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Zum Interview im Kölner Universitätsmagazin mit Professor Dr. Claus Kreß über deutsche Prozesse gegen syrische Folterer
Im Namen des Weltrechts?
Von Markus und Eva Heizmann (Bündnis gegen Krieg, Basel)
In aller Regel werden in den Gerichten der westlichen Staaten Urteile «im Namen des Volkes» gesprochen. Selbst dort, wo dies nicht explizit ausgesprochen wird, wird stillschweigend davon ausgegangen, dass das «Volk» die oberste Instanz des Staates sei, also wird im Namen des Volkes verurteilt oder freigesprochen. Relativ neu kommt nun das so genannte «Weltrechtsprinzip» dazu. Das ECCHR (European Center for Constitutional an Human Rights) definiert dieses Weltrecht wie folgt: «Das Weltrechtsprinzip (auch: Prinzip der Universellen Jurisdiktion) sieht die Zuständigkeit eines Staates für die strafrechtliche Verfolgung von Völkerstraftaten vor, obwohl die Taten nicht auf seinem Hoheitsgebiet, durch einen seiner Staatsbürger oder gegen einen seiner Staatsbürger begangen wurden. Nationalen Gerichten in Drittstaaten ermöglicht das Weltrechtsprinzip neben ihrer regulären Zuständigkeit, Völkerstraftaten juristisch aufzuarbeiten und niedrig- wie hochrangige Täter*innen zur Verantwortung zu ziehen». (1) Ebenso wie die Maxime, dass «Vor dem Gesetz alle gleich seien» tönt auch die Maxime einer «Universellen Jurisdiktion» sehr gut. Dabei wird jedoch einerseits von einer blinden Justitia ausgegangen, einer Justiz also, die kein oben und kein unten kennt, die weder Klasse noch Politik berücksichtigt, sondern nur und ausschließlich die juristisch belastbaren Fakten zulässt. Das ist natürlich absurd, vor allem weil damit versucht wird, die imperialistische Realität auszublenden. Andererseits ist dieses Prinzip weder «Weltrecht» noch ist es «universell», denn einmal mehr sprechen vor diesem Gericht die RichterInnen der transatlantischen Allianz, global gesehen also einer Minderheit, «Recht».
Interview im Kölner Universitätsmagazin mit Professor Dr. Claus Kreß über deutsche Prozesse gegen syrische Folterer
Gerechtigkeit in einer gespaltenen Welt
Wir halten, vorerst ohne zu werten, fest: Wir leben in einer gespaltenen Welt. Diese Spaltung zieht sich entlang den Grenzen der imperialistisch kapitalistischen Hegemonie Sphäre. Geografisch lässt sich diese Sphäre grob auf die NATO-Staaten, die EU, die USA, Australien und auf Israel reduzieren. Hinzu kommen einige Vasallen, die jedoch im geopolitischen Kontext nicht so sehr von Belang sind. Auf der anderen Seite dieser westlich geprägten und klar imperialistisch gelenkten Hegemonie orten wir den Rest der Welt: Afrika, Südamerika, Asien. Es wird also auf den ersten Blick klar, dass sich die westlichen imperialen Interessen einerseits (zwar nicht offen) auf ihr verbrecherisches koloniales Erbe berufen und dass sie diese Interessen überall und mit allen Mitteln durchzusetzen versuchen. Mit allen Mitteln schließt natürlich ausdrücklich den Gebrauch von Waffen, inklusive Massenvernichtungswaffen, inklusive Folter, inklusive Menschenrechtsverletzungen aller Art mit ein.
Wenn also in dieser gespaltenen Welt nach Gerechtigkeit gerufen wird, erstaunt es doch sehr, wenn dieser Ruf ausgerechnet aus der Ecke der Welt ertönt, welche seit mindestens einem Jahrtausend für Ungerechtigkeit, namentlich für Sklaverei, koloniale Ausbeutung, kriegerische Raubzüge, Weltkriege und Genozide verantwortlich ist.
Soll mit dem «Weltrechtsprinzip» etwa die an Verbrechen nicht arme eigene Geschichte aufgearbeitet werden? Soll der nie beendete Kolonialismus endlich zu Grabe getragen und die dafür Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden? Wenn es also um Verbrechen gegen Menschlichkeit geht, dann müssten die europäischen Gerichte und ihre transatlantischen Verbündeten nicht lange fahnden, wenn sie Angeklagte finden wollen: Ein Blick vor die eigene Haustür genügt. Erwähnt sei Abu Ghraib, erwähnt sei Guantanamo, erwähnt seien die zahl- und namenlosen Folterknäste der CIA verstreut über alle Vasallenstaaten der USA. Erwähnt seien auch die vom Westen, bzw. von dem, was wir heute unter dem Begriff «NATO-Staaten» oder «transatlantische Allianz» subsumieren, verübten Angriffskriege und Verbrechen gegen die Völker und gegen die Menschlichkeit.
Die gespaltene Welt in der wir leben manifestiert sich auch darin, dass nun vom relativ neu etablierten Weltrechtsprinzip offenbar keinesfalls die imperialistischen Kriegsherren betroffen sind. Deren Kriege werden ja auch allesamt im Namen der «Menschenrechte» und der «Demokratie» geführt. Sollten dabei ganze Völker ermordet werden, sollte die Ökologie auf unabsehbare Zeit hinaus zerstört werden, sollte dabei jahrtausendealtes Kulturgut geraubt oder für immer zerstört werden, dann ist all das im schlimmsten Fall ein bedauerlicher Kollateralschaden. Keinesfalls landen die dafür Verantwortlichen vor den Schranken irgendeines Gerichts.
