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Kultur und Wissen
Hoffnungsvolle Gedanken
Jugend Weg in Zukunft ebnen
Von Rudolf Hänsel
Als junger Pädagoge und Psychologe verfasste ich für mir anvertraute Lehreramts-Studenten einen Artikel mit dem Titel „Ich glaube an die Jugend“: „Kinder und Jugendliche stehen im Laufe ihrer Entwicklung vor vielfältigen Anforderungen, die sie in der Regel gut bewältigen. Dabei sind Heranwachsende jedoch auf die Einbettung in eine haltgebende Umwelt als Lebenswelt und eine einbindende Kultur angewiesen. Halt und Orientierung erfahren sie, wenn die in der Familie gelegten Werthaltungen und Tugenden in den gesellschaftlichen Institutionen wie Kindergarten, Schule und Universität verstärkt und konsequent durchgesetzt werden. Zu nennen sind unter anderem Mitmenschlichkeit, Friedensfähigkeit, Gemeinschaftssinn, Konflikt- und Kompromissfähigkeit. Damit sich soziale Werthaltungen und Tugenden in den Heranwachsenden festigen, sind praktische Teilnahme an sozialen Aktivitäten, Lern- und Einsichtsfähigkeit sowie die Bereitschaft zur Veränderung von Einstellungen und Verhaltensweisen unerlässlich. Oft fehlt jungen Menschen nur etwas Besonnenheit und Ausdauer, damit sie in kleinen Schritten ihre Kompetenzen entwickeln können.“ (1)
Einige Jahrzehnte später ändere ich aufgrund langer Berufs- und Lebenserfahrung meine ehemalige Einschätzung etwas ab. Zwar glaube ich nach wie vor an die Jugend, doch sehe ich die Vorbildrolle der Erwachsenen, die in der Familie gelegten Werthaltungen sowie die gesellschaftlichen Werte inzwischen kritisch. Ebnen sie der Jugend denn den Weg in eine lebenswerte Zukunft?
Beginnen wir mit dem gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft. Meines Erachtens bietet sie den Heranwachsenden nicht den für eine gesunde Entwicklung nötigen Halt. Sie ist geprägt durch divergierende Werte und eine Kultur der Gewalt, die zu Macht- und Herrschaftsstreben führen kann. Es besteht kein Zweifel, dass die Einstellungen und Gefühle der Heranwachsenden als Spiegelbild dieser gesellschaftlichen Werte und Tugenden angesehen werden können.
In einem Artikel zur „Psychologie der Gewalt“ schreibt der Psychologe und Psychotherapeut Friedrich Liebling: „Der Weg des Einzelnen in der gewalttätigen Kultur gerät unweigerlich in den Einflußbereich des Macht- und Herrschaftsstrebens. Alle Vorbilder und Ideale, unter denen das Kind unserer Kulturkreise aufwächst, sind vom Machtwillen gefärbt. Der Drang des Menschen nach Selbstvervollkommnung nimmt so unwillkürlich die Leitlinie der Machtgier an: groß sein, mächtig sein wird zum Ziel, das sich die Schwäche setzt, um stark zu werden. Das Blendwerk der Gewalt ergreift von der Seele des Einzelnen Besitz zu einem Zeitpunkt bereits, wo er noch weder über bewußte Einsicht, noch über ein ausgebildetes Gerechtigkeitsgefühl verfügt. (…).“ (2)
Egoistisches Streben über den Mitmenschen nimmt auch dann weiter zu, wenn Jugendliche nicht gehört und ernstgenommen werden.
Viele Heranwachsende seien besorgter denn je, heißt es in einer Jugend-Studie, weil die Vielzahl von Krisen und Problemen wie Kriege, Migrationsdynamik, Energieknappheit, Inflation oder Klimawandel sie belasten und verunsichern (3).
