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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Sport
Nach Wulff setzt sich auch die Bundesregierung für WM-Geschäfte in Qatar ein
Fußball in der Wüste - auch mit Beckenbauers Hilfe?
Von Hans Georg

Aktuelle Vorwürfe in der Affäre um die Vergabe der Fußball-WM 2022 an Qatar werfen erneut Fragen zur etwaigen Einflussnahme Berlins auf die Entscheidung auf. Aktuelle Presseberichte beleuchten die bislang unklare Rolle, die der langjährige deutsche Fußball-Funktionär Franz Beckenbauer in der Affäre spielte. Bereits vor einiger Zeit hat FIFA-Chef Sepp Blatter berichtet, "europäische Länder" hätten erheblichen Druck ausgeübt, für Qatar zu votieren - dabei habe sich insbesondere Deutschland hervorgetan.
 

Franz Beckenbauer bei der
WM 1974
Quelle: wikipedia/Deutsches
Bundesarchiv
Fußball in der Wüste (I)
 
Aussagen von Beteiligten legen nahe, dass der damalige Bundespräsident Christian Wulff Einfluss auf die Entscheidung zu nehmen versuchte. Von den Baumaßnahmen, die für die Fußball-WM in Qatar notwendig sind, profitieren zahlreiche deutsche Unternehmen; vergleichbare Aufträge hätten sie kaum erhalten, wäre die WM an die USA vergeben worden, die sich gleichzeitig mit Qatar beworben hatten. Die Entscheidung zugunsten des Emirats erfolgte zudem zu einem Zeitpunkt, da deutsche Konzerne - schwer von der Finanzkrise getroffen - stützende Investitionen und Milliardenaufträge aus Doha empfangen hatten und der dort herrschende Al Thani-Clan auf Gegenleistungen hoffte. Vor der Entscheidung über die WM-Vergabe Ende 2010 hatten sich die Kontakte zwischen Berlin und Doha stark verdichtet.
 
Korruptionsvorwürfe
 
In der Affäre um die Vergabe der Fußball-WM 2022 an das Emirat Qatar werden neue Vorwürfe laut. Medienberichte untersuchen - auf Grundlage interner E-Mails - die Rolle, die der langjährige deutsche Fußball-Funktionär Franz Beckenbauer in der Angelegenheit spielte. Beckenbauer verweigert jede Auskunft darüber, für welches Land er in der abschließenden Abstimmung votierte. Wie jetzt bekannt wird, ist er ein gutes halbes Jahr nach der Entscheidung, im Juni 2011, als Vermittler für Geschäfte im siegreichen Qatar aufgetreten - in der Schifffahrtsbranche, in der er nie zuvor tätig gewesen ist. Demnach hat er den Hamburger Reeder Erck Rickmer nach Doha begleitet und ihm dort Kontakte hergestellt. Wie es heißt, habe Rickmers zuvor eine namhafte Summe an die Franz-Beckenbauer-Stiftung gespendet: eine Viertelmillion US-Dollar.[1] Während Medien weitere Enthüllungen in Aussicht stellen, bleibt der polit-ökonomische Hintergrund weithin unbeleuchtet. Er macht die eigentliche Bedeutung der Affäre erst deutlich.
 
"Qatar National Vision 2030"
 
Das Emirat Qatar steckt, seit der bis 2013 amtierende Emir Hamad bin Khalifa al Thani im Jahr 1995 seinen Vater aus dem Amt putschte, in einer langfristig konzipierten Modernisierungsphase. Ziel ist es, die immensen Einkommen aus der Flüssiggasproduktion - Qatar besitzt die drittgrößten Erdgasvorräte der Welt - zu nutzen, um dem Land eine dauerhafte wirtschaftliche Basis jenseits von Gas und Öl zu sichern. Zu diesem Zweck hat das Emirat eine Reihe von Maßnahmen ergriffen. So sind in den letzten 15 Jahren systematisch die Wirtschaftsbeziehungen ins Ausland intensiviert worden, nicht zuletzt in die Bundesrepublik; Ende 2002 wurde der privatwirtschaftliche German Business Council Qatar gegründet, 2007 folgte die Einrichtung einer Deutsch-Katarischen Gemischten Wirtschaftskommission unter Beteiligung des deutschen Wirtschaftsministeriums. Doha bildete zudem im Jahr 2005 einen Staatsfonds, die Qatar Investment Authority (QIA), die zu Milliardeninvestitionen in der Lage ist, und verabschiedete im Juli 2008 die "Qatar National Vision 2030", die Entwicklungsziele für die laufende und die kommende Dekade formuliert. Eine zentrale Rolle darin spielt der Ausbau der qatarischen Infrastruktur und Industrie.[2]
 
