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Lokales
Briefwechsel zum Mülheim 2020-Projekt "Neue Arbeit für Mülheim"
Ist die Kölner SPD verläßlich?
Von Peter Kleinert

Seit April 2007 engagiert sich die Sozialistische Selbsthilfe Mülheim e.V. (SSM) bei der Halle am Rhein. Der Verein von und für Ausgegrenzte renovierte das letzte erhaltene Gebäude des nördlichen Mülheimer Hafens, um dort neue Arbeitsplätze für Langzeiterwerbslose zu schaffen - durch Secondhandmöbel-Verkauf und -Restaurierung wie durch Betreiben eines Cafés und eines Stadtteiltreffpunktes. Rückenwind gab es anfangs von OB Jürgen Roters und dem SPD-Fraktionsvorsitzenden Martin Börschel. Zum weiteren Ausbau wurde dieses Projekt Teil des Mülheim 2020-Programms als "Neue Arbeit für Mülheim". Im Vertrauen darauf erwarb der SSM das Gelände samt Halle vor drei Jahren kreditfinanziert für 170.000 Euro. Obwohl 2009 vom Rat beschlossen und obwohl Ende 2010 bewilligt, wurde das Neue Arbeit-Projekt von Projektleiter Oster (SPD) immer wieder verzögert und in Richtung Nirwana geführt. Nach einem Gespräch jetzt im Januar von SSM-Mitglied Rainer Kippe mit Martin Börschel keimte noch einmal Hoffnung auf, das Projekt doch noch zumindest teilweise umsetzen zu können. Aber das war eine trügerische Hoffnung. Die Verlierer sind die Arbeitslosen von Mülheim. Die NRhZ dokumentiert deshalb den Briefwechsel zwischen Rainer Kippe und Martin Börschel, der zeitweise auf dessen Facebook-Seite zu lesen war. (https://www.facebook.com/boerschel)

Martin Börschel – Vorsitzender der SPD-Fraktion und des Finanzausschusses im Rat der Stadt Köln, außerdem Abgeordneter im Landtag von Nordrhein-Westfalen
NRhZ-Archiv
 
06.02.2014

Lieber Martin Börschel,
Am 10. Januar 2014 haben wir uns gemeinsam mit Herrn Fuchs und Ihnen über MÜLHEIM 2020 und die Verwirklichung des Arbeits- und Obdachlosenprojekts NEUE ARBEIT FÜR MÜLHEIM unterhalten.

Wie Sie wissen wird die Umsetzung dieses Projekts seit Sommer 2008 von der Verwaltung verschleppt. Am 30.09.2014 endet das Programm. Wir haben uns deshalb darüber unterhalten, ob das Projekt noch in vereinfachter Form: Wohn und Arbeitsplätze für zunächst sechs, später bis zu zwölf Arbeits- und Obdachlose in Köln Mülheim auf dem Gelände Am Faulbach
verwirklicht werden kann.

Während Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs sich direkt für die Umsetzung aussprach, haben Sie Ihre Zustimmung von einer rechtlichen Prüfung abhängig gemacht. Dazu haben wir vorgeschlagen, mit den Rechtsvertretern beider Seiten, Herrn Dr. Csaki in Düsseldorf für die Stadt und Herrn Dr. Ortner in Köln für SSM Kontakt aufzunehmen. Innerhalb von vier Wochen wollten Sie uns Antwort geben. Diese Zeit läuft nun ab.

Leider konnte ich nicht feststellen, dass Sie auf diese Möglichkeit zurückgekommen wären. Bislang haben wir nichts von einer Kontaktaufnahme von Ihrer Seite zu Dr. Ortner geschweige denn von einer rechtlichen Verhandlung gehört.

