NRhZ-Online - Neue Rheinische Zeitung - Logo
SUCHE
Suchergebnis anzeigen!
RESSORTS
SERVICE
Unabhängige Nachrichten, Berichte & Meinungen
Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

Fenster schließen

Sport
Turbine Potsdam: Null Nummer - Finale: Olympique Lyon vs 1. FFC Frankfurt
Transnationaler Triumph
Von Bernd J.R. Henke

Eines wurde klar an diesem April-Wochenende: zwei Paarungen in der UEFA Women´s Champions League (UWCL) mit unterschiedlichster Qualität und aus deutscher Sicht extrem gegensätzlicher Ausgangslage repräsentierten europäische Vereinsgipfel mit transnationaler Spielkultur und Showbiz . Zur Freude der deutschen Fangemeinde besiegte der 1. FFC Frankfurt am Samstag (21.04.) eine schwache Arsenal Ladies Truppe klar mit 2:0 (0:0) und zog locker „easy drawed“ ins Finale. Dem anderen deutschen Team 1. FFC Turbine Potsdam gelang es tags darauf nicht, das Lyoner Bollwerk zu durchbrechen. Finale in München also: Titelverteidiger Olympique Lyonnais gegen Herausforderer 1. FFC Frankfurt. Potsdam verabschiedete sich aber mit Charakter und einer heroischen Null-Nummer gegen die gewitzten Profi-Fußballerinnen aus dem Rhonetal.

Dzsenifer Marozsán (1. FFC Frankfurt) im Zweikampf mit Alex Scott (Arsenal Ladies)
Bildagentur A2 Hartenfelser
 
Kampfmoral
 
Ganze 1,28 Millionen TV-Zuschauer, darunter in Mehrheit Senioren, verfolgten beim ZDF live in kompletter Länge ein Spiel mittlerer Güte, ohne Spannung und Gegenwehr der Ladies. Schade, der englische Abo-Meister hinterließ vor großer Kulisse nicht unbedingt den Eindruck „normannischer“ Kampfmoral. In Potsdam Babelsberg im „Karli“ lastete von Anfang an die Wasser Hypothek des desaströsen 5:1 Debakels aus dem Hinspiel. Gemäß Trainer Bernd Schröders Motto „Charakter zeigen“ zauberten beide transnationalen Teams mit dem deutschen Meister 1.FFC Turbine Potsdam und dem französischen Meister Olympique Lyonnais ein Super Kampfspiel höchster Güte. Auf neuestem Rollrasen gelang aber bedauerlicherweise nur eine „trockene“ Torausbeute – nämlich keine. Das hatte ein sicheres Weiterkommen für die Französinnen zur Folge, die es sehr gut verstanden auch an diesem Tag den deutschen Meister über 90 Minuten in Schach zu halten.
 
Präsens
 
Fazit: das leicht irreguläre Endergebnis der Lyoner Wasserschlacht war die halbe Miete des Titelverteidigers – der Macht der Fernsehanstalten und der Medien, die eine Terminverschiebung im Rahmen des Kulturgutes Frauenfußball fast unmöglich machten setzte sich durch, sportliche Aspekte sind im Zweifel nicht gefragt. Überforderte Schiedsrichterinnen-Teams aus „Frauenfußball-Entwicklungszonen“ sollten von der UEFA zukünftig vermieden werden. Der Spielverlauf im Rückspiel war ganz im Sinne der Zuschauer im „Karli“. Das Potsdamer Publikum zeigte trotz klarem Rückstand Präsens. Die sprühende Begeisterung bemerkte auch der lautstark am Spielfeldrand agierende französische Trainer Patrice Lair, der sich nach dem Match in der gemeinsamen Pressekonferenz mit Trainerfuchs Bernd Schröder lobend, fast bewundernd äußerte über die tolle Stimmung im Stadion und die faire, mit Beifall begleitende Begrüßung seiner Mannschaft.

La Vitesse – Élodie Thomis fobbt Bianca Schmidt und Babett Peter (beide Turbine)
Foto Jan Kuppert
  
Ereignis
 
Das würden seine Spielerinnen in Frankreich nicht immer erleben, dort drohten manchmal Pfiffe, registrierte er mit großem Respekt. Dank der deutschen TV-Sportjournalisten des ARD-Senders „rbb“ verfolgten über 140.000 TV-Zuschauer live das transnationale Ereignis. Für die gesamte französische Sportöffentlichkeit übertrug Eurosport 1 vierundhalb Stunden später das Halbfinale als Aufzeichnung in voller Länge. Lobend zu erwähnen auch die Präsens der UEFA, die dank dem Münchner Sportjournalisten Markus Juchem über Internet eine kurze schnelle mediale Verbreitung des Geschehens organisierte. Völlig unbeobachtet blieb vor Ort der französische „IT-Mogul“ und Sarkozy-Freund Jean-Michel Aulas, der anwesend war, um den Erfolg seines 8 Millionen Euro teuren transnationalen Frauenkaders zu genießen.  
 