Milliardengeschäfte
 
Während Qatar mitten im Ausbau seiner boomenden ökonomischen Aktivitäten steckte, geriet die Bundesrepublik ab 2008 zunächst in die globale Finanz-, dann ab 2010 in die Euro-Krise. Berlin war entsprechend intensiv um zahlungskräftige Käufer deutscher Waren und um finanzstarke Investoren bemüht. Unter anderem boten sich die Diktaturen der Arabischen Halbinsel an, die bereits in der rot-grünen Ära Schröder/Fischer verstärkt ins Visier deutscher Politiker und Manager gerückt waren.[3] Zu ihnen zählte auch Qatar. Zu dessen wirtschaftlichen Plänen passte es bestens, westliche Konzerne, auch deutsche, ins Land zu holen, um seine Modernisierung voranzutreiben. Während in Deutschland die Krise zu schweren Einbrüchen führte, vergab Doha erste hilfreiche Milliardengeschäfte an Unternehmen aus der Bundesrepublik. Schlagzeilen machten 2009 etwa Aufträge an Hochtief (1,3 Milliarden Euro für den Bau einer acht Kilometer langen Einkaufsstraße) sowie an die Deutsche Bahn (Bau eines Schienennetzes in Qatar gemeinsam mit der Investmentgesellschaft Qatari Diar - Volumen: 17 Milliarden Euro). Gleichzeitig stieg das Emirat mit Milliardensummen bei deutschen Konzernen ein; an Volkswagen etwa hält es mittlerweile 15,6 Prozent, an Hochtief 11,1.
 
Gegenleistungen
 
Klar war freilich, dass Qatar Gegenleistungen der einen oder anderen Art erwarten würde. "Katar hilft deutschen Unternehmen in schwierigen Lagen", hieß es Ende 2010 in der Wirtschaftspresse: "Die Investitionen in Deutschland sind massiv gestiegen. Nun fordern die Scheichs Entgegenkommen."[4] Die Aussage bezog sich im Kontext des zitierten Artikels auf ein von Doha gewünschtes Steuerabkommen mit Berlin. In der deutschen Hauptstadt sind allerdings womöglich noch weitere Gegenleistungen in Betracht gezogen worden. Darauf deuten neue Berichte über Aktivitäten des damaligen Bundespräsidenten Christian Wulff im Jahr 2010 hin.
 
"Keine Chance"
 
Treffen die Berichte zu, dann hat Wulff sich energisch für die Vergabe der Fußball-WM 2022 an Qatar eingesetzt. Dohas erstaunliches Ansinnen, das sommerliche Sport-Großereignis in einem Wüstenstaat mit Temperaturen von bis zu 50 Grad abzuhalten, wurde zunächst als völlig aussichtslos abgetan. Der damalige Präsident des Deutschen Fußball-Bundes (DFB), Theo Zwanziger, wurde 2013 mit der rückblickenden Einschätzung zitiert: "Ich habe damals keine Chance für Katar gesehen". Wie er berichtet, habe er diese Aussage gegenüber Bundespräsident Wulff getätigt, als dieser sich "nach der bevorstehenden WM-Vergabe erkundigt" und "nach den Chancen für Katar gefragt" habe. Wie es danach weiterging, ist Gegenstand der aktuellen Korruptionsuntersuchungen, die mittlerweile auch den langjährigen Fußball-Funktionär Franz Beckenbauer erreicht haben. Zwanziger erklärt, er habe kurz vor der Abstimmung über den WM-Austragungsort am 2. Dezember 2010 mit Beckenbauer gesprochen: "Da hat er mir gesagt, man müsse wohl auch die Option Katar ins Blickfeld nehmen".[5]
 
