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Krieg und Frieden
Der ehemalige Berufssoldat und christdemokratische Abgeordnete Roderich Kiesewetter übertrifft in seiner militärischen Schneidigkeit sogar Agnes Strack-Zimmermann
Kiesewetter, der 300-Milliarden Euro-Mann
Von Hermann Ploppa
Da steht Roderich Kiesewetter in einer belebten Allee im Stadtzentrum von Kiew und spricht durch eine schlechte Übertragungsleitung zur deutschen Öffentlichkeit <1>. „Wir“ müssen in der Lage sein, den Ukraine-Krieg in das russische Kernland hineinzutragen, schwadroniert der Oberst im Ruhestand. „Wir“ müssen die Ukraine befähigen, russische Ölraffinerien zu zerstören. Das ist schon harter Tobak. Denn eine solche Einmischung in den ukrainisch-russischen Krieg würde Deutschland unweigerlich selber zum Kombattanten gegen Russland machen. Was bei dem jetzigen Verlauf des Krieges für Deutschland nicht gut ausgehen kann.
Doch der CDU-Bundestagsabgeordnete ist durchaus in der Lage, seinen Forderungskatalog zu erweitern. Die von der Ampel-Regierung aufgelegte Kriegsfinanzierung durch ein so genanntes „Sondervermögen“ in Höhe von 100 Milliarden Euro reiche beileibe nicht aus. Um Russland in die Schranken zu weisen, wäre eher ein Sonderetat von 300 Milliarden Euro unerlässlich <2>. Und immer wieder attackiert Kiesewetter Bundeskanzler Scholz. Scholz tue tatsächlich alles, um Putin zu gefallen. Der amtierende Bundeskanzler habe sogar im Hintergrund verhindert, dass die amtierende EU-Präsidentin Ursula von der Leyen als Nachfolgerin von Jens Stoltenberg neue Generalsekretärin wurde. Am Rande der gerade beendeten Münchner Sicherheitskonferenz betont Kiesewetter, dass mit dem russischen Präsidenten Putin grundsätzlich nicht zu verhandeln sei. Hier helfe nur die Sprache der Waffen. Und auch der Abzug der ukrainischen Soldaten aus der aufgegebenen Stadt Awdijewka sei eine kluge Maßnahme. Die ukrainische Regierung sei bestrebt, ihre eigenen Soldaten so schonend wie möglich einzusetzen. Deshalb seien bei der Schlacht um Awdijewka sieben mal mehr russische Soldaten gefallen als ukrainische Soldaten. Aber diese ukrainische Klugheit müsse jetzt massiv unterstützt werden. Und wieder einmal wie so oft bei Auftritten von Kiesewetter wird dieser nicht müde, für den Marschflugkörper Taurus zu werben. Die Ukraine benötige dringend eine effektive Luftwaffe <3>. Insgesamt wäre hier mehr Baerbock und Pistorius, und weniger Scholz notwendig.
Eifriger Lobbyist der Bundeswehr
Damit ist es Kiesewetter gelungen, Frau Agnes Strack-Zimmermann in puncto aggressiver Kriegspolemik vom ersten Platz zu verdrängen. Denn würde Deutschland tatsächlich 300 Milliarden Euro für Aufrüstung ausgeben, würde das den Modus eines Totalen Krieges in Gang setzen. Die gesamte deutsche Wirtschaft wäre dann ausgerichtet auf Kriegsproduktion. Wie im Hitler-Deutschland in der Endphase des Zweiten Weltkrieges unter dem Kommando von Albert Speer. Und ein solcher Aufwand für eine Ukraine, gegenüber der keinerlei vertragliche Beistandspflichten bestehen. Auch die Diagnose der aktuellen militärischen Situation in der Ukraine verdient exzentrisch genannt zu werden. Nach übereinstimmender Expertenmeinung in Ost und West sind die Verluste an Menschenleben auf ukrainischer Seite exorbitant. Während dessen sind die Verluste an Soldaten auf russischer Seite vergleichsweise eher gering dank der unangefochtenen russischen Überlegenheit im ukrainischen Luftraum. Auch der Einsatz von Drohnen und Künstlicher Intelligenz hat zur Schonung der russischen Soldaten erheblich beigetragen.
Wie also kann ein Mann wie Roderich Kiesewetter mit derart steilen Thesen zum neuen Medienstar avancieren? Immerhin hat Kiesewetter eine Karriere bei der Bundeswehr absolviert. Das unterscheidet ihn von Strack-Zimmermann und dem grünen Puschen-General Anton Hofreiter, der auch eine Verdoppelung des militärischen „Sondervermögens“ auf mindestens zweihundert Euro gefordert hat. Kiesewetter ist relativ schnell zum Mitarbeiter im Generalstab aufgestiegen. Für die Bundeswehr war er im Balkan im Rahmen der SFOR-Einsätze und dem Nachfolgekommando EUFOR Althea. Dann avancierte Kiesewetter sogar zum Büroleiter in der NATO-Zentrale im belgischen Örtchen Mons. Er koordinierte hier die Arbeit der deutschen Generäle innerhalb der Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE). Seine militärische Karriere endete mit einem kurzen Zwischenspiel im Kommando Operative Führung Eingreifkräfte in Ulm. Diese Einrichtung sollte die Auslandseinsätze der Bundeswehr koordinieren.
