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Kölner Karneval zwischen Unterhaltung und Propaganda
Alaaf unterm Hakenkreuz
Von Dr. Jürgen Müller und Marcus Leifeld

Das NS-Dokumentationszentrum der Stadt Köln zeigt seit dem 18. November bis zum 4. März 2012 eine Ausstellung zu Schein und Wirklichkeit des Kölner Karnevals in der Zeit des Nationalsozialismus. Lange Zeit war die Beschäftigung mit dem Thema Karneval, Fasching oder der Fastnacht während des Nationalsozialismus tabuisiert. Das Fest unmittelbar vor der Fastenzeit hatte – so die weitläufige Meinung – nichts mit den Nationalsozialisten zu tun oder es zeigte sich gar widerständig. An diesem Bild änderten auch einzelne kritische Abhandlungen zu Freiburg, Mainz oder auch Köln nichts. Sie wurden kaum wahrgenommen. Erst mit einem allgemeinen Generationswechsel setzte um das Jahr 2000 eine ganze Reihe von Studien ein, die neue Kenntnisse hervorbrachten und damit einen offenen und kritischen Umgang mit dem Karneval ermöglichen.


Copyright: Kölner Karnevalsmuseum
 
Erstmals bietet das NS-Dokumentationszentrum in einer Ausstellung einen differenzierten Blick auf die Entwicklungen des Kölner Karnevals von 1933 bis 1945. Der Besucher erfährt den schönen Schein einer fröhlichen feiernden Bevölkerung und er schaut sprichwörtlich hinter die Kulissen, um die Wirklichkeit hinter dem schönen Schein zu entdecken. Ganz so wie im Karneval selbst, werden dabei alle Sinne angesprochen, dem Besucher werden Tonaufnahmen (Original wie nachgesprochen) und seltene Filmsequenzen, zahlreiche Fotografien aus Privatarchiven und einzigartige Ausstellungsobjekte präsentiert. Die Ausstellung zeigt, dass sich der Karneval auf den ersten Blick kaum änderte, tatsächlich wurde er aber gleichgeschaltet und instrumentalisiert.
 
Vier Themenbereiche:
 
Thomas Liessem als Sitzungspräsident in der Lese, 1936. Er war die zentrale Persönlichkeit des Kölner Karnevals der Jahre 1933 bis 1939. In Folge der „Narrenrevolte“ im Mai 1935 wurde Thomas Liessem zum Führer des Festausschusses des Kölner Karnevals berufen. Er übernahm damit in Abstimmung mit Gauleiter Josef Grohé endgültig die Regie über den Kölner Karneval. 


Copyright: Werner Liessem 
 
Der erste Bereich thematisiert die Karnevalsgesellschaften und ihre Gleichschaltung. Es gab eine enge personelle Verschränkung von Karnevalisten und Angehörigen der NS-Organisation "Kraft durch Freude", der SA, der kommunalen Behörden und Parteistellen. Die lokalen nationalsozialistischen Parteifunktionäre und Amtsträger bauten den Karneval zur Unterhaltung der Massen als wichtige Voraussetzung zur Herrschaftsstabilisierung wie auch zur Förderung von Tourismus und Wirtschaft aus.
 
Der zweite Themenbereich umfasst die Rosenmontagszüge, der dritte die karnevalistischen Saalveranstaltungen. Hier wird die ganze Bandbreite von harmloser Unterhaltung bis zur NS-ideologisch aufgeladenen Propaganda präsentiert. Insbesondere ab 1936 wurden in Motivwagen der Rosenmontagszüge, in Büttenreden und in Liedern politische, ideologische und antisemitische Vorstellungen des Regimes propagiert. Nur in seltenen Fällen waren im Karneval Regime-kritische Töne zu hören.


Copyright: NS-DOK
 
Jedes Jahr wurde der Rosenmontagszug unter ein neues Motto gestellt, dementsprechend wurden die etwa 25 Motivwagen sowie 2.000 Kostüme für verschiedene Personen und Musikkorps gestaltet. Die Realisierung war einer strikten Kontrolle unterworfen. Für die Züge der Jahre 1934 und 1935 war der NS-Bürgermeister Wilhelm Ebel verantwortlich, die Züge von 1936 bis 1939 standen formal unter der Kontrolle des Oberbürgermeisters. In der Satzung des Festausschusses des Kölner Karnevals vom 5. Juni 1935 war festgelegt, dass der Zug in enger Zusammenarbeit mit dem Ehrenausschuss für den Rosenmontagszug, dem Vertreter der kommunalen Behörden, Industrie und Kultur angehörten, erarbeitet und durchgeführt werden sollte. In gemeinsamen Sitzungen wurden dem Oberbürgermeister oder seinem Vertreter das Motto des Zuges und die einzelnen Motivwagen vorgestellt. Er musste diese genehmigen.
 
