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Kommentar
Aushebelung rechtstaatlicher Prinzipien
Deutsche Staatsräson und der Gedanke der Völkerverständigung
Von Yavuz Özoguz
Deutschland ist einmalig, nicht nur bei dem rekordverdächtigen Abschwung einer florierenden Wirtschaft und der extrem einseitigen Unterstützung des zionistischen Kolonialprojektes, Deutschland ist auch einmalig in der Aushebelung vieler rechtstaatlicher Prinzipien wie Gewaltenteilung und Unschuldsvermutung; zumindest unter Staaten, die von sich behaupten rechtstaatlich zu sein. Das Schlüsselelement für die Aushebelung der Rechtstaatlichkeit heißt: Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung.
In Deutschland kann ein Innenminister im Rahmen von Verwaltungsmaßnahmen gegen Einzelpersonen oder Organisationen vorgehen, wenn diese Handlungen begangen haben sollen, die gegen den „Gedanken der Völkerverständigung“ verstoßen – auch wenn diese Handlungen überhaupt nicht den Tatbestand einer Straftat erfüllen. Dies beruht auf der Annahme, dass solche Maßnahmen präventiv wirken und den öffentlichen Frieden sichern sollen, was beispielsweise durch Vereins- und Versammlungsverbote oder Einreiseverbote erreicht werden kann. Die Rechtsgrundlage dafür bietet das Grundgesetz, insbesondere Art. 9 Abs. 2, wonach Vereine verboten werden können, „deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten.“
Kritiker sehen in solchen Maßnahmen eine potenzielle Einschränkung rechtsstaatlicher Prinzipien, da präventive Eingriffe bis hin zu faktischen Strafmaßnahmen ohne Straftatbestände erfolgen können. Dies weckt Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit und des Rechtsschutzes für die Betroffenen, insbesondere, weil diese Maßnahmen ohne richterlichen Beschluss möglich und somit den üblichen strafrechtlichen Schutzmechanismen entzogen sind. Befürworter argumentieren, dass solche Eingriffe notwendig seien, um öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten, vor allem in Fällen, in denen die öffentliche Sicherheit durch radikale oder extremistische Gruppierungen gefährdet werde. Die präventive Natur solcher Maßnahmen solle helfen, Gefahren frühzeitig abzuwehren, bevor sie eskalieren. Normalerweise sind solche Maßnahmen nur in tyrannischen Systemen möglich und Deutschland hat diesbezüglich auch eine Einmaligkeit in Europa.
Auch die weisungsgebundene Behörde des Verfassungsschutzes ist einmalig in der Westlichen Welt. Die meisten Geheimdienste außerhalb Deutschlands sind gesetzlich daran gehindert, Namen oder spezifische Organisationen öffentlich als „beobachtungswürdig“ darzustellen und sie damit zu stigmatisieren, solange keine gerichtliche Überprüfung oder Anklage vorliegt. Die deutsche Praxis der jährlichen Verfassungsschutzberichte ist daher einzigartig und hat auch in Deutschland Kontroversen ausgelöst, da sie mit einer potenziellen Stigmatisierung einhergeht, ohne dass eine gerichtliche Grundlage notwendig ist. In anderen Ländern wird hier eine stärkere Trennung zwischen nachrichtendienstlicher Arbeit und öffentlicher Kommunikation gezogen, um zu verhindern, dass Menschen und Organisationen ohne gerichtliches Verfahren diffamiert werden.
