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Inland
Die Auftrittsverbote für den britischen Pop-Musiker in Deutschland sind eine politische Absurdität
Gerechtigkeit für die Palästinenser und Roger Waters!
Von Arn Strohmeyer
Darf er auftreten, darf er nicht auftreten, schaltet er die Gerichte ein, um seine Auftritte in Deutschland durchzusetzen? Die Affäre Roger Waters beschäftigt die deutsche Politik fast so intensiv wie der Krieg in der Ukraine und die Warnungen vor den Klima-Katastrophe. Der britische Pop-Musiker, der die Gruppe Pink Floyd groß gemacht hat, wird in den deutschen Inquisitionslisten als gestandener und unverbesserlicher Antisemit geführt. Was wirft man ihm konkret vor? Er fordert die Einhaltung von Völkerrecht und Menschenrechten für die Palästinenser, was bekanntlich ohne Kritik an Israels brutaler Besatzungs- und Unterdrückungspolitik nicht möglich ist.
Die Anklage gegen Rogers gipfelt in dem Vorwurf: Er unterstützt sogar BDS, die gewaltlose Initiative der palästinensischen Zivilgesellschaft, die das fordert, was auch in der UNO-Charta steht: Souveränität und Selbstbestimmung für ein Volk – zur Not auch mit Boykottmaßnahmen gegen Israel, das sich mit allen Mitteln gegen eine Lösung des Jahrhundertproblems in Palästina sträubt. Boykotte und Sanktionen sind ja in der internationalen Politik wahrhaftig keine verfemten Mittel!
Da kann Waters hundert Mal versichern: „Ich bin kein Antisemit. Ich kritisiere die Politik der israelischen Regierung, aber nicht die jüdischen Menschen in Israel.“ Eigentlich müsste es ganz selbstverständlich sein, die Politik einer Regierung zu kritisieren, die seit Jahrzehnten permanent gegen das internationale Recht verstößt. Aber wenn es um Israel geht, ist in Deutschland nichts selbstverständlich, dann gelten Völkerrecht und Menschenrechte nichts mehr. Waters hat ja Recht, wenn er sagt, dass die Deutschen (besser wäre zu sagen: die deutsche Politik) nur dann für Menschenrechte seien, wenn sie jüdische Israelis betreffen.
Und er hat Recht, wenn er hinzufügt: „Entweder glauben wir an gleiche Menschenrechte für alle oder wir tun es nicht.“ Um die Absurdität auf die Spitze zu treiben: In Deutschland will man ihm die Konzerte verbieten, er hat aber Einladungen für Auftritte in Israel. Verständlicherweise wären die Palästinenser nicht sehr glücklich, wenn er die Einladungen annehmen würde. Was ihn natürlich in einen Gewissenkonflikt bringt.
Aber der Kampf gegen Antisemitismus – so wie Israel ihn versteht, also die Politik dieses Staates immun gegen Kritik zu machen – ist deutsche Staatsräson, er ist Teil des „deutschen Katechismus“ gegenüber Israel, wie der Historiker Dirk A. Moses ihn nennt. Und der Israeli Moshe Zuckermann hat vor Jahren beschrieben, was das bedeutet: Dass es bei dem deutschen Kampf um den Antisemitismus gar nicht mehr um den realen Antisemitismus gehe, der da bekämpft werde, das sei nur ein Vorwand. Dieser Begriff sei inzwischen durch die inflationäre Benutzung so verwässert, dass er völlig ins Leere laufe.
Auch wenn Waters hundert Mal gute Gründe anführt, er sei kein Antisemit, das hilft ihm nicht. Zuckermann schreibt dazu: „Das In-Abrede-Stellen des Vorgeworfenen nützt nichts, wird mithin im günstigen Fall belächelt, im gängigeren aber als umso evidenterer Beweis für den unbewussten Antisemitismus der sich des Vorwurfs Erwehrenden gedeutet (und lauthals verkündet.“ Zuckermann bezeichnet es als „alte deutsche Tradition, wenn die Sachwalter des Antisemitismus-Vorwurfs sich wie scharfrichterliche Gesinnungspolizisten gerieren.“ Beispiele dafür gibt es in der deutschen Geschichte viele, nur hat sich das Objekt des inquisitorischen Hasses verändert.
Das ist ja der Tatbestand: Weil die Schuldgefühle wegen der NS-Verbrechen so schwer wiegen und das Bestreben, von Israel dafür Sühne und Absolution zu erlangen, so drückend ist, fehlt es dem deutschen politischen Diskurs an der Fähigkeit und dem Mut, den Holocaust politisch absichtslos zu erinnern, den realen Antisemitismus zu bekämpfen und gleichzeitig aus dem universalistischen Vermächtnis heraus, das der Holocaust der Nachwelt auferlegt hat, den Palästinensern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Diese Gerechtigkeit muss für alle Menschen in der Welt selbstverständlich sein: ein Leben frei von Unterdrückung und Diskriminierung führen zu können.