Politik, Wirtschaft und Sport
 
Aulas ist der Chef des Gesamtvereines und zuständig für Finanzen und der im Programmheft aufgeführte Gründer der "Olympique Lyonnais fémine", Paul Piemontese Präsident der Fachabteilung. Piemontese ist dabei seit 1970, als der FC Lyon eine Frauenmannschaft gründete. Diese gewann viermal die Meisterschaft und zweimal den Pokal. Im Sommer 2004 wechselte die Abteilung zu Olympique Lyonnais. Unter dem neuen Namen wurde die Mannschaft dreimal in Folge Vizepokalsieger. 2007 wurden die Frauen von Olympique erstmals Landesmeisterinnen. Jetzt stehen sie ganz oben in Europa. Im Jahre 2010 standen sie zum ersten Mal im Endspiel der UWCL. Die Entwicklung von Olympique Lyonnais fémine zeigt die Schnittstelle Politik, Wirtschaft und Sport.

Isabelle Kerschowski (Turbine) schiesst auf das Lyoner Bollwerk mit Thomis, Georges, Franco, Renard und Henry (alle OL) , in der Mauer Antonia Göransson (Turbine)
Foto Jan Kuppert
 
Zuschauerquantitäten
 
Sponsoren wie GDF Suez oder Renault Trucks wachsen nicht auf den Bäumen - politische Landschaftspflege und "übertriebene VIP-tomanie" scheinen eigentlich bei Zuschauerzahlen im Durchschnitt von 1000 bei Olympique Lyon und 2000 bei deutschen Spitzenvereinen etwas übertrieben - regionale Partnerschaften von Vereinen, Stadt und Land waren bisher das Grundmuster im Aufbau des europäischen Frauenfußballs, insbesondere in Deutschland. Auf jeden Fall zeigt das Beispiel des dynamischen Aufstieges von Olympique Lyonnais, wohin die Reise gehen wird - es stellt sich aber die Frage, wie lange diese Zeit dauern wird und wie die verantwortlichen Protagonisten es fertig bringen, realistischere Zuschauerquantitäten in die Stadien zu locken. Die Zuschauer-Potentiale sind wohl vorhanden.
 
Taktik
 
Als die norwegische Schiedsrichterin Christine Westrum Pedersen den Anpfiff tätigte, standen sich auf dem frischen Brandenburger Gärtnerrollrasen zwei Teams gegenüber, welche in den beiden letzten Jahren zuvor, Potsdam 2010 und Lyon 2011, die Krone des europäischen Frauenfußballs errungen hatten. Das Lyoner Team startete furios – die super schnelle Élodie Thomis, eine ungestüme, temperamentvolle Stürmerin aus Martinique, überrannte, ja überspielte und fobbte mit dem Ball den gesamtem Potsdamer Abwehrblock um Peter, Schmidt und Singer. Ihr gefährlicher Schuss von der Strafraumgrenze ging knapp am Tor von Turbine-Torfrau Alyssa Naeher vorbei. Der Spielauftakt war markiert. Lyon zeigte seine Zähne. Die Taktik, dank eines schnellen Tores den Gegner zu demoralisieren und zu entnerven, wäre fast aufgegangen. Aber Torfrau Alyssa Naeher rettete durch gutes Stellungsspiel bei der ersten Lyoner Ecke (3.) – die robuste Eugénie Le Sommer schoss ihr überhastet in die offenen Arme.

Amande Henry (OL) im Zweikampf mit Patricia Hanebeck (Turbine) am Boden
Foto Jan Kuppert

