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Aktueller Online-Flyer vom 24. April 2024  

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Sport
Christinnen und Muslimas träumen von Olympia und Frieden in der Heimat
Fußballerinnen aus Palästina treffen Turbine Potsdam
Von Bernd J.R. Henke, Johann Blaha und Dietmar Tietzmann

Vereinspräsident Pfarrer Mitri Raheb ist kein Unbekannter in Deutschland. Er gehört zu den aktiven Christen im Nahen Osten, die nicht nur zu den "Friedenschwätzern" gehören, sondern jungen Palästinensern in einem feindseligen Gebiet voll destruktiver Fakten durch Schaffung alternativer Lebensräume Zukunft und Hoffnung gibt. Er gründete 2003 den Frauenfußballverein von Diyar Consortium Bethlehem, der aktuelle Vizemeister Palästinas. Zwölf Spielerinnen, darunter fünf Frauen aus der Nationalmannschaft, folgten der Einladung von Brandenburgs Ministerpräsident Matthias Platzeck (SPD): Trainieren am Olympiastützpunkt in Potsdam auf Kunstrasen, sich sportlich messen mit Spielerinnen von Turbine Potsdam, gemeinsam Trainingsaufbau und Organisation lernen beim Deutschen Frauenfußballmeister.

Vor der Blauen Wand in der Staatskanzlei des Landes Brandenburg: Palästina Vizemeister Diya Consortium Bethlehem zusammen mit Spielerinnen von Turbine Potsdam und Meistertrainer Bernd Schröder
Foto: Turbine Potsdam
 
Leistungsorientiert
 
Im internationalen Kontext miteinander Gleichberechtigung leben und jedem in aller Welt sagen: Wir, die Fußballerinnen aus Palästina gehören dazu - wir, die leistungsorientierten Fußballerinnen aus den palästinensischen Autonomiegebieten der Westbank und Gaza repräsentieren die palästinensische Gesellschaft, ob Christin oder Muslima. Dass umtriebige Pastoren wie Mitri Raheb Gründer und Präsidenten eines Fußballvereins sind und dazu eines erfolgreichen für Frauen in einer traditionell männlich dominierten arabischen Gesellschaft hatte wohl mehrere Gründe. Literarische Vorbilder aus "Don Camillo und Peppone" des italienischen Journalisten und Karikaturisten Giovanni Guareschi aus dem Jahre 1948 hatte der palästinensische Christ und Pfarrer der lutherischen Bethlehemer Weihnachtskirche wohl nicht. Obwohl eine gewisse Ähnlichkeit im Handeln hat Pfarrer Mitri Raheb mit der fiktiven Romanfigur, dem schlagkräftigen und schlitzohrigen Priester Don Camillo Tarocci aus dem fiktiven Dorf Boscaccio schon.

Pfarrer Mitri Raheb - Gründer und Vereinspräsident
Foto: Brandenburg.de
 
Flickenteppich
 
Die häufig verfilmte Figur des Don Camillo Tarocci hatte Giovanni Guareschi einem katholischen Priester namens Don Camillo Valota nachempfunden, einem Partisanen und Gefangenen, der für seinen Widerstand in den Kriegswirren in den Konzentrationslagern Dachau und Mauthausen inhaftiert wurde. Geschichte wiederholt sich nicht, aber sie wiederholt ihre Lehren, so Ex-Bundespräsident Richard von Weizsäcker. Die neun Meter hohe und 730 km lange Betonmauer, die um und größtenteils in der Westbank und demnach durch palästinensisches Gebiet verläuft, trennt Palästinenser von ihren Familien, von ihren Häusern und Heimatorten.
 
Nach Auffassung politischer Beobachter im Nahen Osten dient die Mauer nicht, wie von Israel als Grund für den Bau angegeben, als Schutz Israels vor Terroranschlägen, sondern verfolgt das Ziel Palästinas Grenze zu Jordanien zu kontrollieren und das palästinensische Gebiet allmählich zu fragmentieren. Durch israelische Siedlungsgebiete innerhalb der Westbank gleicht das palästinensische Autonomiegebiet einem ungeordneten Flickenteppich. Die Fußballspielerinnen des Diyar Consortium Bethlehem schilderten bei ihrem Besuch in Deutschland und bei den Treffen mit verschiedenen Frauenfußballmannschaften in Potsdam und Berlin, dass es zwar jetzt eine palästinensische Frauenfußball-Liga gibt, doch die Besatzungssituation mit den vielen israelischen Checkpoints einen normalen Spielbetrieb sehr erschwert.

