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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Lokales
Rüstungslobby Bremen: Zivilklausel im Hochschul-Gesetz behindere Forschung
Bremer, hört die Signale!
Von Dietrich Schulze

In Bremen mit der seit 1986 praktizierten Zivilklausel-Tradition rumort es erneut. Im März war nach ausgiebiger Vorarbeit der Friedensbewegung von Rot-Grün das Landeshochschulgesetz mit der Zivilklausel: „Die Hochschulen verfolgen in Forschung, Lehre und Studium ausschließlich friedliche Zwecke." beschlossen worden. Anfang Mai trat der langjährige Bürgermeister Böhrnsen nach der SPD-Wahlschlappe von seinem Amt zurück. Das nutzt die Wirtschafts- und Rüstungslobby zu einer neuen Kampagne. Sie stuft Bremen als Sanierungsfall ein und macht die Zivilklausel für die Behinderung der Forschung verantwortlich. Der Autor hat die wechselvolle Zivilklausel-Debatte in Bremen seit mehr als fünf Jahren begleitet und möchte nach einem Rückblick eine Initiative vorschlagen.

Appell Juni 2015 an die Bremer Zivilklausel-Bewegung 
Collage: Dietrich Schulze
 
Bremer Handelskammer klagt
 
Im Weserkurier am 26. Mai antwortet Handelskammer-Präses Christoph Weiss auf die Frage zur fehlenden Dynamik wörtlich:
„Bremen ist stark in der Luft- und Raumfahrttechnologie, doch diese Branche wird behindert durch das neue Hochschulreformgesetz. Wegen der Zivilklausel müssen Universitäten Forschungsmittel ablehnen, die Rüstungszwecken dienen: Das ist für Investoren von Nachteil. Zivile und militärische Forschung lassen sich kaum trennen. Eine Firma wie OHB schafft eine Stiftungsprofessur dann eben woanders. Man erschwert die Verbindung zur Hochschule, das ist ein Riesenfehler.“
Damit werden die historischen Fakten absichtsvoll verdreht. Tatsächlich war die für die Bundeswehr tätige Firma OHB mit der Erpressung gescheitert, ihre Stiftungsprofessur nur einzurichten, wenn die Universität Bremen ihre 1986er Zivilklausel streicht:
"Der Akademische Senat lehnt jede Beteiligung an Wissenschaft und Forschung mit militärischer Nutzung bzw. Zielsetzung ab und fordert die Mitglieder der Universität auf, Forschungsthemen und -mittel abzulehnen, die Rüstungszwecken dienen können.“
Diese Zivilklausel wurde von der Uni stattdessen 2012 bekräftigt und in die Leitlinien eingetragen.
 
OHB erpresst und hintergeht
 
Und was tat OHB nun? Diese gegen die Zivilklausel verstoßende Stiftungsprofessur wurde nicht woanders, sondern klammheimlich an eben jener Uni Bremen eingerichtet. Das Lügenmärchen wurde noch dadurch getoppt, dass der für diesen Lehrstuhl von OHB mit Zustimmung der Uni eingesetzte Prof. Claus Braxmaier aus Konstanz sich öffentlich für die Zivilklausel aussprach, obwohl er in Konstanz für den Rüstungskonzern EADS und nun für den Rüstungskonzern OHB forschte.
Leider auch ein trauriges Kapitel für die Bremer Zivilklausel-Bewegung. Obwohl der Verstoß offensichtlich war und im August 2012 so festgestellt worden war, blieb der Protest gegen die Stiftungsprofessur aus. Die Aktivitäten wurden s t a t t d e s s e n anstelle z u s ä t z l i c h auf die Forderung nach einer gesetzlichen Zivilklausel konzentriert. So zielführend und erfolgreich die Aktivitäten für eine Novellierung des Landeshochschulgesetzes waren, so folgenreich war das Schweigen zur Braxmaier-Professur.
 
ZARM gegen Freiheit
 
Diese Rüstungsforschung wurde inzwischen ausgeweitet in einem Zentrum für Angewandte Raumforschung und Mikrogravitation (ZARM) auf dem Gelände und In Zusammenarbeit mit der Uni Bremen. Niemand wird sich noch darüber wundern, dass Stiftungsprofessor Braxmaier ZARM-Geschäftsführer wurde.
Doch eher erstaunlich hingegen die 180-Grad-Wende von Uni-Rektor Bernd Scholz-Reiter, der an der Wiege der im Januar 2012 bekräftigten Zivilklausel stand. Im Weserkurier am 27. Februar lamentierte er unisono mit dem Geschäftsbereichsleiter Innovation der Handelskammer Bremen gegen die Zivilklausel im Hochschulgesetz. Es wird angenommen werden dürfen, dass hier eine konzertierte Aktion von Hochschul-Obrigkeit, CDU-Opposition, Wirtschaft und Rüstungsindustrie gegen die Freiheit der Universität vorliegt.
 
Konzertierte Aktion
 
Darüber hatte sich der Autor bereits am 18. Februar in einem NRhZ-Artikel Gedanken gemacht (1) und einen Appell an Landesregierung und Landesparlament gerichtet, dem Trommelfeuer gegen den innovativen Senatsentwurf zum Landeshochschulgesetz mit Zivil- und Transparenzklausel standzuhalten.
Nun, wir haben es erleben dürfen. Das Gesetz wurde beschlossen.
Wie aber mit der konzertierten Aktion umgehen?
Dazu gibt es in Bremen eine großartige Tradition, die lediglich wieder ausgegraben werden muss.
Gegen die OHB-Erpressung veröffentlichte im Februar 2011 eine Gruppe von 66 Hochschullehrern und Wissenschaftlern eine Erklärung, in der sie unter Berufung auf die Unabhängigkeit die steigende Zahl von Stiftungsprofessuren kritisierte.