1934 und 1935 offiziell keine antisemitischen Motive
 
In den Rosenmontagszügen von 1934 und 1935 sollten offiziell keine antisemitischen Motive gezeigt werden, um ausländische Touristen nicht abzuschrecken. Akzeptiert wurde allerdings im Rosenmontagszug 1934 der antijüdische Motivwagen „Die Letzten ziehen ab“, der von Kölner Bürgern für die Veedelszöch gebaut wurde. Nach dem Erlass der "Nürnberger Rassengesetze“ 1935 wurde auch im Karneval eine radikal antisemitische Position bezogen.


Der Motivwagen "Däm han se op d’r Schlips getrodde!"
Copyright: NS-DOK
 
Der Motivwagen "Däm han se op d’r Schlips getrodde!" [Dem haben sie auf den Schlips getreten!] aus dem Rosenmontagszug von 1936 war eine karikierende Darstellung der "Rassengesetze“; mit einem schadenfrohen Kommentar im Kölner Dialekt wurde die Entrechtung der jüdischen Bevölkerung als begrüßenswerte Maßnahme präsentiert.


Motivwagen "Staliniade“ im Rosenmontagszug 1938. Propaganda gegen Stalin und die Sowjetunion. Seit 1936 griffen die Karnevalisten mit einer Vielzahl von Motivwagen die außenpolitische Linie des NS-Regimes auf.
Copyright: NS-DOK
 
Die Rosenmontagszüge von 1935 und 1938 markieren zwei gegensätzliche Leitlinien der NS-Kulturpolitik, die sich auch in den Motivwagen widerspiegeln. Der Rosenmontagszug von 1935 war dem Genre Film gewidmet und diente der reinen Unterhaltung, während der Rosenmontagszug von 1938 die politischsten Motivwagen zeigte und die Bevölkerung auf eine konfrontative Politik einstimmte. Beide Züge werden ausführlich in Bildern präsentiert.
Ein ausdrucksstarkes Beispiel für die Propagierung außenpolitischer Ziele des NS-Regimes im Kölner Karneval stellt der Rosenmontagszug von 1938 dar. In ihm spiegelte sich die aggressiver werdende Außenpolitik wider, ausgerichtet auf die Vergrößerung des "Lebensraumes" in Osteuropa und die Rückforderung von Kolonien. Suggeriert wurde, dass die Ausweitung des Lebensraumes notwendig sei, um wirtschaftliche und soziale Probleme lösen zu können und den Weiterbestand des Deutschen Reiches zu sichern.
 
Entsprechend sollte ab 1937 die bisherige taktische Zurückhaltung im Karneval ein Ende haben. Dieser Linie folgend, verkündete Thomas Liessem im Vorfeld des Rosenmontagszuges von 1938, dass das Motto Die Welt im Narrenspiegel ideal sei, um innen- wie auch außenpolitische Themen zu glossieren. Die elf gezeigten Motivwagen zu außenpolitischen Themen im Rosenmontagszug 1938 waren Teil einer Gesamtstrategie, mit der die Bevölkerung allmählich auf einen Krieg psychologisch eingestellt werden sollte. In enger Absprache mit Gauleiter Grohé wurde der Rosenmontagszug vom Festausschuss dementsprechend realisiert.
 
Der Sitzungskarneval
 
Im Bereich des Sitzungskarnevals werden Ausschnitte von der ersten Prinzenproklamation von 1936 gezeigt. An Audio-Stationen werden zeitgenössische Lieder präsentiert ebenso wie Büttenreden, ob politisch, unterhaltend oder regime-kritisch.


„Bordfest“ Sitzungskarneval für die Massen, organisiert von der NS-Organisation „Kraft durch Freude“ in der Rheinlandhalle, 1935/1936. Das Schiff in der Mitte der Halle soll an die Kreuzfahrten der NS-Organisation erinnern. | Copyright: Werner Liessem
 
Karnevalsgesellschaften, daneben auch Kegel-, Gesang-, Sport- und andere Vereine, schließlich die NS-Gemeinschaft "Kraft durch Freude" organisierten jedes Jahr in der Karnevalszeit rund 600 (gemeldete) Saalveranstaltungen im Gürzenich und anderen Festhäusern für etwa 220.000 Gäste. Neben den Sitzungen mit einem Bühnenprogramm gab es Maskenbälle, in denen Tanz im Vordergrund stand. In den großen Varietéhäusern der Stadt wurden außerdem sogenannte Heimatrevuen auf die Bühne gebracht. Schließlich gab es eine große Anzahl verschiedenster nicht öffentlicher Veranstaltungen in den Betrieben, Verbänden oder auch NS-Organisationen.