Tatsache ist, dass viele Maßnahmen, die aufgrund von Übergriffen der Verfassungsschutzbehörden erfolgen, ohne richterlichen Beschluss erfolgen. Sie erfolgen, ohne dass eine Straftat vorliegt. Und die Betroffenen, faktisch Bestraften, müssen klagen, um ihre Unschuld zu beweisen, was wiederum dem Prinzip der Unschuldsvermutung widerspricht.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) erklärte im Leitsatz seines Urteils vom 3. Dezember 2004 (Az. 6 A 10/02): „Ein Verein richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG i. V. m. Art. 9 Abs. 2 GG, wenn er durch finanzielle Zuwendungen über einen langen Zeitraum und in beträchtlichem Umfang eine Gruppierung unterstützt, die Gewalt in das Verhältnis von Völkern hineinträgt, und wenn die dadurch eintretende Beeinträchtigung des friedlichen Miteinanders der Völker von einem entsprechenden Willen des Vereins getragen ist.“ [1] Die praktische Auswirkung jener Gesetzeslage ist ein faktisches Religionsverbot der Schia in Deutschland, was wiederum große grundrechtliche Probleme aufwirft. In Deutschland sind über ein Dutzend Moscheen mit dieser Handhabe verboten worden [2], darunter sechs der wichtigsten schiitischen Moscheen. Das wichtigste Zentrum der Schiiten in Europa, das Islamische Zentrum Hamburg, ist ebenfalls verboten worden [3]. Und in der Folge sind zahlreiche Bücher der Schia, die zumeist gar keinen politischen Inhalt hatten, ebenfalls verboten worden [4].
Untersucht man die wahren Hintergründe dieser Verbote, hängen sie letztendlich fast alle mit Israel und ihren Lobbygruppen in Deutschland zusammen, die die Schließung verlangt haben. Daher stellt sich bis heute die Frage bezüglich „Gedanken der Völkerverständigung“ im direkten Zusammenhang mit der Gründungsgeschichte Israels und inwieweit hier eine halbwegs gleichwertige Beurteilung zwischen Kritikern des Zionismus und Befürwortern erfolgt.
In Deutschland gilt die Staatsgründung Israels trotz der damit verbundenen Massenmorde, Vertreibungen, Enteignungen und vielen anderen Verbrechen, die unter dem Begriff Nakba [5] zusammengefasst werden, als sehr förderlich für den Gedanken der Völkerverständigung aber die Kritik daran als antisemitisch und damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet. Das hat teilweise bis heute sehr kuriose Auswirkungen. Die Parole „From the River to the see, Palestine will be free“ [6] wird in den meisten Bundesländern als Negation des Existenzrecht Israels betrachtet und sei somit gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet. Hingegen ist die Regierungspolitik Israels, getragen von einer breiten Mehrheit der israelischen Gesellschaft, dass es zwischen Fluss und Meer niemals einen palästinensischen Staat geben darf, aus deutscher Sicht für den Gedanken der Völkerverständigung akzeptabel. Vereine und Vereinigungen bis hin zum Zentralrat der Juden in Deutschland, die sich offen hinter solch eine Regierungspolitik stellen und die Anerkennung Palästinas als Staat in Deutschland verhindern, gelten als förderungswürdig. Juden hingegen, die sich dagegenstellen, werden kurioserweise als Antisemiten gebrandmarkt.
Über 80 Jahre Besatzung stellen kein Problem für den Gedanken der Völkerverständigung dar, aber der Widerstand der Besetzten schon. Der Einsatz für das Selbstverteidigungsrecht Israels als Besatzer, auch mit Waffengewalt, gegen die Besetzten ist im Rahmen des Gedankens der Völkerverständigung unproblematisch. Aber der Einsatz für ein Selbstverteidigungsrecht der besetzen Palästinenser widerspricht dem Gedanken der Völkerverständigung. Diejenigen, die das zu effektiv tun, werden einfach verboten. Die Rechtfertigung der Gedanken von Groß-Israel gilt als legitim. Aber der Widerstand dagegen, selbst wenn er nur verbal ist, gilt als antisemitisch. Wenn Juden in Deutschland sich offen dazu bekennen Rabbi Yitzhak Yosef, den bis vor Kurzem sephardischer Oberrabbiner in Israel, zu ehren, der verlangt, dass Nichtjuden in dem von Israel beanspruchten Gebieten nicht leben sollten (also auch nicht im Gaza-Streifen oder Westjordanland), dann gehört das zur Meinungsfreiheit [7]. Verurteilt jemand diese extreme Form des Rassismus, so ist er Antisemit und verstößt gegen den Gedanken der Völkerverständigung.