Stürmerin Nevine Al Kolayb: Wie die meisten ihrer Kameradinnen hat Nevine schon als Kind mit ihren Brüdern und den Nachbarskindern auf der Straße gespielt und wollte irgendwann nicht mehr einsehen, dass ihre langjährigen Spielpartner in Vereinen spielen durften, sie hingegen nicht. "Die Jungs haben sich immer darum geprügelt, mich in der Mannschaft zu haben", sagt Nevine stolz lächelnd. "Wenn ich ein Tor geschossen habe, hat niemand sich beschwert, dass ich ein Mädchen bin", sagt sie.
Foto: Jan Kuppert, Potsdam
 
Feindesliebe
 
Das Bevölkerungswachstum in den Palästinensischen Gebieten ist hoch. Mehr als die Hälfte der Bevölkerung ist unter 18 Jahren. Vielen jungen Menschen eine Chance und Hoffnung auf ein Leben in sozialer und psychischer Sicherheit zu geben, darin sieht Pfarrer Mitri Raheb seine Hauptaufgabe. Die Lösung sozialer Fragen vor Ort in seiner Geburtsstadt Bethlehem im Westjordanland sowie die sprichwörtliche Feindesliebe gehören zum Repertoire des palästinensischen Pastors. Für den in Bethlehem Geborenen bezieht sich christliche Feindesliebe natürlich auch auf das israelische Besatzungsregime. "Den Feind zu lieben, heißt, in ihm trotz des Konfliktes Gottes Geschöpf zu erkennen, das ein Recht auf Leben, Vergebung und Liebe hat, nicht jedoch das Recht, Unrecht zu tun", so pflegt Mitri Raheb mit präziser Zunge zu formulieren. Er studierte Theologie in der deutschen Universitätsstadt Marburg. Er hat Mitte der 1990er Jahre das Internationale Begegnungszentrum in Bethlehem gegründet - ein Ort, an dem Muslime und Christen, aber auch internationale Gäste, sich begegnen und miteinander und voneinander lernen. Mit Dutzenden von Mitarbeitern sorgt es im kulturarmen Bethlehem regelmäßig für Konzerte, Theateraufführungen, Lesungen, Konferenzen und Fortbildungskurse aller

Palästinenserinnen vor Schloss Sanssouci (französisch sans souci = "ohne Sorge") in Potsdam
Foto: Turbine Potsdam
 
Sportzentrum
 
Der 50-jährige Theologe engagierte sich im Bereich Gesundheit und Krankheitsvorbeugung. Ständig entwickelte er neue Visionen; sein jüngstes Projekt ist eine Fachhochschule mit den Studienfächern Kunst, Sport, Musik, Medien, Kommunikation und Tourismus. Der Pastor der Weihnachtskirche in Bethlehem, die zur Evangelisch-Lutherischen Kirche in Jordanien und im Heiligen Land (ELCJHL) gehört, ist Gründer des Sportzentrums Dar Al-Kalima. Das Sportzentrum gilt als eine der Keimzellen des palästinensischen Frauenfußballs. "Wir wollen zeigen, dass es in Palästina nicht nur Krieg gibt, sondern auch Lebensfreude", bekannte die von zahlreichen Medienvertretern und Reportern umringte Kapitänin Jaklin Jazrawi von Diyar Consortium Bethlehem während ihres Besuches am Olympiastützpunkt Potsdam. Sie hat alle Anfänge in Bethlehem miterlebt, von der Gründung des Frauenfußballvereins Diyar Consortium Bethlehem bis hin zur Erringung einer nationalen Meisterschaft. Die 26-jährige Jazrawi spielte früher Basketball. Nun träumt sie wie ihre Teamkameradinnen davon, dass Palästina im internationalen Frauenfußball irgendwann mal eine wichtige Rolle spielen wird. "Ich hoffe, dass die nächste Generation das schafft", sagt Jaklin Jazrawi mit Überzeugung.

