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Aktueller Online-Flyer vom 27. November 2024  

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Kommentar
Kommentar vom Hochblauen
Existenzrecht? Für Besatzung, Vertreibung und Völkermord? Freiheit vom Fluss bis zum Meer!
Von Evelyn Hecht-Galinski

Es ist erschreckend, mit welch blindem Aktionismus nicht nur die Politik und ihre Vertreter versuchen, diesen schrecklichen Solinger Anschlag dafür missbrauchen zu wollen, um daraus den Honig für Wahlgewinne oder Sympathiekundgebungen zu saugen. Es ist aber noch verwerflicher, wie christliche und jüdische „Würdenträger“ und Funktionäre diesen Anschlag versuchen zu nutzen, um von eigenem Versagen abzulenken. War es natürlich zuerst der Präsident des Zentralrats der Juden Schuster, der sich beeilte, die „Gefahren des Islamismus“ ernster zu nehmen. Außerdem warf er Sarah Wagenknecht (BSW) vor, dass sie nicht anerkenne, dass Israel sich gegen eine Terrororganisation verteidige, und warf ihr indirekt Judenhass vor. Wagenknecht wiederum konterte zu Recht, dass der Zentralrat die Kriegsführung nicht auseichend verurteile. Wagenknecht war zu Recht sehr erstaunt über die Äußerungen. „Wenn jeder, der die Netanjahu-Regierung und deren brutale Kriegsführung im Gazastreifen kritisiert, ein Israelhasser ist, dann wäre ein erheblicher Teil der Israelis, der Deutschen, der US-Bürger, gerade auch jüdischer und vieler anderer Nationalitäten Israelhasser.“

Unvermögen und schlechtes Demokratieverständnis

Als sich auch noch der frischgebackene Karlspreisträger und Präsident der Europäischen Rabbinerkonferenz Pinchas Goldschmidt meldete und vor den wachsenden Islamismus warnte, der sich indes nicht gegen den Gazakrieg geäußert hatte, war die jüdische Front wieder geschlossen. Als sich dann auch noch die Katholische Bischofskonferenz meldete und vor der Wahl von AfD und BSW warnte, dachte ich, was für eine scheinheilige Dreistigkeit. Die Kirche, die weder ihre Faschismus-Unterstützung in der Vergangenheit noch ihren Missbrauchsskandal aufgearbeitet hat, wirft das BSW und die AfD in einen Topf. Das zeugt nicht nur von politischem Unvermögen, sondern auch von einem schlechten Demokratieverständnis.

Wo bleibt die Kritik der jüdisch-christlichen Funktionäre gegen Frankreichs Oberrabbiner Haim Korsia, der Israel aufforderte, die „Arbeit in Gaza zu beenden“.  Er bezeichnete Israels Vorgehen und die „Kriegshandlungen“ zum „Schutz seiner Bürger“ als gerechtfertigt und bekundete seine Unterstützung für Netanjahu. Sind das die gemeinsamen religiösen Werte? So ist es nur allzu verständlich, wenn die Religionsgemeinschaften immer mehr Mitglieder verlieren – bei diesem Personal auf Erden!

Es ist verwerflich, wie die westlichen Politiker Israel nicht wie einen Besatzer und völkermordenden Staat behandeln, sondern jüdische Besatzer, Kriegsverbrecher und Völkermörder immer noch einen Heiligenschein des „auserwählt sein“ verleihen und deshalb jede Kritik zu Blasphemie verkommt. Es ist nicht hinnehmbar, wie politisch und medial Widerstandkämpfer, die für eine nationale Freiheit, ein Ende der illegalen Besatzung kämpfen, sich also zu Recht wehren, als Terroristen verunglimpft werden?  Fällt es uns überhaupt nicht mehr auf, wie uns die Wörter und Titulierungen das Gehirn vernebeln sollen? Ich kann es nur immer wiederholen, die Hamas kämpft in Gaza gegen eine zionistische, rechtsextreme, mörderische Übermacht, die versucht, das gesamte palästinensische Volk, seine Kultur und sein Dasein zu zerstören. Die Hamas als Hassobjekt ist nur vorgeschoben, um alles zu vernichten und das alleinige “Existenzrecht“ zu garantieren. Dieses „Existenzrecht“ entbehrt jedes Anspruchs und darf nur im Rahmen eines freien Palästinas für alle seine Ethnien und Religionen garantiert sein. So ist es also auch geradezu unmoralisch, von neu einzubürgernden Menschen in Deutschland zu verlangen, dass sie nicht nur das „Existenzrecht“ Israels anerkennen, sondern auch einen Teil der Holocaust-Schuld mitzutragen haben – einer Schuld, die mehr als kritikwürdig aufgearbeitet wurde. Wenn sich schließlich heute daraus völlig falsche Schlüsse ableiten – wie deutsche Staatsräson und blinde Unterstützung für einen völkermordenden Besatzerstaat – dann ist das abzulehnen.