Es gibt keinen einzigen Grund und kein einziges überzeugendes Argument, einem Kollektiv von Menschen oder Individuen ihre grundlegenden Rechte zu verweigern. Es ist deswegen eine moralische Absurdität, die die deutsche Politik zu praktizieren versucht: wenn sie aus dem Holocaust verpflichtende humane Werte ableiten und ihn entsprechend erinnern will und gleichzeitig den Palästinensern ein Leben in Gleichheit, Würde und mit allen Grundrechten verweigert. Und die Menschen, die genau diese Humanität einfordern, als Antisemiten anprangert. Diese Quadratur des Kreises kann nicht gelingen, sie ist zudem moralisch verderblich und schändlich.
Was in Deutschland nottut, ist ein Aufstand der Anständigen und Couragierten, die aufstehen und offen aussprechen: Wir lassen es uns nicht mehr bieten, dass Menschen, die sich für die Einhaltung von Menschenrechten, Völkerrecht und damit für eine im universalistischen Sinne verstandene Humanität einsetzen (was nicht ohne Kritik an Israels Politik geht), in diesem Land als „Antisemiten“ diffamiert werden, also letzten Endes mit NS-Schergen auf eine Stufe gestellt werden. Hier wird die Unmoral zur Moral erhoben mit furchtbaren Folgen für die Betroffenen und die ganze Gesellschaft. Das ist die völlig falsche Schlussfolgerung aus der unseligen deutschen Vergangenheit.
Die deutsche Politik muss endlich aus dieser ideologischen Sackgasse, in die sie sich verrannt hat, herauskommen. Vielleicht hilft der Ratschlag des israelischen Historikers Alon Confino. Er schreibt: „Die Deutschen sollten nach einem Weg suchen, den Antisemitismus zu bekämpfen und das Gedenken an den Holocaust zu pflegen, aber zugleich auch die Kritik an Israel wegen der Verweigerung gleicher Rechte für die Palästinenser als legitimen Teil der Auseinandersetzung anzuerkennen.“
Wenn die deutsche Politik diesen Weg gehen würde, dürfte Roger Waters ohne Probleme in diesem Land Konzerte geben.
Online-Flyer Nr. 809 vom 29.03.2023
Die Auftrittsverbote für den britischen Pop-Musiker in Deutschland sind eine politische Absurdität
Gerechtigkeit für die Palästinenser und Roger Waters!
Von Arn Strohmeyer
Darf er auftreten, darf er nicht auftreten, schaltet er die Gerichte ein, um seine Auftritte in Deutschland durchzusetzen? Die Affäre Roger Waters beschäftigt die deutsche Politik fast so intensiv wie der Krieg in der Ukraine und die Warnungen vor den Klima-Katastrophe. Der britische Pop-Musiker, der die Gruppe Pink Floyd groß gemacht hat, wird in den deutschen Inquisitionslisten als gestandener und unverbesserlicher Antisemit geführt. Was wirft man ihm konkret vor? Er fordert die Einhaltung von Völkerrecht und Menschenrechten für die Palästinenser, was bekanntlich ohne Kritik an Israels brutaler Besatzungs- und Unterdrückungspolitik nicht möglich ist.
Die Anklage gegen Rogers gipfelt in dem Vorwurf: Er unterstützt sogar BDS, die gewaltlose Initiative der palästinensischen Zivilgesellschaft, die das fordert, was auch in der UNO-Charta steht: Souveränität und Selbstbestimmung für ein Volk – zur Not auch mit Boykottmaßnahmen gegen Israel, das sich mit allen Mitteln gegen eine Lösung des Jahrhundertproblems in Palästina sträubt. Boykotte und Sanktionen sind ja in der internationalen Politik wahrhaftig keine verfemten Mittel!
Da kann Waters hundert Mal versichern: „Ich bin kein Antisemit. Ich kritisiere die Politik der israelischen Regierung, aber nicht die jüdischen Menschen in Israel.“ Eigentlich müsste es ganz selbstverständlich sein, die Politik einer Regierung zu kritisieren, die seit Jahrzehnten permanent gegen das internationale Recht verstößt. Aber wenn es um Israel geht, ist in Deutschland nichts selbstverständlich, dann gelten Völkerrecht und Menschenrechte nichts mehr. Waters hat ja Recht, wenn er sagt, dass die Deutschen (besser wäre zu sagen: die deutsche Politik) nur dann für Menschenrechte seien, wenn sie jüdische Israelis betreffen.