Der Fall Koblenz
In Koblenz kam im Februar 2021 erstmals ein Verfahren gemäß diesem Weltrechtsprinzip zum Abschluss. Der Syrer Eyad A. wurde vom Oberlandesgericht Koblenz zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Im Januar 2022 folgte ein Urteil gegen den Syrier Anwar R., der zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. In beiden Fällen ging es um die Verletzung von Menschenrechten, bzw. um Folter. Berufung ist in beiden Fällen möglich. Die Verteidigung von Eyad A. geht in Revision. (2) Ob der Verurteilte Anwar R. bzw. dessen Vertretung ebenfalls in Revision gehen, ist zurzeit noch nicht bekannt.
Wir wollen an dieser Stelle nicht über Schuld oder Unschuld der beiden Angeklagten spekulieren. Auch waren wir zu den Prozessterminen nicht vor Ort, kennen also die Fakten lediglich aus dritter Hand. (3) Eine der Informationsquellen, die wir konsultieren, ist das «Universitätsmagazin Köln». (4) Robert Hahn führt in der April Ausgabe 2022 des Magazins ein Gespräch mit Prof. Dr. Claus Kress. Es sei vorweg genommen: Als Völkerrechtler ist Prof. Dr. Kress bestimmt ein Experte. Unter der obigen Prämisse jedoch (Justitia ist nicht blind, sondern sie urteilt politisch) muss die Stellungsnahme des Experten, die er für ein Format des UNO Sicherheitsrats erstellte, sehr hinterfragt werden.
Der Experte
Sehen wir uns zuerst an, was Prof. Dr. Kress zum Prozess zu sagen hat. Im besagten Artikel gibt er Auskunft er über ein Hearing vor dem UN Sicherheitsrat, in welchem er im November 2021 zum Koblenzer Prozess berichtete. Dieses Hearing folgt einem Format, das einberufen werden kann, wenn eine Vetomacht (im vorliegenden Fall wohl Russland) verhindern sollte, dass das Thema an einer regulären UN-Sicherheitsrat Sitzung zur Sprache kommt. Im aktuellen Fall wurde das Format von Estland einberufen.
In «...» gesetzte Aussagen sind im folgenden Originalzitate aus dem Universitätsmagazin Köln. Gleich im Lead des Artikels wird die Richtung, in die gedacht, bzw. geurteilt werden soll, bekannt gegeben: «Die Urteile gelten als historisch, denn hier wurden erstmalig Angeklagte wegen systematischer Folter im Auftrag des Assad-Regimes verurteilt.»
Der Regierung (nicht dem «Regime») in Damaskus wird nicht nur «systematische Folter» zur Last gelegt. In der Vergangenheit wurde die syrische Regierung auch beschuldigt, «Giftgas gegen das eigene Volk» einzusetzen, «das eigene Volk zu massakrieren» und dergleichen mehr. Nichts davon konnte bis dato mit belastbaren Beweisen untermauert werden. Die «Caesar Fotos», welche Prof. Dr. Kress im Artikel anführt, wurden unseres Wissens nach noch nie von unabhängiger Seite verifiziert. Der politische Charakter des Prozesses kann nicht abgestritten werden. Offenbar wird von Beginn an weder untersucht noch hinterfragt «dass im Auftrag des Assad Regimes systematisch gefoltert wird», das wird als gegeben hingenommen. So sind denn die beiden, mittlerweile Verurteilten nicht mehr als der Sack, auf den eingeprügelt wird. Gemeint ist klar die syrische Regierung. Prof. Dr. Kress akzentuiert das auch ganz klar:
«Im Moment sieht es in Syrien düster aus. Denn das Assad-Regime sitzt seit geraumer Zeit wieder ziemlich fest im Sattel. Irgendwann aber mag es auch in Syrien rechtsstaatliche Strukturen geben, die die Durchführung von Prozessen vor Ort möglich machen.»
Diese «rechtsstaatlichen Strukturen» - es sei unterstellt und es schreit uns auch zwischen den Zeilen hervor – sind nur um den Preis eines Regime Changes zu haben. Dieser wurde auch von 2011 bis 2015 von allen Seiten in jeder Lautstärke favorisiert und gefordert. Mittlerweile ist man davon abgekommen und versucht nun stattdessen, das syrische Volk mit einer regelrechten Hungerblockade gegen seine Regierung aufzubringen. Diese Blockade ist völkerrechtlich illegal, handelt es sich dabei doch um so genannt «unilaterale Maßnahmen der USA und der EU». Dies ist ein veritables Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der verstorbene UN Sonderberichterstatter Dr. Idriss Jazairy verurteilt in mehreren Berichten die Blockade, u.a. in einem Vortrag vom 29. Mai 2018 vor IPPNW - (Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.) (5)
Die Urheber dieser Blockade sitzen in Washington und in Brüssel, dies nur als Tipp für Herrn Prof. Dr. Kress, falls er sie zu ihren mutmaßlichen Verbrechen befragen will.
Folter In Syrien?