Gertie Ransohoff, eine der wenigen erfolgreichen Frauen im Karneval der Weimarer Republik, gehörte zu den ersten Opfern der nationalsozialistischen Agitation gegen Juden. Sie, nicht-jüdisch, nahm sich 1932 im Alter von 35 Jahren das Leben, nur wenige Tage, nachdem ihr jüdischer Ehemann angesichts der politischen Entwicklungen Selbstmord begangen hatte. In der Ausstellung ist eine von ihr gehaltene Büttenrede zu hören.
Copyright: Kölner Karnevalsmuseum
 
Nach dem Willen der nationalsozialistischen Machthaber sollte der Sitzungskarneval die Massen in erster Linie unterhalten – die Gäste tanzten, sangen oder schunkelten zu eingängigen Melodien und Liedertexten. Gleichzeitig wurden politische und NS-ideologische Vorstellungen in Büttenreden und Liedern einem breiten Publikum vermittelt. Wie stark die NS-Behörden kontrollierend oder auch lenkend eingreifen sollten, war umstritten und veränderte sich in der Zeit von 1933 bis 1939. Der Leiter des Verkehrsvereins, Wilhelm Ebel, versuchte bis 1935, alle politischen Themen von der Bühne zu verbannen und eine Zensur durchzusetzen, was zu Kritik und Unruhe in der Bevölkerung führte. Gauleiter Josef Grohé dagegen – wie auch die überregionalen Behörden – billigte in den Jahren danach den Karnevalisten und Künstlern Freiheiten zu, um das unbeschwerte und ausgelassene Feiern nicht zu stören.


Büttenredner Karl Küpper als „Abessinier“ im Rosenmontagszug von 1936. Im Hintergrund ist hinten rechts die alte Oper zu sehen. Der Berichterstatter aus Abessinien: Auf die Regime-kritische Büttenrede des Karnevalisten Karl Küpper folgte seine Verhaftung durch die Stapo Köln. Die Beliebtheit beim Publikum bewahrte ihn vor einer längeren Haft. Im Rosenmontagszug von 1936 nahm Küpper als "Berichterstatter“ teil und erinnerte so noch einmal an die Rede. | Copyright: Gerhard A. Küpper
 
Im vierten Bereich stehen die Biographien von drei Karnevalisten im Mittelpunkt: der Kölner Mundartdichter Willi Ostermann, der bedeutende Lieder für den Karneval schrieb; Hans Tobar, Conférencier und Autor zahlreicher Heimatrevuen, erhielt als Jude Auftrittverbot und emigrierte 1939 in die USA und schließlich Karl Küpper, der sich als einziger konsequent einer Zensur widersetzte und schließlich ins Visier der Gestapo geriet.
 
Mit seinem Gedicht Der NS-Baumverband verulkte Küpper die NS-Ideologie der "Volksgemeinschaft": Nur wer sich unter Aufgabe seiner Individualität in die "Volksgemeinschaft" einfügte, war akzeptiert. Wer dies nicht tat und eine andere Meinung vertrat, der wurde ausgegrenzt und verfolgt.
 
Der NS-Baumverband
 
»Es stand ein Baum am Waldesrand
und war organisiert.
Er war im NS-Baumverband,
damit ihm nichts passiert.«
 
Obwohl Küpper daraufhin zumindest verwarnt wurde, griff er die Rede noch einmal auf und trug sie in veränderter Form vor, um zu verdeutlichen, dass auch er durch seine Unangepasstheit Schwierigkeiten bekam. Damit untergrub er in einem noch viel stärkeren Maße die Autorität der nationalsozialistischen Obrigkeit.
 