Beim Training auf dem Kunstrasenplatz am Olympiastützpunkt
Foto: Jan Kuppert, Potsdam
 
Kulturgut
 
"Frauenfußball als Sportart steht in unserer Gesellschaft noch ganz am Anfang. Die internationale Unterstützung hilft uns aber, weil sie zeigt, dass wir einen ganz normalen Sport betreiben", so die Kapitänin von Diyar Consortium Bethlehem. Und hier treffen sich die Philosphien im Vereinsleben der Potsdamerinnen mit den Ambitionen der hoch motivierten Frauen aus Bethlehem. Für beide Vereine bedeutet Frauenfußball neben sportlicher Spitzenleistung auch Vorbild sein für Orientierung suchende Jugendliche und Kulturgut sein für Stadt und Region. Bewegungskultur als gesellschaftspolitisches Ferment ganz im Sinne führender Förderer dieser Sportart - FIFA, UN Sonderbeauftragter für Sport, nationale Fußballverbände aus allen Kontinenten, bilateral über die Außenpolitik wie in Deutschland durch das Auswärtige Amt (AA). Anläßlich der FIFA World Player Gala 2009 in Zürich wurde der palästinensische Fussballverband (PFA) mit dem allerersten FIFA-Entwicklungspreis ausgezeichnet. Der Weltfußballverband ehrte den Fußballverband Palästinas für dessen herausragende Leistung, den Fußball allen Hindernissen zum Trotz am Leben erhalten zu haben. "Auch ein jüdisches Mädchen kann in der palästinensischen Nationalmannschaft spielen, wenn es dazu bereit wäre und die entsprechenden Fähigkeiten besäße", erklärt Jaklin Jazrawi den Journalisten. 

Ministerpräsident Matthias Platzeck und Kapitänin Jaklin Jazrawi
Foto: Jan Kuppert, Potsdam
 
Kopftuch
 
Sie hat Biologie studiert und arbeitet jetzt als Sportlehrerin und Ausbilderin an Pastors Rahebs Akademie an der Fußball-Zukunft mit 14-jährigen Mädchen. "Das ist die neue Generation", sagt sie mit Glanz und Begeisterung in den Augen. "Hier auf Rasen oder Kunstrasen zu trainieren ist etwas Besonderes für uns. Zu Hause haben dieses Privileg leider nur die Männermannschaften. Wir kommen nur nach langer Reservierung und ausnahmsweise dazu."
 
Sie ist Christin, aufgewachsen in Bethlehem. Neben ihr steht auf dem Fußballplatz in Potsdam ihre Mannschaftskameradin. Nivine Al Kolayb ist Muslima. Sie spielt mit einem weißen Kopftuch, das ihr Haar vollständig bedeckt und mit Leggins und langem Shirt unter dem Fußballtrikot. Stürmerin Nivine Al Kolayb (28) gehört zur Nationalmannschaft von Palästina. Sie erklärt an diesem ziemlichen heißen Morgen in Potsdam den Fachleuten, dass das heimische Training in Bethlehem meist in den Morgen- und Abendstunden stattfindet. "Und das auf hartem Beton, der sich mittags bei 40 Grad im Schatten schon heftig aufgewärmt hat." Ihre jüngere Schwester Nadin (20), die Torfrau mit der Nummer 1, trainiert ohne Tuch auf den Platz am Luftschiffhafen. "Das Kopftuch ist nicht festgelegt bei uns. Jeder kann es für sich auf seine Art und Weise entscheiden. Bei mir gehört es einfach dazu", erklärt Nivine Al Kolayb den neugierigen Medienleuten den kleinen Unterschied zu ihrer jüngeren Schwester."

 
Basis
 
Gemäß PFA-Statistik spielen im Kinder- und Nachwuchsbereich in den 16 Fußball-Bezirken (11 im Westjordanland und 5 im Gazastreifen) 46.000 Mädchen (zum Vergleich: 48.000 Jungen) Fußball und bilden damit eine vielversprechende Basis. Für das Gebiet mit seinen rund vier Millionen Einwohnern ist damit einiges möglich, wenn alles zusammenpasst. Die angereisten Sportlerinnen aus Bethlehem betonen, dass sie sehr glücklich darüber gewesen sind, dass Ministerpräsident Platzeck bei seiner Einladungsgeste Wort gehalten hatte. Einige der Fußballerinnen hatten noch nie die palästinensischen Autonomie-Gebiete verlassen können. Die Nationalspielerinnen des Clubs reisten aber schon im Rahmen von Länderspielen und Turnieren nach Ägypten und den Ländern im Bereich des Asiatischen Fußballverbandes. Der Weltverband FIFA, der Palästina 1998 als erste internationale Sportorganisation aufgenommen hat, fördert den Fußball in den Autonomiegebieten seit Jahren über Grassroot-Kinderfußballkurse. Seit 2001 wurden mittels des FIFA-Goal-Programms in Palästina vier Projekte zum Bau eines Verbandssitzes, einer Fußballschule und von Kunstrasenplätzen im Gazastreifen, in Ramallah und Al-Ram finanziert.
 