Natürlich müssen wir uns die Frage gefallen lassen, ob in Syrien gefoltert wird und natürlich können wir das weder bejahen noch ausschließen. Bestritten wird jedoch, entgegen den Behauptungen von Organisationen wir Human Rights Watch, Amnesty International usw., dass in Syrien systematisch und von der Regierung institutionalisiert gefoltert wird. Folter ist ein Verbrechen, welches in so gut wie jedem Land vorkommt. Die Vorwürfe, die nun jedoch der syrischen Regierung gemacht werden, sind ein leicht durchschaubares Mittel der hybriden Kriegsführung. Kein unabhängiger Staat, z.B. ein afrikanischer oder asiatischer Staat greift zum Mittel des Weltrechtsprinzips, um Syrien anzuklagen. Warum dies ausgerechnet in Deutschland geschieht, begründet Prof. Dr. Kress folgendermaßen:
«Dass diese Prozesse in Deutschland geführt werden konnten, lag zum einen daran, dass sich die Angeklagten und viele Zeugen in Deutschland befanden.»
Kein Wort wird darüber verschwendet, dass Deutschland als NATO Mitglied Kriegspartei in Syrien ist. Kein Gedanke dazu, dass in der Folge auch die politische Komponente in das Verfahren Eingang finden müsste. Dass dies nicht sein darf, haben indes die Jugoslawien Prozesse in Den Haag ebenso bewiesen, wie die zahllosen Prozesse gegen die radikale politische Opposition innerhalb des Imperialismus von Istanbul über Paris bis Griechenland, um nur einige zu nennen. Julian Assange ist ein weiteres Beispiel vom Rechts- bzw. Unrechtsbewusstsein hinter den Gerichtsschranken des Imperialismus: Der Überbringer der Nachricht (Julian Assange) wird eingesperrt und gefoltert. Diejenigen, welche die Verbrechen begangen haben, die er an die Öffentlichkeit brachte, wurden nicht vor Gericht gestellt, einige von ihnen sind noch immer in Amt und Ehre. Für diese Art Gerechtigkeit brauchen wir kein Weltrechtsprinzip, brauchen wir keine Universelle Jurisdiktion zu bemühen. Es geht bei diesen Prozessen und bei den Prozessen, die da noch kommen mögen, nicht darum zu beweisen, dass in den syrischen Gefängnissen gefoltert wird und die Folterer ihrer Strafe zukommen zu lassen. Es geht einmal mehr um die Diffamierung und um die Diskreditierung der syrischen Regierung vor der westlichen Öffentlichkeit.
Keine Naivität
Der Vita von Prof. Dr. Kress entnehmen wir, dass er ein renommierter Wissenschaftler und ein ausgewiesener Experte für Völkerrecht ist. Es wäre also höchst unredlich, ihm Naivität zu unterstellen. Was also ist es, was einen versierten und erfahrenen Akademiker dazu bringt, die Aufgabe, vor der er steht, mit einer derart transatlantischen Akribie zu erfüllen? Kein Wort über die illegale Einschleusung von Söldnerbanden nach Syrien. Kein Wort über die illegale Besatzung des Nordens von Syrien durch die USA, durch kurdischen Verbände, und durch die Türkei als NATO Macht. Verbunden mit dieser illegalen Besatzung ist der Raub der dortigen Rohstoffe. Kein Wort über die anhaltende völkerrechtswidrige Blockade gegen das Land, die vor allem die schwächsten Teile der Bevölkerung trifft. Man mag uns nun entgegenhalten, all das habe nichts mit dem Gegenstand der Prozesse von Koblenz zu tun. Dann aber muss gleichwohl der Vorwurf der Naivität erhoben werden. Wie oben gezeigt, können wir nicht von einem juristischen Prozess gegen zwei mutmaßliche Folterer ausgehen. Wir haben es mit einem politischen Prozess gegen die syrische Regierung, gegen das syrische System, letztendlich gegen das syrische Volk zu zu tun. Dieses gesamtsyrische System bestehend aus Volk, Armee und Regierung wird in unseren Breitengraden mit konstanter Boshaftigkeit als «Regime» betitelt. Die Tatsache, dass wir es hier objektiv mit einem politischen Prozess zu tun haben und dass über diesen Prozess also nicht aus einer rein juristischen Warte, auch nicht aus einer rein völkerrechtlichen Warte aus berichtet werden kann, wie es Herr Prof. Dr. Kress zu tun versucht, ist all zu offensichtlich.
Nein, Frau Justitia ist nicht blind. Sie schielt auch nicht mit einem Auge auf das Kapital und die oberen Klassen. Sie hat beide Augen weit aufgerissen und sie wird täglich von den Apologeten des Militarismus, des Imperialismus und des Kapitalismus vergewaltigt und ad absurdum geführt.
Die Waage in der einen, das Schwert in der anderen Hand und die Augen voller Entsetzen weit aufgerissen ob all dem Unrecht, so präsentiert sich Justitia heute. Die politischen Komponenten solcher Prozesse nicht zu erkennen oder sie zu leugnen ist in der Tat entweder naiv, heuchlerisch oder die vollendete Komplizenschaft mit den Herren des Krieges.
Ein langer Atem
«Das Völkerstrafrecht ist zu seiner Durchsetzung sehr häufig auf einen langen Atem angelegt», bemerkt Prof. Dr. Claus Kress am Schluss des Artikels im Kölner Universitätsmagazin.