So beklagt ein 16-Jähriger: „Unsere Probleme werden einfach nicht gesehen von der Politik. Jedes Mal, wenn ich Nachrichten auf dem Handy lese, ist das frustrierend. (….). Keine Ahnung, wie mein Leben in 20 Jahren aussieht. Wir haben keinen Plan, wie unsere Welt dann noch aussehen wird.“ (4)
Die repräsentative Umfrage offenbart die Sorgen der Jugend wegen der wirtschaftlichen Zukunft und sie dokumentiert eine tiefsitzende mentale Verunsicherung und einen Verlust des Vertrauens in die Beeinflussbarkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen. Trotzdem haben viele Jugendlichen ihre optimistische Grundhaltung und ihre Alltagszufriedenheit nicht verloren, heißt es in der Studie.
Eine weitere Ursache für den von der älteren Generation beklagten Mangel an Empathie-Fähigkeit (5) ist die Abhängigkeit vieler Jugendlicher von Gewaltvideospielen, so genannten Killerspielen: „Killerspiele und andere Formen von Mediengewalt machen unsere Kinder aggressiver. Ihre Fähigkeit zu Mitgefühl, Solidarität und Friedensfähigkeit leidet. Wem das Töten im Computer nicht ausreicht, greift zu echten Waffen und zieht in den Krieg – gegen Mitschüler und Lehrer zuerst. Warum werden Killerspiele trotz dieser Fakten immer wieder verharmlost? Tatsache ist, dass viele Medienkonzerne Teil des militärisch-industriellen Komplexes sind. Sie verherrlichen den Krieg, betreiben Geschichtsfälschung, hetzen unsere Jugend gegen „Schurkenstaaten“ und „Feinde“ auf – und erzielen Milliardengewinne.“ (6) Wir Eltern sowie alle anderen Erwachsenen und die Videospielindustrie ermöglichen dies.
Auch die Abhängigkeit von Mobiltelefonen oder Handys ist kontraproduktiv und die Erwachsenen sind kein Vorbild, auch wenn sie immer wieder über die Jugend und deren Begeisterung klagen. Ohne dieses Gerät verlassen sie nicht das Haus, um bei jeder denkbaren Gelegenheit von ihnen Gebrauch machen zu können.
Kommen wir zu den Werthaltungen in Familie, Schule und Universität. Da der Charakter des Menschen nicht angeboren ist, sondern sich Schritt für Schritt in der Erziehung entwickelt, ist das Kind abhängig von ihr. Alle seelischen Eigenschaften entwickeln sich im Erlebnis der familiären, schulischen und gesellschaftlichen Umwelt, in der sich das Kind befindet. In der Beziehung zu den Erziehern nimmt sein Charakter jene Wesenszüge an, die sich im Laufe der Entwicklung als soziale oder asoziale Eigenschaften erweisen.
Deshalb sollten Erzieher psychologische Erziehungsmethoden anwenden und der Jugend von Anfang an Werte vermitteln, die dem Heute entsprechen und die auch im Erwachsenenalter noch Gültigkeit haben.
Psychologische Erziehungsmethoden verzichten auf übertriebene Autorität und Gewaltanwendung und passen sich verständnisvoll dem kindlichen Seelenleben an. Nur so können Menschen herangebildet werden, die gegen die Verstrickungen des Machtwahns gefeit sind, keine „Untertanen-Mentalität“ mehr besitzen und damit für die Machthaber dieser Welt kein gefügiges Werkzeug mehr sein werden.
Sodann werden in den Familien nur selten Werte und Tugenden wie Mitmenschlichkeit, Friedensfähigkeit, Gemeinschaftssinn, Konflikt- und Kompromissfähigkeit gelegt, die im Kindergarten, in der Schule und Universität verstärkt und konsequent durchgesetzt werden. Eine intensive Ausbildung des Gemeinschaftssinnes oder -gefühls würde die Grundlage für mannigfaltige und reichhaltige soziale Beziehungen schaffen.
Das Gegenteil von “Gemeinschaftsgefühl“ sind Herrschsucht und Machtstreben. Um dieses Problem zu verstehen, müsste man den Menschen mit seiner Gefühlswelt und seinen Reaktionsweisen kennenlernen, wie er heranwächst, wie er die Welt sieht und was in ihm vorgeht. Dann können wir auch seine Taten einschätzen.