Nie zuvor war Deutschland so extrem von zionistischen Interessen durchdrungen wie heute. Deutschland steht als einziges Land an der Seite Israels vor dem Internationalen Gerichtshof (ICJ) im Rahmen eines Falles, der von Südafrika eingebracht wurde und Israel des Völkermords in Gaza beschuldigt. Deutschland erklärte, dass es die Anschuldigungen des Völkermords gegen Israel für unbegründet hält und sich als Drittpartei in die Verfahren einbringt, um seine Interpretation der Genozidkonvention darzulegen. Nicht einmal die USA – der engste Verbündete Israels – hat das getan. Prompt hat sich Deutschland eine eigene Klage wegen Unterstützung des Völkermordes eingefangen. Deutschland agiert getrieben von zionistischen Interessen gegen eigene Interessen. Das Ansehen Deutschlands ist in der Welt auf einen Tiefpunkt gesunken. Deutsche Außenminister landen mit ihren Maschinen in fremden Ländern und werden von niemandem empfangen. Solche Demütigungen wären früher undenkbar, wenn Deutschland sich nicht so klar gegen den Iran, gegen Syrien, gegen den Jemen, gegen den nicht-kurdischen Teil des Irak, gegen Schiiten, gegen Russland, gegen China, gegen Palästina, gegen Venezuela, gegen … gegen … gegen … positioniert hätte.
In Zeiten eines Kanzleramtsminister Schmidbauer und später Geheimdienstkoordinator Uhrlau spielte Deutschland eine besondere Rolle bei der Vermittlung zwischen Gegnern in der Region West-Asien. Es ist unter anderem Schmidbauer und später Urlau zu verdanken, dass es zu einem Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hisbollah kam. Die FAZ titelte im Jahr 2004: „Deutsche Nahost-Vermittlung: Vertrauen, Sachverstand und viel Geduld“ [8]. Lange ist es her, dass Deutschland jenes Vertrauen auf allen Seiten genoss. Heute wird Deutschland nur noch als Wurmfortsatz USraelischer Hegemonialpolitik wahrgenommen und von niemandem mehr ernst genommen, nicht einmal von den eigenen Verbündeten. Das Fatale daran ist, dass die eigene Führungselite einschließlich großer Teile der Opposition, das in ihrer Parallelgesellschaft von Politikern und Hofberichterstattern gar nicht wahrnehmen!
Diese völlige Degradierung zur politischen Bedeutungslosigkeit hat auch mit dem Verhalten Deutschlands gegenüber echten und vermeintlichen Verbrechen zu tun. Im Iran ist vor wenigen Tagen ein Mann, der auch einen deutschen Pass besaß, wegen mörderischem Terrorismus zum Tode verurteilt und gehängt worden. An der terroristischen Beteiligung jener Person gibt es meiner Ansicht nach keine Zweifel, da die Beweise für jeden ersichtlich von dem Verurteilten selbst ins Internet gestellt worden sind [9], als er noch die Hoffnung hatte, einen Umsturz im Iran erzielen zu können. Auch gibt es keinen Zweifel daran, dass ein Gerichtsverfahren stattgefunden hat. Aus deutscher Sicht mag das Gerichtsverfahren nicht fair gewesen sein und man ist hier ohnehin gegen die Todesstrafe aus prinzipiellen Gründen, aber rechtfertigt das, dass die Politik im Zusammenhang mit der Hofberichterstattung eine Staatsaffäre daraus macht, die kurz vor dem Abbruch diplomatischer Beziehungen steht? [10] Die Welt – und vor allem die absolute Mehrheit der Nicht-Westlichen Welt – schaut auf solche Maßnahmen im Vergleich zu anderen Maßnahmen. Denn währenddessen sind unzählige völlig unschuldige Palästinenser, vor allem Frauen und Kinder, auch mit Deutschem Pass in Gaza massakriert worden, ohne dass Deutschland sich dazu auch nur geäußert hätte.
Deutsche Diplomatie gibt es nicht mehr, sondern nur noch das lächerliche Beiboot-Dasein bei der US-geführten Kanonenboot-Diplomatie der imperialistischen Welt, von der sich immer mehr Staaten abwenden! Für ein Exportland wie Deutschland ist das ein wirtschaftliches Todesurteil.