Doch mittlerweile beschloss Kiesewetter, Politiker zu werden. Und so wurde Kiesewetter im Herbst 2009 für den Wahlkreis Aalen-Heidenheim direkt in den Bundestag gewählt. Als Abgeordneter der CDU betätigte er sich nun als eifriger Lobbyist seines früheren Arbeitgebers, der Bundeswehr nämlich. Aber auch als Interessenvertreter der Geheimdienste. Aus der Masse der Bundestagsabgeordneten ragte Kiesewetter schon einmal hervor als Obmann der CDU im so genannten NSA-Untersuchungsausschuss. Edward Snowden hatte als Mitarbeiter bei einem Subunternehmer des amerikanischen Geheimdienstes National Security Agency (NSA) empfindliche Akten veröffentlicht. Diese Dateien machten deutlich, dass die NSA weit über das zulässige Maß hinaus deutsche Institutionen und Bürger ausspioniert hatte und sogar vor dem privaten Mobiltelefon der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht halt machte. Die öffentliche Empörung war so groß, dass der Bundestag extra einen Untersuchungsausschuss einrichtete. Die CDU schickte Kiesewetter als Chef der eigenen Abordnung in den Ausschuss. Und Kiesewetter stellte sich gleich vor mit den Worten: „Ich bin überzeugter Transatlantiker!“ In der folgenden Arbeit im Ausschuss betätigte sich Kiesewetter ausschließlich als Anwalt der NSA, wie die nicht eben USA-kritischer Positionen verdächtige Zeitung "Die Welt" zu berichten wusste:
„Zwischenergebnisse fasste er schon mal bündig zusammen: ‚Aufklärung läuft doch prima, bisher nicht ein einziger Hinweis auf anlasslose Massenüberwachung.‘ Kiesewetter – eigentlich in einer Ermittlerrolle – verteidigte nicht nur die NSA, sondern vor allem deren deutsche Kollegen vom BND. Der deutsche Auslandsgeheimdienst ist wegen seiner Zusammenarbeit mit den Amerikanern selbst unter Druck, etwa wenn es um die Weiterleitung von Daten aus einem Frankfurter Internetknoten geht. ‚Zur Terrorabwehr nötig‘, befand Kiesewetter. Er forderte gar eine ‚erhebliche Aufstockung‘ der Mittel für den BND, um mit der NSA und anderen Geheimdiensten mitzuhalten: ‚Wir sind hier nicht auf dem Ponyhof.‘“ <4>
Die Clausewitz-Gesellschaft bietet Militaristen gemütlichen Plausch am Kamin
Kein Wunder also, dass der NSA-Untersuchungsausschuss zu Ende ging wie das Hornberger Schießen. Das hat der Kiesewetter so gut gemacht, dass er im Jahre 2020 zum Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste des Bundes gekürt wurde. Auch in außenpolitischen Ausschüssen wird Kiesewetter immer wieder gesichtet.
Heutzutage agiert kaum noch ein Bundestagsabgeordneter in Eigenregie und aus eigenem Interesse. Vielmehr bewegt er sich in einem Biotop unterschiedlichster Lobbygruppen, deren Agenda er im Parlament und in den Medien durchzusetzen sucht. Kiesewetter ist hier extrem dicht vernetzt. Er bewegt sich in pro-amerikanischen und pro-britischen Zirkeln. Nur ein paar Beispiele, die man auf seiner Bundestagsseite nachlesen kann: Atlantik-Brücke, Trilaterale Kommission, ECFR, ELN, Lions-Club, Bundeswehr-Sozialwerk, Clausewitz-Gesellschaft, VdK. Die Sozialverbände brauchen uns nicht zu interessieren. Die Atlantik-Brücke hat über die Jahrzehnte unzähligen Politikern aller Bundestagsparteien zu einem beschleunigten Karriereschub verholfen und erwartet im Gegenzug eine intensive Interessenvertretung im Sinne der jeweils in Washington amtierenden US-Regierung. Die Trilaterale Kommission sorgt dafür, dass in Asien, Europa und den Amerika die richtigen Politiker, Wissenschaftler, Medienleute und Konzernmanager zusammenwirken zum Vorteil der US-Regierung. ECFR steht für European Council on Foreign Affairs. Dieser Verein dient als Denkfabrik und als Lobbyverein für US-Interessen. Die Clausewitz-Gesellschaft bietet Militaristen aller Couleur Gelegenheit zum gemütlichen Plausch am Kamin <5>. ELN wiederum steht für European Leadership Network. Hierbei handelt es sich um eine Art Ehemaligen-Treffen früherer Spitzenpolitiker. Was Kiesewetter, der ja noch im vollen Saft steht, in dieser Rentnerband macht, ist nicht zu ermitteln <6>.
Zum Taurus gibt es in Europas Konkurrenzprojekt Scalp
Neben diesen Organisationen, die eher dem Gesellschaftsleben der transatlantischen Community dienen, gehört Kiesewetter auch noch Organisationen an, die etwas handfester in das Leben der Bürger eingreifen. Hartnäckig unerwähnt bleibt in allen Medien und Online-Enzyklopädien, dass Kiesewetter seit vielen Jahren im Beirat des European Security Round Table sitzt <7>. Es handelt sich bei dem ESRT um einen Kristallisationspunkt von Rüstungsindustrie, Parlamentsabgeordneten und EU-Organen, die gemeinsam über eine weitere Militarisierung Europas nachdenken – und ihren Interessen in Medien und Politik gehörig Nachdruck verleihen. Ein großes Thema bei diesem Runden Tisch die Cybersicherheit. Das ist immerhin ein Gebiet, das im Ukraine-Krieg eine entscheidende Rolle gespielt hat. Denn die russischen Erfolge beruhen zu einem großen Anteil auf der Überlegenheit der Russen bei automatisierten Drohnen und in der elektronischen Kriegsführung. Unter den Geldgebern für den ESRT finden wir seltsamerweise neben den klassischen Rüstungskonzernen Dassault und Lockheed Martin auch noch den chinesischen Telefonnetz-Einrichter Huawei. Neben Kiesewetter sitzen im Beirat Vertreter des Flugtechnikherstellers Safran, der Israel Aerospace Industries, weiterhin von der European Defence Agency oder sogar vom marktradikalen Centre for European Reform. Forscht man weiter, stößt man unweigerlich auf alle bedeutenden Finanz- und Industriekonglomerate, die die Geschicke Europas bestimmen – von deren Existenz die Europäer aber nahezu gar nichts wissen.