Druck aus Berlin
 
Als am 2. Dezember 2010 dann die Entscheidung für Qatar verkündet wurde, hatte offenbar ein Meinungsumschwung auf breiter Basis eingesetzt: In der letzten Wahlrunde gab es 14 Stimmen für das Emirat und nur acht für die USA. FIFA-Chef Sepp Blatter hat im vergangenen November über das überraschende Ergebnis geäußert: "Es gab politischen Druck aus europäischen Ländern, die WM nach Katar zu bringen. Zwei der Länder, die Druck auf die Wahlmänner in der Fifa machten, waren Frankreich und Deutschland."[6] Äußerungen des Schweizer Nationalrats Andreas Gross lassen vermuten, dass Blatter auch den deutschen Bundespräsidenten meinte. Gross wird mit der Aussage zitiert, Blatter habe ihm "berichtet, dass vor der Vergabe der WM 2022 im Dezember 2010 Bundespräsident Wulff Kontakt zu ihm gesucht habe. Herr Wulff habe ihn mit dem Hinweis auf enorme Aufträge für deutsche Unternehmen im Emirat gebeten, für Katar zu stimmen".[7]
 
In engem Kontakt
 
Berlin war in dem Zeitraum, den Blatters Aussagen betreffen, in überaus engem Kontakt mit dem Herrscherclan aus Doha. Im März 2010 hatte der damalige Ministerpräsident des Bundeslandes Niedersachsen, Christian Wulff, gemeinsam mit der Führungsspitze von Volkswagen und Porsche Qatar bereist und mit dem Stellvertreter des Emirs künftige Kooperationen besprochen. Im Mai 2010 hielt sich Kanzlerin Angela Merkel gemeinsam mit einer hochrangigen Wirtschaftsdelegation in Doha auf, lobte "beeindruckende Projekte", die in dem Emirat geplant würden, und erklärte: "Die deutsche Wirtschaft möchte an diesen Projekten natürlich Anteil haben."[8] Am 29. September empfing Wulff, inzwischen zum Bundespräsidenten aufgestiegen, den Emir und eine seiner drei Ehefrauen persönlich im Schloss Bellevue. "Viele" der anwesenden "hochrangigen Gäste hier im Saal aus bedeutenden Unternehmen, den größten Unternehmen Deutschlands", seien "in Katar bereits präsent", sagte Wulff in seiner Tischrede: Sie seien "bereit", die "vielfältigen Investitions- und Geschäftsmöglichkeiten in Katar" deutlich "stärker als bisher zu nutzen". "Unser Interesse gilt dem Zugang zu den katarischen Gasvorkommen", fuhr der Präsident fort; "unsere Unternehmen bieten ihre Mitwirkung auch an der weiteren Modernisierung ihres Landes an: vom Auf- und Ausbau von Flug- und Seehäfen, Brücken, Straßen- und Schienenwegen bis hin zu Forschung und Bildung. ... Ich bin überzeugt, dass deutsche Unternehmer und Forscher dazu viel beitragen können".[9]
 
Überraschender Sieg
 
Knapp zwei Monate später trug Doha in der Abstimmung über die Vergabe der Fußball-WM 2022 einen überraschenden Sieg davon. Danach dauerte es nicht lange, bis deutsche Unternehmen sowie Vertreter der Bundesregierung Ansprüche auf Aufträge im Zusammenhang mit dem kommenden Sportereignis anmeldeten - mit erstaunlichem Erfolg.
 
Anmerkungen:
[1] Jens Weinreich: Beckenbauer und die WM 2022 in Katar: Fährt ein Kaiser zum Emir. www.spiegel.de 08.06.2014.
[2] General Secretariat for Development Planning: Qatar National Vision 2030. Doha, July 2008.
[3] S. dazu Partner, Großer Aufschwung und Deutsche Tradition.
[4] Katar verlangt Steuerabkommen. www.handelsblatt.com 17.12.2010.
[5] Tim Röhn: So warb Christian Wulff für die WM der Scheichs. www.welt.de 11.05.2014.
[6] Thomas Kistner: Stunde der Wahrheit für Deutschland und Frankreich. www.sueddeutsche.de 25.11.2013.
[7] Tim Röhn: So warb Christian Wulff für die WM der Scheichs. www.welt.de 11.05.2014.
[8] Rede von Bundeskanzlerin Angela Merkel im Museum für Islamische Kunst in Doha. 27.05.2010.
[9] Tischrede von Bundespräsident Christian Wulff beim Staatsbankett zu Ehren Ihrer Hoheiten des Emirs des Staates Katar und Scheicha Mozah bint Nasser Al Missned am 29. September 2010 in Berlin.
 