Lyon startete agressiver und dynamischer. Schon wieder Élodie Thomis. (4.) Sie kam gefährlich an den Ball. Nationalspielerin Babett Peter konnte stören und klärte zum Einwurf. Der erste Schussversuch von Potsdam lief über Bianca Schmidt. Die fangstarke Torfrau Sarah Bouhaddi übernimmt (6.) sicher den Ball. Im Gegenzug konterte Olympique und erzwang nach Klärung von Babett Peter eine erneute Ecke. Eugénie Le Sommer flankte den Ball (8.) zur groß gewachsenen Abwehrspielerin Wendie Renard, deren Kopfball von Naeher entschärft wurde. So richtig ins Spiel brachte die agile Isabelle Kerschowski die Heimmannschaft Potsdam, als sie sich das runde Leder erkämpfte und zu Patricia Hanebeck schob. Der Pass von Hanebeck in Richtung Yuki Nagasato (10.) störte Sonja Bompastor. „Isi“ Kerschowski gehörte schon beim Hinspiel zu den besten. Nach einer Viertelstunde endete die Lyoner Druckperiode. Potsdam fand besser ins Spiel und Jennifer Zietz legte nach Zuspiel Hanebeck an der Grundlinie quer, in letzter Sekunde rettete die Lyoner Abwehr. 
 
Die folgenden zwanzig Minuten bekam das Spiel eine gleichwertige Balance, beide Mannschaften stürrnten offensiv, jeweils souverän klärten die Torfrauen Naeher und Bouhaddi alle torrelevanten Bälle. Die letzten zehn Minuten der ersten Halbzeit hatte dann die Gästemannschaft die höheren Spielanteile, während sich bei Potsdam die Abspielfehler häuften. Kurz vor Halbzeit (43.) foulte die Potsdamer US-Amerikanerin Alexandra Singer Bompastor, die daraufhin einen Freistoss zugesprochen bekam. Mittelfeld Ass Sonia Bompastor schoss aus 25 Meter ihren Freistoss weit in den Strafraum, wo Potsdams Torfrau Alysssa Naeher fangsicher klären konnte.

Sarah Bouhaddi (OL) klärt vor Juki Nagasato (Turbine), bedrängt von Wendie Renard (OL)
Foto Jan Kuppert
 
Lattenschuss

Nach dem Seitenwechsel veränderte Turbine Potsdam seine Strategie. Im Wissen immer noch vier Treffer zurückzuliegen setzte nunmehr Trainer Bernd Schröder auf totale Offensive und ersetze Jennifer Cramer und Stefanie Draws durch die torgefährliche Afrikanerin Genoveva Anonma und die Schwedin Antonia Göransson. Das Kalkül ging auf, Potsdam drängte und einem Treffer nah, als hochdramatisch Lyons Abwehrspielerin Corine Franco einen platzierten Schuss von Torjägerin Anonma (48.) auf der Linie rettete, nachdem Schlussfrau Bouhaddi schon geschlagen war. Lyon antwortete mit einer härteren Gangart, Tomis foulte Göransson (53.). Odebrecht (60.). Eine Großchance durch Isabell Kerschowski (54.) landete leider an der Latte. Die Anfeuerungsrufe der Potsdamer Fans wurden lauter. „Steht auf, wenn ihr Turbinen seid …, “ nannte sich der Schlachtruf.

Shirley Cruz Trana (OL) jagt vorbei an Jennifer Zietz (Turbine)
Foto Jan Kuppert

Auf der Linie

Als Élodie Thomis Nationalspielerin Viola Odebrecht (60.). foulte, entschied die Unparteische auf eine Gelb-Rote-Karte. Der Platzverweis von Thomis wiegt sehr schwer für Olympique Lyonnais, da sie im Finale nicht spielberechtigt sein wird wegen Sperre. Die letzten zwanzig Minuten des Spieles, bedingt auch durch die Unterzahl der Französinnen, gehörten an Spielanteil und absoluten Torchancen den Turbienen. In der 75. Minute gelang Jennifer Zietz eine herrliche Flanke in den Strafraum auf Patricia Hanebeck, die wiederum kompromisslos abzog auf das Tor – für die geschlagene Torfrau rettete Sonia Bompastor auf der Linie. Auch die Offensivspielerin Antonia Göransson versuchte den Führungstreffer zu erzwingen (78.), ihr Ball drehte aus zwanzig Metern mit Effet haarscharf am Lyoner Kasten vorbei. 
 
Chancen

Die für die schwedische Nationalspielerin Lotta Schelin eingewechselte Rosana (68.) gewann im Potsdamer Strafraum ein brandgefährliches Kopfballduell mit Jennifer Zietz. Nachdem Alyssa Naeher das Leder nicht zu fassen bekam (80.) und fallen ließ, rettete die unangenehme Situation Alexandra Singer, die sowohl zuvor mit Lotta Schelin und dann mit Rosana recht gut zurechtkam.
Und im direkten Gegenzug scheiterte eine weitere Potsdamer Großchance zum ersehnten Führungstor – der Schuss der Japanerin Yuki Nagasato landete (82.) an der Latte. Trotz schwindender Zeit ließen sich Fans und Spielerinnen von Turbine Potsdam nicht beirren – die Fans trommelten rhythmisch zum Angriff - Genoveva Anonma tankte sich über das halbe Spielfeld, gab auf „Isi“ Kerschowski , die wiederum zu Yuki Nagasato passte, deren Flanke knapp ins Aus ging.