Der Gedanke der Völkerverständigung – abgekoppelt davon, wie er in Deutschland politisch missbraucht wird – ist ein schöner Gedanke. Doch Völkerverständigung ist nur auf Augenhöhe möglich. Völkerverständigung ist niemals möglich, wenn sich ein Volk höher stellt als andere und seine eigenen Interessen allen anderen aufzwingen will. Völkerverständigung – um es an einem konkreten Beispiel zu verdeutlichen – ist nicht möglich, wenn Deutschland dem Rest der Welt aufzwingen will, dass es 70 Geschlechter gäbe, weil das die Menschenrechte nach deutscher Lesart erforderlich machen würden. Völkerverständigung ist nicht möglich, wenn Israel alles darf und die von Israel unterdrückten Völker nicht einmal versehentlich in Richtung Israel husten dürfen, ohne verboten zu werden. Völkerverständigung ist nicht möglich, wenn der westlich-imperialistische Block darauf besteht, seine Hegemonie auszubauen und die dafür erforderlichen Finanzmittel unbegrenzt drucken kann, während im ausgebeuteten Teil der Welt Menschen an Hunger sterben. Eine selbsternannte Führungsmacht widerspricht der Völkerverständigung wie auch die Gründungsgeschichte Israels, die nie aufgearbeitet wurde; ganz im Gegenteil: Die Erinnerung an die Nakba und damit die ethnische Säuberung Palästinas [11] ist in Israel gesetzlich durch das so genannte Nakba-Gesetzt faktisch verboten worden.
Das alles ist keine Völkerverständigung, sondern eine brutale Form der Unterdrückung von Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Meinungsfreiheit und Menschlichkeit. Es sind die erwartungsgemäßen Folgen eines zunehmend brutaleren imperialistischen Kapitalismus, der seinen Höhepunkt schon lange hinter sich gelassen hat und im Untergang befindlich ist. Deutschland hat sich an diesen Untergang gekoppelt, ohne einen Ausweg zuzulassen. Dabei befindet sich der Ausweg bereits im Land. Die zunehmende eigene muslimische Bevölkerung könnte eine Brücke schlagen, wenn sie nicht dermaßen unterdrückt werden würde. Deutsche Muslime könnten vorleben, dass es Frieden zwischen Juden, Christen, Muslimen und anderen gegeben kann (und wird!), wenn jede Form von Rassismus und Antisemitismus und damit auch der rassistische Zionismus eines Tages überwunden werden. Noch lässt Deutschland das nicht zu. Aber was wird morgen sein?
Schlussbetrachtung: Einstmals waren Römer die brutalsten Feinde und Mörder der Christen. Heute ist der Sitz der größten christlichen Konfession in Rom. Wir haben miterlebt, wie eine durch und durch der brutalsten Form des Zionismus Treue schwörende Bundesregierung die heiligste Moschee der Schiiten in Nordeuropa, das Islamische Zentrum Hamburg, geschlossen, alle ihre Bücher verboten und das gesamte Eigentum konfisziert hat. Mal sehen was eines Tages aus Hamburg wird.
Fußnoten:
[1] https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/voelkerverstaendigung-verfassung-rechtsprechung-bremen-bayern-vereinsverbot-hamas
[2] http://www.eslam.de/begriffe/m/moscheeverbote_in_deutschland.htm
[3] http://www.eslam.de/begriffe/i/islamisches_zentrum_hamburg.htm
[4] http://www.eslam.de/begriffe/v/verbotene...deutschland.htm
[5] http://www.eslam.de/begriffe/v/verbotene_buecher_der_schia_in_deutschland.htm
[6] https://www.nachdenkseiten.de/?p=110257
[7] https://en.wikipedia.org/wiki/Yitzhak_Yosef
[8] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/deutsche-nahost-vermittlung-vertrauen-sachverstand-und-viel-geduld-1144221.html
[9] https://www.youtube.com/watch?v=zn-cilx8fx4&ab_channel=Actuarium
[10] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundesregierung-iran-100.html
[11] http://www.eslam.de/begriffe/d/die_ethnische_saeuberung_palaestinas.htm
Erstveröffentlichung am 30. Oktober 2024 bei Muslim-Markt
Online-Flyer Nr. 839 vom 20.11.2024
Aushebelung rechtstaatlicher Prinzipien
Deutsche Staatsräson und der Gedanke der Völkerverständigung
Von Yavuz Özoguz
Deutschland ist einmalig, nicht nur bei dem rekordverdächtigen Abschwung einer florierenden Wirtschaft und der extrem einseitigen Unterstützung des zionistischen Kolonialprojektes, Deutschland ist auch einmalig in der Aushebelung vieler rechtstaatlicher Prinzipien wie Gewaltenteilung und Unschuldsvermutung; zumindest unter Staaten, die von sich behaupten rechtstaatlich zu sein. Das Schlüsselelement für die Aushebelung der Rechtstaatlichkeit heißt: Verstoß gegen den Gedanken der Völkerverständigung.
