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Aktueller Online-Flyer vom 20. September 2024  

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Globales
Die bolivarische Revolution verteidigen
Venezuela als anti-imperialistisches Lehrstück
Von Markus Heizmann (Bündnis gegen Krieg, Basel)

Professor Carolus Wimmer ist ein deutsch-venezolanischer kommunistischer Politiker und Professor. Anfang Oktober 2023 sprach er vor GenossInnen in Basel über die aktuelle Situation in Venezuela und in Südamerika. Die NRhZ berichtete darüber. (1) Jetzt, mehr als ein Jahr später, reist Genosse Wimmer erneut nach Europa. Erneut vertritt und vermittelt er sachkundig und integer den internationalistischen Charakter der bolivarischen Revolution in Venezuela. Diese Revolution ist – es sei vorweg genommen – nach Meinung des Genossen Carolus keineswegs gescheitert, wie uns der westliche Mainstream versucht glauben zu machen. Der folgende Text ist entlang des Referates von Carolus Wimmer, welches er am 30. August 2024 in Basel gehalten hat, entstanden. Ebenfalls mit einbezogen wurden einige Voten der Teilnehmenden.
 
Im Kampf gegen die Monroe Doktrin des Imperiums

Die Monroe Doktrin wird u.a. als der „außenpolitische Standpunkt der USA in Bezug auf Europa bezeichnet“. Ganz falsch ist dies nicht, aber es ist eben nur ein Teil der Wahrheit und damit, wie oft, wahrscheinlich gefährlicher als eine handfeste Lüge. In Tat und Wahrheit verbot sich Präsident James Monroe (*1758 – +1831, Regentschaft 1817 bis 1825) mit seiner Doktrin jegliche Einmischung, vor allem seitens Europa in die inneren Angelegenheit der USA. Dies ist jedoch nur eine Seite der Medaille. Viel wichtiger und für die Völker Amerikas verheerender ist ein auf den ersten Blick lapidarer Satz in der Doktrin: „Amerika den Amerikanern“. „Amerika“ jedoch, so wie es die damaligen und die heutigen Autokraten in den USA verstanden haben wollen, reicht von der kanadischen Grenze bis nach Feuerland. Alles was unterhalb Kaliforniens liegt, soll somit im Einflussbereich der USA liegen. Folgerichtig und in gewohnt arroganter Manier reden sie denn auch von ihrem „Hinterhof“.

Diese Arroganz, verbunden mit einer zügellosen Gewaltbereitschaft, haben die Völker Südamerikas zur Genüge zu spüren bekommen. Von Mexiko bis Feuerland können sie ein langes und trauriges Lied von den blutigen Einmischungen der USA singen. Je länger je mehr leisten die Völker des amerikanischen Südens Widerstand gegen die US-Penetration. Kuba, Brasilien, Ecuador, Peru, Venezuela sind Stichworte dieses Widerstandes, der selbstverständlich auch immer wieder Rückschläge erfahren muss.

„Angst“ vor chinesischem und russischem Einfluss

Laura Richardson, Generalin des „US Southern Command“ ist Kraft ihres Amtes für alles zuständig, was unterhalb Kaliforniens liegt. Folgerichtig macht sie sich denn auch große Sorgen, weil der Einfluss Chinas und Russlands in den südamerikanischen Ländern ständig zunehme und dies gefährde, so die hoch dekorierte Generalin, die „fragile demokratische Infrastruktur in diesen Ländern“. Das die Ökonomie in vielen dieser Länder in einem wahrhaft desolaten Zustand ist, führt Frau Richardson nicht etwas auf die Penetrationen, auf die aggressive Politik ihrer Regierung oder auf die von ihrer Regierung initiierten Putsche oder Putschversuche zurück, nein, es ist die Covid-Pandemie, welche laut Laura Richardson von diesen Ländern den Tribut fordert. (2)

Frau Richardson möchte am liebsten alles unter die Kontrolle der USA stellen und natürlich im Interesse der USA, der Demokratie und der Freiheit. Kein einziger Putsch bzw. Putschversuch in Südamerika hat ohne die massive Einmischung der USA stattgefunden, vielerorts wurden die Massaker der Marionetten Generäle (z.B. in Chile) von den USA ausgelöst.