 
Beachtung
 
Die Gäste aus Bethlehem berichteten mit großem Stolz den Sportredakteuren und TV-Kameras von ZDF und rbb, dass sie voriges Jahr im Februar im Faisal Al-Husseini-Stadion in Al-Ram, einem Vorort von Jerusalem, vor knapp 10.000 Zuschauern den Start der neugeschaffenen Frauenfußballliga Palästinas durch ein Eröffnungsspiel feiern konnten. Das von der FIFA finanzierte Großfeld war bis dato nur den Männern zugestanden gewesen. Ihre Mannschaft Diyar Consortium Bethlehem stand dem Team von Sareiat YMCA Ramallah gegenüber. Auf den Rängen standen und saßen bunt gemischt Frauen wie Männer. Sie wedelten die palästinensische Fahne, sie klatschten begeistert. Der anwesende deutsche Sportfunktionär Willi Lemke, UN-Sonderbeauftragter für Sport, betonte später, welch großer Meilenstein dieses historische Ereignis für die sportliche Entwicklung hinsichtlich Gender-Gleichheit in der gesamten arabischen Region gewesen sei. Es trafen sich "Begeisterung pur" durch hoch motivierte palästinensische Sportlerinnen an diesem Tag mit der großen medialen Begleitung internationaler Medienpräsenz.
 
Gemeinschaftsgefühl
 
"Wir haben das Spiel am Ende sogar mit 2:0 gewinnen können, wir Fußballerinnen bekamen nun endlich größere Anerkennung durch die Öffentlichkeit - vor großem palästinensischem Publikum. Wir spielten zum ersten Mal auf großem Spielfeld und auf Rasen anstatt auf Beton und Kleinfeld. Bis dato war uns Frauenfußballerinnen nur gestattet gewesen unsere Ligaspiele als Hallenliga mit Kleinfeld zu absolvieren. Gespielt wurde bis dahin fünf gegen fünf, jetzt standen sich zwei Mannschaften mit je elf gleichberechtigten Frauen gegenüber", beschreibt Bethlehems Kapitänin Jaklin Jazrawi während des Besuches des Ministerpräsidenten am Potsdamer Olympiastützpunkt den wichtigen Anlass. "Die Palästinenserinnen und Palästinenser sind vom Fußball fasziniert", betonte der Leiter der Kultur- und Informationsabteilung der Palästinensischen Generaldelegation in Berlin, Herr Abdullah Hijazi, bei seiner Ansprache beim Empfang in der Staatskanzlei. "In den Flüchtlingslagern wird tagtäglich Fußball gespielt. Mit den Fußballinitiativen für Jungen und Mädchen und den Angeboten der Bethlehemer Fachhochschule stabilisieren wir das Gemeinschaftsgefühl und die Leistungsfähigkeit der palästinensischen Jugend." Die Generaldelegation von Palästina in Deutschland in der Hauptstadt Berlin besitzt nicht den Status einer Botschaft. Ihre Hauptanliegen sind die Aufklärung der Öffentlichkeit über den Nahostkonflikt und die Entwicklung des Friedensprozesses sowie die Verbesserung der deutsch-palästinensischen Beziehungen.

Sportministerin Martina Münch, im Hintergrund vierte Person von rechts: Abdullah Hijazi, Leiter der Kulturabteilung der Palästinensischen Generaldelegation in Berlin.
Foto: Brandenburg.de
 