In Deutschland kann ein Innenminister im Rahmen von Verwaltungsmaßnahmen gegen Einzelpersonen oder Organisationen vorgehen, wenn diese Handlungen begangen haben sollen, die gegen den „Gedanken der Völkerverständigung“ verstoßen – auch wenn diese Handlungen überhaupt nicht den Tatbestand einer Straftat erfüllen. Dies beruht auf der Annahme, dass solche Maßnahmen präventiv wirken und den öffentlichen Frieden sichern sollen, was beispielsweise durch Vereins- und Versammlungsverbote oder Einreiseverbote erreicht werden kann. Die Rechtsgrundlage dafür bietet das Grundgesetz, insbesondere Art. 9 Abs. 2, wonach Vereine verboten werden können, „deren Zwecke oder deren Tätigkeit den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder die sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder den Gedanken der Völkerverständigung richten.“
Kritiker sehen in solchen Maßnahmen eine potenzielle Einschränkung rechtsstaatlicher Prinzipien, da präventive Eingriffe bis hin zu faktischen Strafmaßnahmen ohne Straftatbestände erfolgen können. Dies weckt Bedenken hinsichtlich der Verhältnismäßigkeit und des Rechtsschutzes für die Betroffenen, insbesondere, weil diese Maßnahmen ohne richterlichen Beschluss möglich und somit den üblichen strafrechtlichen Schutzmechanismen entzogen sind. Befürworter argumentieren, dass solche Eingriffe notwendig seien, um öffentliche Ordnung und Sicherheit zu gewährleisten, vor allem in Fällen, in denen die öffentliche Sicherheit durch radikale oder extremistische Gruppierungen gefährdet werde. Die präventive Natur solcher Maßnahmen solle helfen, Gefahren frühzeitig abzuwehren, bevor sie eskalieren. Normalerweise sind solche Maßnahmen nur in tyrannischen Systemen möglich und Deutschland hat diesbezüglich auch eine Einmaligkeit in Europa.
Auch die weisungsgebundene Behörde des Verfassungsschutzes ist einmalig in der Westlichen Welt. Die meisten Geheimdienste außerhalb Deutschlands sind gesetzlich daran gehindert, Namen oder spezifische Organisationen öffentlich als „beobachtungswürdig“ darzustellen und sie damit zu stigmatisieren, solange keine gerichtliche Überprüfung oder Anklage vorliegt. Die deutsche Praxis der jährlichen Verfassungsschutzberichte ist daher einzigartig und hat auch in Deutschland Kontroversen ausgelöst, da sie mit einer potenziellen Stigmatisierung einhergeht, ohne dass eine gerichtliche Grundlage notwendig ist. In anderen Ländern wird hier eine stärkere Trennung zwischen nachrichtendienstlicher Arbeit und öffentlicher Kommunikation gezogen, um zu verhindern, dass Menschen und Organisationen ohne gerichtliches Verfahren diffamiert werden.
Tatsache ist, dass viele Maßnahmen, die aufgrund von Übergriffen der Verfassungsschutzbehörden erfolgen, ohne richterlichen Beschluss erfolgen. Sie erfolgen, ohne dass eine Straftat vorliegt. Und die Betroffenen, faktisch Bestraften, müssen klagen, um ihre Unschuld zu beweisen, was wiederum dem Prinzip der Unschuldsvermutung widerspricht.