Wir haben ja Roderich Kiesewetter bereits am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz gesehen, wo er den Bundeskanzler verbal zu geißeln wusste. Nun, seit Jahren verpasst der CDU-Politiker keine einzige Münchner Sicherheitskonferenz. Denn auch hier stimmen die maßgebenden Männer und Frauen aus Politik, Rüstungsindustrie, Wissenschaft und Medien ihre Marschrichtung für das kommende Jahr ab. Und auch in dieser erlauchten Runde erfüllt Kiesewetter seine Funktion als Scharnier zwischen Politik und Rüstungsindustrie. Und im Moment ist der drahtige Oberst a.D. emsig aktiv, um den Marschflugkörper Taurus als ultimative Lösung für die strategischen Schwierigkeiten der Ukraine anzupreisen. Das geschieht indes nicht so ganz uneigennützig wie es scheint. Taurus ist eine flotte Abkürzung für: Target Adaptive Unitary and Dispenser Robotic Ubiquity System. Das Ungetüm sieht aus wie ein Motorrad-Beiwagen und man kann sich kaum vorstellen, dass so etwas schnell und computergesteuert auch harte Ziele ansteuern und zerstören könnte. Taurus wird von einem Flugzeug Huckepack in die Luft genommen und dann abgekoppelt. Der rasende Stier (die mythische Bedeutung des Wortes) fliegt dann aus eigener Kraft weiter, sucht sich sein Opfer, um im Sturzflug selbst unterirdische dick armierte Bunker sprengen zu können und dabei die Insassen des Bunkers zu töten. Nachdem der Panzer Leopard ebenso wenig ein Gamechanger im Ukraine-Krieg gewesen ist wie die HIMARS-Abwehrsysteme, soll es nun Taurus richten.
Win-Win-Situation für Kiesewetters Freunde
Jedoch ergeben sich einige Seltsamkeiten, die den deutschen Steuerzahler stutzig machen sollten. Denn zum Taurus gibt es innerhalb Europas ein Konkurrenzprojekt, nämlich den Marschflugkörper Storm Shadow/Scalp. Taurus wird von der Firma Taurus Systems GmbH im deutschen Schrobenhausen zusammengebaut. Taurus Systems gehört zu zwei Dritteln dem deutschen Hersteller für Lenkwaffen MBDA und zu einem Drittel dem schwedischen Rüstungskonzern SAAB <8>. Das Interesse von SAAB an Taurus besteht daran, den eigenen einstrahligen Kampfjäger Gripen als Träger der Taurus-Marschflugkörper zu etablieren. Denn bislang sind von den 200 Exemplaren von Gripen, die verkauft werden müssen, damit sich der Blechvogel überhaupt rentiert, gerade einmal 69 Stück in exotische Länder geliefert worden. Diese Länder wollten den Gripen nicht kaufen, sondern nur mieten. Jetzt könnte womöglich mit Druck von politischen Helfern wie Kiesewetter der ungeliebte Blechvogel in das reale Kampfgeschehen im Ukraine-Krieg als Huckepack-Träger des Taurus eingreifen. Und damit bei einer der nächsten Waffenmessen wie der IDEX in Abu Dhabi als combat proven, also zu deutsch: als kampferprobt aufgewertet werden <9>. Was wiederum das neue NATO-Mitglied Schweden sehr erfreuen würde.
Denn wenn wir uns die Eigentümerstrukturen der beiden europäischen Konkurrenten für Marschflugkörper anschauen, dann müsse wir uns doch wundern. Wie gesagt, ein britisch-französisches Konsortium bietet seine Storm Shadow/Scalp-Marschflugkörper auf dem selben Marktsegment an wie das Taurus-Konsortium. Hergestellt wird Scalp von der britisch-französischen Waffenschmiede, die ganz irritierend ebenfalls MBDA heißt, aber in Frankreich ihre Basis hat. MBDA Missile Systems gehört wiederum zu 37,5 Prozent dem Airbus-Konzern, zu ebenfalls 37,5 Prozent dem britischen Rüstungskonzern BAE Systems, und die restlichen 25 Prozent gehen an den italienischen Leonardo-Konzern <10>. Airbus gehört wiederum zu 10,87 Prozent der staatlichen deutschen Gesellschaft zur Beteiligungsverwaltung <11>. Zugegeben, sehr verwirrend. Das ist auch so beabsichtigt. Früher gab es einige wenige große Rüstungskonzerne. Jetzt ist alles zerrieben in unübersichtliche Einzelstücke, die nicht nur der Steuerbeamte in die Verzweiflung treiben. Letzter Hand existiert hier ein großes Konglomerat, das durch die Finanzkonglomerate zusammengehalten wird.
Wir stellen fest: der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter preist jetzt das Taurus-System an wie warme Semmeln, obwohl es schon seit langer Zeit das europäische Scalp-System gibt, das seit dem Irak-Krieg im Jahre 2003 und auf vielen anderen Kriegsschauplätzen der Welt im Einsatz ist. Das deutsche Taurus-System liegt zwar in den Waffenkammern Deutschlands, Spaniens und Südkoreas herum. Es konnte aber noch nirgendwo auf der Welt das Prädikat „kampferprobt“ in realen Gefechten erwerben. Das begehrte Prädikat muss jetzt mal endlich in der Ukraine erworben werden. Sonst rentiert sich der Taurus einfach nicht. Und darum muss der Kiesewetter ran, um diesen kommerziellen Rohrkrepierer zu retten. Ein verantwortungsbewusster Umgang mit den europäischen Steuergeldern sieht anders aus. Ein Ärgernis für die EU-Bürger, aber eine Win-Win-Situation für Kiesewetters Freunde von der deutschen MBDA, weiterhin für den Gripen-Hersteller SAAB, und damit ergibt sich auch eine kleine Belohnung für den schwedischen NATO-Beitritt.