Fußball in der Wüste (II)


Bundespräsident Wulff und seine Frau 2ß11 zu Gast in Qatar
Quelle: http://www.bundespraesident.de
 
Von der umstrittenen, unter politischem Druck aus Berlin zustandegekommenen Vergabe der Fußball-WM 2022 an Qatar profitieren in hohem Maße deutsche Unternehmen. Dies geht aus Berichten von Managern und Wirtschaftsverbänden hervor. Demnach sind nicht nur die vorbereitenden Konzeptionen für die WM von einem deutschen Planungsbüro erstellt worden. Ein deutscher Baukonzern gibt an, bereits Anfang Dezember 2010 - damals erhielt Qatar den Zuschlag - eine fertige "Absichtserklärung" über lukrative WM-Aufträge besessen zu haben. Kurz nach der Vergabe, für die sich der damalige Bundespräsident Christian Wulff persönlich eingesetzt haben soll, ließen sich deutsche Unternehmer, als sie Wulff Anfang Februar 2011 nach Qatar begleiteten, bestätigen, die "Chancen" bei bedeutenden Großprojekten seien "für die deutsche Industrie gut". Tatsächlich erhielt zum Beispiel ein deutscher Mittelständler trotz scharfer Konkurrenz den Auftrag für die Bauaufsicht bei einem 45-Milliarden-Euro-Projekt zum kompletten Neubau einer Stadt. Bei ihren Aktivitäten profitieren deutsche Unternehmen auch von den katastrophalen Lebens- und Arbeitsbedingungen der Arbeiter in Qatar, die eine hohe Zahl an Todesopfern fordern. Außenminister Frank-Walter Steinmeier (SPD) hat sich noch vor wenigen Tagen in Doha um den Fortbestand der deutschen WM-Geschäfte bemüht.
 
Politischer Druck
 
Am 2. Dezember 2010 hatte die FIFA verkündet, den Zuschlag für die Fußball-WM 2022 erhalte das Emirat Qatar. Die Entscheidung kam überraschend, nicht zuletzt, weil die Bedingungen für das Turnier in dem Wüstenstaat mit Sommertemperaturen von mehr als 50 Grad im Schatten als - gelinde gesagt - ungünstig gelten. FIFA-Chef Blatter hat berichtet, vor der Vergabe sei "politischer Druck" auf seine Organisation ausgeübt worden, Doha den Zuschlag zu geben; Blatter nannte als Urheber des Drucks vor allem Berlin und Paris. In diesem Zusammenhang ist mehrfach auf Einflussbemühungen des damaligen deutschen Bundespräsidenten Christian Wulff hingewiesen worden (german-foreign-policy.com berichtete [1]). Tatsächlich meldeten schon bald nach der FIFA-Entscheidung für Qatar deutsche Unternehmen und Vertreter der Bundesregierung Ansprüche auf Aufträge im Kontext mit der Fußball-WM an. Einen profitablen Auftrag bereits abgeschlossen hatte da das Planungsbüro "Albert Speer und Partner" aus Frankfurt am Main: Es hatte seit Mitte 2009 den Masterplan für die umstrittene Fußball-WM erstellt und auch die Entwürfe für acht neue Fußballstadien angefertigt. Man wolle "bei der Umsetzung dieses einzigartigen WM-Konzepts" ebenfalls "eine maßgebliche Rolle spielen", teilte "Speer und Partner" noch am Abend des 2. Dezember 2010 mit.[2]
 
Eine Absichtserklärung
 
Keine zehn Tage nach der Abstimmung äußerte sich dann der damalige Chef des Essener Baukonzerns Hochtief, Herbert Lütkestratkötter, über die Pläne für die Fußball-WM. Bei Hochtief war Qatar gerade mit rund neun Prozent der Firmenanteile eingestiegen. Dabei handle es sich nicht um einen "Verzweiflungsakt, das ist Strategie", erklärte Lütkestratkötter: "Die Geschäfte mit Katar laufen ja nicht erst seit gestern." Der Hochtief-Chef verwies auf Milliardenaufträge, die sein Unternehmen bereits in Doha eingeworben hatte, und fügte hinzu: "Es gibt eine Absichtserklärung, wonach wir zusätzlich zu den beschriebenen Projekten auch bei der Fußball-WM beteiligt sein sollen."[3] Die Voraussetzungen dafür, dass die Fußball-WM überhaupt in Qatar stattfindet, hatten kurz zuvor deren Befürworter bei der überraschenden FIFA-Abstimmung geschaffen.
 