Enthusiasmus
 
Zugewandt zu den Offiziellen des Deutschen Meisters 1. FFC Turbine Potsdam, zu Pastor Mitri Raheb und zu Brandenburgs Sportministerin Martina Münch formulierte Abdullah Hijazi den Gedanken einer näheren Zusammenarbeit zwischen der Sportakademie in Bethlehem und der Sportschule in Potsdam. "Dank der Investitionen im Bereich der Sportanlagen und einem stabilen Verband im Rücken herrscht inzwischen bei den Frauen in Palästina nicht mehr Frustration ob der Hindernisse, die dem Frauenfußball im Land noch und noch in den Weg gestellt werden, sondern Aufbruchsstimmung", ergänzte der Diplomat der Palästinensischen Generaldelegation. Allein im Bethlehemer Sportzentrum Dar Al-Kalima trainieren inzwischen sechzig junge Fußballerinnen. In der Westbank spielen Frauen in 16 Teams, sechs davon in der ersten, zehn in der zweiten Liga. "Ich war tief beeindruckt vom Enthusiasmus dieser jungen Frauen", bemerkte Brandenburgs Regierungschef Matthias Platzeck, der anlässlich einer Reise nach Israel auch die palästinensischen Gebiete bei Bethlehem besucht hatte. Platzeck hatte die Fußballerinnen spontan eingeladen. 13.500 Euro aus Lottomitteln wurden dafür organisiert.
 
Olympia
 
DFB-Vorzeigeclub Turbine Potsdam, der schon heute einen "außenpolitischen Joker" für die Bundesrepublik Deutschland und das Bundesland Brandenburg darstellt, nutzte die Gunst der Stunde, sein internationales Flair und Image sowie seine Trainings- und Internatsbasis am Olympiastützpunkt wirkungsvoll einzusetzen. Völlig selbstbewusst schilderte Potsdams Pressesprecherin Nadine Bieneck, die derzeitige Internationalität des Turbine-Kaders im wiedervereinigten Staat Bundesrepublik Deutschland - auch ohne Reisebeschränkungen für den Ostteil des Landes. Die ersten zwanzig Jahre seines Bestehens lebte Turbine Potsdam ebenso hinter Grenze und Mauern - administrativ und politisch gemaßregelt, in der Reisefreiheit ziemlich eingeschränkt. Heute spielen allein drei US-Amerikanerinnen in der ersten Garnitur der Brandenburgerinnen - Alyssa Naeher, Alexandra Singer und Keelin Winters. Der Frauenfußball-begeisterte Botschafter der Vereinigten Staaten von Amerika, Phil Murphy, ist häufig gesehener Ehrengast im Babelsberger Karl-Liebknecht-Stadion. Turbine-Trainer Bernd Schröder, der in diesen Tagen 70 Jahre alt wurde, begrüßte beim Empfang der Palästinenserinnen in der Potsdamer Staatskanzlei die jungen Frauen, die es sich nicht nehmen ließen, sich mit dem dienstältesten deutschen Frauenfußballtrainer fotografieren zu lassen. Aus aktuellem Anlass verwies Schröder mit Stolz auf das Olympische Frauenfußballturnier 2012 in London, bei dem zwei Spielerinnen von Potsdam dabei sind: die Japanerin Yuki Ogimi geb. Nagasato und die Schwedin Antonia Göransson.
 
Streitkultur
 
Bernd Schröder, der die herzlichen Geburtstagsgrüße von Pastor Mitri Raheb entgegennahm, erklärte auf aktuelle Nachfrage, warum die deutsche Nationalmannschaft in London nicht dabei sein kann: "Wir alle haben jahrelang dafür gekämpft, dass der Frauenfußball olympisch wird! Ich habe immer gesagt, wenn das geschieht, wird der Frauenfußball geadelt, dann sind wir in der großen olympischen Familie angekommen. Eine Teilnahme bei Olympia wünscht sich jeder Sportler, das ist ein Welterlebnis. Fußball ist ja nicht alles, man kann bei Olympia andere große Sportler sehen und kennenlernen. Und wenn man das jetzt mit einer Handbewegung wegwischt und sagt: Ach, wir haben in einem Jahr mit der EM doch wieder ein großes Erlebnis, dann fehlt mir dafür das Verständnis." Schröder verwies, wie schon so oft in den letzten Monaten, auf die mangelnde Streitkultur im deutschen Frauenfußball. "Natürlich träumen auch wir davon, die Frauennationalmannschaft von Palästina, einmal für unser Land - für unsere Nation - bei Olympia antreten zu können. Wir gründeten schon vor sieben Jahren eine Nationalmannschaft, bevor wir überhaupt einen geregelten Ligabetrieb hatten", erklärte Spielführerin Jaklin Jazrawi.
 