Abschließend noch ein Wort zur politischen Bildung. Wenn die ältere Generation einen Mangel bei der Jugend beklagt, dass diese sich nicht aktiv für eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen einsetzt, übersieht sie geflissentlich das eigene fehlende Engagement. Die ältere Generation sollte der Jugend doch den Weg in eine friedliche Zukunft ebnen. Doch davon ist sie im Moment noch weit entfernt. Doch was heute noch nicht ist, kann ja vielleicht in Zukunft werden.
Literatur
(1) Hänsel, Rudolf (1984). Ich glaube an die Jugend! Persönliches Manuskript.
(2) Polybios (1954). Psychologie der Gewalt. Über die Rolle der Macht im Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft. In: BEFREIUNG. Zeitschrift für kritisches Denken, 2. Jahrgang Nr. 7, 1. Juli 1954, S. 201
(3) https://www.dfl-stiftung,de/sinus-jugendstudie-2024-wie-ticken-jugendliche/
(4) A. a. O.
(5) https://www.focus.de/familie/psychiater-sehr-sehr-besorgt-kindern-von-heute-fehlt-eine-wichtige-faehigkeit_id_260184350-html
(6) Hänsel, Rudolf (2011). Game over! Wie Killerspiele unsere Jugend manipulieren. Berlin. Buchdeckel Rückseite.
English version:
Hopeful Thoughts
Paving the way for young people in the future
By Rudolf Hänsel
As a young educationalist and psychologist, I wrote an article entitled ‘I believe in youth’ for student teachers entrusted to my care: ‘In the course of their development, children and adolescents face a variety of challenges, which they generally cope with well. However, adolescents are dependent on being embedded in a supportive environment and an inclusive culture. They experience support and orientation when the values and virtues laid down in the family are reinforced and consistently enforced in social institutions such as kindergarten, school and university. These include humanity, the ability to live in peace, a sense of community and the ability to deal with conflict and compromise. Practical participation in social activities, the ability to learn and gain insight as well as the willingness to change attitudes and behaviour are essential in order to consolidate social values and virtues in young people. Young people often only need a little prudence and perseverance to develop their skills in small steps.’ (1)
A few decades later, I have changed my former assessment somewhat due to my long professional and life experience. Although I still believe in young people, I now take a critical view of the role of adults as role models, the values instilled in the family and social values. Are they paving the way for a future worth living for young people?
Let's start with the current state of society. In my opinion, it does not offer young people the support they need for healthy development. It is characterised by divergent values and a culture of violence that can lead to a desire for power and domination. There is no doubt that the attitudes and feelings of adolescents can be seen as a reflection of these social values and virtues.
The psychologist and psychotherapist Friedrich Liebling writes about this in the article ‘Psychology of Violence’: ‘The path of the individual in a violent culture inevitably comes under the influence of the striving for power and domination. All role models and ideals under which the child of our culture grows up are coloured by the will to power. The human urge for self-improvement thus involuntarily takes on the guiding principle of the lust for power: to be great, to be powerful becomes the goal that weakness sets itself in order to become strong. The dazzling work of violence takes possession of the soul of the individual at a time when he still has neither conscious insight nor a developed sense of justice. (...).’ (2)
Self-centred aspirations above others continue to increase even if young people are not listened to and taken seriously. Many adolescents are more worried than ever, according to a youth study, because the multitude of crises and problems such as wars, migration dynamics, energy shortages, inflation and climate change are stressing and unsettling them (3).
One 16-year-old complains: ‘Our problems are simply not seen by politicians. Every time I read the news on my mobile phone, it's frustrating. (....). I have no idea what my life will look like in 20 years. We have no plan for what our world will look like then.’ (4)
The representative survey reveals young people's concerns about the economic future and documents a deep-seated mental insecurity and a loss of confidence in the ability to influence personal and social living conditions. Nevertheless, many young people have not lost their optimistic attitude and their everyday satisfaction, according to the study.