Tief verstrickt in die Schuld der Beihilfe zum israelischen Völkermord

Deutschland hat sich tief verstrickt in die Schuld der Beihilfe zum israelischen Völkermord. Sie schämen sich – wie das israelische Regime und ein Großteil seiner Bürger – nicht für ihren Völkermord. Der Zionismus und Israel brauchen den Antisemitismus als  Lebenselixier. Nur so lässt sich die Existenzberechtigung und ewige Bedrohung aufrechterhalten. Mit der Neudefinition und Vermischung von Israelkritik und Judenhass versucht das Regime, jede Opposition als Judenhass einzustufen. Der „jüdische Staat“ soll immun bleiben gegen jede Kritik oder Anklage. Nichts anderes darf zählen – genau wie der ewige Mythos der Einmaligkeit des Holocaust. Sie fanden neue Verbündete bei den neuen Rechten, die sich verbünden im „Terrorkampf“, in einem angeblich „zivilisatorischen Krieg“ für unsere Lebensart und „Werte“ gegen den Islam und Muslime, den neuen Juden. Es ist diese schreckliche Entmenschlichung im „Kampf gegen „Tiere“, wie es rechtsextreme israelische Regierungsmitglieder formulierten. Das alles ist im zionistischen Regime möglich: rassistische Politiker, die zu Mord und Totschlag aufrufen, und vollenden wollen, was in der Nakba 1948 begann.  Das Recht des Widerstands gegen eine kriegerische und militärische Besetzung ist im Völkerrecht verankert. Wann wird Deutschland und die EU das endlich anerkennen und umsetzen?

Die Macht der israelischen Lobby in den Vereinigen Staaten und in westlichen Staaten in Verbindung mit einem christlichen Zionismus ist eine toxische Mischung, ein Gebräu, was es dem „jüdischen Staat“ ermöglicht, weiter ungestraft seine völkermörderische Ausrottungspolitik erfolgreich fortzuführen.

Sie breitet sich aus über ganz Palästina und schreckt weder vor gezielten Tötungen und angezettelten Kriegen und völkerrechtswidrigen Einsätzen zurück. Die Drohung, nach dem vorigen auch den neuen Hamas-Führer zu töten, ist weder hinnehmbar noch wird es zu Waffenstillstand und Ende des Gemetzels beitragen. Aber all das ist auch weder im Interesse von Netanjahu, der um seinen Machterhalt kämpft, noch seines Regimes einer zum Teil vorbestraften skrupellosen Mannschaft. Auch das ist eine Einmaligkeit der „einzigen Demokratie im Nahen Osten“ mit der „moralischsten Armeen“, die selbstverständlich vor keiner Gräueltat zurückschreckt. Es ist ein Regime, das sich inzwischen so sicher fühlt in seiner Macht und Überlegenheit, dass es besonders jedem jüdischen und anständigen Bürger weltweit verzweifeln lässt. Es ist erschreckend, mit welcher Leichtigkeit Gewalt gegen Palästinenser akzeptiert wird, da sie ja terroristische Ziele verfolgen, während jüdische „Selbstverteidiger“ nur ihre friedfertige Existenz verteidigen. Solange diese Lesart in den Köpfen verankert bleibt, solange wird sich nichts ändern.

Schluss mit den Waffenlieferungen an den „jüdischen Staat“ und die Ukraine!