Abschließend noch ein paar Worte zu Kiesewetters Haltung zur atomaren Bewaffnung Europas. Als glühendem Transatlantiker wäre es Kiesewetter natürlich am liebsten, wenn uns die USA weiterhin unter ihre nuklearen Fittiche nehmen würden. Aber im Jahre 2016 hatte der Außenseiter Donald Trump die Präsidentschaft der USA errungen. Und Trump machte einfach was er wollte. Sehr zum Entsetzen des Militärisch-Industriellen Establishments diesseits und jenseits des Atlantiks. Daraus ergaben sich aber auch Chancen für neue europäische Geschäftsfelder. Und so wollte sich Kiesewetter im Anschluss an den Trump-Schock nicht mehr definitiv gegen eine eigene europäische oder gar deutsche Atombewaffnung aussprechen. Deshalb äußerte Kiesewetter sich ausgesprochen sibyllinisch im Jahre 2016 im Deutschlandfunk, als er gefragt wurde, ob er sich eine europäische Atombewaffnung vorstellen könnte:
Der Taurus-Verkaufsagent
„Das steht ja noch nicht zur Debatte, sondern es darf hier keine Denkverbote geben. Wenn die Vereinigten Staaten von Amerika, so wie Trump es angedeutet hat, die Europäer mehr für ihre Sicherheit bezahlen lassen wollen, oder sich gar aus Europa zurückziehen, darf es keine Denkverbote geben und wir müssen sehr stark dann auf Frankreich und Großbritannien zugehen. Wir brauchen keine zusätzlichen Nuklearmächte in Europa. Wie dann ein Schutz Europas aussehen kann, wie gesagt, es darf keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben, aber das steht noch nicht zur Debatte, aber es darf auch keine Denkverbote geben.“ <12>
Man beachte, wie oft in jenem Zitat das Wort „Denkverbote“ vorkommt. Atombewaffnung steht „noch nicht zur Debatte“. Was noch nicht ist, kann ja noch werden. Damals sprach sich Kiesewetter immerhin für eine Zusammenlegung französischer und britischer Atombomben unter einem gesamteuropäischen Nuklearschirm aus <13>.
Aber Kiesewetter muss seine politische Karriere nicht aufs Spiel setzen mit einer unpopulären Befürwortung deutscher Atombomben. Dafür hat man Wissenschaftler im Rückraum, die solche Dinge ungeniert aussprechen können und dabei wenig zu verlieren haben. Da wird gerade zeitgleich zu Kiesewetters coming out als Taurus-Verkaufsagent der in England lebende deutsche Wissenschaftler Maximilian Terhalle auffällig oft in den Medien zitiert. Der spricht sich ganz ungeniert für deutsche Atombomben aus. Und der war auch schon im Jahre 2016 nach dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident in der renommierten Zeitschrift Foreign Affairs mit der Forderung nach deutschen Atombomben in Erscheinung getreten <14>. Jetzt, wo sich abzeichnet, dass Trump erneut Präsident der USA werden kann, tauchen Kiesewetter und Terhalle wieder zeitgleich auf. Kiesewetter twittert indes gerade wieder in seiner sibyllinischen Manier, dass eine europäische Nuklearbewaffnung im Moment nicht nötig sei <15>. Denn USA und NATO würden ausreichen. Sollen wir hinzufügen: zumindest solange Trump nicht US-Präsident ist?
Fußnoten:
<1> https://www.youtube.com/watch?v=XbnzOuPxEkU
<2> https://www.rnd.de/politik/bundeswehr-kiesewetter-cdu-fuer-erhoehung-des-sondervermoegens-X5IB26XTI5OKBF7UHNWZK7GIEQ.html
<3> https://www.welt.de/videos/video250145696/Roderich-Kiesewetter-Dieser-Kanzler-will-weder-Taurus-noch-will-er-eine-Nato-Mitgliedschaft.html
<4> https://www.welt.de/politik/deutschland/article137223755/Der-dubiose-Ruecktritt-von-Merkels-Mann-fuer-die-NSA.html
<5> Hermann Ploppa: Die Macher hinter den Kulissen – Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern. Marburg 2014
<6> https://www.europeanleadershipnetwork.org/person/roderich-kiesewetter/
<7> http://www.security-round-table.eu/esrt/about/index.php?navid=561865561865
<8> https://www.mbda-deutschland.de/pressemitteilung/taurus-systems-gmbh-uebergibt-taurus-kept-350k-an-suedkorea/
<9> https://idexuae.ae/
<10> https://en.wikipedia.org/wiki/MBDA
<11> https://de.wikipedia.org/wiki/Gesellschaft_zur_Beteiligungsverwaltung
<12> https://www.deutschlandfunk.de/eu-verteidigungspolitik-nach-der-us-wahl-wir-werden-mehr-100.html
<13> https://internationalepolitik.de/de/keine-atombombe-bitte
<14> https://foreignpolicy.com/2017/04/03/if-germany-goes-nuclear-blame-trump/
<15> https://twitter.com/RKiesewetter/status/1757812612862013462
Erstveröffentlichung am 23.02.2024 bei berlin247.net
Online-Flyer Nr. 827 vom 08.03.2024
Der ehemalige Berufssoldat und christdemokratische Abgeordnete Roderich Kiesewetter übertrifft in seiner militärischen Schneidigkeit sogar Agnes Strack-Zimmermann
Kiesewetter, der 300-Milliarden Euro-Mann
Von Hermann Ploppa
Da steht Roderich Kiesewetter in einer belebten Allee im Stadtzentrum von Kiew und spricht durch eine schlechte Übertragungsleitung zur deutschen Öffentlichkeit <1>. „Wir“ müssen in der Lage sein, den Ukraine-Krieg in das russische Kernland hineinzutragen, schwadroniert der Oberst im Ruhestand. „Wir“ müssen die Ukraine befähigen, russische Ölraffinerien zu zerstören. Das ist schon harter Tobak. Denn eine solche Einmischung in den ukrainisch-russischen Krieg würde Deutschland unweigerlich selber zum Kombattanten gegen Russland machen. Was bei dem jetzigen Verlauf des Krieges für Deutschland nicht gut ausgehen kann.