Stattdessen läuft Ihr Parteifreund Oster herum und erzählt öffentlich, das Projekt NEUE ARBEIT FÜR MÜLHEIM werde man jetzt „zu Ende bringen“. Ich weiß, dass es von Anfang an Stimmen in der Verwaltung gab, die dieses wichtige Arbeitsbeschaffungsprojekt nicht haben wollten. Von daher kommt es gerade darauf an, die jeweils angegebenen Gründe für die Nichtumsetzung (Zeitablauf, rechtliche Bedenken etc.) von rechtlich kompetenter Seite auf ihre Stichhaltigkeit überprüfen zu lassen. Eben das hatten wir Ihnen vorgeschlagen, aber offensichtlich vergeblich. Wir wissen, dass es für eine erfahrene Verwaltung ein leichtes ist, die Umsetzung eines Projektes zu verschleppen und mit Prüfungen über fünf Jahre zu verhindern. Dagegen können wir als einfache Bürger, die weder über Geld noch über politischen Einfluss verfügen (was oft dasselbe ist) gar nichts tun.
Wir können nur erneut an Sie appellieren, endlich in eine ernsthafte rechtliche Prüfung einzutreten. Wir meinen, dass Sie mindestens das dem Bürger schuldig sind. Aufgrund jahrzehntelanger politischer Erfahrung sind wir zu dem Ergebnis gelangt, dass letztlich nur der politische Wille zählt, wenn es gilt, etwas umzusetzen. Dazu sollten Sie sich die Frage stellen, ob die Stadt Köln und die Menschen in Ihrem Wahlkreis besser dastehen und ob sie zufriedener sind, wenn 12 Obdachlose und Langzeitarbeitslose ein Zuhause und eine Arbeit gefunden haben oder nicht. Wenn Sie diese Frage mit Ja beantworten, werden Sie einen Weg finden zur Umsetzung, wenn mit Nein dann nicht.

Darüber hinaus werden Sie sich die Frage stellen müssen, ob Ihre Partei im bevorstehenden Wahlkampf beim Wähler besser dastehen wird, wenn Sie und die Ihrer Partei ausnahmslos angehörenden Beamten den Weg für „NEUE ARBEIT FÜR MÜLHEIM“ freimachen, oder nicht.

Ich werde am 14.02. aus Istanbul zurück sein und würde mich freuen, wenn ich dann ein Lebenszeichen von Ihnen vorfinden könnte.

Mit freundlichen Grüßen
verbleibe ich Ihr Rainer Kippe, SSM

16.02.2014

Lieber Rainer Kippe,
über Inhalt und Verlauf vertraulicher Gespräche werde ich mich niemals öffentlich äußern, wie Sie wissen. Insofern lasse ich Ihren Eintrag unkommentiert, auch wenn es mir an der einen oder anderen Stelle wirklich schwer fällt...

Mit den besten Grüßen
Martin Börschel

17.02.2014

Lieber Martin Börschel,
Vertraulichkeit kommt von Vertrauen, und Vertrauen entsteht, wenn man sich an die Absprachen hält. Sie hatten uns eine Antwort auf unser Anliegen innerhalb 4 Wochen angekündigt, und die sind am 8.02. abgelaufen.

Ich hätte schon erwartet, dass Sie dann ein Lebenszeichen von sich geben oder einfach sagen, dass es noch etwas dauert und bis wann man eine Antwort erwarten kann. Das gleiche gilt für die vereinbarte rechtliche Prüfung durch die Anwälte der Stadt und des SSM. Auch hier haben wir seit nun immerhin fünf Wochen nichts gehört, was auf eine Prüfung oder Erörterung schließen ließe.

Durch solches Verhalten nähren Sie selbst den Verdacht, dass die Stadt nur weiter Zeit gewinnen will, damit das Geld endlich verfällt und der SSM leer ausgeht. Was NEUE ARBEIT FÜR MÜLHEIM anbelangt, so warten wir seit nun immerhin mehr als fünf Jahren darauf, dass die Stadt Köln uns die dafür bestimmten EU-Mittel in Höhe von 535.000.- € weiterleitet. Das ist nicht das Geld der Stadt, es ist das Geld, welches die Bürger der EU für Obdachlose und Langzeitarbeitslose bereitgestellt haben. Woher nehmen Sie sich eigentlich das Recht, diesen Menschen das für sie bestimmte Geld immer weiter vorzuenthalten?

