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Sport
10 Pfund als Lohn für eine Arbeitswoche – 100 Millionen fürs Sponsoring
Olympia-Hauptsponsor Adidas rechtzeitig enttarnt
Von Hans Georg

Gewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen in Großbritannien üben scharfe Kritik an einem Hauptsponsor der olympischen Sommerspiele 2012. Der deutsche Adidas-Konzern habe sich seinen Auftritt als Olympia-Hauptsponsor 100 Millionen britische Pfund kosten lassen, berichtet das britische Aktionsbündnis "Playfair 2012". Gleichzeitig habe er die Arbeitskräfte, die in zahlreichen asiatischen Zulieferbetrieben Adidas-Produkte für das aktuelle Sport-Megaevent herstellten, unter miserablen Arbeitsbedingungen schuften lassen und ebenso miserabel bezahlt.
 
Exemplarisch nennt das Aktionsbündnis Betriebe in China, auf den Philippinen und in Sri Lanka, die - nicht selten unter Bruch nationaler Gesetze - zahllose Überstunden verlangten, Arbeitsschutzregeln brechen ließen und Proteste der Belegschaften mit schmutzigen Tricks unterbänden. In der britischen Öffentlichkeit ist Adidas erst vor wenigen Tagen aufgrund eines Zulieferbetriebs in Kambodscha in die Schlagzeilen geraten; dort würden, heißt es, für eine 48-Stunden-Woche nur zehn britische Pfund gezahlt. Mit dem kostspieligen Olympia-Sponsoring bei Niedrigstlöhnen in der Produktion zielt Adidas darauf ab, die Marktführerschaft in Großbritannien zu erringen und die weltweiten Profite zu steigern, um seine Position gegenüber dem Rivalen Nike, der globalen Nummer eins, zu stärken. Konzernkreise hoffen auf einen Jahresgewinn von mehr als einer dreiviertel Milliarde Euro - dank Olympia.
 
Playfair 2012
 
Scharfe Kritik an Adidas übt das Londoner Aktionsbündnis "Playfair 2012". In dem Bündnis hat der britische Gewerkschaftsdachverband Trades Union Congress (TUC) diverse Einzelgewerkschaften und Menschenrechtsorganisationen zusammengefasst, darunter Anti-Slavery International, die nach eigenen Angaben älteste Menschenrechtsorganisation der Welt. "Playfair 2012" weist darauf hin, dass Adidas bereits 2007 einen Vertrag mit einem Volumen von 100 Millionen britischen Pfund geschlossen hat, der den deutschen Konzern zu einem der Hauptsponsoren der Sommerspiele 2012 in London macht. Damit profitiert Adidas unter anderem von besonderen Vermarktungsrechten, die derzeit in Großbritannien für Aufsehen und für erheblichen Unmut sorgen. Selbst Fangruppen dürfen Symbole konkurrierender Marken nicht auffällig in der Öffentlichkeit platzieren, um den Adidas-Werbeerfolg nicht einzuschränken Ein Londoner Café musste unlängst seine Schaufensterdekoration - fünf Bagels in Form der Olympiaringe - entfernen, um die Exklusivrechte der Sponsoren nicht zu relativieren. "Playfair 2012" stellt dem 100-Millionen-Vertrag für die exklusive Adidas-PR nun die Arbeitsbedingungen entgegen, die in den Betrieben in Asien, in denen der deutsche Konzern einen Großteil seiner Produkte auch für Olympia herstellen lässt, an der Tagesordnung sind - bis heute.
 