Doch der CDU-Bundestagsabgeordnete ist durchaus in der Lage, seinen Forderungskatalog zu erweitern. Die von der Ampel-Regierung aufgelegte Kriegsfinanzierung durch ein so genanntes „Sondervermögen“ in Höhe von 100 Milliarden Euro reiche beileibe nicht aus. Um Russland in die Schranken zu weisen, wäre eher ein Sonderetat von 300 Milliarden Euro unerlässlich <2>. Und immer wieder attackiert Kiesewetter Bundeskanzler Scholz. Scholz tue tatsächlich alles, um Putin zu gefallen. Der amtierende Bundeskanzler habe sogar im Hintergrund verhindert, dass die amtierende EU-Präsidentin Ursula von der Leyen als Nachfolgerin von Jens Stoltenberg neue Generalsekretärin wurde. Am Rande der gerade beendeten Münchner Sicherheitskonferenz betont Kiesewetter, dass mit dem russischen Präsidenten Putin grundsätzlich nicht zu verhandeln sei. Hier helfe nur die Sprache der Waffen. Und auch der Abzug der ukrainischen Soldaten aus der aufgegebenen Stadt Awdijewka sei eine kluge Maßnahme. Die ukrainische Regierung sei bestrebt, ihre eigenen Soldaten so schonend wie möglich einzusetzen. Deshalb seien bei der Schlacht um Awdijewka sieben mal mehr russische Soldaten gefallen als ukrainische Soldaten. Aber diese ukrainische Klugheit müsse jetzt massiv unterstützt werden. Und wieder einmal wie so oft bei Auftritten von Kiesewetter wird dieser nicht müde, für den Marschflugkörper Taurus zu werben. Die Ukraine benötige dringend eine effektive Luftwaffe <3>. Insgesamt wäre hier mehr Baerbock und Pistorius, und weniger Scholz notwendig.
Eifriger Lobbyist der Bundeswehr
Damit ist es Kiesewetter gelungen, Frau Agnes Strack-Zimmermann in puncto aggressiver Kriegspolemik vom ersten Platz zu verdrängen. Denn würde Deutschland tatsächlich 300 Milliarden Euro für Aufrüstung ausgeben, würde das den Modus eines Totalen Krieges in Gang setzen. Die gesamte deutsche Wirtschaft wäre dann ausgerichtet auf Kriegsproduktion. Wie im Hitler-Deutschland in der Endphase des Zweiten Weltkrieges unter dem Kommando von Albert Speer. Und ein solcher Aufwand für eine Ukraine, gegenüber der keinerlei vertragliche Beistandspflichten bestehen. Auch die Diagnose der aktuellen militärischen Situation in der Ukraine verdient exzentrisch genannt zu werden. Nach übereinstimmender Expertenmeinung in Ost und West sind die Verluste an Menschenleben auf ukrainischer Seite exorbitant. Während dessen sind die Verluste an Soldaten auf russischer Seite vergleichsweise eher gering dank der unangefochtenen russischen Überlegenheit im ukrainischen Luftraum. Auch der Einsatz von Drohnen und Künstlicher Intelligenz hat zur Schonung der russischen Soldaten erheblich beigetragen.
Wie also kann ein Mann wie Roderich Kiesewetter mit derart steilen Thesen zum neuen Medienstar avancieren? Immerhin hat Kiesewetter eine Karriere bei der Bundeswehr absolviert. Das unterscheidet ihn von Strack-Zimmermann und dem grünen Puschen-General Anton Hofreiter, der auch eine Verdoppelung des militärischen „Sondervermögens“ auf mindestens zweihundert Euro gefordert hat. Kiesewetter ist relativ schnell zum Mitarbeiter im Generalstab aufgestiegen. Für die Bundeswehr war er im Balkan im Rahmen der SFOR-Einsätze und dem Nachfolgekommando EUFOR Althea. Dann avancierte Kiesewetter sogar zum Büroleiter in der NATO-Zentrale im belgischen Örtchen Mons. Er koordinierte hier die Arbeit der deutschen Generäle innerhalb der Supreme Headquarters Allied Powers Europe (SHAPE). Seine militärische Karriere endete mit einem kurzen Zwischenspiel im Kommando Operative Führung Eingreifkräfte in Ulm. Diese Einrichtung sollte die Auslandseinsätze der Bundeswehr koordinieren.