Das Bundesverwaltungsgericht (BVerwG) erklärte im Leitsatz seines Urteils vom 3. Dezember 2004 (Az. 6 A 10/02): „Ein Verein richtet sich gegen den Gedanken der Völkerverständigung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 VereinsG i. V. m. Art. 9 Abs. 2 GG, wenn er durch finanzielle Zuwendungen über einen langen Zeitraum und in beträchtlichem Umfang eine Gruppierung unterstützt, die Gewalt in das Verhältnis von Völkern hineinträgt, und wenn die dadurch eintretende Beeinträchtigung des friedlichen Miteinanders der Völker von einem entsprechenden Willen des Vereins getragen ist.“ [1] Die praktische Auswirkung jener Gesetzeslage ist ein faktisches Religionsverbot der Schia in Deutschland, was wiederum große grundrechtliche Probleme aufwirft. In Deutschland sind über ein Dutzend Moscheen mit dieser Handhabe verboten worden [2], darunter sechs der wichtigsten schiitischen Moscheen. Das wichtigste Zentrum der Schiiten in Europa, das Islamische Zentrum Hamburg, ist ebenfalls verboten worden [3]. Und in der Folge sind zahlreiche Bücher der Schia, die zumeist gar keinen politischen Inhalt hatten, ebenfalls verboten worden [4].
Untersucht man die wahren Hintergründe dieser Verbote, hängen sie letztendlich fast alle mit Israel und ihren Lobbygruppen in Deutschland zusammen, die die Schließung verlangt haben. Daher stellt sich bis heute die Frage bezüglich „Gedanken der Völkerverständigung“ im direkten Zusammenhang mit der Gründungsgeschichte Israels und inwieweit hier eine halbwegs gleichwertige Beurteilung zwischen Kritikern des Zionismus und Befürwortern erfolgt.
In Deutschland gilt die Staatsgründung Israels trotz der damit verbundenen Massenmorde, Vertreibungen, Enteignungen und vielen anderen Verbrechen, die unter dem Begriff Nakba [5] zusammengefasst werden, als sehr förderlich für den Gedanken der Völkerverständigung aber die Kritik daran als antisemitisch und damit gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet. Das hat teilweise bis heute sehr kuriose Auswirkungen. Die Parole „From the River to the see, Palestine will be free“ [6] wird in den meisten Bundesländern als Negation des Existenzrecht Israels betrachtet und sei somit gegen den Gedanken der Völkerverständigung gerichtet. Hingegen ist die Regierungspolitik Israels, getragen von einer breiten Mehrheit der israelischen Gesellschaft, dass es zwischen Fluss und Meer niemals einen palästinensischen Staat geben darf, aus deutscher Sicht für den Gedanken der Völkerverständigung akzeptabel. Vereine und Vereinigungen bis hin zum Zentralrat der Juden in Deutschland, die sich offen hinter solch eine Regierungspolitik stellen und die Anerkennung Palästinas als Staat in Deutschland verhindern, gelten als förderungswürdig. Juden hingegen, die sich dagegenstellen, werden kurioserweise als Antisemiten gebrandmarkt.
Über 80 Jahre Besatzung stellen kein Problem für den Gedanken der Völkerverständigung dar, aber der Widerstand der Besetzten schon. Der Einsatz für das Selbstverteidigungsrecht Israels als Besatzer, auch mit Waffengewalt, gegen die Besetzten ist im Rahmen des Gedankens der Völkerverständigung unproblematisch. Aber der Einsatz für ein Selbstverteidigungsrecht der besetzen Palästinenser widerspricht dem Gedanken der Völkerverständigung. Diejenigen, die das zu effektiv tun, werden einfach verboten. Die Rechtfertigung der Gedanken von Groß-Israel gilt als legitim. Aber der Widerstand dagegen, selbst wenn er nur verbal ist, gilt als antisemitisch. Wenn Juden in Deutschland sich offen dazu bekennen Rabbi Yitzhak Yosef, den bis vor Kurzem sephardischer Oberrabbiner in Israel, zu ehren, der verlangt, dass Nichtjuden in dem von Israel beanspruchten Gebieten nicht leben sollten (also auch nicht im Gaza-Streifen oder Westjordanland), dann gehört das zur Meinungsfreiheit [7]. Verurteilt jemand diese extreme Form des Rassismus, so ist er Antisemit und verstößt gegen den Gedanken der Völkerverständigung.