"Gute Chancen"
 
Bereits Ende Februar 2011 unternahm Bundespräsident Christian Wulff seine nächste Reise nach Qatar. Auf dem Besuchsprogramm hätten nicht zuletzt "Gespräche beim Bewerbungskomitee für die Fußball-WM 2022" gestanden, berichtete seine Pressestelle anschließend. Um die Fußball-WM sei es außerdem bei den Verhandlungen der Wirtschaftsdelegation gegangen, die den Bundespräsidenten nach Qatar begleitete, berichteten Teilnehmer. Gemeinsam mit qatarischen Wirtschaftsvertretern habe man etwa eine Sitzung abgehalten, bei der es unter der Leitung des Vorsitzenden der deutschen Dorsch-Gruppe, Olaf Hoffmann, um "Bau, Infrastruktur und Transport" gegangen sei. Zugegen gewesen sei neben Hochtief-Chef Lütkestratkötter und dem deutschen Architekten Albert Speer auch der Staatssekretär im Bundeswirtschaftsministerium Bernd Pfaffenbach. "Es wurde festgestellt, dass die Chancen bei den wichtigen Bieterverfahren für die in Planung befindlichen Großprojekte für die deutsche Industrie gut sind", hieß es anschließend aus Teilnehmerkreisen.[4]
 
Ein Projekt der Superlative
 
Diese Einschätzung bewahrheitete sich - weder zum ersten noch zum letzten Mal - im April 2012, als Hoffmanns Dorsch-Gruppe den Zuschlag für die Bauaufsicht bei "Lusail" erhielt. "Lusail" soll eine Stadt heißen, die gegenwärtig nordöstlich von Doha aus dem Wüstenboden gestampft wird - auf gut 38 Quadratkilometern. Dort sollen perspektivisch fast eine halbe Million Menschen leben - 200.000 dauerhaft, 170.000 während ihrer Zeit als Wanderarbeiter in Qatar sowie 80.000 Touristen. Lusail ist insofern mit der Fußball-WM verbunden, als die Stadt zum einen das Stadion für das Endspiel beherbergen, andererseits Fußball-Fans Unterkünfte bieten soll. Die Kosten werden zurzeit mit gut 45 Milliarden US-Dollar beziffert. "Das Konzept für Lusail geht weit über das einer gewöhnlichen modernen Stadt hinaus", heißt es bei Dorsch: "Es ist vielmehr der futuristische Entwurf herausragender Technologien und fantastischer Ideen"; es sei "ein Projekt der Superlative in der Arabischen Welt". Als solches lässt sich sein Wert für die Firma aus dem hessischen Offenbach, deren rund 1.400 Angestellte in aller Welt tätig sind, nicht nur auf der Grundlage seines finanziellen Ertrags bewerten: Es eröffne dem Unternehmen "sehr gute Chancen für weitere anspruchsvolle Aufträge", wird ein Dorsch-Manager zitiert.[5]
 
Niedriger Lohn, hohes Risiko
 
Lusail ist letztes Jahr in die Schlagzeilen geraten, weil mehrere Wanderarbeiter aus Südasien, die auf der Baustelle tätig waren, zu Tode kamen. Medienberichte haben die Aufmerksamkeit weltweit auf die katastrophalen Arbeitsbedingungen in Qatar gelenkt, wo Bauarbeiter für einen Monatslohn von oft nur 120 Euro bis zu 60 Stunden in der Woche schuften müssen - nicht selten unter Bruch geltender katarischer Vorschriften. Immer wieder kommt es aufgrund der Hitze und unzureichender Sicherheitsmaßnahmen zu Todesfällen auf qatarischen Baustellen; wie der internationale Gewerkschafts-Dachverband ITUC warnt, könnten bis zum Beginn der Fußball-WM 2022, sollten Verbesserungen ausbleiben, bis zu 4.000 Arbeiter in dem Emirat zu Tode kommen. Dorsch-Chef Olaf Hoffmann gibt an, auf den von seiner Firma kontrollierten Baustellen habe seit 2012 niemand das Leben verloren. Die Journalistin Kristina Milz hat unlängst recherchiert, dass Hoffmann offenkundig sehr genau formuliert hat: Ein spektakulärer Fall von Todesopfern, über den weltweit berichtet wurde, sei "neben" einer Baustelle zu verzeichnen gewesen; dokumentierte Unfälle an von Dorsch beaufsichtigten Plätzen hätten "nur" zu schweren Verletzungen geführt.[6] Milz verweist darauf, dass deutsche Baufirmen bei ihren Aktivitäten in Qatar allgemein von den dortigen Lohn- und Arbeitsverhältnissen profitieren - und damit auch von deren außerordentlich niedrigem Niveau.
 