Another reason for the lack of empathy lamented by the older generation (5) is the addiction of many young people to violent video games, so-called killer games: ‘Killer games and other forms of media violence are making our children more aggressive. Their capacity for compassion, solidarity and peace suffers. Those for whom killing on the computer is not enough will take up real weapons and go to war - against fellow pupils and teachers first. Why are killer games repeatedly trivialised despite these facts? The fact is that many media companies are part of the military-industrial complex. They glorify war, falsify history, incite our youth against ‘rogue states’ and ‘enemies’ - and make billions in profits.’ (6)
We parents, as well as all other adults and the video game industry, make this possible.
Dependence on mobile phones is also counterproductive and adults are not role models, even if they are always complaining about young people and their enthusiasm. They don't leave the house without these devices so that they can use them at every conceivable opportunity.
Let's move on to values in the family, school and university. Since a person's character is not innate, but develops step by step through education, the child is dependent on it. All mental characteristics develop in the experience of the family, school and social environment in which the child finds itself. In the relationship with the educators, his character takes on those traits that prove to be social or asocial characteristics in the course of development.
For this reason, educators should apply psychological education methods and teach young people values from the outset that correspond to the present day and are still valid in adulthood.
Psychological educational methods dispense with exaggerated authority and the use of force and adapt to the child's emotional life with understanding. Only in this way can people be educated who are immune to the entanglements of power mania, who no longer have a ‘subject mentality’ and are therefore no longer a submissive tool for the rulers of this world.
Secondly, families rarely instil values and virtues such as humanity, the ability to live in peace, a sense of community and the ability to deal with conflict and compromise, which are reinforced and consistently enforced in kindergarten, school and university. Intensive training in a sense of community would create the basis for diverse and rich social relationships.
The opposite of a ‘sense of community’ is domineering behaviour and a desire for power. In order to understand this problem, we need to get to know people and their emotions and reactions, how they grow up, how they see the world and what is going on inside them. Then we can also assess their actions.
Finally, a word about political education. When the older generation complains that young people are not actively committed to a future worth living for all people, they are deliberately overlooking their own lack of commitment. The older generation should be paving the way for a peaceful future for young people. But at the moment they are still a long way from achieving this. But what is not yet possible today can perhaps become possible in the future.
Literature
(1) Hänsel, Rudolf (1984). I believe in youth! Personal manuscript.
(2) Polybios (1954). Psychology of violence. On the role of power in the life of the individual and the community. In: BEFREIUNG. Journal for Critical Thinking, 2nd year no. 7, 1 July 1954, p. 201
(3) https://www.dfl-stiftung,de/sinus-jugendstudie-2024-wie-ticken-jugendliche/
(4) A. a. O.
(5) https://www.focus.de/familie/psychiater-sehr-sehr-besorgt-kindern-von-heute-fehlt-eine-wichtige-faehigkeit_id_260184350-html
(6) Hänsel, Rudolf (2011). Game over! How killer games manipulate our youth. Berlin. Back cover of the book.
Dr. Rudolf Lothar Hänsel ist Schul-Rektor, Erziehungswissenschaftler und Diplom-Psychologe. Nach seinen Universitätsstudien wurde er wissenschaftlicher Lehrer in der Erwachsenenbildung. Als Pensionär arbeitete er als Psychotherapeut in eigener Praxis. In seinen Büchern und Fachartikeln fordert er eine bewusste ethisch-moralische Werte-Erziehung sowie eine Erziehung zu Gemeinsinn und Frieden. Für seine Verdienste um Serbien bekam er 2021 von den Universitäten Belgrad und Novi Sad den Republik-Preis „Kapitän Misa Anastasijevic“ verliehen.
Dr Rudolf Lothar Hänsel is a school rector, educational scientist and psychologist. After his university studies, he became an academic teacher in adult education. As a pensioner, he worked as a psychotherapist in his own practice. In his books and specialist articles, he calls for a conscious ethical and moral values education as well as an education for public spirit and peace. In 2021, he was awarded the Republic Prize ‘Captain Misa Anastasijevic’ by the Universities of Belgrade and Novi Sad for his services to Serbia.