Nie zuvor war Deutschland so extrem von zionistischen Interessen durchdrungen wie heute. Deutschland steht als einziges Land an der Seite Israels vor dem Internationalen Gerichtshof (ICJ) im Rahmen eines Falles, der von Südafrika eingebracht wurde und Israel des Völkermords in Gaza beschuldigt. Deutschland erklärte, dass es die Anschuldigungen des Völkermords gegen Israel für unbegründet hält und sich als Drittpartei in die Verfahren einbringt, um seine Interpretation der Genozidkonvention darzulegen. Nicht einmal die USA – der engste Verbündete Israels – hat das getan. Prompt hat sich Deutschland eine eigene Klage wegen Unterstützung des Völkermordes eingefangen. Deutschland agiert getrieben von zionistischen Interessen gegen eigene Interessen. Das Ansehen Deutschlands ist in der Welt auf einen Tiefpunkt gesunken. Deutsche Außenminister landen mit ihren Maschinen in fremden Ländern und werden von niemandem empfangen. Solche Demütigungen wären früher undenkbar, wenn Deutschland sich nicht so klar gegen den Iran, gegen Syrien, gegen den Jemen, gegen den nicht-kurdischen Teil des Irak, gegen Schiiten, gegen Russland, gegen China, gegen Palästina, gegen Venezuela, gegen … gegen … gegen … positioniert hätte.
In Zeiten eines Kanzleramtsminister Schmidbauer und später Geheimdienstkoordinator Uhrlau spielte Deutschland eine besondere Rolle bei der Vermittlung zwischen Gegnern in der Region West-Asien. Es ist unter anderem Schmidbauer und später Urlau zu verdanken, dass es zu einem Gefangenenaustausch zwischen Israel und der Hisbollah kam. Die FAZ titelte im Jahr 2004: „Deutsche Nahost-Vermittlung: Vertrauen, Sachverstand und viel Geduld“ [8]. Lange ist es her, dass Deutschland jenes Vertrauen auf allen Seiten genoss. Heute wird Deutschland nur noch als Wurmfortsatz USraelischer Hegemonialpolitik wahrgenommen und von niemandem mehr ernst genommen, nicht einmal von den eigenen Verbündeten. Das Fatale daran ist, dass die eigene Führungselite einschließlich großer Teile der Opposition, das in ihrer Parallelgesellschaft von Politikern und Hofberichterstattern gar nicht wahrnehmen!
Diese völlige Degradierung zur politischen Bedeutungslosigkeit hat auch mit dem Verhalten Deutschlands gegenüber echten und vermeintlichen Verbrechen zu tun. Im Iran ist vor wenigen Tagen ein Mann, der auch einen deutschen Pass besaß, wegen mörderischem Terrorismus zum Tode verurteilt und gehängt worden. An der terroristischen Beteiligung jener Person gibt es meiner Ansicht nach keine Zweifel, da die Beweise für jeden ersichtlich von dem Verurteilten selbst ins Internet gestellt worden sind [9], als er noch die Hoffnung hatte, einen Umsturz im Iran erzielen zu können. Auch gibt es keinen Zweifel daran, dass ein Gerichtsverfahren stattgefunden hat. Aus deutscher Sicht mag das Gerichtsverfahren nicht fair gewesen sein und man ist hier ohnehin gegen die Todesstrafe aus prinzipiellen Gründen, aber rechtfertigt das, dass die Politik im Zusammenhang mit der Hofberichterstattung eine Staatsaffäre daraus macht, die kurz vor dem Abbruch diplomatischer Beziehungen steht? [10] Die Welt – und vor allem die absolute Mehrheit der Nicht-Westlichen Welt – schaut auf solche Maßnahmen im Vergleich zu anderen Maßnahmen. Denn währenddessen sind unzählige völlig unschuldige Palästinenser, vor allem Frauen und Kinder, auch mit Deutschem Pass in Gaza massakriert worden, ohne dass Deutschland sich dazu auch nur geäußert hätte.
Deutsche Diplomatie gibt es nicht mehr, sondern nur noch das lächerliche Beiboot-Dasein bei der US-geführten Kanonenboot-Diplomatie der imperialistischen Welt, von der sich immer mehr Staaten abwenden! Für ein Exportland wie Deutschland ist das ein wirtschaftliches Todesurteil.