Illegale Arbeitsbedingungen
 
"Playfair 2012" hat dazu Arbeitskräfte aus zehn Betrieben mit insgesamt 32.750 Beschäftigten befragt, von denen acht Betriebe unmittelbar für die olympischen Sommerspiele 2012 produzierten. Zu ihnen gehört die Tochterfirma eines Hongkonger Konzerns im südchinesischen Guangzhou, die vorwiegend für Adidas arbeitet. "Playfair 2012" zufolge beträgt der Basislohn dort 1.300 chinesische Yuan (167 Euro) im Monat; das reicht nicht aus, um den alltäglichen Grundbedarf zu decken. Der Arbeitsdruck ist so hoch, dass das etwas Zeit raubende Tragen der gesetzlich vorgeschriebenen Schutzkleidung nicht möglich ist. Auch werden Überstunden in einem Ausmaß verlangt, das in der Volksrepublik illegal ist. Als es 2009 zu Protesten kam, erklärte der Direktor des Adidas-Bereiches "Soziales und Umwelt", Frank Henke: "Die Minimalanforderungen für Arbeiter in China sind von dem Lohn (in dem Zulieferbetrieb, d. Red.) abgedeckt."[1] Um Proteste niederzuhalten, hat sich die Firma eine 200 Kilometer entfernte Zweigstelle zugelegt und hält sich vertraglich die Option offen, Arbeiter fristlos in die Zweigstelle zu versetzen - was die in Guangzhou ansässigen Beschäftigten de facto zur Aufgabe ihres Arbeitsplatzes zwänge. Laut "Playfair 2012" dient der Trick auch dazu, langjährige Angestellte mit Anspruch auf Lohnerhöhung loszuwerden. Die Zustände in dem Betrieb sind auch deswegen von Interesse, weil miserable Arbeits- und Lohnbedingungen, wie sie hier - im offenen Widerspruch zu chinesischen Gesetzen - von Adidas verteidigt werden, in deutschen Medien gern der Volksrepublik angelastet werden.
 
Fankleidung in Kambodscha
 
Während "Playfair 2012" ähnlich miserable Verhältnisse auch bei Adidas-Zulieferern auf den Philippinen und in Sri Lanka beschreibt, erregen seit einigen Tagen Geschäftspraktiken des deutschen Olympia-Hauptsponsors in Kambodscha die Aufmerksamkeit des britischen Publikums. Wie Recherchen des Daily Telegraph ergeben haben, lässt Adidas Fankleidung für die olympischen Sommerspiele von einem Betrieb in einem Vorort der kambodschanischen Hauptstadt Phnom Penh fertigen. Der Monatslohn, den die Arbeiterinnen dort erhielten, belaufe sich auf etwa 61 US-Dollar pro Monat plus eine Zulage in Höhe von fünf US-Dollar - wöchentlich kaum mehr als zehn britische Pfund, berichtet die britische Tageszeitung. Dafür müssten die Arbeiterinnen an sechs Tagen pro Woche jeweils acht Stunden schuften. Mit Überstunden könne etwas mehr Geld verdient werden. Der Mindestlohn in Kambodscha betrage 66 US-Dollar, eine Arbeiterin mit zwei Kindern benötige jedoch mindestens 260 US-Dollar, um menschenwürdig leben zu können, heißt es weiter. Adidas behauptet, die Beschäftigten verdienten in dem Betrieb durchschnittlich 130 US-Dollar pro Monat.[2] Diese Aussage ist wichtig, weil die britischen Olympia-Organisatoren - im Unterschied zu allen ihren Vorgängern - sich selbst auf die Einhaltung gewisser Mindeststandards bei der Herstellung von Olympia-Produkten verpflichtet haben. Treffen die Recherchen des Daily Telegraph zu, dann macht sich Adidas eines Bruchs der Sponsorenverpflichtungen schuldig. Der Vorfall, heißt es, werde daher überprüft.
 
Europas Marktführer
 
Der Adidas-Konzern, der bei Löhnen und bei Arbeitsbedingungen in Asien nach Kräften spart, hat die 100 Millionen britische Pfund für den Sponsorenvertrag strategisch angelegt. Er will nicht nur ganz allgemein die globale PR-Chance Olympia nutzen, sondern konkret Marktführer in Großbritannien werden, einem gegenwärtig besonders energisch umkämpften Markt. Noch liegt Europas größter Sportausrüster mit 16 Prozent Marktanteil auf Platz zwei hinter Weltmarktführer Nike aus den USA (18 Prozent), hat jedoch im ersten Quartal 2012 seinen Umsatz in Großbritannien um 19 Prozent gesteigert - dank der Vorbereitungen für Olympia: Adidas liefert unter anderem Uniformen für rund 70.000 Olympiahelfer.[3] Dies könnte auch dazu beitragen, den weltweiten Konzernumsatz in neue Rekordhöhen zu schrauben. Bereits 2011 hatte Adidas seinen Umsatz um 11,3 Prozent auf mehr als 13,3 Milliarden Euro gesteigert und einen Gewinn von 671 Millionen Euro erzielt.[4] Der Gewinn könne dieses Jahr, heißt es in Firmenkreisen, dank Olympia womöglich sogar über eine dreiviertel Milliarde Euro erreichen. Dafür werden weitere Kostensenkungen angestrebt. Adidas hat angekündigt, seine letzte eigene Firma in China - Zulieferer sind davon nicht berührt - zu schließen. In dem Werk in Suzhou nicht weit von Shanghai verdienten die Beschäftigten bis 2010 rund 1.100 Yuan (142 Euro). Inzwischen aber musste Adidas Berichten zufolge Lohnerhöhungen von 400 bis 600 Yuan zugestehen. Chinesische Medien vermelden, der deutsche Konzern wolle seinen chinesischen Ableger durch eine Filiale in Myanmar ersetzen. Dort käme Adidas mit deutlich niedrigeren Löhnen ohne absehbare Erhöhung aus.
 
