NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 21. November 2024  

Fenster schließen

Kommentar
Gegen das von der westlichen kapitalistischen Welt ausgehende Unrecht zur Wehr setzen
Wir müssen der Jugend Sacco und Vanzetti erklären
Von Yavuz Özoguz

Ein Problem der heutigen Jugend besteht darin, dass ihnen jegliche Identität geraubt wird. Sie dürfen nicht einmal mehr wissen, ob sie Mann oder Frau sind. Und ihre geschichtliche Identität besteht nur noch in einem Holocaustgedenken, das der Sicherung des Apartheidsystems Israel dient. Die wahre Geschichte von Diktatoren, Tyrannen, Verfolgung, Unterdrückung, Angst, Verzweiflung, Überlebenskampf und allen Mechanismen, die aktuell in der Westlichen Welt angewandt werden, um Macht auszuüben, kennt unsere Jugend leider nicht und soll sie auch nicht kennen. Ein Beispiel für diese Geschichte sind die beiden italienischen Arbeiter Ferdinando Nicola Sacco (geb. 1891) und Bartolomeo Vanzetti (Geb. 1888). Sie waren nach heutiger Unterdrückersprache Wirtschaftsflüchtlinge aus Italien in die USA.

Entsetzt von der Unterdrückung der Arbeiter in den USA haben sie sich der damaligen Arbeiterbewegung angeschlossen. Das war damals ähnlich schlimm, wie wenn man heute in Deutschland zugibt, ein Muslim, schlimmstenfalls sogar Schiit zu sein [1] oder möglicherweise ein Arzt, der die Corona-Maßnahmen kritisiert oder ein Russlandversteher, oder, oder, oder. Er galt als Feind des Systems, die Gesetze wurden verschärft und man hat sie brutal verfolgt.

Im Fall von Sacco und Vanzetti sind die Behörden allerdings viel zu weit gegangen. Sie wurden der Beteiligung an einem doppelten Raubmord angeklagt und 1921 in einem Schauprozess, dem jegliche rechtsstaatliche Minimumvoraussetzungen fehlte, schuldig gesprochen. Nach dem Todesurteil wurden sie 1927 hingerichtet. Der Schuldspruch kam nicht von ungefähr. Vorausgegangen waren Jahrzehntelange Verfolgungen aller so genannten Kommunisten. Als Kommunist galt damals jeder, der die Herrschaft des Kapitals über die Menschheit abgelehnt hat. Als Kommunist galt damals jeder, der sich gegen das Unrecht gestemmt hat, dass Millionen Menschen hungern müssen, während einige wenige den Bauch nie voll genug bekommen. Als Kommunist galt damals jeder, der Gerechtigkeit auf Erden eingefordert hat. War das nur damals so? Heute heißen sie nicht mehr „Kommunisten“, aber die Mechanismen sind dieselben!

Dieser Justizmord eines Systems, das damals schon Menschen verdinglicht hat und Dinge vergötterte, führte einige Jahre später zu einer erstaunlichen Entwicklung. In den 1970er Jahren, also über vier Jahrzehnte später, als die damalige Jugend anfing, sich gegen das nicht mehr zu übersehende Unrecht, welches von der westlichen kapitalistischen Welt ausging, zu wehren, insbesondere gegen den Vietnam-Krieg und andere Verbrechen der selbsternannten Menschenrechtshüter, wurde das Leben von Sacco und Vanzetti verfilmt. Der Soundtrack zu diesem Film sollte nicht nur Filmgeschichte schreiben, sondern zu einem der Hymnen des Widerstandes der Jugend gegen die Ungerechtigkeit der Reichen werden.

Der Text des Liedes bestand aus ganzen vier Zeilen und wurde von der damaligen Freiheitsikone und berühmtesten Politaktivistin der Jugend Joan Baez geschrieben und gesungen. Die Melodie dazu komponierte kein geringerer als Ennio Morricone, vielleicht der berühmteste Filmmusikkomponist aller Zeiten, der für über 500 Filme die Melodien komponiert hat. Wer kennt nicht sein „Spiel mir das Lied vom Tod“? Der Liedtext lautet wie folgt:
    Here's to you, Nicola and Bart
    Rest forever here in our hearts
    The last and final moment is yours
    That agony is your triumph.
„Hier für Euch Nicola und Bart“, die Vornamen der beiden betroffenen Verfolgten. „Verbleibt für immer in unseren Herzen“ – „Der letzte Moment gehört euch“ – „Dieser Todeskampf ist unser Triumpf“.