Online-Flyer Nr. 840 vom 14.12.2024
Hoffnungsvolle Gedanken
Jugend Weg in Zukunft ebnen
Von Rudolf Hänsel
Als junger Pädagoge und Psychologe verfasste ich für mir anvertraute Lehreramts-Studenten einen Artikel mit dem Titel „Ich glaube an die Jugend“: „Kinder und Jugendliche stehen im Laufe ihrer Entwicklung vor vielfältigen Anforderungen, die sie in der Regel gut bewältigen. Dabei sind Heranwachsende jedoch auf die Einbettung in eine haltgebende Umwelt als Lebenswelt und eine einbindende Kultur angewiesen. Halt und Orientierung erfahren sie, wenn die in der Familie gelegten Werthaltungen und Tugenden in den gesellschaftlichen Institutionen wie Kindergarten, Schule und Universität verstärkt und konsequent durchgesetzt werden. Zu nennen sind unter anderem Mitmenschlichkeit, Friedensfähigkeit, Gemeinschaftssinn, Konflikt- und Kompromissfähigkeit. Damit sich soziale Werthaltungen und Tugenden in den Heranwachsenden festigen, sind praktische Teilnahme an sozialen Aktivitäten, Lern- und Einsichtsfähigkeit sowie die Bereitschaft zur Veränderung von Einstellungen und Verhaltensweisen unerlässlich. Oft fehlt jungen Menschen nur etwas Besonnenheit und Ausdauer, damit sie in kleinen Schritten ihre Kompetenzen entwickeln können.“ (1)
Einige Jahrzehnte später ändere ich aufgrund langer Berufs- und Lebenserfahrung meine ehemalige Einschätzung etwas ab. Zwar glaube ich nach wie vor an die Jugend, doch sehe ich die Vorbildrolle der Erwachsenen, die in der Familie gelegten Werthaltungen sowie die gesellschaftlichen Werte inzwischen kritisch. Ebnen sie der Jugend denn den Weg in eine lebenswerte Zukunft?
Beginnen wir mit dem gegenwärtigen Zustand der Gesellschaft. Meines Erachtens bietet sie den Heranwachsenden nicht den für eine gesunde Entwicklung nötigen Halt. Sie ist geprägt durch divergierende Werte und eine Kultur der Gewalt, die zu Macht- und Herrschaftsstreben führen kann. Es besteht kein Zweifel, dass die Einstellungen und Gefühle der Heranwachsenden als Spiegelbild dieser gesellschaftlichen Werte und Tugenden angesehen werden können.
In einem Artikel zur „Psychologie der Gewalt“ schreibt der Psychologe und Psychotherapeut Friedrich Liebling: „Der Weg des Einzelnen in der gewalttätigen Kultur gerät unweigerlich in den Einflußbereich des Macht- und Herrschaftsstrebens. Alle Vorbilder und Ideale, unter denen das Kind unserer Kulturkreise aufwächst, sind vom Machtwillen gefärbt. Der Drang des Menschen nach Selbstvervollkommnung nimmt so unwillkürlich die Leitlinie der Machtgier an: groß sein, mächtig sein wird zum Ziel, das sich die Schwäche setzt, um stark zu werden. Das Blendwerk der Gewalt ergreift von der Seele des Einzelnen Besitz zu einem Zeitpunkt bereits, wo er noch weder über bewußte Einsicht, noch über ein ausgebildetes Gerechtigkeitsgefühl verfügt. (…).“ (2)
Egoistisches Streben über den Mitmenschen nimmt auch dann weiter zu, wenn Jugendliche nicht gehört und ernstgenommen werden.
Viele Heranwachsende seien besorgter denn je, heißt es in einer Jugend-Studie, weil die Vielzahl von Krisen und Problemen wie Kriege, Migrationsdynamik, Energieknappheit, Inflation oder Klimawandel sie belasten und verunsichern (3).
