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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Inland
Starke Kritik an G7, nachdem er bei G8 rausgeschmissen worden ist
Fast alle vermissen Vladimir Putin
Von Rüdiger Göbel

Was ist los in Deutschland? Gestern war Russlands Präsident der Buhmann der Nation, heute wird in Wirtschaft, Politik und Medien Kritik laut, dass der Kreml-Chef nicht zum G7-Gipfel in Schloss Elmau eingeladen ist. Das Putin-Bashing der vergangenen Monate war ganz offensichtlich ein Schuss in den Ofen.
 

Vladimir Putin
NRhZ-Archiv
Parteiübergreifend wird dieser Tage in Deutschland der Ausschluss des russischen Präsidenten vom G7-Gipfel moniert. Wenn Bundeskanzlerin Angela Merkel in der bayerischen Bergidylle als Gastgeberin zum großen Fotoshooting bittet, dann können US-Präsident Barack Obama, Frankreichs Staatschef François Hollande, der britische Premier David Cameron, Italiens Ministerpräident Matteo Renzi, der kanadische Regierungschef Stephen Harper und sein japanischer Amtskollegen Shinzo Abe noch so schön in die Kameras lächeln, dann kann die Sonne noch so schön scheinen und der Himmel über Schloss Elmau noch so blau sein – alle werden nur sehen, wer fehlt: Russlands Putin.
 
Der Linke-Fraktionschef Gregor Gysi hatte vor Pfingsten im Bundestag als Oppositionsführer als erster den Ausschluss Russlands aus der Gruppe der acht großen Industrienationen kritisiert. In seiner Antwort auf die Regierungserklärung fragte er Kanzlerin Merkel (CDU): "Warum haben Sie nicht den Mumm, Putin einzuladen" Russland könne als Vetomacht im UN-Sichrheitsrat und als Atommacht nicht isoliert werden.
 
Im Berliner Nobelhotel Adlon meldeten sich kurz darauf die Granden der CSU zu Wort. Der langjährige Chefredakteur des Bayernkurier, Wilfried Scharnagl, nutzte die Vorstellung seiner "Streitschrift für einen anderen Umgang mit Russland" für eine klare Botschaft an die Regierung: Je schneller die Sanktionen gegen Russland aufgehoben werden, desto besser. Und natürlich müsse Putin nach Elmau eingeladen werden, so der langjährige Vertraute des früheren bayerischen Ministerpräsidenten Franz Josef Strauß. Sein Parteifreund, der frühere Bundeswirtschaftsminister Michael Glos, stimmte dem ebenso zu wie die anwesenden Vertreter der deutschen Familienunternehmen und des Ost-Ausschusses der deutschen Wirtschaft sowie das SPD-Urgestein Egon Bahr, der das Buch seines langjährigen parteipolitischen Gegners wohlwollend vorstellte.
 
Mit Helmut Schmidt hat sich auch ein Altkanzler in der Debatte zu Wort gemeldet. Es sei ein Fehler, dass der Westen den russischen Präsidenten ausgeschlossen habe, und "wenig sinnvoll". Seine Erwartungen an die Gipfelergebnisse seien "begrenzt", bekannte Schmidt. Wie soll auch über den Ukraine-Konflikt gesprochen werden, wenn der Mann aus Moskau nicht mit am Tisch sitzt. Und so ist Schmidt schon zufrieden, wenn kein "Öl ins Feuer" gegossen wird.
 

Helmut Schmidt
NRhZ-Archiv
Schmidt geht davon aus, dass Putin eine Gipfel-Einladung des Westens angenommen hätte, wenn sie "in gehöriger Form ausge-sprochen worden wäre". Er sehe deutlich, "dass Putin beleidigt ist durch die Tatsache, dass der Westen ihn seiner Vorstellung nach nicht ernst genug nimmt".
 
Auch der Chef des Ostausschusses der Deutschen Wirtschaft, Eckhard Cordes, bedauert die Nichtanwesenheit Putins. "Ein Treffen G7 plus Russland könnte einen Beitrag zur Krisenlösung leisten und Russland zu konstruktiven Schritten im Ukraine-Konflikt bewegen", bekundete der Verbandschef in der "Welt am Sonntag". Es sei eine verpasste Chance, wenn Gesprächsformate wie die G7-Treffen nicht zum Dialog mit Russland genutzt würden. "Es ist immer besser, miteinander statt übereinander zu reden. Gerade in der Krise brauchen wir solche etablierten Gremien." Auch der Vorsitzende des Deutsch-Russischen Forums, Matthias Platzeck, schloss sich der Forderung an – und düpierte damit seinen SPD-Parteifreund, Vizekanzler Sigmar Gabriel.
 