Doch mittlerweile beschloss Kiesewetter, Politiker zu werden. Und so wurde Kiesewetter im Herbst 2009 für den Wahlkreis Aalen-Heidenheim direkt in den Bundestag gewählt. Als Abgeordneter der CDU betätigte er sich nun als eifriger Lobbyist seines früheren Arbeitgebers, der Bundeswehr nämlich. Aber auch als Interessenvertreter der Geheimdienste. Aus der Masse der Bundestagsabgeordneten ragte Kiesewetter schon einmal hervor als Obmann der CDU im so genannten NSA-Untersuchungsausschuss. Edward Snowden hatte als Mitarbeiter bei einem Subunternehmer des amerikanischen Geheimdienstes National Security Agency (NSA) empfindliche Akten veröffentlicht. Diese Dateien machten deutlich, dass die NSA weit über das zulässige Maß hinaus deutsche Institutionen und Bürger ausspioniert hatte und sogar vor dem privaten Mobiltelefon der damaligen Bundeskanzlerin Angela Merkel nicht halt machte. Die öffentliche Empörung war so groß, dass der Bundestag extra einen Untersuchungsausschuss einrichtete. Die CDU schickte Kiesewetter als Chef der eigenen Abordnung in den Ausschuss. Und Kiesewetter stellte sich gleich vor mit den Worten: „Ich bin überzeugter Transatlantiker!“ In der folgenden Arbeit im Ausschuss betätigte sich Kiesewetter ausschließlich als Anwalt der NSA, wie die nicht eben USA-kritischer Positionen verdächtige Zeitung "Die Welt" zu berichten wusste:
„Zwischenergebnisse fasste er schon mal bündig zusammen: ‚Aufklärung läuft doch prima, bisher nicht ein einziger Hinweis auf anlasslose Massenüberwachung.‘ Kiesewetter – eigentlich in einer Ermittlerrolle – verteidigte nicht nur die NSA, sondern vor allem deren deutsche Kollegen vom BND. Der deutsche Auslandsgeheimdienst ist wegen seiner Zusammenarbeit mit den Amerikanern selbst unter Druck, etwa wenn es um die Weiterleitung von Daten aus einem Frankfurter Internetknoten geht. ‚Zur Terrorabwehr nötig‘, befand Kiesewetter. Er forderte gar eine ‚erhebliche Aufstockung‘ der Mittel für den BND, um mit der NSA und anderen Geheimdiensten mitzuhalten: ‚Wir sind hier nicht auf dem Ponyhof.‘“ <4>
Die Clausewitz-Gesellschaft bietet Militaristen gemütlichen Plausch am Kamin
Kein Wunder also, dass der NSA-Untersuchungsausschuss zu Ende ging wie das Hornberger Schießen. Das hat der Kiesewetter so gut gemacht, dass er im Jahre 2020 zum Mitglied des Parlamentarischen Kontrollgremiums für die Nachrichtendienste des Bundes gekürt wurde. Auch in außenpolitischen Ausschüssen wird Kiesewetter immer wieder gesichtet.
Heutzutage agiert kaum noch ein Bundestagsabgeordneter in Eigenregie und aus eigenem Interesse. Vielmehr bewegt er sich in einem Biotop unterschiedlichster Lobbygruppen, deren Agenda er im Parlament und in den Medien durchzusetzen sucht. Kiesewetter ist hier extrem dicht vernetzt. Er bewegt sich in pro-amerikanischen und pro-britischen Zirkeln. Nur ein paar Beispiele, die man auf seiner Bundestagsseite nachlesen kann: Atlantik-Brücke, Trilaterale Kommission, ECFR, ELN, Lions-Club, Bundeswehr-Sozialwerk, Clausewitz-Gesellschaft, VdK. Die Sozialverbände brauchen uns nicht zu interessieren. Die Atlantik-Brücke hat über die Jahrzehnte unzähligen Politikern aller Bundestagsparteien zu einem beschleunigten Karriereschub verholfen und erwartet im Gegenzug eine intensive Interessenvertretung im Sinne der jeweils in Washington amtierenden US-Regierung. Die Trilaterale Kommission sorgt dafür, dass in Asien, Europa und den Amerika die richtigen Politiker, Wissenschaftler, Medienleute und Konzernmanager zusammenwirken zum Vorteil der US-Regierung. ECFR steht für European Council on Foreign Affairs. Dieser Verein dient als Denkfabrik und als Lobbyverein für US-Interessen. Die Clausewitz-Gesellschaft bietet Militaristen aller Couleur Gelegenheit zum gemütlichen Plausch am Kamin <5>. ELN wiederum steht für European Leadership Network. Hierbei handelt es sich um eine Art Ehemaligen-Treffen früherer Spitzenpolitiker. Was Kiesewetter, der ja noch im vollen Saft steht, in dieser Rentnerband macht, ist nicht zu ermitteln <6>.
Zum Taurus gibt es in Europas Konkurrenzprojekt Scalp
Neben diesen Organisationen, die eher dem Gesellschaftsleben der transatlantischen Community dienen, gehört Kiesewetter auch noch Organisationen an, die etwas handfester in das Leben der Bürger eingreifen. Hartnäckig unerwähnt bleibt in allen Medien und Online-Enzyklopädien, dass Kiesewetter seit vielen Jahren im Beirat des European Security Round Table sitzt <7>. Es handelt sich bei dem ESRT um einen Kristallisationspunkt von Rüstungsindustrie, Parlamentsabgeordneten und EU-Organen, die gemeinsam über eine weitere Militarisierung Europas nachdenken – und ihren Interessen in Medien und Politik gehörig Nachdruck verleihen. Ein großes Thema bei diesem Runden Tisch die Cybersicherheit. Das ist immerhin ein Gebiet, das im Ukraine-Krieg eine entscheidende Rolle gespielt hat. Denn die russischen Erfolge beruhen zu einem großen Anteil auf der Überlegenheit der Russen bei automatisierten Drohnen und in der elektronischen Kriegsführung. Unter den Geldgebern für den ESRT finden wir seltsamerweise neben den klassischen Rüstungskonzernen Dassault und Lockheed Martin auch noch den chinesischen Telefonnetz-Einrichter Huawei. Neben Kiesewetter sitzen im Beirat Vertreter des Flugtechnikherstellers Safran, der Israel Aerospace Industries, weiterhin von der European Defence Agency oder sogar vom marktradikalen Centre for European Reform. Forscht man weiter, stößt man unweigerlich auf alle bedeutenden Finanz- und Industriekonglomerate, die die Geschicke Europas bestimmen – von deren Existenz die Europäer aber nahezu gar nichts wissen.