So beklagt ein 16-Jähriger: „Unsere Probleme werden einfach nicht gesehen von der Politik. Jedes Mal, wenn ich Nachrichten auf dem Handy lese, ist das frustrierend. (….). Keine Ahnung, wie mein Leben in 20 Jahren aussieht. Wir haben keinen Plan, wie unsere Welt dann noch aussehen wird.“ (4)
Die repräsentative Umfrage offenbart die Sorgen der Jugend wegen der wirtschaftlichen Zukunft und sie dokumentiert eine tiefsitzende mentale Verunsicherung und einen Verlust des Vertrauens in die Beeinflussbarkeit der persönlichen und gesellschaftlichen Lebensbedingungen. Trotzdem haben viele Jugendlichen ihre optimistische Grundhaltung und ihre Alltagszufriedenheit nicht verloren, heißt es in der Studie.
Eine weitere Ursache für den von der älteren Generation beklagten Mangel an Empathie-Fähigkeit (5) ist die Abhängigkeit vieler Jugendlicher von Gewaltvideospielen, so genannten Killerspielen: „Killerspiele und andere Formen von Mediengewalt machen unsere Kinder aggressiver. Ihre Fähigkeit zu Mitgefühl, Solidarität und Friedensfähigkeit leidet. Wem das Töten im Computer nicht ausreicht, greift zu echten Waffen und zieht in den Krieg – gegen Mitschüler und Lehrer zuerst. Warum werden Killerspiele trotz dieser Fakten immer wieder verharmlost? Tatsache ist, dass viele Medienkonzerne Teil des militärisch-industriellen Komplexes sind. Sie verherrlichen den Krieg, betreiben Geschichtsfälschung, hetzen unsere Jugend gegen „Schurkenstaaten“ und „Feinde“ auf – und erzielen Milliardengewinne.“ (6) Wir Eltern sowie alle anderen Erwachsenen und die Videospielindustrie ermöglichen dies.
Auch die Abhängigkeit von Mobiltelefonen oder Handys ist kontraproduktiv und die Erwachsenen sind kein Vorbild, auch wenn sie immer wieder über die Jugend und deren Begeisterung klagen. Ohne dieses Gerät verlassen sie nicht das Haus, um bei jeder denkbaren Gelegenheit von ihnen Gebrauch machen zu können.
Kommen wir zu den Werthaltungen in Familie, Schule und Universität. Da der Charakter des Menschen nicht angeboren ist, sondern sich Schritt für Schritt in der Erziehung entwickelt, ist das Kind abhängig von ihr. Alle seelischen Eigenschaften entwickeln sich im Erlebnis der familiären, schulischen und gesellschaftlichen Umwelt, in der sich das Kind befindet. In der Beziehung zu den Erziehern nimmt sein Charakter jene Wesenszüge an, die sich im Laufe der Entwicklung als soziale oder asoziale Eigenschaften erweisen.
Deshalb sollten Erzieher psychologische Erziehungsmethoden anwenden und der Jugend von Anfang an Werte vermitteln, die dem Heute entsprechen und die auch im Erwachsenenalter noch Gültigkeit haben.
Psychologische Erziehungsmethoden verzichten auf übertriebene Autorität und Gewaltanwendung und passen sich verständnisvoll dem kindlichen Seelenleben an. Nur so können Menschen herangebildet werden, die gegen die Verstrickungen des Machtwahns gefeit sind, keine „Untertanen-Mentalität“ mehr besitzen und damit für die Machthaber dieser Welt kein gefügiges Werkzeug mehr sein werden.
Sodann werden in den Familien nur selten Werte und Tugenden wie Mitmenschlichkeit, Friedensfähigkeit, Gemeinschaftssinn, Konflikt- und Kompromissfähigkeit gelegt, die im Kindergarten, in der Schule und Universität verstärkt und konsequent durchgesetzt werden. Eine intensive Ausbildung des Gemeinschaftssinnes oder -gefühls würde die Grundlage für mannigfaltige und reichhaltige soziale Beziehungen schaffen.
Das Gegenteil von “Gemeinschaftsgefühl“ sind Herrschsucht und Machtstreben. Um dieses Problem zu verstehen, müsste man den Menschen mit seiner Gefühlswelt und seinen Reaktionsweisen kennenlernen, wie er heranwächst, wie er die Welt sieht und was in ihm vorgeht. Dann können wir auch seine Taten einschätzen.