Die letzten beiden Sätze stammten aus einem Interview mit Vanzetti kurze Zeit vor seiner Hinrichtung, wobei er dem Reporter sagte: „Wenn diese Dinge nicht gewesen wären, hätte ich mein Leben vielleicht damit verbracht, an Straßenecken mit verächtlichen Männern zu reden. Ich wäre vielleicht gestorben, unmarkiert, unbekannt, ein Versager. Jetzt sind wir kein Versager. Das ist unsere Karriere und unser Triumph. Nie in unserem erfüllten Leben hätten wir hoffen können, eine solche Arbeit für Toleranz, für Gerechtigkeit, für das Menschenverständnis der Menschen zu leisten, wie wir es jetzt zufällig tun. Unsere Worte, unser Leben, unsere Schmerzen, nichts! Das Nehmen unseres Lebens, Leben eines guten Schuhmachers und eines armen Fischhändlers, alles! Dieser letzte Moment gehört uns – dieser Todeskampf ist unser Triumph.“

Doch wie konnte es sein, dass solch ein kurzes Lied mit einer einprägsamen Melodie weltweit zur Freiheitshymne einer Generation werden konnte? Meine Wenigkeit war damals gerade im Stimmbruch und ich habe dennoch aus vollem Herzen mitgesungen! Der Text des Liedes, insbesondere die letzten beiden Zeilen spiegeln die ur-ewige Wahrheit wider, die Jahrtausende lang die Propheten und Heiligen ausgesprochen haben. Es ist die Ideologie, für die das größte und epochalste Opfer gebracht wurde, das die Menschheit jemals gesehen hat am Tag von Aschura in Kerbela [2]. Wechselt man die Namen der beiden Opfer aus und setzt dort die heiligsten Opfer der Menschheitsgeschichte ein, so könnte jeder Muslim, Jeder Christ, jeder Jude, ja sogar jeder wahrheits- und gerechtigkeitsliebende Atheist mitsingen!

Solche Lieder gehören zu unserer Identität in der Westlichen Welt. Aber jene Identität soll uns genau so genommen werden, wie unser Geschlecht und unser Wunsch nach Gerechtigkeit. Den jüngeren Lesern empfehle ich einmal dem Lied zu lauschen. Es gibt das Lied in einer wunderbaren orchestralen Version mit großem Chor, welches bei einem Konzert in Venedig im Jahr 2007 (!) aufgeführt wurde [3]. Und deutschen Muslimenempfehle ich ebenfalls sich mit dem Widerstand der Jugend, die heute alte Leute sind, zu beschäftigen, um es besser zu machen als wir Alten! Hilfreich dabei können zwei Briefe sein, die die Heiligkeit unserer Zeit an die Jugend im Westen geschrieben hat. Selbst für Gegner des Islam und der Muslime kann es doch nicht schaden, diese Briefe zu lesen! [4,5] Möglicherweise werden Sie genauso gegen Muslime gejagt, wie man damals die Menschen gegen „Kommunisten“ gejagt hat.

Aber die Welt verändert sich in dramatischer Geschwindigkeit und es wird Zeit aufzuwachen. Inzwischen wehrt sich ein Großteil der Menschheit gegen den arroganten Alleinherrschaftsanspruch der westlich kapitalistisch-imperialistischen Welt. Immer mehr Völker stehen auf und wollen den Wahnsinn nicht mehr mittragen. Bei einer erst vor wenigen Tagen erfolgten Abstimmung in der UN-Vollversammlung gegen das zionistische Nukleararsenal haben 152 Staaten gegen Israel gestimmt und nur fünf dafür: Kanada, Israel, Mikronesien, Palau und die USA [6]. Selbst viele westliche Staaten wollten nicht dafür stimmen und haben durch Abwesenheit geglänzt (wie z.B. Deutschland). So isoliert wie heute waren die USA und Israel und damit die Westliche Welt noch nie zuvor. Es ist lediglich ihrer nach wie vor nahezu uneingeschränkten Medienmacht in Deutschland geschuldet, dass deutsche Bürger davon nichts erfahren dürfen.

Manche sprechen davon, dass der Dritte Weltkrieg schon längst ausgebrochen sei. Aber noch liegt es in unserer Hand, ob Deutschland im Rachen der US-Interessen untergehen wird oder als neues befreites Land wiederauferstehen kann. Es liegt vor allem in der Hand der Jugend. Sie wird durch Nebenschauplätze wie Klima und Corona abgelenkt, während jeden Tag immer mehr (mindestens 30.000 Menschen an Tag) am Hunger sterben, dieses Jahr mehr als je zuvor! Jene Jugend sind auch Muslime, für die der Einsatz für Gerechtigkeit religiöse Pflicht ist. Vielleicht denken wir alle einmal darüber nach, bevor wir uns mit Auswanderungsphantasien weiter ablenken. Denn wir müssen nicht die Länder retten, in die wir auswandern wollen, sondern usnere Heimat Deutschland. Wer aber sich selbst retten will, der kann doch zumindest so sein wie Sacco und Vanzetti.


Fußnoten:

[1] https://iqna.ir/de/news/3005789/deutschland-entzieht-schiiten-grundrecht-auf-religionsaus%C3%BCbung
[2] http://www.eslam.de/begriffe/a/as/aschura.htm
[3] https://www.youtube.com/watch?v=vp420cZZ0c4
[4] http://www.eslam.de/manuskripte/briefe/imam_chamenei_an_die_jugend_europas_und_nordamerikas.htm
[5] http://www.eslam.de/manuskripte/briefe/imam_chamenei_an_die_jugend_im_westen.htm
[6] https://www.i24news.tv/en/news/israel/diplomacy/1667131405-un-general-assembly-says-israel-must-get-rid-of-its-nuclear-arsenal


Erstveröffentlichung am 2. November 2022 bei muslim-markt

Online-Flyer Nr. 801  vom 18.11.2022



Startseite           nach oben