»Es stand kein Baum am Waldesrand,
er war nicht organisiert.
Er war nicht im NS-Baumverband,
damit mir nichts passiert.«
 
Von 1919 bis 1933 präsentierte der Confèrencier und Autor Hans Tobar jedes Jahr ein Faschingsspiel, meistens im Kaiserhof Palast. Unmittelbar nach der Machtübernahme der Nationalsozialisten wurde Hans Tobar bei der Bewerbung des Puppenspiels "Alle Poppe danze" nicht mehr als Autor genannt. Auch die Kölner Karnevalsgesellschaften mieden ihn und ließen ihn nicht mehr auftreten, ebenso fanden die Sommergastspiele auf Norderney im selben Jahr ein Ende. Nach ständigen Verunglimpfungen gab die Ehefrau ihr Modegeschäft auf.
 
Da er als Jude nicht von der Reichskulturkammer aufgenommen wurde, konnte Tobar nur noch bei jüdischen Veranstaltungen auftreten. Er wurde Mitglied im Jüdischen Kulturbund, der arbeitslosen jüdischen Künstlern in begrenztem Umfang Arbeit bot; auch die Kinder traten für den jüdischen Kulturbund auf.
Die Familie erlebte die "Reichskristallnacht" in ihrer Wohnung in der Ehrenstraße. Die Büroräume des Jüdischen Kulturbundes eine Etage tiefer wurden verwüstet, die Wohnung der Tobars blieb durch das Einwirken der Hauseigentümer verschont.


Hans Tobar | Copyright: NS-DOK.
 
Im Dezember 1939 konnte Hans Tobar mit seiner Familie über Rotterdam in die USA emigrieren. Seine Mutter und Brüder blieben in Köln; während seine Brüder den Holocaust überlebten, wurde die Mutter im Ghetto Theresienstadt ermordet.
 
Der populäre Volksdichter Ostermann war Ehrenmitglied im Kölner Verkehrsverein und Mitglied der Reichskulturkammer. Sein Eintritt in die NSDAP ist zwar mündlich überliefert, Belege dafür finden sich allerdings nicht. Willi Ostermann nahm wie viele Künstler seiner Zeit an Kreuzfahrten der NS-Organisation "Kraft durch Freude" teil und trat dabei im Bühnenprogramm auf.
 
In der NS-Tagespresse gibt es keine besonderen Hinweise auf eine Vereinnahmung des Volkskünstlers durch das NS-Regime. Selbst bei der silbernen Hochzeit des Ehepaars Ostermann im Januar 1936 fanden seitens der lokalen NS-Funktionäre keine besonderen Ehrungen statt.


Willi Ostermann und Hans David Tobar (Mitte hintere Reihe) bei einem Sondergastspiel rheinischer Künstler und Karnevalisten auf der Insel Norderney. Copyright: Archiv der Roten Funken

Willi Ostermann starb nach kurzer Krankheit am 6. August 1936 in Köln. Das letzte von ihm komponierte Lied "Heimweh noh Kölle", besser bekannt unter der Liedzeile "Ich mööch zo Foß noh Kölle gonn" [Ich möchte zu Fuß nach Köln gehen], schrieb er kurz vor seinem Tode. Drei Jahre nach seinem Tod, an Weiberfastnacht 1939, wurde in der Kölner Altstadt mit einem kölschen Volksfest der Ostermann-Brunnen eingeweiht. Bei dieser Gelegenheit präsentierte sich die lokale Parteiprominenz in der ersten Reihe, um ihre Verbundenheit mit der "Volksgemeinschaft" zu inszenieren.
 
Von den Künstlern sind an Audio-Stationen zahlreiche Lieder, Gedichte und Büttenreden zu hören; die Video-Stationen geben einen Überblick über ihr künstlerisches Werk. Zu der Ausstellung wird ein umfangreiches Begleitprogramm veranstaltet.(PK)
 
Projektleitung von "Kölle Alaaf unterm Hakenkreuz. Karneval zwischen Unterhaltung und Propaganda - Eine Ausstellung des NS-Dokumentationszentrums der Stadt Köln" Dr. Jürgen Müller. Wissenschaftliche Bearbeitung: Marcus Leifeld, Architektur: Andreas Veit, Grafik: Helmuth Malzkorn DPA, Druck: Maus-Klick, Audio und Video: Rheinklang Tonstudios GmbH, Holger Bieber / Bergisch Gladbach, Sprache und Musik: Fritz Bilz, Jens Duisberg, Peter Füssenich, Rolf-Jack von Guretzky-Cornits, Uschi Hansmann, Bernd Hartwig, Markus Koppen und Philipp Oebel, Technik: Dietmar Orfgen, Öffentlichkeitsarbeit: Dieter Maretzky. Das Museum ist von Dienstag bis Sonntag bis 18 Uhr geöffnet!


Online-Flyer Nr. 329  vom 23.11.2011



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