Abschließend noch ein Wort zur politischen Bildung. Wenn die ältere Generation einen Mangel bei der Jugend beklagt, dass diese sich nicht aktiv für eine lebenswerte Zukunft für alle Menschen einsetzt, übersieht sie geflissentlich das eigene fehlende Engagement. Die ältere Generation sollte der Jugend doch den Weg in eine friedliche Zukunft ebnen. Doch davon ist sie im Moment noch weit entfernt. Doch was heute noch nicht ist, kann ja vielleicht in Zukunft werden.
Literatur
(1) Hänsel, Rudolf (1984). Ich glaube an die Jugend! Persönliches Manuskript.
(2) Polybios (1954). Psychologie der Gewalt. Über die Rolle der Macht im Leben des Einzelnen und der Gemeinschaft. In: BEFREIUNG. Zeitschrift für kritisches Denken, 2. Jahrgang Nr. 7, 1. Juli 1954, S. 201
(3) https://www.dfl-stiftung,de/sinus-jugendstudie-2024-wie-ticken-jugendliche/
(4) A. a. O.
(5) https://www.focus.de/familie/psychiater-sehr-sehr-besorgt-kindern-von-heute-fehlt-eine-wichtige-faehigkeit_id_260184350-html
(6) Hänsel, Rudolf (2011). Game over! Wie Killerspiele unsere Jugend manipulieren. Berlin. Buchdeckel Rückseite.
English version:
Hopeful Thoughts
Paving the way for young people in the future
By Rudolf Hänsel
As a young educationalist and psychologist, I wrote an article entitled ‘I believe in youth’ for student teachers entrusted to my care: ‘In the course of their development, children and adolescents face a variety of challenges, which they generally cope with well. However, adolescents are dependent on being embedded in a supportive environment and an inclusive culture. They experience support and orientation when the values and virtues laid down in the family are reinforced and consistently enforced in social institutions such as kindergarten, school and university. These include humanity, the ability to live in peace, a sense of community and the ability to deal with conflict and compromise. Practical participation in social activities, the ability to learn and gain insight as well as the willingness to change attitudes and behaviour are essential in order to consolidate social values and virtues in young people. Young people often only need a little prudence and perseverance to develop their skills in small steps.’ (1)
A few decades later, I have changed my former assessment somewhat due to my long professional and life experience. Although I still believe in young people, I now take a critical view of the role of adults as role models, the values instilled in the family and social values. Are they paving the way for a future worth living for young people?
Let's start with the current state of society. In my opinion, it does not offer young people the support they need for healthy development. It is characterised by divergent values and a culture of violence that can lead to a desire for power and domination. There is no doubt that the attitudes and feelings of adolescents can be seen as a reflection of these social values and virtues.
The psychologist and psychotherapist Friedrich Liebling writes about this in the article ‘Psychology of Violence’: ‘The path of the individual in a violent culture inevitably comes under the influence of the striving for power and domination. All role models and ideals under which the child of our culture grows up are coloured by the will to power. The human urge for self-improvement thus involuntarily takes on the guiding principle of the lust for power: to be great, to be powerful becomes the goal that weakness sets itself in order to become strong. The dazzling work of violence takes possession of the soul of the individual at a time when he still has neither conscious insight nor a developed sense of justice. (...).’ (2)
Self-centred aspirations above others continue to increase even if young people are not listened to and taken seriously. Many adolescents are more worried than ever, according to a youth study, because the multitude of crises and problems such as wars, migration dynamics, energy shortages, inflation and climate change are stressing and unsettling them (3).
One 16-year-old complains: ‘Our problems are simply not seen by politicians. Every time I read the news on my mobile phone, it's frustrating. (....). I have no idea what my life will look like in 20 years. We have no plan for what our world will look like then.’ (4)
The representative survey reveals young people's concerns about the economic future and documents a deep-seated mental insecurity and a loss of confidence in the ability to influence personal and social living conditions. Nevertheless, many young people have not lost their optimistic attitude and their everyday satisfaction, according to the study.