Der Gedanke der Völkerverständigung – abgekoppelt davon, wie er in Deutschland politisch missbraucht wird – ist ein schöner Gedanke. Doch Völkerverständigung ist nur auf Augenhöhe möglich. Völkerverständigung ist niemals möglich, wenn sich ein Volk höher stellt als andere und seine eigenen Interessen allen anderen aufzwingen will. Völkerverständigung – um es an einem konkreten Beispiel zu verdeutlichen – ist nicht möglich, wenn Deutschland dem Rest der Welt aufzwingen will, dass es 70 Geschlechter gäbe, weil das die Menschenrechte nach deutscher Lesart erforderlich machen würden. Völkerverständigung ist nicht möglich, wenn Israel alles darf und die von Israel unterdrückten Völker nicht einmal versehentlich in Richtung Israel husten dürfen, ohne verboten zu werden. Völkerverständigung ist nicht möglich, wenn der westlich-imperialistische Block darauf besteht, seine Hegemonie auszubauen und die dafür erforderlichen Finanzmittel unbegrenzt drucken kann, während im ausgebeuteten Teil der Welt Menschen an Hunger sterben. Eine selbsternannte Führungsmacht widerspricht der Völkerverständigung wie auch die Gründungsgeschichte Israels, die nie aufgearbeitet wurde; ganz im Gegenteil: Die Erinnerung an die Nakba und damit die ethnische Säuberung Palästinas [11] ist in Israel gesetzlich durch das so genannte Nakba-Gesetzt faktisch verboten worden.
Das alles ist keine Völkerverständigung, sondern eine brutale Form der Unterdrückung von Wahrheit, Gerechtigkeit, Freiheit, Meinungsfreiheit und Menschlichkeit. Es sind die erwartungsgemäßen Folgen eines zunehmend brutaleren imperialistischen Kapitalismus, der seinen Höhepunkt schon lange hinter sich gelassen hat und im Untergang befindlich ist. Deutschland hat sich an diesen Untergang gekoppelt, ohne einen Ausweg zuzulassen. Dabei befindet sich der Ausweg bereits im Land. Die zunehmende eigene muslimische Bevölkerung könnte eine Brücke schlagen, wenn sie nicht dermaßen unterdrückt werden würde. Deutsche Muslime könnten vorleben, dass es Frieden zwischen Juden, Christen, Muslimen und anderen gegeben kann (und wird!), wenn jede Form von Rassismus und Antisemitismus und damit auch der rassistische Zionismus eines Tages überwunden werden. Noch lässt Deutschland das nicht zu. Aber was wird morgen sein?
Schlussbetrachtung: Einstmals waren Römer die brutalsten Feinde und Mörder der Christen. Heute ist der Sitz der größten christlichen Konfession in Rom. Wir haben miterlebt, wie eine durch und durch der brutalsten Form des Zionismus Treue schwörende Bundesregierung die heiligste Moschee der Schiiten in Nordeuropa, das Islamische Zentrum Hamburg, geschlossen, alle ihre Bücher verboten und das gesamte Eigentum konfisziert hat. Mal sehen was eines Tages aus Hamburg wird.
Fußnoten:
[1] https://www.lto.de/recht/feuilleton/f/voelkerverstaendigung-verfassung-rechtsprechung-bremen-bayern-vereinsverbot-hamas
[2] http://www.eslam.de/begriffe/m/moscheeverbote_in_deutschland.htm
[3] http://www.eslam.de/begriffe/i/islamisches_zentrum_hamburg.htm
[4] http://www.eslam.de/begriffe/v/verbotene...deutschland.htm
[5] http://www.eslam.de/begriffe/v/verbotene_buecher_der_schia_in_deutschland.htm
[6] https://www.nachdenkseiten.de/?p=110257
[7] https://en.wikipedia.org/wiki/Yitzhak_Yosef
[8] https://www.faz.net/aktuell/politik/ausland/deutsche-nahost-vermittlung-vertrauen-sachverstand-und-viel-geduld-1144221.html
[9] https://www.youtube.com/watch?v=zn-cilx8fx4&ab_channel=Actuarium
[10] https://www.tagesschau.de/inland/innenpolitik/bundesregierung-iran-100.html
[11] http://www.eslam.de/begriffe/d/die_ethnische_saeuberung_palaestinas.htm
Erstveröffentlichung am 30. Oktober 2024 bei Muslim-Markt
Online-Flyer Nr. 839 vom 20.11.2024