Trotz illegaler Blockade: Es geht aufwärts

Sicher: Die Regale in Venezuela sind größtenteils leer. Dieser Mangel, der überall im Land zu spüren ist, ist natürlich den Sanktionen, korrekter ausgedrückt, der Blockade, welche über Venezuela verhängt wurde, geschuldet. Auch hier übernehmen die USA eine führende Rolle. (3) Die Liste der Sanktionen gegen Venezuela ist lang, und sie gefährden eindeutig die Souveränität des Landes. (4)

Gleich zu Beginn der Amtszeiten von Präsident Hugo Chávez waren die Beziehungen zwischen den USA und Venezuela gelinde gesagt unfreundlich. Die Politik von Präsident Chávez, welche die Souveränität Venezuelas auf keinen Fall preisgeben wollte, sowie seine Sozialpolitik, Stichwort Alphabetisierung, waren dem Hegemon im Norden natürlich ein Dorn im Auge. Destabilisierungsversuche seitens der USA waren also schon damals an der Tagesordnung. Einen offenen Angriff gegen das Land können sie nicht wagen. Deshalb klandestine Destabilisierungsversuche und Sanktionen, die je nach politischer Konjunktur gelockert oder gestrafft wurden. Eine unwürdige Zuckerbrot-und-Peitsche-Politik.

Trotz alledem können wir konstatieren, dass es in Venezuela aufwärts geht, trotz Blockade, trotz Mangel, auch trotz der Korruption, die es gibt und die wir nicht verschweigen dürfen. Dieser Aufwärtstrend ist vor allem der Politik der Regierung zu verdanken. So werden zum Beispiel Lebensmittelpakete verteilt, in denen auch Hygieneartikel drin sind. Die Gesundheitsversorgung ist nach wie vor umsonst und auf einem guten Niveau.

Noch immer Angriffe

Heute, da wir hier zusammen sind (30. August 2024, mh) ist ein großer Teil von Venezuela ohne Strom. Dies ist auf einen Sabotageakt zurück zu führen. Seit Nicolás Maduro die Wahlen gewonnen und zwar klar gewonnen hat, kam es zu verschiedenen Putschversuchen, die allesamt gescheitert sind. Dies weil die Armee loyal an der Seite des gewählten Präsidenten Maduro steht. Die Opposition rekrutiert und finanziert paramilitärische Kräfte. Darüber wird in den westlichen Medien kaum berichtet. Wenn ein Putsch nicht erfolgreich war, hat er nicht stattgefunden. Dieses Geschrei nach „Freiheit“ und nach „Demokratie“ dauert jetzt seit 25 Jahren an. Aber Freiheit und Demokratie ist für die USA nur dann gegeben, wenn eine ihnen genehme Regierung die Wünsche von Washington und der Wall Street erfült.

Da passt es nicht ins Konzept, dass die Armee, wie erwähnt loyal zur Verfassung und zum Volk steht und sich nicht als Erfüllungsgehilfe instrumentalisieren lässt. Das Volk von Venezuela hat lange und hart um die aktuelle Verfassung gekämpft. (5) Auch die Armee verteidigt diese Verfassung und redet offen von imperialistischer Einmischung, eine Wortwahl, vor der sich die europäische Linke meist hütet.