Und er hat Recht, wenn er hinzufügt: „Entweder glauben wir an gleiche Menschenrechte für alle oder wir tun es nicht.“ Um die Absurdität auf die Spitze zu treiben: In Deutschland will man ihm die Konzerte verbieten, er hat aber Einladungen für Auftritte in Israel. Verständlicherweise wären die Palästinenser nicht sehr glücklich, wenn er die Einladungen annehmen würde. Was ihn natürlich in einen Gewissenkonflikt bringt.
Aber der Kampf gegen Antisemitismus – so wie Israel ihn versteht, also die Politik dieses Staates immun gegen Kritik zu machen – ist deutsche Staatsräson, er ist Teil des „deutschen Katechismus“ gegenüber Israel, wie der Historiker Dirk A. Moses ihn nennt. Und der Israeli Moshe Zuckermann hat vor Jahren beschrieben, was das bedeutet: Dass es bei dem deutschen Kampf um den Antisemitismus gar nicht mehr um den realen Antisemitismus gehe, der da bekämpft werde, das sei nur ein Vorwand. Dieser Begriff sei inzwischen durch die inflationäre Benutzung so verwässert, dass er völlig ins Leere laufe.
Auch wenn Waters hundert Mal gute Gründe anführt, er sei kein Antisemit, das hilft ihm nicht. Zuckermann schreibt dazu: „Das In-Abrede-Stellen des Vorgeworfenen nützt nichts, wird mithin im günstigen Fall belächelt, im gängigeren aber als umso evidenterer Beweis für den unbewussten Antisemitismus der sich des Vorwurfs Erwehrenden gedeutet (und lauthals verkündet.“ Zuckermann bezeichnet es als „alte deutsche Tradition, wenn die Sachwalter des Antisemitismus-Vorwurfs sich wie scharfrichterliche Gesinnungspolizisten gerieren.“ Beispiele dafür gibt es in der deutschen Geschichte viele, nur hat sich das Objekt des inquisitorischen Hasses verändert.
Das ist ja der Tatbestand: Weil die Schuldgefühle wegen der NS-Verbrechen so schwer wiegen und das Bestreben, von Israel dafür Sühne und Absolution zu erlangen, so drückend ist, fehlt es dem deutschen politischen Diskurs an der Fähigkeit und dem Mut, den Holocaust politisch absichtslos zu erinnern, den realen Antisemitismus zu bekämpfen und gleichzeitig aus dem universalistischen Vermächtnis heraus, das der Holocaust der Nachwelt auferlegt hat, den Palästinensern Gerechtigkeit widerfahren zu lassen. Diese Gerechtigkeit muss für alle Menschen in der Welt selbstverständlich sein: ein Leben frei von Unterdrückung und Diskriminierung führen zu können.
Es gibt keinen einzigen Grund und kein einziges überzeugendes Argument, einem Kollektiv von Menschen oder Individuen ihre grundlegenden Rechte zu verweigern. Es ist deswegen eine moralische Absurdität, die die deutsche Politik zu praktizieren versucht: wenn sie aus dem Holocaust verpflichtende humane Werte ableiten und ihn entsprechend erinnern will und gleichzeitig den Palästinensern ein Leben in Gleichheit, Würde und mit allen Grundrechten verweigert. Und die Menschen, die genau diese Humanität einfordern, als Antisemiten anprangert. Diese Quadratur des Kreises kann nicht gelingen, sie ist zudem moralisch verderblich und schändlich.
Was in Deutschland nottut, ist ein Aufstand der Anständigen und Couragierten, die aufstehen und offen aussprechen: Wir lassen es uns nicht mehr bieten, dass Menschen, die sich für die Einhaltung von Menschenrechten, Völkerrecht und damit für eine im universalistischen Sinne verstandene Humanität einsetzen (was nicht ohne Kritik an Israels Politik geht), in diesem Land als „Antisemiten“ diffamiert werden, also letzten Endes mit NS-Schergen auf eine Stufe gestellt werden. Hier wird die Unmoral zur Moral erhoben mit furchtbaren Folgen für die Betroffenen und die ganze Gesellschaft. Das ist die völlig falsche Schlussfolgerung aus der unseligen deutschen Vergangenheit.
Die deutsche Politik muss endlich aus dieser ideologischen Sackgasse, in die sie sich verrannt hat, herauskommen. Vielleicht hilft der Ratschlag des israelischen Historikers Alon Confino. Er schreibt: „Die Deutschen sollten nach einem Weg suchen, den Antisemitismus zu bekämpfen und das Gedenken an den Holocaust zu pflegen, aber zugleich auch die Kritik an Israel wegen der Verweigerung gleicher Rechte für die Palästinenser als legitimen Teil der Auseinandersetzung anzuerkennen.“
Wenn die deutsche Politik diesen Weg gehen würde, dürfte Roger Waters ohne Probleme in diesem Land Konzerte geben.
Online-Flyer Nr. 809 vom 29.03.2023