Ganz offensichtlich ist das so. Diesen langen Atem brauchen jedoch nicht die NATO-Staaten, nicht die USA, nicht die alten und neuen Kolonialherren. Diesen langen Atem brauchen die von ihnen versklavten, unterdrückten und von Angriffskriegen heimgesuchten Völker. Sie sind es, die Gericht halten sollen über die Tyrannen. In der gespaltenen Welt, in der wir leben, haben denn auch die Völker sehr wohl erkannt, dass sie vor den Schranken dieser Gerichte keine Gerechtigkeit erwarten können. Der Blick durch die transatlantische Brille verhindert offenbar die Sicht auf das ganze Bild.
Das erschreckende dabei ist nun nicht, dass die Propaganda des Imperialismus diese Sichtweise befördert, das gehört mit zur Anatomie des Imperialismus, die Propaganda, die einseitige Beeinflussung ist eines der Kerngeschäfte des Imperialismus. Erschreckend ist jedoch die fast völlige Gleichschaltung nicht nur der Medien, sondern auch weiter Teile des intellektuellen Spektrums. Dieser Mechanismus, Leben und Lehre ganz in den Dienst der Herrschenden zu stellen, mag einen kurzfristigen Gewinn für diejenigen bringen, welche das tun. Langfristig jedoch ist es nicht mehr und nicht weniger als ein umfassender intellektueller Ruin.
Dieser lange Atem, von dem Herr Prof. Dr. Claus Kress spricht, ist gewiss ein Merkmal, das wir den vom Imperialismus unterdrückten Völkern zuschreiben können.
Pragmatische Politik versus Heuchelei
Sehen wir uns zum Schluss noch eine Äußerung, die Prof. Dr. Kress zum Hearing vor dem UN Sicherheitsrat macht, an: «[…] Aber Russland war dabei und hat seine sattsam bekannte Position bekräftigt, wonach es keine Verbrechen des syrischen Regimes gibt. Dieses wehre sich vielmehr gegen eine anhaltende terroristische Bedrohung. Mit großer Kühle gegenüber internationalen Anstrengungen, die für die Verbrechen in Syrien Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, hat sich erwartungsgemäß auch China geäußert. Nicht ermutigend war, dass Indien einen recht ähnlichen Standpunkt wie China eingenommen hat. Die Stellungnahmen Russlands, Chinas und Indiens haben einen schonungslosen Blick auf die Schwierigkeit der internationalen Lage erlaubt, aber damit eben auch die Wichtigkeit einer Sitzung wie dieser deutlich gemacht.»
Dieser «schonungslose Blick», der da auf die internationale Lage geworfen wird, kann nur entlang den Grenzen der kapitalistischen und imperialen Hegemonie Bestrebungen interpretiert werden. Dann aber muss – wir wiederholen uns – auf jeden Fall das politische Moment miteinbezogen werden. Was zum Beispiel ist falsch an der Feststellung, dass sich Syrien gegen die anhaltende terroristische Bedrohung zur Wehr setzt?
Gewiss haben China und Indien, die in diesem Satz kritisiert werden, ebenso pragmatische Interessen wie Russland, vor allem in Syrien. Der Unterschied zu den NATO Staaten und zu deren Gerichtsbarkeit ist, das diese Partikularinteressen klar als solche erkennbar sind und auch genau so definiert werden, als politische Parteinahme nämlich. Das imperialistische Lager jedoch beharrt auf dem bis zur Erschöpfung strapazierten Narrativ der «Menschenrechte» und der «Demokratie», die es zu etablieren gelte. Diese Sprache kommt aus Ländern, deren Regierungen nicht nur die Menschen Afrikas versklavt haben und deren Rohstoffe sie bis zum heutigen Tag rauben. Die Verantwortlichen dieser Länder haben den Irak, Jugoslawien und Libyen am Boden zerstört und weite Teile dieser Länder mit ihren atomaren und chemischen Waffen vielleicht auf Jahrhunderte hinaus verseucht. Damit sind nur drei Beispiel der imperialistischen Aggressionen genannt, unter denen sowohl die Völker der Welt, als auch die Menschen im Imperialismus selbst leiden.
Wie nur kommen wir auf die Idee, dass die Gerichte dieser Staaten, auch wenn sie sich den wohlklingenden Namen «Weltrechtsprinzip» geben, qualifiziert sind, in irgend einer Weise Recht zu sprechen, insbesondere wenn es um die Frage der Menschenrechte geht?
Fußnoten:
1 https://www.ecchr.eu/glossar/weltrechtsprinzip/
(Letzter Zugriff April 2022)
2 https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/staatsfolter-syrien-prozess-urteil-olg-koblenz-revision-bghvoelkerstrafrecht/
(Letzter Zugriff April 2022)
3 So zum Beispiel auch die Tatsache, dass sich anwesende arabischsprachige Journalisten das Recht die Übersetzungsanlage zu nutzen, erst vor einer höheren Instanz erstreiten mussten.
4 https://portal.uni-koeln.de/sites/uni/images/UNIMAG/2022/1-22/unimag-1-22.pdf
(Letzter Zugriff April 2022)
5 https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Jazairy_Statement_deutsch.pdf
(Letzter Zugriff April 2022)
Online-Flyer Nr. 789 vom 20.04.2022
Zum Interview im Kölner Universitätsmagazin mit Professor Dr. Claus Kreß über deutsche Prozesse gegen syrische Folterer
Im Namen des Weltrechts?