Rowdytum
 
"In diesen Tagen habe ich immer auch Olympia im Hinterkopf. Welch ein Traum!", sagt die Nationalspielerin Nevine Al Kolayb. Seit 2003 gibt es ein Frauen-Nationalteam in Palästina. 2009 hat die Auswahl ihr erstes Heim-Länderspiel im Ost-Jerusalemer Vorort Al-Ram bestritten - es gab ein 2:2 gegen Jordanien. Das Nationalteam setzt sich in etwa zu gleichen Teilen aus Christinnen und Musliminnen zusammen. "Ich weiß, dass dieser Traum sich nicht heute oder morgen erfüllen wird und eine lange Entwicklung nötig ist. Aber bei den Bildern aus London werde ich auch ein bisschen dabei sein", versucht die Stürmerin ihre große Motivation und Leidenschaft zum Frauenfußball zu erklären. Die Frauen aus Bethlehem müssen sich natürlich immer noch gegen eine zum großen Teil sehr konservativ geprägte Gesellschaft behaupten, in deren Vorstellungen Fußball spielende Frauen keinen Platz haben. Die Kapitänin Jazrawi schildert, dass teilweise junge Muslime am Spielfeldrand stehen und sich an "freizügiger Bekleidung“ stören. Sie, alle Frauen, würden natürlich zum Beispiel in konservativen ländlichen Gegenden ihre Sportbekleidung dem Umfeld anpassen, um den Gewohnheiten Rechnung zu tragen. Ein anderes Phänomen seien manchmal Steine werfende orthodoxe junge jüdische Siedler, die den vorbeifahrenden Mannschaftsbus versuchen zu treffen. Leider verhielten sich hierzu die israelischen Sicherheitskräfte passiv.
 
Weltrangliste
 
Das Verhältnis zur eigenen palästinensischen Männer-Fußballmannschaft des Landes habe sich auch im Laufe der Zeit verändert, erklärt Jaklin Jazraw zum Gender-Problem: "Anfangs haben sie versucht, uns klein zu halten und haben uns nichts zugetraut." Inzwischen nutzten einige Nationalspieler ihre Facebook-Seite, um auch auf das Frauenteam und seine Spiele hinzuweisen. Ein Akt der Gleichberechtigung dank interaktiver sozialer Plattformen. "Wer welcher Religion angehört, spiele keine Rolle", so die Kapitänin. Sie bestritt ihr erstes Länderspiel gegen Jordanien. Seit 2008 ist die Mittelfeldspielerin auch Spielführerin der Nationalmannschaft. Insgesamt 20 Länderspiele hat sie bis jetzt schon absolviert. Palästinas Nationalmannschaft rückte bereits auf Platz 94 der Weltrangliste vor und verbuchte als bislang höchste Siege ein 18:0 gegen Kuwait und ein 17:0 gegen Katar. Die Tür zur internationalen Anerkennung wurde aufgestoßen. Der Erfolg wird dabei nicht nur in Siegen gemessen. „Gegen Japan haben wir bisher zweimal verloren. Zuerst 0:17, dann nur noch 0:4. Und Japans Kapitänin hat uns danach eine erstaunliche Entwicklung bescheinigt." Dass diese Sportart nunmehr in einer männergeprägten Gesellschaft so populär geworden ist und immer mehr Anhängerinnen findet, begründet Spielführerin Jaklin Jazrawi damit, dass das ganze Leben in Palästina auf ständige Herausforderungen eingestellt sei.
 
Enttabuisierung
 
Tatsache ist: mit Ausnahme von Saudi-Arabien ist Frauen-Fußball in allen Ländern im Nahen Osten und Nordafrika erlaubt. Natürlich gibt es, genau wie in anderen arabischen Ländern, auch in Palästina den Konflikt zwischen religiösen Ansichten und der Erziehung. Der Erfolg der Fußballerinnen aus Bethlehem liegt darin, dass sie gerade trotz oder sogar wegen der erschwerten politischen, gesellschaftlichen und religiösen Umstände dabei sind, den riesigen historischen Durchbruch der Emanzipation der Frauen zu schaffen und zu enttabuisieren. Der Chef des palästinensischen Fußballverbandes Jibril Rajub beschreibt diese aktuelle Situation als eine soziale, politische und sportliche Revolution für Frauen.
 