Vergleichen wir einmal völkerrechtswidrige Kriege. Nachdem Russland und Präsident Putin nach seinem Angriff gegen die Ukraine sofort sanktioniert und zum „Hitler-Verschnitt“ medial verunglimpft wurde, wurden Israel und seinen völkerrechtswidrigen Angriffen weder Sanktionen auferlegt noch Netanjahu als Monster und Mörder dargestellt. Ja, kritisch gesehen, aber im Grunde nichts wirklich für ihn Beunruhigendes. Schließlich wurde nach der Anklage gegen ihn vor dem Internationalen Gerichtshof in Den Haag die deutsche AA Baerbock gleich vorstellig, um sich für ihn in deutschem Namen einzusetzen. Ganz im Sinne „deutscher Werte“.

Stellen wir uns einmal vor, dass Kiew oder die Ukraine so aussähen wie Gaza oder dass es mehr als 40.000 Opfer zu beklagen gäbe. Was für einen politischen und medialen Aufschrei würde es geben! Während jedes ukrainische Kriegsopfer – absolut nicht zu vergleichen mit der Menge der palästinensischen – hier aufmerksam gemeldet wird, sind die palästinensischen Opfer eigentlich nur Nebensache und verdienen es nicht, mit großer Aufmerksamkeit bedacht zu werden. Sind sie doch Terroristen! Diese scheinheiligen Doppelstandards machen mich zornig.

Schluss mit den Waffenlieferungen an den „jüdischen Staat“ und die Ukraine! Weder in der Ukraine noch im „jüdischen Staat“ wird unsere Freiheit oder unsere „Lebensart“ verteidigt. Unsere Freiheit und Lebensart können wir nur an der Wahlurne zeigen, indem wir keinen populistischen Propagandagurus folgen. Deutschland muss endlich wieder – wie ich schon einmal schrieb – „friedensfähig“ werden. Ohne Angriffs-Waffenstationierung und begeisterten Kriegsparolen und dem Aufbau einer Kriegswirtschaft.  Keine Geschichtsklitterung und kein Russlandhass. Es begann schon einmal mit Wegschauen. Schauen wir nicht mehr weg, wenn im „jüdischen Staat“ Menschen abgeschlachtet werden! Unsere Solidarität gilt den Schwachen, Besetzten und Vertriebenen. Das gebietet das humanitäre Völkerrecht. Das Existenzecht verteidigen! Das gilt besonders für Palästina.


Worauf es ankommt
Von Erich Fried

Es kommt im Augenblick
nicht darauf an
wann es war
daß die Unterdrückerregierung
in Israel
sich verwandelt hat
in eine Verbrecherregierung

Aber es kommt darauf an
zu erkennen
daß sie jetzt eine
Verbrecherregierung ist

Es kommt auch nicht mehr
darauf an
darüber zu streiten
nach welchem Vorbild
sie ihre Verbrechen begeht
Diese Verbrechen selbst
tragen sichtbar die Spur ihres Vorbilds

Aber es kommt darauf an
nicht nur klagend oder erstaunt
den Kopf zu schütteln
über diese Verbrechen
sondern endlich
etwas dagegen zu tun

Es kommt nicht darauf an
was man ist
Moslem, Christ, Jude, Freigeist:
Ein Mensch
der ein Mensch ist
kann nicht schweigen


Evelyn Hecht-Galinski, Tochter des ehemaligen Zentralratsvorsitzenden der Juden in Deutschland, Heinz Galinski, ist Publizistin und Autorin. Ihre Kommentare für die NRhZ schreibt sie regelmäßig vom “Hochblauen”, dem 1165 m hohen “Hausberg” im Badischen, wo sie mit ihrem Ehemann Benjamin Hecht lebt. (http://sicht-vom-hochblauen.de/) 2012 kam ihr Buch “Das elfte Gebot: Israel darf alles” heraus. Erschienen im tz-Verlag, ISBN 978-3940456-51-9 (print), Preis 17,89 Euro. Am 28. September 2014 wurde sie von der NRhZ mit dem vierten “Kölner Karls-Preis für engagierte Literatur und Publizistik” ausgezeichnet.

Online-Flyer Nr. 835  vom 30.08.2024



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