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Aktueller Online-Flyer vom 19. April 2024  

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Inland
Strategiepapier deutscher "Außenpolitik-Experten" für Krieg gegen Russland
Die "Renaissance" des Westens
Von Hans Georg

Deutsche Außenpolitik-Experten fordern eine "Renaissance" des transatlantischen Bündnisses zur Verteidigung der globalen westlichen Hegemonie. Die EU müsse in Zukunft ungeachtet gewisser Differenzen wieder enger mit den Vereinigten Staaten kooperieren, heißt es in einem Strategiepapier zweier deutscher Autoren, das der Think-Tank der Europäischen Volkspartei (EVP) unlängst veröffentlicht hat. Demnach lasse sich die "liberale Weltordnung", die den westlichen Ländern seit dem Ende des Kalten Kriegs weltweit die Vormacht gesichert hat, nur bewahren, wenn Europa und Nordamerika sich wieder enger zusammenschlössen - wirtschaftlich, politisch und militärisch. Jegliche Bemühungen, mit Russland enger zu kooperieren, müssten eingestellt werden.

Roland Freudenstein, früher Konrad-Adenauer-Stiftung: "Bereit in den Krieg zu ziehen"
Quelle: http://www.euwatcher.eu/blog
 
 
Stattdessen schlägt das Papier die stärkere Einbindung von Nicht-Regierungsorganisationen und von religiösen Gemeinschaften in Osteuropa in die prowestlichen Einflussaktivitäten vor. Zudem soll die innere Formierung der europäischen Gesellschaften forciert werden; "Desinformation" zugunsten Russlands gelte es systematisch "bloßzustellen". Einer der Autoren verlangt darüber hinaus, "wir" müssten "bereit" sein, "in den Krieg zu ziehen", und schlägt eine neue nukleare Aufrüstung in Europa vor.
 
"Islamismus, Russland, China"
 
Eine "Renaissance des Westens" fordern die deutschen Autoren dieses Strategiepapiers, das das "Wilfried Martens Centre for European Studies" unlängst veröffentlicht hat. Demnach sei eine Stärkung des transatlantischen Bündnisses unumgänglich, wolle man auf Dauer eine "liberale Weltordnung" bewahren. Gemeint ist das Weltsystem der beiden ersten Jahrzehnte nach dem Ende des Kalten Kriegs, in dem die globale Hegemonie der westlichen Staaten praktisch unangefochten war. Diese "liberale Weltordnung" habe es "den Europäern" erlaubt, "sicherer, freier und in den meisten Fällen auch in größerem Wohlstand zu leben als in jeder anderen Phase ihrer Geschichte", heißt es in dem Papier.[1] Jetzt aber entstünden "Herausforderungen" für die "liberale Weltordnung". Als solche stufen die Autoren ausdrücklich islamistische Strömungen, Russland sowie das erstarkende China ein. Gegen sie gelte es sich nun enger zusammenzuschließen. Das Papier verschweigt die Differenzen nicht, die sich in den letzten Jahren zwischen der EU und den USA entwickelt haben - etwa Uneinigkeiten in der Mittelost-Politik (Irak-Krieg 2003) oder der Unmut über die umfassende Spionage der NSA.[2] Dies müsse nun aber angesichts der äußeren Bedrohung in den Hintergrund treten. Die Autoren fordern eine Intensivierung der politischen, der ökonomischen (TTIP) und der militärischen (NATO) Zusammenarbeit. Dabei könne "die Konfrontation mit Putins Russland" helfen, die notwendige Formierung der EU zu beschleunigen.
 