Tatsache ist: religiöse Traditionen sind in Palästina immer wichtig gewesen. In den palästinensischen Grund- und Oberschulen, aber auch an den Universitäten sind heute mehr Mädchen als Jungen eingeschrieben, 98.9 Prozent der jungen Mädchen können Lesen und Schreiben. Trotz des Widerspruchs vieler Kleriker und der Dorfältesten wurde die Frauenfußballliga gegründet. Im sogenannten arabischen Frühling wurde das Ergebnis des Senfkorns aus Bethlehem sichtbar. Die Reise der Fußballerinnen nach Potsdam war eine solidarische Anerkennung und Beachtung sowie eine positive Nachricht für den Frieden im Heiligen Land.
 
Tatsache ist: immer häufiger nimmt die Palästinensische Frauennationalmannschaft inzwischen an regionalen Wettbewerben und Turnieren auf kontinentaler Ebene teil. Das Ziel, einmal an einem großen FIFA Turnier teilzunehmen, rückt immer näher, da sich die Qualität des A-Kaders in den letzten Jahren deutlich verbessert hat. Neben den beiden bereits genannten Teams Sareiat YMCA Ramallah und Diyar Consortium Bethlehem sind noch Al Rouha Beit Jala-Beit Sarour, Shabat Al Hasimyia Jerusalem, Al Assawayia Jerusalem and Baladana Jericho /Ariha mit in der neugeschaffenen Liga.
 
Bei uns ist eben nichts normal
 
Die Fußballerinnen aus dem Nahen Osten sind letzten Montag nach neun Tagen Training und zwei Freundschaftsspielen wieder nach Hause abgereist. Sie würden zweieinhalb Tage dafür brauchen, um die israelischen Checkpoints zu überqueren sowie die Grenze zwischen Jordanien und Israel. Einen Direktflug in die palästinensischen Autonomiegebiete im Westjordanland gibt es nicht. So landet die Frauenfußballmannschaft in der jordanischen Hauptstadt Amman. Von dort geht es für sie über Israel zurück in ihre Heimat in der West Bank. "Bei uns ist eben nichts einfach und normal", sagte Spielführerin Jasrawi. (Anmerkung der Redaktion: Als Ministerpräsident Platzeck von Potsdam aus nach Israel reiste und die palästinensischen Gebiete bei Bethlehem besuchte, benötigte er nicht mehr als einen halben Tag.)
 
Der Gründer und Präsident des Frauenfußballvereins von Diyar Consortium Bethlehem, Pastor Mitri Raheb, erklärte: "Das Heilige Land braucht keine Mauern, sondern Brücken. Martin Buber, der jüdische Philosoph, dem ich geistig sehr nahe stehe, hatte Recht als er schrieb: "Alles wirkliche Leben ist Begegnung“. "Das Du der anderen bekommt in der Begegnung ein Gesicht und einen Namen. Dialog kann nur dann ein wahrer Dialog sein, wenn es ein Dialog von Gleichberechtigten ist, wenn das Du und das Ich auf gleicher Augenhöhe stehen. Wenn jeder seinen Narrativ, seine Geschichte und Identität haben kann, aber auf den Narrativ des anderen hören kann. Ein Monopol über Wahrheit, Sicherheit oder Opferrolle gehört nicht zum echten Dialog."

Dr. Mitri Raheb bei der Preisübergabe des Deutschen Medienpreis 2011. Er wurde geehrt gemeinsam mit drei anderen Preisträgern, die laut Jury keine Schlagzeilen in den Medien gemacht haben, deren Taten aber herausragende Symbole der Menschlichkeit sind. Zum Jubiläum des Medienpreises ehrte die Jury Persönlichkeiten, die leise Friedensstifter sind und deren Wirken ohne große mediale Beachtung stattfindet. Es gab zur Preisverleihung an den Palästineser Raheb Proteste des Deutschen Koordinierungsrates (DKR) für Christlich-Jüdische Zusammenarbeit e.V. Die NRhZ berichtete. NRhZ-Autorin Evelyn Hecht-Galinski, die Tochter des ehemaligen ersten und vierten Präsidenten des Zentralrates der Juden, Heinz Galinski aus Berlin, informierte über die Hintergründe.
Foto: Media Control GmbH

Dietmar Tietzmann ist in der Autorenzeile erwähnt worden, weil er den Autoren bei der Bildbearbeitung wichtige Hilfe geleistet hat.
(PK)


Online-Flyer Nr. 365  vom 01.08.2012



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