Neue Allianzen

Durch die Monroe Doktrin und die damit verbundene Unterdrückung und Ausbeutung bilden sich (nicht nur in Venezuela) neue Allianzen. China, Russland, Iran, Indien sind als neue ökonomische Partner im Gespräch oder bereits im Geschäft. Dies trotz der militärischen Drohgebärden, die mit der Monroe Doktrin einhergehen. Es gibt neue Lösungsansätze, die es vorher nicht gab. So haben die USA zum Beispiel versucht, Venezuela vom Ölmarkt abzuschneiden. In der Folge verkauft Venezuela kein Öl mehr nach den USA oder nach Europa und beliefert stattdessen die Märkte der oben genannten Länder China, Russland, Iran und Indien. So schreitet die von Chávez initiierte bolivarische Revolution voran. Kritisch müssen wir jedoch anmerken: Diese bolivarische Revolution ist keine pan-amerikanische Revolution sondern eine nationale Revolution. Gleichwohl ist dies, bedenken wir den Widerstand, den die USA den Unabhängigkeitsbestrebungen Venezuelas entgegen halten, eine enorme Leistung. Im versuchten und gescheiterten Putsch von 2002 sollte die Hegemone der USA wieder hergestellt werden. Dies ist gescheitert, weil sowohl die Armee als auch das Volk auf Seiten der legitimen Regierung stand und steht.

Eine Klassenfrage

Die andauernde Opposition innerhalb des Landes hat natürlich auch mit der Klassenfrage zu tun. Es ist der bolivarischen Revolution nicht gelungen, die Klassenfrage zu lösen. In der Folge gibt es noch immer eine US- und EU-hörige Oligarchie im Land. Dies bedeutet eine ständige wirtschaftliche und auch (para)-militärische Bedrohung.

Vor Präsident Chávez musste Venezuela einen Großteil seiner Lebensmittel importieren. Mit seiner Präsidentschaft hatte dies ein Ende. Trotz all der Errungenschaft wird von außen, aber auch von innen versucht, Chaos und Unruhe zu säen und das Land noch mehr zu destabilisieren. Es sind diese Leute, die hinter der paramilitärischen Aufrüstung der Opposition stehen. Sie verantworten auch Sabotageakte wie den oben erwähnten Stromausfall. Das Wahlresultat mit 52% der Stimmen für Nicolás Maduro darf tatsächlich angezweifelt werden, aber nicht so wie dies die Mainstream-Presse tut: Wahrscheinlich hat Nicolás Maduro sehr viel mehr Stimmen erhalten als diese 52%.

Wir müssen auch festhalten: Anfangs dieses Jahrhunderts stand, vor allem in Mittel- und Südamerika, die Klassenfrage weiter oben auf der Agenda als heute. In der Tat hatten wir es damals auch mit Persönlichkeiten wie Fidel Castro, Hugo Chávez, Evo Morales oder Rafael Correa zu tun. Ihnen ist es gelungen, den USA die Stirn zu bieten und ihnen sogar Niederlagen zuzufügen. Solche Persönlichkeiten fehlen heute. Allerdings nehmen die USA ihre Niederlagen nicht einfach zur Kenntnis. Sie analysieren diese und sie reagieren darauf.

Das Thema Faschismus neu diskutieren

(Nicht erst) seit der Wahl von Javier Milei in Argentinien ist es notwendig, den Faschismus neu zu diskutieren und zu analysieren. Sicher: Milei vertritt offen eine faschistische Ideologie. Dies ist jedoch eher die Ausnahme als die die Regel. Die Regel ist, dass vor der Öffentlichkeit demokratische Ideale gepredigt werden, in Tat und Wahrheit jedoch wird eine faschistische oder mindestens eine faschistoide Politik betrieben. Hier erscheint es angebracht, den italienischen Schriftsteller Ignazio Silone zu zitieren: „Wenn der Faschismus wiederkehrt, wird er nicht sagen: «Ich bin der Faschismus» Nein, er wird sagen: «Ich bin der Antifaschismus»“

Eine Analyse dieses Themas ist ganz bestimmt nicht nur für die südamerikanische Linke sondern für die Linke global angezeigt. So spielt der Klassencharakter des Faschismus, wie von Dimitroff beschrieben, gewiss eine wesentliche Rolle. (6) Jedoch sollten wir die Wurzeln des Faschismus nicht außer acht lassen: Kolonialismus, Eurozentrismus und Imperialismus führen schlussendlich zum Faschismus. Was in den imperialistischen Metropolen verspätet ankommt, haben die kolonialisierten und unterdrückten Völker schon längst erfahren. Ein Kongress zum Thema „Faschismus“, der in Caracas stattfinden soll, ist in Planung.

Es hat erst angefangen – es gibt noch viel zu tun!