Gegen Moskau
 
Entsprechenden Stellenwert nehmen in dem Strategiepapier Vorschläge für die konkrete Ausgestaltung der neuen Konfrontation mit Russland ein. Sämtliche Bemühungen, enger mit Moskau zu kooperieren, müssten eingestellt werden, heißt es in dem Dokument - nicht zuletzt mit Blick auf deutsche Versuche vor allem im Jahrzehnt ab 2000, durch eine gewisse Kooperation mit Russland die eigene Stellung machtpolitisch gegenüber den Vereinigten Staaten zu stärken (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Stattdessen fordern die Autoren beispielsweise einen Ausbau der Erdöl- und Erdgasbezüge aus der westlichen Welt - vor allem aus den USA - und eine umfassendere Schiefergasförderung in der EU, um künftig weniger auf russische Rohstofflieferungen angewiesen zu sein. Daneben müsse die EU ihre Zusammenarbeit mit Russlands unmittelbaren Grenznachbarn intensivieren, heißt es; dies gelte insbesondere für die Ukraine, Moldawien und Georgien, die sich für die Assoziierung an die EU geöffnet hätten. Sie müssten nicht nur ökonomisch, sondern auch militärisch gestärkt und fest an den Westen angebunden werden.
 
NGOs und Kirchen
 
Darüber hinaus schlagen die Autoren verschiedene Maßnahmen vor, die direkt gegen Russland und seine osteuropäischen Verbündeten (etwa Belarus) gerichtet sind. Die "Östliche Partnerschaft" [4] solle sich in Zukunft erheblich stärker "auf die Zivilgesellschaft fokussieren", heißt es in dem Strategiepapier. Die EU müsse in Osteuropa stärker "mit Nicht-Regierungsorganisationen ..., unabhängigen Medien und anderen Akteuren der Zivilgesellschaft" kooperieren.[5] Auch mit religiösen Gemeinschaften gelte es enger zusammenzuarbeiten. Nur durch eine intensive Anbindung der nicht unmittelbar in die staatlichen Aktivitäten eingebundenen Funktionseliten könne es gelingen, Kräfte heranzuziehen, "die wirklich an (prowestlicher, d. Red.) Transformation interessiert sind". Die Forderung läuft auf eine Stärkung der alten deutschen Praxis hinaus, mit Hilfe von Organisationen wie den parteinahen Stiftungen Einfluss auf bestimmte Spektren der Bevölkerung fremder Länder zu gewinnen - und diese faktisch in den Dienst der deutschen Außenpolitik zu stellen.
 
Innere Formierung
 
Umgekehrt sprechen sich die Autoren für Maßnahmen aus, mit denen die Opposition gegen antirussische Aggressionen in der EU geschwächt und nach Möglichkeit ausgeschaltet werden soll. "Think-Tanks, Berater und NGOs mit finanziellen Bindungen an russische Stellen" müssten "in Analysen und öffentlichen Debatten zur Rede gestellt werden", heißt es beispielsweise. Auch solle "Desinformation durch russische Medien und ihre Verbündeten in den EU-Mitgliedstaaten bloßgestellt" werden. Darüber hinaus gelte es "die Zivilgesellschaft in der EU besser zu organisieren" - beispielsweise mit Hilfe von "Netzwerken aus politischen Parteien, Think-Tanks, NGOs und Individuen", die im Meinungskampf gegen angebliche "russische Desinformation" zukünftig "die Hauptlast" zu tragen hätten.[6] Damit schlägt das Strategiepapier explizit die Formierung der Gesellschaften Europas gemäß staatlichem Interesse sowie die Isolierung und gegebenenfalls auch Ausgrenzung der inneren Opposition vor.
 