Von Markus und Eva Heizmann (Bündnis gegen Krieg, Basel)
In aller Regel werden in den Gerichten der westlichen Staaten Urteile «im Namen des Volkes» gesprochen. Selbst dort, wo dies nicht explizit ausgesprochen wird, wird stillschweigend davon ausgegangen, dass das «Volk» die oberste Instanz des Staates sei, also wird im Namen des Volkes verurteilt oder freigesprochen. Relativ neu kommt nun das so genannte «Weltrechtsprinzip» dazu. Das ECCHR (European Center for Constitutional an Human Rights) definiert dieses Weltrecht wie folgt: «Das Weltrechtsprinzip (auch: Prinzip der Universellen Jurisdiktion) sieht die Zuständigkeit eines Staates für die strafrechtliche Verfolgung von Völkerstraftaten vor, obwohl die Taten nicht auf seinem Hoheitsgebiet, durch einen seiner Staatsbürger oder gegen einen seiner Staatsbürger begangen wurden. Nationalen Gerichten in Drittstaaten ermöglicht das Weltrechtsprinzip neben ihrer regulären Zuständigkeit, Völkerstraftaten juristisch aufzuarbeiten und niedrig- wie hochrangige Täter*innen zur Verantwortung zu ziehen». (1) Ebenso wie die Maxime, dass «Vor dem Gesetz alle gleich seien» tönt auch die Maxime einer «Universellen Jurisdiktion» sehr gut. Dabei wird jedoch einerseits von einer blinden Justitia ausgegangen, einer Justiz also, die kein oben und kein unten kennt, die weder Klasse noch Politik berücksichtigt, sondern nur und ausschließlich die juristisch belastbaren Fakten zulässt. Das ist natürlich absurd, vor allem weil damit versucht wird, die imperialistische Realität auszublenden. Andererseits ist dieses Prinzip weder «Weltrecht» noch ist es «universell», denn einmal mehr sprechen vor diesem Gericht die RichterInnen der transatlantischen Allianz, global gesehen also einer Minderheit, «Recht».
Interview im Kölner Universitätsmagazin mit Professor Dr. Claus Kreß über deutsche Prozesse gegen syrische Folterer
Gerechtigkeit in einer gespaltenen Welt
Wir halten, vorerst ohne zu werten, fest: Wir leben in einer gespaltenen Welt. Diese Spaltung zieht sich entlang den Grenzen der imperialistisch kapitalistischen Hegemonie Sphäre. Geografisch lässt sich diese Sphäre grob auf die NATO-Staaten, die EU, die USA, Australien und auf Israel reduzieren. Hinzu kommen einige Vasallen, die jedoch im geopolitischen Kontext nicht so sehr von Belang sind. Auf der anderen Seite dieser westlich geprägten und klar imperialistisch gelenkten Hegemonie orten wir den Rest der Welt: Afrika, Südamerika, Asien. Es wird also auf den ersten Blick klar, dass sich die westlichen imperialen Interessen einerseits (zwar nicht offen) auf ihr verbrecherisches koloniales Erbe berufen und dass sie diese Interessen überall und mit allen Mitteln durchzusetzen versuchen. Mit allen Mitteln schließt natürlich ausdrücklich den Gebrauch von Waffen, inklusive Massenvernichtungswaffen, inklusive Folter, inklusive Menschenrechtsverletzungen aller Art mit ein.
Wenn also in dieser gespaltenen Welt nach Gerechtigkeit gerufen wird, erstaunt es doch sehr, wenn dieser Ruf ausgerechnet aus der Ecke der Welt ertönt, welche seit mindestens einem Jahrtausend für Ungerechtigkeit, namentlich für Sklaverei, koloniale Ausbeutung, kriegerische Raubzüge, Weltkriege und Genozide verantwortlich ist.
Soll mit dem «Weltrechtsprinzip» etwa die an Verbrechen nicht arme eigene Geschichte aufgearbeitet werden? Soll der nie beendete Kolonialismus endlich zu Grabe getragen und die dafür Verantwortlichen vor Gericht gestellt werden? Wenn es also um Verbrechen gegen Menschlichkeit geht, dann müssten die europäischen Gerichte und ihre transatlantischen Verbündeten nicht lange fahnden, wenn sie Angeklagte finden wollen: Ein Blick vor die eigene Haustür genügt. Erwähnt sei Abu Ghraib, erwähnt sei Guantanamo, erwähnt seien die zahl- und namenlosen Folterknäste der CIA verstreut über alle Vasallenstaaten der USA. Erwähnt seien auch die vom Westen, bzw. von dem, was wir heute unter dem Begriff «NATO-Staaten» oder «transatlantische Allianz» subsumieren, verübten Angriffskriege und Verbrechen gegen die Völker und gegen die Menschlichkeit.
Die gespaltene Welt in der wir leben manifestiert sich auch darin, dass nun vom relativ neu etablierten Weltrechtsprinzip offenbar keinesfalls die imperialistischen Kriegsherren betroffen sind. Deren Kriege werden ja auch allesamt im Namen der «Menschenrechte» und der «Demokratie» geführt. Sollten dabei ganze Völker ermordet werden, sollte die Ökologie auf unabsehbare Zeit hinaus zerstört werden, sollte dabei jahrtausendealtes Kulturgut geraubt oder für immer zerstört werden, dann ist all das im schlimmsten Fall ein bedauerlicher Kollateralschaden. Keinesfalls landen die dafür Verantwortlichen vor den Schranken irgendeines Gerichts.