Ein Problem habe ich auch, wenn ich ehrlich bin, mit der Art, mit der wir behandelt werden. Wir fühlen uns wie lästige Bittsteller, die um ein Almosen bitten. Dabei ist es doch genau umgekehrt: Sie, Herr Börschel, als Vertreter des Rates und der Stadt haben sich verpflichtet, ein EU-Programm umzusetzen, durch welches der Stadtteil Mülheim in den Kernbereichen Soziales, Bildung und Städtebau an den städtischen Durchschnitt herangeführt werden soll. Davon sind Sie, 8 Monate vor Schluss des Programmes, bekanntlich weit entfernt. Weder haben Sie die 1605 Arbeitsplätze geschaffen, zu denen Sie sich verpflichtet haben, noch die 3159 erwerbsfähigen Hilfeempfänger nach SGB II in Arbeit gebracht, mit denen Sie den städtischen Durchschnitt übersteigen. Sie haben auch nicht die Zahl der Leerstände in den Mülheimer Geschäftsstraßen von Jahr zu Jahr um 5-10% gesenkt, sondern zugelassen, dass diese ungeahnte Ausmaße angenommen haben, und ob die Zahl der Besucher der Oberstufen der weiterführenden Schulen sich in diem Maße erhöht haben, wie Sie das im Programm versprochen und sich bei der EU verpflichtet haben, bezweifeln wir.

Überprüfen können wir es nicht, denn das seit 2008 geforderte Controlling ist erst im letzten Jahre eingerichtet worden und behält die Zahlen für sich, was wohl auch besser ist. Angesichts dieser traurigen Lage stände es Ihnen und Ihren Kollegen gut an, Bürgern wie dem SSM, die sich für die Umsetzung des Programms bereithalten und bereits für über 200.000.- € in Vorleistung getreten sind, so zu behandeln, wie sie es verdienen: als willkommene Helfer und nicht wie lästige Bittsteller. Überhaupt sollten Politiker sich wieder auf das besinnen, was sie unserer Verfassung nach sind: Diener des Volkes und nicht Herren.

In Erwartung Ihrer Antwort verbleibe ich mit
vorzüglicher Hochachtung
Ihr Rainer Kippe


p.s.:
Erlauben Sie mir noch eine Anmerkung:

Dadurch, dass Sie MÜLHEIM 2020 nicht umsetzen und EU-, Bundes-, und Landesmittel nicht abrufen, sparen Sie der Stadt Köln, dem städtischen Haushalt also, 20% Beteiligung ein.

Allein im Sektor Lokale Ökonomie haben Sie nach Ihren eigenen Angaben statt 16,5 Millionen nur 4,3 Millionen abgerufen, also 12,2 Millionen weniger. Das macht bei einem städtischen Anteil von 20% nach Adam Riese 2,44 Millionen Einsparungen für den städtischen Haushalt. So also, auf Kosten der Langzeitarbeitslosen, sanieren Sie den städtischen Haushalt. Bei unserem Projekt, NEUE ARBEIT FÜR MÜLHEIM, sparen Sie 20%. Bei veranschlagten und im Programm ausgewiesenen 556 686 € macht das allein schon eine Einsparung von 111 337,20 €: Geld, was uns für unser Projekt für Mülheimer Obdachlose und Langzeitarbeitslose zusteht - AUS STÄDTISCHEN MITTELN, wohlgemerkt.