Die beliebteste Marke in Deutschland
 
Seiner Beliebtheit in Deutschland stehen die Geschäftspraktiken des Adidas-Konzerns ebensowenig im Wege wie seine Vorgeschichte in der NS-Zeit. Die Brüder Adolf ("Adi") und Rudolf Dassler, die bereits in den 1920er Jahren Sportschuhe hergestellt hatten, verdienten gegen Ende des Zweiten Weltkriegs mit Rüstungsproduktion für die Wehrmacht ihr Geld - sie stellten als besonders wirksam geltende Panzerabwehrwaffen her.[5] 1949 gründeten sie schließlich, anknüpfend an ihre vormalige Tätigkeit, die Firma Adidas. Ihre Karriere ist keinesfalls ungewöhnlich. Auch andere Unternehmen wie der Kfz-Zulieferer Schaeffler, im selben Ort wie Adidas beheimatet - im mittelfränkischen Herzogenaurach -, organisierten sich auf einer Grundlage, die sie mit NS-Rüstungsgeschäften geschaffen hatten, nach Kriegsende neu. (Schaeffler freilich hatte im Krieg sogar menschliche Haare aus dem Vernichtungslager Auschwitz verarbeitet - german-foreign-policy.com berichtete.[6]) Adidas wiederum ist zuletzt 2009 wegen NS-Symbolen in die Schlagzeilen geraten, die ein Gebäude in Rio de Janeiro schmückten, in dem die Firma eine "Adidas House Party" zelebrierte. Ein eingeladener Schriftsteller verließ die Räumlichkeiten unter Protest, nachdem er dort Hakenkreuzornamente, das Bild eines Adlers mit der Aufschrift "Hamburg Kriegsmarine" sowie ein Porträt vorgefunden hatte, das Ähnlichkeiten mit dem Hitler-Nachfolger Karl Dönitz aufwies.[7] Zumindest in Deutschland nahm die Firma dadurch allerdings keinerlei Schaden. Wie eine aktuelle Umfrage belegt, ist Adidas in der Bundesrepublik heute die beliebteste aller Marken überhaupt - weit vor angesehenen Namen wie Esprit, Mercedes Benz oder Apple. (PK)
 
 
[1] Fair Games? Human rights of workers in Olympic 2012 supplier factories; www.tuc.org.uk
 
[2] Cambodian workers on £10 a week making Olympics "fanwear"; www.telegraph.co.uk 13.07.2012
 
[3] Adidas will mit Olympia Marktführer werden; www.handelsblatt.com 22.05.2012
 
[4] Adidas legt Rekordergebnis hin; www.handelsblatt.com 07.03.2012
 
[5] Panzerschreck im Schuhimperium; www.einestages.spiegel.de
 
[6] s. dazu Vom Ursprung deutschen Reichtums, Vom Ursprung deutschen Reichtums (II) und Vom Ursprung deutschen Reichtums (III)
 
[7] Fotos davon sind im Internet dokumentiert: João Paulo Cuenca: Festa da Adidas em mansão nazista? oglobo.globo.com 23.05.2009. Feiern zwischen Hakenkreuzen; www.taz.de
 26.05.2009


Online-Flyer Nr. 365  vom 01.08.2012



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