Der Fall Koblenz
In Koblenz kam im Februar 2021 erstmals ein Verfahren gemäß diesem Weltrechtsprinzip zum Abschluss. Der Syrer Eyad A. wurde vom Oberlandesgericht Koblenz zu einer Haftstrafe von viereinhalb Jahren verurteilt. Im Januar 2022 folgte ein Urteil gegen den Syrier Anwar R., der zu einer lebenslangen Haftstrafe verurteilt wurde. In beiden Fällen ging es um die Verletzung von Menschenrechten, bzw. um Folter. Berufung ist in beiden Fällen möglich. Die Verteidigung von Eyad A. geht in Revision. (2) Ob der Verurteilte Anwar R. bzw. dessen Vertretung ebenfalls in Revision gehen, ist zurzeit noch nicht bekannt.
Wir wollen an dieser Stelle nicht über Schuld oder Unschuld der beiden Angeklagten spekulieren. Auch waren wir zu den Prozessterminen nicht vor Ort, kennen also die Fakten lediglich aus dritter Hand. (3) Eine der Informationsquellen, die wir konsultieren, ist das «Universitätsmagazin Köln». (4) Robert Hahn führt in der April Ausgabe 2022 des Magazins ein Gespräch mit Prof. Dr. Claus Kress. Es sei vorweg genommen: Als Völkerrechtler ist Prof. Dr. Kress bestimmt ein Experte. Unter der obigen Prämisse jedoch (Justitia ist nicht blind, sondern sie urteilt politisch) muss die Stellungsnahme des Experten, die er für ein Format des UNO Sicherheitsrats erstellte, sehr hinterfragt werden.
Der Experte
Sehen wir uns zuerst an, was Prof. Dr. Kress zum Prozess zu sagen hat. Im besagten Artikel gibt er Auskunft er über ein Hearing vor dem UN Sicherheitsrat, in welchem er im November 2021 zum Koblenzer Prozess berichtete. Dieses Hearing folgt einem Format, das einberufen werden kann, wenn eine Vetomacht (im vorliegenden Fall wohl Russland) verhindern sollte, dass das Thema an einer regulären UN-Sicherheitsrat Sitzung zur Sprache kommt. Im aktuellen Fall wurde das Format von Estland einberufen.
In «...» gesetzte Aussagen sind im folgenden Originalzitate aus dem Universitätsmagazin Köln. Gleich im Lead des Artikels wird die Richtung, in die gedacht, bzw. geurteilt werden soll, bekannt gegeben: «Die Urteile gelten als historisch, denn hier wurden erstmalig Angeklagte wegen systematischer Folter im Auftrag des Assad-Regimes verurteilt.»
Der Regierung (nicht dem «Regime») in Damaskus wird nicht nur «systematische Folter» zur Last gelegt. In der Vergangenheit wurde die syrische Regierung auch beschuldigt, «Giftgas gegen das eigene Volk» einzusetzen, «das eigene Volk zu massakrieren» und dergleichen mehr. Nichts davon konnte bis dato mit belastbaren Beweisen untermauert werden. Die «Caesar Fotos», welche Prof. Dr. Kress im Artikel anführt, wurden unseres Wissens nach noch nie von unabhängiger Seite verifiziert. Der politische Charakter des Prozesses kann nicht abgestritten werden. Offenbar wird von Beginn an weder untersucht noch hinterfragt «dass im Auftrag des Assad Regimes systematisch gefoltert wird», das wird als gegeben hingenommen. So sind denn die beiden, mittlerweile Verurteilten nicht mehr als der Sack, auf den eingeprügelt wird. Gemeint ist klar die syrische Regierung. Prof. Dr. Kress akzentuiert das auch ganz klar:
«Im Moment sieht es in Syrien düster aus. Denn das Assad-Regime sitzt seit geraumer Zeit wieder ziemlich fest im Sattel. Irgendwann aber mag es auch in Syrien rechtsstaatliche Strukturen geben, die die Durchführung von Prozessen vor Ort möglich machen.»
Diese «rechtsstaatlichen Strukturen» - es sei unterstellt und es schreit uns auch zwischen den Zeilen hervor – sind nur um den Preis eines Regime Changes zu haben. Dieser wurde auch von 2011 bis 2015 von allen Seiten in jeder Lautstärke favorisiert und gefordert. Mittlerweile ist man davon abgekommen und versucht nun stattdessen, das syrische Volk mit einer regelrechten Hungerblockade gegen seine Regierung aufzubringen. Diese Blockade ist völkerrechtlich illegal, handelt es sich dabei doch um so genannt «unilaterale Maßnahmen der USA und der EU». Dies ist ein veritables Verbrechen gegen die Menschlichkeit. Der verstorbene UN Sonderberichterstatter Dr. Idriss Jazairy verurteilt in mehreren Berichten die Blockade, u.a. in einem Vortrag vom 29. Mai 2018 vor IPPNW - (Ärzte für die Verhütung des Atomkrieges/ Ärzte in sozialer Verantwortung e.V.) (5)
Die Urheber dieser Blockade sitzen in Washington und in Brüssel, dies nur als Tipp für Herrn Prof. Dr. Kress, falls er sie zu ihren mutmaßlichen Verbrechen befragen will.
Folter In Syrien?