Wir haben ja Roderich Kiesewetter bereits am Rande der Münchner Sicherheitskonferenz gesehen, wo er den Bundeskanzler verbal zu geißeln wusste. Nun, seit Jahren verpasst der CDU-Politiker keine einzige Münchner Sicherheitskonferenz. Denn auch hier stimmen die maßgebenden Männer und Frauen aus Politik, Rüstungsindustrie, Wissenschaft und Medien ihre Marschrichtung für das kommende Jahr ab. Und auch in dieser erlauchten Runde erfüllt Kiesewetter seine Funktion als Scharnier zwischen Politik und Rüstungsindustrie. Und im Moment ist der drahtige Oberst a.D. emsig aktiv, um den Marschflugkörper Taurus als ultimative Lösung für die strategischen Schwierigkeiten der Ukraine anzupreisen. Das geschieht indes nicht so ganz uneigennützig wie es scheint. Taurus ist eine flotte Abkürzung für: Target Adaptive Unitary and Dispenser Robotic Ubiquity System. Das Ungetüm sieht aus wie ein Motorrad-Beiwagen und man kann sich kaum vorstellen, dass so etwas schnell und computergesteuert auch harte Ziele ansteuern und zerstören könnte. Taurus wird von einem Flugzeug Huckepack in die Luft genommen und dann abgekoppelt. Der rasende Stier (die mythische Bedeutung des Wortes) fliegt dann aus eigener Kraft weiter, sucht sich sein Opfer, um im Sturzflug selbst unterirdische dick armierte Bunker sprengen zu können und dabei die Insassen des Bunkers zu töten. Nachdem der Panzer Leopard ebenso wenig ein Gamechanger im Ukraine-Krieg gewesen ist wie die HIMARS-Abwehrsysteme, soll es nun Taurus richten.
Win-Win-Situation für Kiesewetters Freunde
Jedoch ergeben sich einige Seltsamkeiten, die den deutschen Steuerzahler stutzig machen sollten. Denn zum Taurus gibt es innerhalb Europas ein Konkurrenzprojekt, nämlich den Marschflugkörper Storm Shadow/Scalp. Taurus wird von der Firma Taurus Systems GmbH im deutschen Schrobenhausen zusammengebaut. Taurus Systems gehört zu zwei Dritteln dem deutschen Hersteller für Lenkwaffen MBDA und zu einem Drittel dem schwedischen Rüstungskonzern SAAB <8>. Das Interesse von SAAB an Taurus besteht daran, den eigenen einstrahligen Kampfjäger Gripen als Träger der Taurus-Marschflugkörper zu etablieren. Denn bislang sind von den 200 Exemplaren von Gripen, die verkauft werden müssen, damit sich der Blechvogel überhaupt rentiert, gerade einmal 69 Stück in exotische Länder geliefert worden. Diese Länder wollten den Gripen nicht kaufen, sondern nur mieten. Jetzt könnte womöglich mit Druck von politischen Helfern wie Kiesewetter der ungeliebte Blechvogel in das reale Kampfgeschehen im Ukraine-Krieg als Huckepack-Träger des Taurus eingreifen. Und damit bei einer der nächsten Waffenmessen wie der IDEX in Abu Dhabi als combat proven, also zu deutsch: als kampferprobt aufgewertet werden <9>. Was wiederum das neue NATO-Mitglied Schweden sehr erfreuen würde.
Denn wenn wir uns die Eigentümerstrukturen der beiden europäischen Konkurrenten für Marschflugkörper anschauen, dann müsse wir uns doch wundern. Wie gesagt, ein britisch-französisches Konsortium bietet seine Storm Shadow/Scalp-Marschflugkörper auf dem selben Marktsegment an wie das Taurus-Konsortium. Hergestellt wird Scalp von der britisch-französischen Waffenschmiede, die ganz irritierend ebenfalls MBDA heißt, aber in Frankreich ihre Basis hat. MBDA Missile Systems gehört wiederum zu 37,5 Prozent dem Airbus-Konzern, zu ebenfalls 37,5 Prozent dem britischen Rüstungskonzern BAE Systems, und die restlichen 25 Prozent gehen an den italienischen Leonardo-Konzern <10>. Airbus gehört wiederum zu 10,87 Prozent der staatlichen deutschen Gesellschaft zur Beteiligungsverwaltung <11>. Zugegeben, sehr verwirrend. Das ist auch so beabsichtigt. Früher gab es einige wenige große Rüstungskonzerne. Jetzt ist alles zerrieben in unübersichtliche Einzelstücke, die nicht nur der Steuerbeamte in die Verzweiflung treiben. Letzter Hand existiert hier ein großes Konglomerat, das durch die Finanzkonglomerate zusammengehalten wird.
Wir stellen fest: der CDU-Politiker Roderich Kiesewetter preist jetzt das Taurus-System an wie warme Semmeln, obwohl es schon seit langer Zeit das europäische Scalp-System gibt, das seit dem Irak-Krieg im Jahre 2003 und auf vielen anderen Kriegsschauplätzen der Welt im Einsatz ist. Das deutsche Taurus-System liegt zwar in den Waffenkammern Deutschlands, Spaniens und Südkoreas herum. Es konnte aber noch nirgendwo auf der Welt das Prädikat „kampferprobt“ in realen Gefechten erwerben. Das begehrte Prädikat muss jetzt mal endlich in der Ukraine erworben werden. Sonst rentiert sich der Taurus einfach nicht. Und darum muss der Kiesewetter ran, um diesen kommerziellen Rohrkrepierer zu retten. Ein verantwortungsbewusster Umgang mit den europäischen Steuergeldern sieht anders aus. Ein Ärgernis für die EU-Bürger, aber eine Win-Win-Situation für Kiesewetters Freunde von der deutschen MBDA, weiterhin für den Gripen-Hersteller SAAB, und damit ergibt sich auch eine kleine Belohnung für den schwedischen NATO-Beitritt.