Soweit, so gut, könnte man sagen. Die üblichen Putin-Versteher und Russland-Freunde. Doch selbst Grünen-Chefin Simone Peters mahnt mittlerweile an, Russland wieder in die Gruppe der großen Industrienationen einzubinden. Die Staats- und Regierungschefs der G7-Staaten repräsentieren zwar nur zehn Prozent der Weltbevölkerung, doch ihr Wort habe Gewicht in der Weltpolitik, "und deswegen sollte Russland im Hinblick auf die Lösung globaler Krisen dauerhaft eingebunden sein", so Peters. Es wäre "sinnvoll", Putin in Elmau "am Tisch zu haben". Allerdings sei es "nach der Annexion der Krim auch nachvollziehbar, dass er nicht dabei ist. Es hängt auch von ihm ab, wann er wieder an Bord sein kann." Die Grünen-Vorsitzende weiter: "Wichtig ist, dass das Minsker Abkommen hält und weitere stabilisierende Maßnahmen ergriffen werden. Die Ukraine-Krise kann nur diplomatisch gelöst werden. Hierfür sind alle Seiten gefordert. Dabei muss klar sein, dass die Ukraine ein souveräner Staat bleibt."
 
Und auch die Skandalisierung russischer Einreiseverbote für westliche Politiker will nicht richtig greifen. Groß war zunächst die Aufregung, als der CDU-Politiker Karl-Georg Wellmann am Moskauer Flughafen nicht aus dem Transitbereich gekommen ist. Doch kurz vor dem Elmau-Gipfel greift der Realismus. Die Einreiseverbotsliste für Politiker aus EU-Staaten und NATO-Vertreter sei eine "Vergeltung", konstatiert die "Neue Ruhr / Neue Rhein Zeitung" (NRZ). "Auge um Auge, Zahn um Zahn? So, genau so alttestamentarisch geht es zu, wenn Politiker, Diplomaten oder auch hohe Beamte in Moskau mit Einreiseverboten belegt werden. Das ist nicht das politische Sittengemälde, das man sich gewünscht hat. Aber es darf keinen überraschen", heißt es da. Dramatischer als die Einreiseverbote sei die Tatsache, dass die Diplomatie in der Ukraine-Krise nicht voran komme. Gesprächsformate würden nicht genutzt, Russland nehme nicht am Gipfel auf Schloss Elmau teil. "Es droht eine Eskalationsmentalität, die für Europa ein schlimmer Rückfall wäre."
 
Ein kurzer Blick in den "Presse-Kompass" bei Spiegel online zeigt: Das Gros der Medien und der Leser teilt die Sicht: "Ohne Gespräche lässt sich der Konflikt nicht lösen." (Berliner Zeitung). Und: "Auch wenn man Putin nicht liebt – reden muss man mit ihm doch." (Südwest Presse)
 
Nur die "Frankfurter Allgemeine", laut Untertitel "Zeitung für Deutschland", gibt Durchhalteparolen aus: "Eines sollte man jetzt auf gar keinen Fall tun: Putins schwarze Liste der Einreiseverbote mit den europäischen Listen gleichsetzen." Die Einreiseverbote der EU seien schließlich eine direkte Reaktion auf die russischen Aggressionen in der Ukraine. Russlands Verhalten dagegen eine Provokation, die unmittelbar vor dem G7-Treffen spalten und verunsichern solle. Lösungsvorschlag der FAZ: Beim G7-Treffen in Elmau einfach das Thema Ukraine ausblenden, schließlich geht es um die Weltwirtschaft – das klingt nach Pippi Langstrumpf:
 
"Zwei mal drei macht vier
Widdewiddewitt und Drei macht Neune!
Ich mach' mir die Welt
Widdewidde wie sie mir gefällt…"
 
Zum Glück ist die sympathische Romanfigur von Astrid Lindgren hierzulande populärer als der "kluge Kopf" aus Frankfurt am Main mit seinem Konfrontationskurs gegen Moskau. Und das nach dem monatelangen Putin-Miesmachen in den Qualitätsmedien dieses Landes! (PK)
 
Dieser Artikel von Rüdiger Göbel erschien zuerst bei sputnik-news http://de.sputniknews.com/meinungen/20150602/302586592.html
 


Online-Flyer Nr. 513  vom 03.06.2015



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