Natürlich müssen wir uns die Frage gefallen lassen, ob in Syrien gefoltert wird und natürlich können wir das weder bejahen noch ausschließen. Bestritten wird jedoch, entgegen den Behauptungen von Organisationen wir Human Rights Watch, Amnesty International usw., dass in Syrien systematisch und von der Regierung institutionalisiert gefoltert wird. Folter ist ein Verbrechen, welches in so gut wie jedem Land vorkommt. Die Vorwürfe, die nun jedoch der syrischen Regierung gemacht werden, sind ein leicht durchschaubares Mittel der hybriden Kriegsführung. Kein unabhängiger Staat, z.B. ein afrikanischer oder asiatischer Staat greift zum Mittel des Weltrechtsprinzips, um Syrien anzuklagen. Warum dies ausgerechnet in Deutschland geschieht, begründet Prof. Dr. Kress folgendermaßen:
«Dass diese Prozesse in Deutschland geführt werden konnten, lag zum einen daran, dass sich die Angeklagten und viele Zeugen in Deutschland befanden.»
Kein Wort wird darüber verschwendet, dass Deutschland als NATO Mitglied Kriegspartei in Syrien ist. Kein Gedanke dazu, dass in der Folge auch die politische Komponente in das Verfahren Eingang finden müsste. Dass dies nicht sein darf, haben indes die Jugoslawien Prozesse in Den Haag ebenso bewiesen, wie die zahllosen Prozesse gegen die radikale politische Opposition innerhalb des Imperialismus von Istanbul über Paris bis Griechenland, um nur einige zu nennen. Julian Assange ist ein weiteres Beispiel vom Rechts- bzw. Unrechtsbewusstsein hinter den Gerichtsschranken des Imperialismus: Der Überbringer der Nachricht (Julian Assange) wird eingesperrt und gefoltert. Diejenigen, welche die Verbrechen begangen haben, die er an die Öffentlichkeit brachte, wurden nicht vor Gericht gestellt, einige von ihnen sind noch immer in Amt und Ehre. Für diese Art Gerechtigkeit brauchen wir kein Weltrechtsprinzip, brauchen wir keine Universelle Jurisdiktion zu bemühen. Es geht bei diesen Prozessen und bei den Prozessen, die da noch kommen mögen, nicht darum zu beweisen, dass in den syrischen Gefängnissen gefoltert wird und die Folterer ihrer Strafe zukommen zu lassen. Es geht einmal mehr um die Diffamierung und um die Diskreditierung der syrischen Regierung vor der westlichen Öffentlichkeit.
Keine Naivität
Der Vita von Prof. Dr. Kress entnehmen wir, dass er ein renommierter Wissenschaftler und ein ausgewiesener Experte für Völkerrecht ist. Es wäre also höchst unredlich, ihm Naivität zu unterstellen. Was also ist es, was einen versierten und erfahrenen Akademiker dazu bringt, die Aufgabe, vor der er steht, mit einer derart transatlantischen Akribie zu erfüllen? Kein Wort über die illegale Einschleusung von Söldnerbanden nach Syrien. Kein Wort über die illegale Besatzung des Nordens von Syrien durch die USA, durch kurdischen Verbände, und durch die Türkei als NATO Macht. Verbunden mit dieser illegalen Besatzung ist der Raub der dortigen Rohstoffe. Kein Wort über die anhaltende völkerrechtswidrige Blockade gegen das Land, die vor allem die schwächsten Teile der Bevölkerung trifft. Man mag uns nun entgegenhalten, all das habe nichts mit dem Gegenstand der Prozesse von Koblenz zu tun. Dann aber muss gleichwohl der Vorwurf der Naivität erhoben werden. Wie oben gezeigt, können wir nicht von einem juristischen Prozess gegen zwei mutmaßliche Folterer ausgehen. Wir haben es mit einem politischen Prozess gegen die syrische Regierung, gegen das syrische System, letztendlich gegen das syrische Volk zu zu tun. Dieses gesamtsyrische System bestehend aus Volk, Armee und Regierung wird in unseren Breitengraden mit konstanter Boshaftigkeit als «Regime» betitelt. Die Tatsache, dass wir es hier objektiv mit einem politischen Prozess zu tun haben und dass über diesen Prozess also nicht aus einer rein juristischen Warte, auch nicht aus einer rein völkerrechtlichen Warte aus berichtet werden kann, wie es Herr Prof. Dr. Kress zu tun versucht, ist all zu offensichtlich.
Nein, Frau Justitia ist nicht blind. Sie schielt auch nicht mit einem Auge auf das Kapital und die oberen Klassen. Sie hat beide Augen weit aufgerissen und sie wird täglich von den Apologeten des Militarismus, des Imperialismus und des Kapitalismus vergewaltigt und ad absurdum geführt.
Die Waage in der einen, das Schwert in der anderen Hand und die Augen voller Entsetzen weit aufgerissen ob all dem Unrecht, so präsentiert sich Justitia heute. Die politischen Komponenten solcher Prozesse nicht zu erkennen oder sie zu leugnen ist in der Tat entweder naiv, heuchlerisch oder die vollendete Komplizenschaft mit den Herren des Krieges.
Ein langer Atem
«Das Völkerstrafrecht ist zu seiner Durchsetzung sehr häufig auf einen langen Atem angelegt», bemerkt Prof. Dr. Claus Kress am Schluss des Artikels im Kölner Universitätsmagazin.