Another reason for the lack of empathy lamented by the older generation (5) is the addiction of many young people to violent video games, so-called killer games: ‘Killer games and other forms of media violence are making our children more aggressive. Their capacity for compassion, solidarity and peace suffers. Those for whom killing on the computer is not enough will take up real weapons and go to war - against fellow pupils and teachers first. Why are killer games repeatedly trivialised despite these facts? The fact is that many media companies are part of the military-industrial complex. They glorify war, falsify history, incite our youth against ‘rogue states’ and ‘enemies’ - and make billions in profits.’ (6)
We parents, as well as all other adults and the video game industry, make this possible.
Dependence on mobile phones is also counterproductive and adults are not role models, even if they are always complaining about young people and their enthusiasm. They don't leave the house without these devices so that they can use them at every conceivable opportunity.
Let's move on to values in the family, school and university. Since a person's character is not innate, but develops step by step through education, the child is dependent on it. All mental characteristics develop in the experience of the family, school and social environment in which the child finds itself. In the relationship with the educators, his character takes on those traits that prove to be social or asocial characteristics in the course of development.
For this reason, educators should apply psychological education methods and teach young people values from the outset that correspond to the present day and are still valid in adulthood.
Psychological educational methods dispense with exaggerated authority and the use of force and adapt to the child's emotional life with understanding. Only in this way can people be educated who are immune to the entanglements of power mania, who no longer have a ‘subject mentality’ and are therefore no longer a submissive tool for the rulers of this world.
Secondly, families rarely instil values and virtues such as humanity, the ability to live in peace, a sense of community and the ability to deal with conflict and compromise, which are reinforced and consistently enforced in kindergarten, school and university. Intensive training in a sense of community would create the basis for diverse and rich social relationships.
The opposite of a ‘sense of community’ is domineering behaviour and a desire for power. In order to understand this problem, we need to get to know people and their emotions and reactions, how they grow up, how they see the world and what is going on inside them. Then we can also assess their actions.
Finally, a word about political education. When the older generation complains that young people are not actively committed to a future worth living for all people, they are deliberately overlooking their own lack of commitment. The older generation should be paving the way for a peaceful future for young people. But at the moment they are still a long way from achieving this. But what is not yet possible today can perhaps become possible in the future.
Literature
(1) Hänsel, Rudolf (1984). I believe in youth! Personal manuscript.
(2) Polybios (1954). Psychology of violence. On the role of power in the life of the individual and the community. In: BEFREIUNG. Journal for Critical Thinking, 2nd year no. 7, 1 July 1954, p. 201
(3) https://www.dfl-stiftung,de/sinus-jugendstudie-2024-wie-ticken-jugendliche/
(4) A. a. O.
(5) https://www.focus.de/familie/psychiater-sehr-sehr-besorgt-kindern-von-heute-fehlt-eine-wichtige-faehigkeit_id_260184350-html
(6) Hänsel, Rudolf (2011). Game over! How killer games manipulate our youth. Berlin. Back cover of the book.
Dr. Rudolf Lothar Hänsel ist Schul-Rektor, Erziehungswissenschaftler und Diplom-Psychologe. Nach seinen Universitätsstudien wurde er wissenschaftlicher Lehrer in der Erwachsenenbildung. Als Pensionär arbeitete er als Psychotherapeut in eigener Praxis. In seinen Büchern und Fachartikeln fordert er eine bewusste ethisch-moralische Werte-Erziehung sowie eine Erziehung zu Gemeinsinn und Frieden. Für seine Verdienste um Serbien bekam er 2021 von den Universitäten Belgrad und Novi Sad den Republik-Preis „Kapitän Misa Anastasijevic“ verliehen.
Dr Rudolf Lothar Hänsel is a school rector, educational scientist and psychologist. After his university studies, he became an academic teacher in adult education. As a pensioner, he worked as a psychotherapist in his own practice. In his books and specialist articles, he calls for a conscious ethical and moral values education as well as an education for public spirit and peace. In 2021, he was awarded the Republic Prize ‘Captain Misa Anastasijevic’ by the Universities of Belgrade and Novi Sad for his services to Serbia.
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