit Lieferung der U-Boote, die man mit nuklear bestückbaren Marschflugkörpern aufrüsten kann, ewige Solidarität und das Recht der Selbstverteidigung zugestanden hat. Dieses „Recht“ steht keinem Besatzer zu. Nur der Besetzte hat ein Recht auf Selbstverteidigung.

Harmonisch-unterwürfiger Abschiedsbesuch

Merkel hat mit dieser Einseitigkeit jeden Anspruch Deutschlands auf Glaubwürdigkeit verspielt. Die Palästinenser haben durch diese Art der deutschen Politik nichts zu erwarten von deutschen Regierungen, außer dem ewigen Mantra der Zweistaatenlösung, die so fern liegt wie der Mars. So wie Merkel Ramallah nicht besuchte, keine kritischen Stimmen traf, sich für die Tausenden von zu Unrecht sitzenden Gefangenen nicht einsetzte oder nicht einmal Gaza besuchte, zeigte sie erneut ihre fehlende Empathie. Schließlich sollte nichts diesen „harmonisch-unterwürfigen“ Abschiedsbesuch stören.

In Sachen Iran und Atomabkommen, waren sich beide Partner einig. in der Beurteilung, Die Eindämmung des iranischen Atomprogramms sei gemeinsames Ziel. Meinungsunterschiede gebe es nur über den richtigen Weg. Während Bennett Iran als größten Feind betrachtet, auf Irans Unterstützung feindlicher Gruppen in Syrien und der Region als existenzielle Bedrohung für den „jüdischen Staat“ und Gefahr für den Weltfrieden verwies und keine Schwäche, sondern nur Stärke zeigen will, forderte er Deutschland auf, Position zu beziehen, da diese besonders wichtig sei. Merkel betrachtet die gegenwärtige Lage „in einem kritischen Prozess“ und sie werde alles dafür tun, um Iran an den Verhandlungstisch zurückzuholen.

Wer bedroht hier eigentlich den Weltfrieden?

Da ist allerdings die Frage zu stellen, wieso stellen ein iranisches Atomprogramm und die nukleare Aufrüstung ein Problem für den Weltfrieden dar? Während die nicht kontrollierte Nuklearmacht Israel toleriert wird? Wer bedroht hier eigentlich den Weltfrieden? Auch daran kann man nicht oft genug erinnern. Tatsache ist doch, dass Iran im Laufe seiner langen Kulturgeschichte noch keinen anderen Staat bedroht hat. Was man vom „jüdischen Staat“ Israel nicht behaupten kann.

Was macht diesen Staat so unantastbar? Ist das die ausgeklügelte Hasbara-Propaganda, die es immer wieder versteht, mit der Holocaust-Keule Politik zu betreiben? Nicht davor zurückschreckt Antisemitismus und Israel-Kritik bewusst zu vermengen. Palästinenser/Araber und die Iraner per se als antisemitische Feinde darzustellen. Diese Keule kommt bei Deutschen und Europäern zum Einsatz, wenn sie etwas von der israelischen Regierung verlangen, was diese nicht akzeptiert. (1)

BDS wichtiger denn je!

Mit Merkel an der Seite konnte sich der „jüdische Staat“ sicher sein, dass sie alles dafür tat, den entschlossenen Kampf gegen (vermeintlichen) Antisemitismus fortzusetzen. Was sie allerdings darunter versteht, ist inzwischen immer fragwürdiger geworden. Haben sich doch die Merkel-Regierung und der Bundestag inzwischen voll auf die israelische Methode eingelassen, die BDS-Bewegung und deren Anhänger auszuschließen, ihnen z.B. die Anmietung öffentlicher Räume zu untersagen oder sie anderer Schikanen auszusetzen. Eine Klage von BDS-Unterstützern scheiterte, aber es wird nicht die letzte sein, es geht weiter bis zum Erfolg. (2)

Solange BDS als „Israel-bezogener“ Antisemitismus verunglimpft wird, ist die Unterstützung dieser Bewegung wichtiger denn je. Wer wundert sich eigentlich noch darüber, dass Embleme der jüdischen Besatzungsarmee oder der Davidstern als das Symbol des Apartheidstaats Hassobjekte sind. Solange sich Antisemitismusbeauftragte und Zentralrat der Juden weiter mit diesem Besatzungsstaat solidarisieren, kann es kein „normales“ Verhältnis zu Juden und im Zusammenleben geben. Scheint das nicht sogar gewollt, um diese „Sonderstellung“ beizubehalten und eine Auswanderung in den „jüdischen Staat“ zu fördern? (3)

Nicht erneut zum Komplizen des Grauens machen!

Wie es scheint, hört im Merkel-Deutschland die Meinungsfreiheit auf, wenn man es wagt, sich für einen gewaltfreien Widerstand gegen die Besatzung, für Menschenrechte auch für Palästinenser und als schärfstes Mittel für einen Aufruf zum Boykott einzusetzen.

Unter Merkel hat Deutschland eine traurige Bilanz gegenüber den Rechten der Palästinenser aufzuweisen. Wenn ein neuer Bundestag und eine neue Regierung nach Merkel  ihr „unbedingtes“ An-der-Seite-Israels-Stehen fortführen –  trotz Apartheid, Besatzung, Völker- und Menschenrechtsverbrechen – macht sich Deutschland erneut zum Komplizen des Grauens.

Unsere Freiheit demnächst am „Berg Sinai“ verteidigen?

Wenn Merkel – nachdem die USA nicht mehr bereit seien, die bedingungslose Führungsrolle zu übernehmen – Europas Sicherheitsinteressen klarer definieren will, bedeutet das für uns, dass demnächst „unsere Freiheit am Berg Sinai“ verteidigt wird?

Warum kommen inzwischen Tausende jüdische Israelis nach Deutschland und speziell nach Berlin – fliehen geradezu vor diesem Staatsterrorregime? Sind das jetzt alles Antisemiten?

Solange Merkel und ihre Nachfolger die Besatzung nicht als schlimmste Form des Terrorismus anerkennen und gegen diese konkreten Maßnahmen ergreifen, sondern meinen in dieser philosemitischen Trauma-Politik fortfahren zu müssen, solange werden die Aggressionen dank deutscher Hilfe fortgeführt werden.


Fußnoten:

(1) https://www.n-tv.de/politik/Deutsche-sind-empfindlicher-als-Israelis-article22853289.html
(2) https://www.lto.de/recht/justiz/j/vg-berlin-2k7920-bds-israel-boykott-bewegung-klage-bundestag-beschluss-distanzierung/
(3) https://www.juedische-allgemeine.de/politik/bds-ist-nichts-anderes-als-antisemitismus/?amp


Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom "Hochblauen", dem 1165 m hohen "Hausberg" im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch "Das elfte Gebot: Israel darf alles" heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten "Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik" ausgezeichnet.

Online-Flyer Nr. 778  vom 13.10.2021



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