Ganz offensichtlich ist das so. Diesen langen Atem brauchen jedoch nicht die NATO-Staaten, nicht die USA, nicht die alten und neuen Kolonialherren. Diesen langen Atem brauchen die von ihnen versklavten, unterdrückten und von Angriffskriegen heimgesuchten Völker. Sie sind es, die Gericht halten sollen über die Tyrannen. In der gespaltenen Welt, in der wir leben, haben denn auch die Völker sehr wohl erkannt, dass sie vor den Schranken dieser Gerichte keine Gerechtigkeit erwarten können. Der Blick durch die transatlantische Brille verhindert offenbar die Sicht auf das ganze Bild.
Das erschreckende dabei ist nun nicht, dass die Propaganda des Imperialismus diese Sichtweise befördert, das gehört mit zur Anatomie des Imperialismus, die Propaganda, die einseitige Beeinflussung ist eines der Kerngeschäfte des Imperialismus. Erschreckend ist jedoch die fast völlige Gleichschaltung nicht nur der Medien, sondern auch weiter Teile des intellektuellen Spektrums. Dieser Mechanismus, Leben und Lehre ganz in den Dienst der Herrschenden zu stellen, mag einen kurzfristigen Gewinn für diejenigen bringen, welche das tun. Langfristig jedoch ist es nicht mehr und nicht weniger als ein umfassender intellektueller Ruin.
Dieser lange Atem, von dem Herr Prof. Dr. Claus Kress spricht, ist gewiss ein Merkmal, das wir den vom Imperialismus unterdrückten Völkern zuschreiben können.
Pragmatische Politik versus Heuchelei
Sehen wir uns zum Schluss noch eine Äußerung, die Prof. Dr. Kress zum Hearing vor dem UN Sicherheitsrat macht, an: «[…] Aber Russland war dabei und hat seine sattsam bekannte Position bekräftigt, wonach es keine Verbrechen des syrischen Regimes gibt. Dieses wehre sich vielmehr gegen eine anhaltende terroristische Bedrohung. Mit großer Kühle gegenüber internationalen Anstrengungen, die für die Verbrechen in Syrien Verantwortlichen zur Rechenschaft zu ziehen, hat sich erwartungsgemäß auch China geäußert. Nicht ermutigend war, dass Indien einen recht ähnlichen Standpunkt wie China eingenommen hat. Die Stellungnahmen Russlands, Chinas und Indiens haben einen schonungslosen Blick auf die Schwierigkeit der internationalen Lage erlaubt, aber damit eben auch die Wichtigkeit einer Sitzung wie dieser deutlich gemacht.»
Dieser «schonungslose Blick», der da auf die internationale Lage geworfen wird, kann nur entlang den Grenzen der kapitalistischen und imperialen Hegemonie Bestrebungen interpretiert werden. Dann aber muss – wir wiederholen uns – auf jeden Fall das politische Moment miteinbezogen werden. Was zum Beispiel ist falsch an der Feststellung, dass sich Syrien gegen die anhaltende terroristische Bedrohung zur Wehr setzt?
Gewiss haben China und Indien, die in diesem Satz kritisiert werden, ebenso pragmatische Interessen wie Russland, vor allem in Syrien. Der Unterschied zu den NATO Staaten und zu deren Gerichtsbarkeit ist, das diese Partikularinteressen klar als solche erkennbar sind und auch genau so definiert werden, als politische Parteinahme nämlich. Das imperialistische Lager jedoch beharrt auf dem bis zur Erschöpfung strapazierten Narrativ der «Menschenrechte» und der «Demokratie», die es zu etablieren gelte. Diese Sprache kommt aus Ländern, deren Regierungen nicht nur die Menschen Afrikas versklavt haben und deren Rohstoffe sie bis zum heutigen Tag rauben. Die Verantwortlichen dieser Länder haben den Irak, Jugoslawien und Libyen am Boden zerstört und weite Teile dieser Länder mit ihren atomaren und chemischen Waffen vielleicht auf Jahrhunderte hinaus verseucht. Damit sind nur drei Beispiel der imperialistischen Aggressionen genannt, unter denen sowohl die Völker der Welt, als auch die Menschen im Imperialismus selbst leiden.
Wie nur kommen wir auf die Idee, dass die Gerichte dieser Staaten, auch wenn sie sich den wohlklingenden Namen «Weltrechtsprinzip» geben, qualifiziert sind, in irgend einer Weise Recht zu sprechen, insbesondere wenn es um die Frage der Menschenrechte geht?
Fußnoten:
1 https://www.ecchr.eu/glossar/weltrechtsprinzip/
(Letzter Zugriff April 2022)
2 https://www.lto.de/recht/nachrichten/n/staatsfolter-syrien-prozess-urteil-olg-koblenz-revision-bghvoelkerstrafrecht/
(Letzter Zugriff April 2022)
3 So zum Beispiel auch die Tatsache, dass sich anwesende arabischsprachige Journalisten das Recht die Übersetzungsanlage zu nutzen, erst vor einer höheren Instanz erstreiten mussten.
4 https://portal.uni-koeln.de/sites/uni/images/UNIMAG/2022/1-22/unimag-1-22.pdf
(Letzter Zugriff April 2022)
5 https://www.ippnw.de/commonFiles/pdfs/Frieden/Jazairy_Statement_deutsch.pdf
(Letzter Zugriff April 2022)
Online-Flyer Nr. 789 vom 20.04.2022