Die Wahlen sind beendet und Nicolás Maduro hat sie gewonnen. Dass das Gerede von Wahlbetrug nichts anderes ist als eben Gerede, lässt sich leicht belegen: Erstens: Von 10 Kandidaten haben 8 die Wahl als fair akzeptiert. Nur zwei, die Kandidaten, welche den USA genehm gewesen wären, reden von Betrug. Sie könnten nun gegen die Wahl bei den Gerichten Venezuelas klagen, haben aber schon gesagt, dass sie dies nicht tun werden. Zweitens: Die USA und die EU anerkennen die Wahl nicht. Seit 25 Jahren haben die USA noch nie eine Wahl in Venezuela anerkannt. Würden sie dies tun, dann müssten wir mit Sicherheit von Manipulation ausgehen. Der Kandidat, der am meisten Furore machte und den die USA auch mit gewohnter Arroganz als „Präsidenten“ anerkennen, ist Edmundo González. González ist ein Juan Guaido 2.0. (7) Seine Basis hat er in Miami, nicht in Venezuela. Ebenso wie Guaido vor ihm wird auch er vom Volk nicht anerkannt.

Die Unzufriedenheit mit der Regierung ist klar da, nämlich bei den Oligarchen. Der Profit, den sie mit einer Regierung Maduro machen, ist bei weitem nicht so hoch wie der Profit, den sie mit einem US-hörigen Kandidaten wie zum Beispiel eben González oder die der Korruption überführten Maria Corina Machado machen könnten.

Das Volk jedoch ist großmehrheitlich zufrieden mit der Wahl. Sie wollen Stabilität, Arbeit, gute Gesundheitsversorgung, ein gutes Bildungssystem usw. All dies muss jetzt noch intensiver angegangen werden. Es gibt noch viel zu tun. Ein weiteres Feld, welches im wahrsten Sinn des Wortes beackert werden muss, ist die Landwirtschaft. Wie in alle Länder des südamerikanischen Kontinents drängen die Gentech-Konzerne auch in die Agrarwirtschaft von Venezuela. Hier gilt es, einen Riegel vor zu schieben, hier kann das Land auch eine Vorbildfunktion wahrnehmen. Wir können uns also nicht zurück lehnen und uns gut fühlen, weil die Regierung Maduro in einer demokratischen Wahl bestätigt wurde. Es gilt jetzt, die Errungenschaften der bolivarischen Revolution zu verteidigen, auszubauen und zu stärken. Dabei ist Venezuela auf Solidarität angewiesen. Länder wie Kuba, China, Russland, Iran, aber auch arabische Länder stehen Venezuela teils aus ideologischen Gründen, teils aber auch aus handfesten politisch pragmatischen Gründen zur Seite. Diese politisch pragmatischen Gründe haben ihren Ursprung in der Erkenntnis, dass das Gewaltverhältnis des Imperialismus mit Sicherheit auf seinen eigenen Untergang hinsteuert.


Fußnoten

1 http://nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=28825 (Letzter Zugriff August 2024)
2 https://www.youtube.com/watch?v=q0O6sCsUoSc (Letzter Zugriff August 2024)
3 Mehr zu den (meist von den USA ausgelösten) illegalen Blockaden siehe hier: „Der verschwiegene Krieg – Sanktionen, Embargos, Blockaden“, Heizmann, 2020, TuP Verlag, Hamburg
4 https://amerika21.de/analyse/267589/venezuela-sanktionen-und-souveraenitaet (Letzter Zugriff August 2024)
5 Siehe dazu: „Venezuela in guter Verfassung“
https://www.youtube.com/watch?v=epMAunMKO48 (Letzter Zugriff August 2024)
6 https://www.preiselbauer.de/2014/04/23/georgi-dimitroff-ueber-den-faschismus-teil-25/ ((Letzter Zugriff August 2024)
7 Der lange Zeit als „Interimspräsident“ bezeichnete Guaido war von Beginn an eine Marionette der USA. Mittlerweile ist er in der Versenkung verschwunden.

Online-Flyer Nr. 835  vom 14.09.2024



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