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Bildung - Jobgarant und gleichzeitig der beste Schutz gegen Armut?
Bildungstücke
Von Harald Schauff

Was Bildung nicht alles soll: Uns ein Bild vermitteln, was die Welt und uns selbst im Innersten zusammenhält. Uns in die Lage versetzen, an schlauen Gesprächen über Gott und jene Welt teil zu haben. Sogar vor Armut und Arbeitslosigkeit soll sie schützen. Politiker, Experten und Wirtschaftsvertreter schwören auf sie. Journalisten, Pädagogen und Sozialarbeiter loben sie als Hort sozialer Stabilität und als Wegweiser aus dem Ghetto. Wer sie nicht alles im Munde führt.
 

Ronald Reagan: Man muss nur genügend
ausgebildet sein
Quelle: wikipedia
Deshalb wirkt sie einerseits so abgenuckelt, ausgelutscht und glibberig wie andererseits schulmeisterhaft ernst, dröge und zeigefinger-erhoben. Was sie ihr nicht alles hinterher speien und in die Begriffshülse spucken, dass sie als wahre Wundertüte er- scheint. Arbeitsplatzgarant soll sie sein. Stimmt: Mit abgeschlos- sener Berufsausbildung oder Uni-Examen ist der 1-Euro-Job praktisch gebongt. Wer sich ins Zeugs legt, kann es sogar auf 400-Euro-Basis bringen. In beiden Fällen zählt man zu den Erwerbspersonen. Man ist nicht ganz drin im Arbeitsmarkt, doch zumindest ganz dicht dran. Welche wohltuende Nähe. Es bewegt sich etwas. Auf Mobilität kommt es heute an. Genau so wie auf Vielseitigkeit. Aus diesem Grund machen viele Uni-Absolventen mit Jura- oder BWL-Diplom auch gleich noch den Taxi-Schein. So können sie etwas und jemanden bewegen. Die Räder rollen zum Erfolg.
 
Auf die Idee, dass Bildung Jobgarant wie gleichzeitig der beste Schutz gegen Armut sein soll, kam man übrigens schon vor dreißig Jahren. Da verkündete der damalige US-Präsident Ronald Reagan, man brauche nur genügend ausgebildet zu sein und schon sei der Arbeitsplatz sicher. Der vormalige Leinwand-Profi spielte seine Rolle im Weißen Haus so überzeugend, dass er eine zweite Amtszeit anhängen durfte. Weil er ständig in Kameras blickte, glaubte er sich offensichtlich gut im Bilde.
 
Bildung, der große Hoffnungsträger und "Rohstoff des 21. Jahrhunderts", hat also auch mal klein angefangen: Als Hollywood-Märchen. Auf der PC-Welle plätscherte das Märchen über den Großen Teich. Politiker, Experten und sonstige Vertreter, die im schlauen Reden geübt sind, griffen es hierzulande auf und hängten es an die ganz große Glocke.
 
Bis heute treten viele von ihnen den Beweis an, dass sich ihre Bildung eher auf den rhetorischen Bereich und ihren Machtinstinkt begrenzt. Im Schriftlichen hapert es bereits. Da bleibt bei Examens- und Doktorarbeiten häufig nur das Abkupfern.
 
Gleichwohl ist Bildung den Herrschenden lieb und teuer. Also sollen Schüler und Studenten in möglichst kurzer Zeit möglichst viel davon eingetrichtert bekommen. Deswegen Turbo-Abi und Bologna-Prozess. Deshalb die 40-Stunden-Lernwoche für Schüler. Damit sie keine freie Zeit mehr haben, auf bildungsfernen Abwegen zu wandeln. Die Ernte besteht aus zugepaukten rauchenden Köpfen, denen Hören und Sehen vergeht. Die perfekte Vorbereitung auf ein Dasein als gestresster Berufs- und Familienmensch. Früh übt den Tunnelblick, wer später erfolgreich in die Röhre gucken möchte.
 
Merke: Bildung, die sie meinen, soll funktionstüchtig machen für Job und Ratequiz. Wer an die Förderung geistiger Freiheit und Anregung der Phantasie denkt, ist ein unverbesserlicher Nostalgiker. Und ein Narr ist, wer glaubt, Bildung sei der entscheidende Faktor, um es in dieser Gesellschaft zu etwas zu bringen. Ausschlaggebend bleibt in der Regel die soziale Herkunft. "Bildung" soll diese nicht überwinden, sondern zementieren. In Zeiten zunehmender sozialer Spaltung mehr denn je. Der Bild-ungsvorsprung der bürgerlichen Schichten darf nicht verloren gehen. Deshalb halten sie an einem überholten Bildungssystem fest, das fleißig ausliest und herum sortiert. Sie wollen glauben machen, dass sie soviel haben und verdienen, weil sie so klug und fleißig sind. Deshalb bloß keine Einheitsschule. Sonst fliegt der Schwindel auf. (PK)           
 
Harald Schauff ist verantwortlicher Redakteur der Kölner Arbeits-Obdachlosen Selbsthilfe-Mitmachzeitung "Querkopf", die für 1,50 Euro auf der Straße verkauft wird. Diese Glosse hat er in der Weihnachts-Ausgabe des "Querkopf" veröffentlicht.                                                                                        
 


Online-Flyer Nr. 384  vom 12.12.2012



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