Gefahr gebannt
 
Die Bundesregierung setzt sich ihrerseits auch weiterhin für die WM-Geschäfte deutscher Firmen in Qatar ein. Wirtschaftskreise weisen darauf hin, dass die Umsetzung zahlreicher "Megaprojekte" [7], die bis 2022 fertiggestellt sein sollen, jetzt erst beginnt. Entsprechend fand Außenminister Frank-Walter Steinmeier, als er sich am 1. Juni in Doha aufhielt, um mit dem dortigen Regime über den Krieg in Syrien und die Lage in Ägypten zu sprechen, ausreichend Zeit, um mit dem qatarischen Wirtschafts- und Handelsminister über "die Vorbereitungen für die von Katar auszurichtende Fußballweltmeisterschaft 2022" zu verhandeln.[8] Steinmeier befasste sich auch mit den katastrophalen Arbeitsbedingungen auf den WM-Baustellen, die inzwischen zu der Forderung geführt haben, Qatar die Durchführung des Sportevents gänzlich zu entziehen; damit würden bereits erteilte wie auch in Aussicht stehende Aufträge für deutsche Firmen in Gefahr geraten. Nach seinen Gesprächen in Doha ließ Steinmeier sich in der deutschen Boulevardpresse mit der Aussage zitieren, die Gefahr sei gebannt: "Ich habe den sicheren Eindruck, dass die internationale Kritik angekommen und verstanden worden ist."[9]
 
"Der Wall Street die Stirn bieten"
 
Die Rettung der Fußball-WM 2022 in Qatar ist für Berlin auch wichtig, um die sonstige Kooperation mit dem Emirat zu sichern. Wie nützlich diese zuweilen ist, zeigte nicht nur Dohas Einstieg bei der deutschen Ökofirma Solarworld vor einem Jahr, die damit vermutlich vor dem Bankrott bewahrt wurde. Zuletzt hat Qatar mit dem Erwerb von rund sechs Prozent der Anteile der Deutschen Bank 1,75 Milliarden Euro in den deutschen Finanzkonzern investiert - ein für diesen ungemein vorteilhafter Schritt. Mit dem Geld solle die "vergleichsweise dünne Kapitaldecke" des Frankfurter Kreditinstituts gestärkt werden, um "im Investmentbanking angreifen" zu können, heißt es: Die Deutsche Bank sehe für sich gegenwärtig "die einmalige Chance, in die Weltspitze vorzustoßen und den US-Größen an der Wall Street die Stirn zu bieten".[10] Die Zusammenarbeit mit der Diktatur vom Persischen Golf hilft ihr bei diesem Bemühen und trägt damit zum deutschen Streben nach Weltgeltung bei. (PK)
[1] S. dazu Fußball in der Wüste (I).
[2] Katar erhält den Zuschlag für die FIFA Fußball-Weltmeisterschaft 2022. Die Konzepte dafür entstanden in Deutschland. Pressemitteilung der Albert Speer und Partner GmbH, 2. Dezember 2010.
[3] Hochtief-Chef Lütkestratkötter bietet ACS Gespräche an. www.spiegel.de 11.12.2010.
[4] Delegationsreise nach Katar 27.-28. Februar 2011. www.ghorfa.de.
[5] Dorsch Gruppe erhält den Zuschlag bei einem Städtebauprojekt der Superlative in Katar. www.dorsch.de 10.04.2012.
[6] Kristina Milz: Fußball zeigt unser Leben. Zenith März/April 2014.
[7] Katar investiert in Ausbau der Infrastruktur. www.gtai.de 04.06.2014.
[8] Reise BM Dr. Frank-Walter Steinmeier nach Katar vom 31.05.-01.06.2014. www.doha.diplo.de.
[9] ... und hier sollen wir 2022 Fußball spielen? www.bild.de 01.06.2014.
[10] Scheich aus Katar verzögerte Kapitalerhöhung. www.welt.de 05.06.2014. S. auch Panzerkäufer und Großaktionär.
 
Die zwei Artikel "Fußball in der Wüste" sind bei www.german-foreign-policy.com erschienen. Die Originale finden Sie hier:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58887
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/58888


Online-Flyer Nr. 463  vom 18.06.2014



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