Abschließend noch ein paar Worte zu Kiesewetters Haltung zur atomaren Bewaffnung Europas. Als glühendem Transatlantiker wäre es Kiesewetter natürlich am liebsten, wenn uns die USA weiterhin unter ihre nuklearen Fittiche nehmen würden. Aber im Jahre 2016 hatte der Außenseiter Donald Trump die Präsidentschaft der USA errungen. Und Trump machte einfach was er wollte. Sehr zum Entsetzen des Militärisch-Industriellen Establishments diesseits und jenseits des Atlantiks. Daraus ergaben sich aber auch Chancen für neue europäische Geschäftsfelder. Und so wollte sich Kiesewetter im Anschluss an den Trump-Schock nicht mehr definitiv gegen eine eigene europäische oder gar deutsche Atombewaffnung aussprechen. Deshalb äußerte Kiesewetter sich ausgesprochen sibyllinisch im Jahre 2016 im Deutschlandfunk, als er gefragt wurde, ob er sich eine europäische Atombewaffnung vorstellen könnte:
Der Taurus-Verkaufsagent
„Das steht ja noch nicht zur Debatte, sondern es darf hier keine Denkverbote geben. Wenn die Vereinigten Staaten von Amerika, so wie Trump es angedeutet hat, die Europäer mehr für ihre Sicherheit bezahlen lassen wollen, oder sich gar aus Europa zurückziehen, darf es keine Denkverbote geben und wir müssen sehr stark dann auf Frankreich und Großbritannien zugehen. Wir brauchen keine zusätzlichen Nuklearmächte in Europa. Wie dann ein Schutz Europas aussehen kann, wie gesagt, es darf keine Zonen unterschiedlicher Sicherheit geben, aber das steht noch nicht zur Debatte, aber es darf auch keine Denkverbote geben.“ <12>
Man beachte, wie oft in jenem Zitat das Wort „Denkverbote“ vorkommt. Atombewaffnung steht „noch nicht zur Debatte“. Was noch nicht ist, kann ja noch werden. Damals sprach sich Kiesewetter immerhin für eine Zusammenlegung französischer und britischer Atombomben unter einem gesamteuropäischen Nuklearschirm aus <13>.
Aber Kiesewetter muss seine politische Karriere nicht aufs Spiel setzen mit einer unpopulären Befürwortung deutscher Atombomben. Dafür hat man Wissenschaftler im Rückraum, die solche Dinge ungeniert aussprechen können und dabei wenig zu verlieren haben. Da wird gerade zeitgleich zu Kiesewetters coming out als Taurus-Verkaufsagent der in England lebende deutsche Wissenschaftler Maximilian Terhalle auffällig oft in den Medien zitiert. Der spricht sich ganz ungeniert für deutsche Atombomben aus. Und der war auch schon im Jahre 2016 nach dem Amtsantritt von Donald Trump als US-Präsident in der renommierten Zeitschrift Foreign Affairs mit der Forderung nach deutschen Atombomben in Erscheinung getreten <14>. Jetzt, wo sich abzeichnet, dass Trump erneut Präsident der USA werden kann, tauchen Kiesewetter und Terhalle wieder zeitgleich auf. Kiesewetter twittert indes gerade wieder in seiner sibyllinischen Manier, dass eine europäische Nuklearbewaffnung im Moment nicht nötig sei <15>. Denn USA und NATO würden ausreichen. Sollen wir hinzufügen: zumindest solange Trump nicht US-Präsident ist?
Fußnoten:
<1> https://www.youtube.com/watch?v=XbnzOuPxEkU
<2> https://www.rnd.de/politik/bundeswehr-kiesewetter-cdu-fuer-erhoehung-des-sondervermoegens-X5IB26XTI5OKBF7UHNWZK7GIEQ.html
<3> https://www.welt.de/videos/video250145696/Roderich-Kiesewetter-Dieser-Kanzler-will-weder-Taurus-noch-will-er-eine-Nato-Mitgliedschaft.html
<4> https://www.welt.de/politik/deutschland/article137223755/Der-dubiose-Ruecktritt-von-Merkels-Mann-fuer-die-NSA.html
<5> Hermann Ploppa: Die Macher hinter den Kulissen – Wie transatlantische Netzwerke heimlich die Demokratie unterwandern. Marburg 2014
<6> https://www.europeanleadershipnetwork.org/person/roderich-kiesewetter/
<7> http://www.security-round-table.eu/esrt/about/index.php?navid=561865561865
<8> https://www.mbda-deutschland.de/pressemitteilung/taurus-systems-gmbh-uebergibt-taurus-kept-350k-an-suedkorea/
<9> https://idexuae.ae/
<10> https://en.wikipedia.org/wiki/MBDA
<11> https://de.wikipedia.org/wiki/Gesellschaft_zur_Beteiligungsverwaltung
<12> https://www.deutschlandfunk.de/eu-verteidigungspolitik-nach-der-us-wahl-wir-werden-mehr-100.html
<13> https://internationalepolitik.de/de/keine-atombombe-bitte
<14> https://foreignpolicy.com/2017/04/03/if-germany-goes-nuclear-blame-trump/
<15> https://twitter.com/RKiesewetter/status/1757812612862013462
Erstveröffentlichung am 23.02.2024 bei berlin247.net
Online-Flyer Nr. 827 vom 08.03.2024