Das Projekt für Langzeitarbeitslose: Baustoffrecycling und Second-Hand-Baumarkt, an dem wir ebenfalls beteiligt waren, haben Sie ebenfalls „eingespart“. Im Programm mit der EU vereinbarte Ausgaben: 2.239.949,00 €, städtischer Anteil 20%, macht 447.989,80 €. Auch aus diesen „Einsparungen“ steht uns ein Anteil zu für die Arbeit mit Obdachlosen und Langzeitarbeitslosen, die wir zu Ihren Gunsten und ohne die uns zustehende Förderung allein aus eigenen Mitteln und aus eigener Arbeit leisten.

Ich sage das, weil Ihr Herr Projektleiter und Bürgeramtsleiter Oster zur selben Zeit, wo Sie mit uns „vertraulich“ verhandeln, durch Mülheim läuft und vor dem Bürgerverein mit Presse und in aller Öffentlichkeit verkündet, das Projekt NEUE ARBEIT werde man nun auch „beenden“. Soviel zu Koch und Kellner in der Mülheimer SPD.
Wir stellen uns nach diesem Auftritt ganz realistisch-sozialdemokratisch darauf ein, dass Sie und Bezirksbürgermeister Norbert Fuchs nicht über genügend Einfluss in Ihrem eigenen Beritt verfügen, um einen Amtsleiter und eine Amtsleiterin zur Erfüllung ihrer Aufgaben zu zwingen, wenn diese es sich anders überlegt haben. Für diesen, und nur für diesen Fall, weisen wir Sie deshalb rein fürsorglich darauf hin, wo im städtischen Haushalt das Geld für Obdachlose und Langzeitarbeitslose steckt, das Sie uns seit fünf Jahren vorenthalten. Und ich möchte so fair sein Sie darauf hinzuweisen, dass wir dieses Geld im nun beginnenden Kommunalwahlkampf auch ganz öffentlich von Ihnen verlangen werden - notfalls, wenn kein anderer die Eier hat, uns bei dieser selbstverständlichen Forderung zu unterstützen - eben als Mülheimer Bürgerliste.

Dazu noch ein Wort: Manche tadeln uns in diesem Zusammenhang, dass wir unsere „politische Neutralität aufgäben“, indem wir eine Wahlverbindung - wenn auch nur für die Bezirksvertretung - unterstützten. Ich erinnere in diesem Zusammenhang immer daran, dass wir unsere politische Neutralität vor 5 Jahren aufgegeben haben, als wir als SSM für den SPD-Oberbürgermeister Jürgen Roters gelaufen und uns als Unterstützer vor die Presse getreten sind. Damals hat er uns ja noch besucht, und wir haben ihm gesagt, dass er, wenn er MÜLHEIM 2020 ernsthaft umsetzen will, eine andere Leiterin brauche, als Frau Kröger, und dass er ein einheitliches Amt schaffen müsse, wie es der große sozialdemokratische Verwaltungsmann Kurt Rossa seinerzeit mit dem Amt für Stadtsanierung und Stadterneuerung vorgemacht hat. Beides hat er nicht beherzigt, mit den Folgen für Mülheim, die wir nun gewärtigen. Er redet sich jetzt die katastrophalen Ergebnisse schön, und wir sollen uns die Schelle der ewigen Nörgeler und SPD-Feinde umhängen lassen.

Umgekehrt wäre richtig: Sie haben treue Freunde und Unterstützer ohne Not vor den Kopf gestoßen, um unfähigen Beamten mit Polit-Netzwerk und den unseligen Mülheimer Strippenziehern, die das Viertel seit 50 Jahren von Skandal zu Skandal steuern - von Feckler und Lindlar über Heugel zu Schmalzgrüber, könnte man sagen, - einen Gefallen zu tun.

Deshalb appellieren wir nochmals ganz eindringlich an Sie, das Steuer herumzuwerfen und für NEUE ARBEIT FÜR MÜLHEIM endlich grünes Licht zu geben. (PK)


Online-Flyer Nr. 447  vom 26.02.2014



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