Bereit, in den Krieg zu ziehen
 
Parallel zur gewünschten inneren Formierung plädieren die Autoren für Kriegsvorbereitungen im großen Stil. Es gelte nicht nur, die Fähigkeiten der EU-Mitgliedstaaten zur Territorialverteidigung auszubauen, schreiben sie; auch seien die Kapazitäten für Interventionen jenseits des NATO-Bündnisgebiets zu stärken. Neben der Schaffung neuer Strukturen wie der NATO-"Speerspitze" [7] müsse die NATO "dauerhafte Stationierungen auch von Bodentruppen in größerer Nähe zu den östlichen Grenzen des Bündnisses" vornehmen.[8] Dies käme einem vollständigen Bruch der NATO-Russland-Grundakte gleich und würde von Moskau entsprechend als schwere Provokation eingestuft; die Gefahr unkontrollierter Konflikteskalation nähme deutlich zu. Eine Äußerung des Ko-Autors Roland Freudenstein belegt, dass dies billigend in Kauf genommen wird. Vor einigen Tagen erklärte Freudenstein auf einer Tagung der Europäischen Volkspartei (EVP): "Wir müssen klarstellen, dass wir bereit sind, für das, was wir als existenzielle Prinzipien von Europas Zukunft betrachten, in den Krieg zu ziehen." Dabei sei es nachteilig, "dass die nukleare Abschreckung der NATO aus 20 rostenden freifallenden Bomben des Typs B-61 besteht, die mit einem einzigen Schlag der russischen Streitkräfte ausgeschaltet werden können". Freudenstein äußerte dazu: "Das sind Dinge, die wir ändern müssen."[9]
 
Strategische Weichen
 
Freudenstein hat in der Vergangenheit für die Deutsche Gesellschaft für Auswärtige Politik (DGAP), die CDU-nahe Konrad-Adenauer-Stiftung sowie den außenpolitischen Planungsstab der EU-Kommission gearbeitet. Sein Ko-Autor Ulrich Speck veröffentlicht regelmäßig in der DGAP-Zeitschrift "Internationale Politik". Gegenwärtig wirkt Freudenstein als stellvertretender Direktor und Forschungsleiter am Wilfried Martens Centre for European Studies, das das Papier zur "Renaissance des Westens" herausgegeben hat. Dem Martens Centre gehören 29 Stiftungen aus 22 europäischen Staaten innerhalb und außerhalb der EU an, darunter die Konrad-Adenauer-Stiftung sowie die Hanns-Seidel-Stiftung (CSU). Im Vorstand des Zentrums ist die CDU mit dem früheren Europaparlaments-Präsidenten Hans-Gert Pöttering vertreten. Als Think-Tank der EVP stellt das Martens Centre strategische Weichen für die Entwicklung konservativer Parteien in ganz Europa.
 
Weitere Informationen zum neuen Kalten Krieg finden Sie hier: Ein Ring um Russland, Krieg mit anderen Mitteln, Ein Ring um Russland (II), Krieg mit anderen Mitteln (II), Ein Ring um Russland (III) und Die Zeit der Waffen. (PK)
 
[1] Roland Freudenstein, Ulrich Speck: The Renaissance of the West. How Europe and America can Shape Up in Confronting Putin's Russia. Brussels 2015.
[2] S. dazu Noch nicht auf Augenhöhe und Noch nicht auf Augenhöhe (II).
[3] S. dazu Hemisphären, Keine Angst vor Moskau! und Eine neue Grand Strategy.
[4] Im Rahmen der "Östlichen Partnerschaft" kooperiert die EU mit Belarus, der Ukraine, Moldawien, Georgien, Armenien und Aserbaidschan.
[5], [6] Roland Freudenstein, Ulrich Speck: The Renaissance of the West. How Europe and America can Shape Up in Confronting Putin's Russia. Brussels 2015.
[7] S. dazu Kriegsführung im 21. Jahrhundert (I) und Kriegsführung im 21. Jahrhundert (II).
[8] Roland Freudenstein, Ulrich Speck: The Renaissance of the West. How Europe and America can Shape Up in Confronting Putin's Russia. Brussels 2015.
[9] EPP: EU should tell Russia we are ready to go to war. www.euractiv.com 22.04.2015.
 
 
Diesen Artikel haben wir mit Dank von gfp übernommen:
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59110


Online-Flyer Nr. 510  vom 13.05.2015



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