Torfrau Emma Byrne (Arsenal Ladies) verfolgt Kopfballversuch von Saki Kumagei (1.FFC Frankfurt)
Bildagentur A2 Hartenfelser

Gesicht gewahrt

In der vorletzten Spielminute (89.) entschied die Schiedsrichterin auf Eckball, den Bouhaddi nach Schuss von Göransson wegfausten konnte. Der Ehrentreffer für Potsdam lag noch im Bereich des Möglichen, denn es wurde 4 Minuten nachgespielt. Lyons Verzögerungstaktik und Unterbrechungen waren somit eliminiert. Potsdam belegte komplett den gegnerischen Strafraum, kam aber nicht mehr zu zwingenden Chancen, die einen Torerfolg ermöglicht hätten. Schlusspfiff – die siegreichen Spielerinnen von Olympique Lyonnais lagen sich in den Armen- trotzdem gab es auch viel Beifall für die Turbienen. Sie hatten wie Trainer Schröder es verlangt hatte, ihr Gesicht gewahrt.
 
Weltmeisterinnen

Der japanische Nationaltrainer Norio Sasaki und die zahlreich anwesenden japanischen Sportjournalisten fanden lobender Worte für das exzellente Match der beiden besten europäischen Teams. Seit dem Gewinn der Weltmeisterschaft 2011 bedeutet in Japan auch die Übertragung von europäischen Vereinsspielen im Fernsehen ein wichtiger Schritt in das transnationale Geschehen. Ami Otaki (Olympique Lyonnais), Yuki Nagasato (1. FFC Turbine Potsdam), Saki Kumagei (1. FFC Frankfurt) und Kozue Ando (FCR 2001 Duisburg), alles amtierende Weltmeisterinnen, sind Botschafterinnen ihres Landes und zugleich Informantinnen ihres Nationaltrainers für das kommende Olympische Frauenfußball Turnier.
 
Nadeshiko

Die japanische Fußballnationalmannschaft der Frauen (jap. サッカー日本女子代表, Sakkā Nihon Joshi Daihyō, dt. „Japanische Fußballfrauenauswahl“) ist die vom verantwortlichen Nationaltrainer getroffene repräsentative Auswahl von japanischen Fußballspielerinnen für internationale Spiele.
Der Spitzname Nadeshiko Japan (なでしこジャパン) wurde nach einer öffentlichen Ausschreibung von der JFA aus ungefähr 2.700 Bewerbungen ausgewählt und am 7. Juli 2004 offiziell verkündet. Nadeshiko bedeutet Nelke, spielt hier jedoch auf den Begriff Yamato Nadeshiko für die ideale japanische Frau an.

Jessica Landström schiesst Weltklassetor nach Traumpass von Dzsenifer Marozsán (beide 1. FFC Frankfurt) - ihr Abschiedsgeschenk an ihre Fans in Deutschland
Bildagentur A2 Hartenfelser

Frauenfußball wird in Japan als ein Kulturgut angesehen und nicht nur ein reines Business wie in Europa. Trainer Bernd Schröder saß lange nach dem Spiel mit der japanischen Delegation im VIP-Raum – es war ein bedeutender symbolischer Moment in der Geschichte des Frauenfußballs. Das schönste Tor der Halbfinalpaarungen schoss die Schwedin Jessica Landström im Spiel gegen Arsenal Ladies FC. Nach einer maßgenauen Flanke von Dzsenifer Marozsán über 30 Meter in den gegnerischen Strafraum köpfte sie den Ball in der 85. Minute zum Siegtreffer 2:0 (0:0) vom 1.FFC Frankfurt, welcher für das Finale Turbine Potsdam als Gegner gegen den überragenden Titelverteidiger Olympique Lyonnais abgelöst hat. Beide Finalteams erhielten von der UEFA eine Sonderprämie von 200.000 Euro. Über die Höhe der persönlichen Sieg-Prämien für den Einzug in das Finale der Fußballspielerinnen wurde nichts bekannt.

Japanischer Nationaltrainer Norio Sasaki als Beobachter in Frankfurt, tags darauf bei Bernd Schröder in Potsdam
Bildagentur A2 Hartenfelser


Online-Flyer Nr. 351  vom 25.04.2012



Startseite           nach oben