Dazu muss auch der Rüstungshintergrund in Betracht gezogen werden. Das Bremer Friedensforum hatte 2011 eine ausführliche Information über die Bremer Rüstungsindustrie im Buch "Rüstungsstandort an der Weser“ herausgebracht, darin der Beitrag des Autors "Die Zivilklausel - Bewegung für eine Demilitarisierung der Hochschulen".

Mit der Erklärung der Hochschullehrer und Wissenschaftler wurde eine lebhafte Diskussion über die Freiheit der Wissenschaft in Bremen und bundesweit initiiert. Alle Friedensbewegten konnten sich auf diese Initiative direkt aus der Wissenschaft berufen. 

Neue ProfessorInnen-Initiative
 
Warum sollte es nicht gelingen, heute erneut eine solche ProfessorInnen-Initiative zu einer aktualisierten Erklärung zu gewinnen?
Es geht um einen akademisch-friedenspolitischen Kontrapunkt, welche Verantwortung heute den Hochschulen zukommt. Damals wie heute geht es um „Rüstungskonversion und Zivilklausel“ (Siehe NRhZ-Artikel des Autors vom 4. Nov. 2014.) und darüber hinaus um Beiträge der Wissenschaft gegen die Umweltzerstörung und für eine friedliche Entwicklungspolitik.  

Appell vom Februar 2015 an Landesregierung und Landesparlament Bremen 
Collage: Dietrich Schulze, Quelle: NRhZ
 
Ja, ein solcher Neuanlauf erfordert Zivilcourage. Die nachfolgend benannten Bremer Persönlichkeiten mögen mir bitte verzeihen, wenn ich sie beispielhaft und stellvertretend für andere darstelle:
•          Prof. Andreas Fischer-Lescano, Rechtswissenschaftler an der Uni Bremen mit den Forschungsschwerpunkten Öffentliches Recht, Europarecht, Völkerrecht, Rechtstheorie und Rechtspolitik. Er ist damaliger Unterzeichner und für seine mutige Aufdeckung des Doktor-Plagiats eines ehemaligen Bundesverteidigungsministers bekannt geworden.
•          Prof. Wolfram Thiemann, emeritierter Hochschullehrer für Physikalische Chemie an der Uni Bremen, der sich auch mit Umweltchemie befasst. Der Öffentlichkeit ist er durch Publikationen über den Chemiker Fritz Haber bekannt geworden, dessen Wissenschaft anerkannt wird, aber dessen Erforschung und Anwendung eines Massenvernichtungsmittels im 1. Weltkrieg gerne verdrängt wird. 
•          Prof. Sönke Hundt, emeritierter Hochschullehrer an der Hochschule Bremen, Fakultät für Wirtschaftswissenschaften. Er ist ebenfalls damaliger Unterzeichner, Mitglied im Bremer Friedensforum und durch vielfältige Aktivitäten und Publikationen zur Zivilklausel-Thematik bekannt.
In den Studierendenvertretungen und im Bremer Friedensforum haben die ProfessorInnen erfahrene und kongeniale Partner für eine neue ProfessorInnen-Erklärung.
 
Das Friedensforum hatte am gleichen Tag auf das oben benannte Handelskammer-Statement geantwortet mit einer Stellungnahme unter dem Titel „Friedenskomponente in der Bremer Politik verstärken - Gegen Bestrebungen der Bremer Rüstungsindustrie und Handelskammer“.
Unter einer Friedenskomponente im Senatsprogramm wird neben der Beibehaltung der gesetzlich verankerten Zivilklausel für die Hochschulen verstanden, eine Strategie zur Förderung der Konversion in der Rüstung und eine Verstärkung der Friedenserziehung im Bildungsbereich zu verankern.
 
Amtshilfe von ganz Oben
 
Alle diese konkreten Friedensbemühungen sind auch belastend und mühselig, besonders für die Studierenden mit sozialen Problemen und für Hochschulmitarbeiter mit prekärem Beschäftigungsverhältnis. Es gibt aber auch weltweite Zeichen der Hoffnung.
Um dies mit den Worten des Friedensforums anschaulich zu machen:
„Der Handelskammer-Präses machte damit deutlich, dass bestimmte Wirtschaftskreise keine Skrupel haben, »die Industrie des Todes« - so hat Papst Franziskus kürzlich die Rüstungsindustrie bezeichnet - um des Mehrwerts willen energisch zu betreiben und die Hochschulen dafür in Anspruch zu nehmen. Solche Tendenzen werden stärker. Sie bedrohen den Frieden und fördern Kriege.“
 
Wenn ich mir das abschließend zu erklären erlauben darf. Der Antikriegstag im 70. Jahr der Befreiung von Faschismus und Krieg wäre für die ProfessorInnen-Erklärung ein ausgezeichneter Termin. (PK)
 
(1) http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21324
 
 
Anstelle einer umfangreichen Zitatenliste wird auf die WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf verwiesen.
 
Dr.-Ing. Dietrich Schulze (Jg. 1940) war nach 18-jähriger Forschungstätigkeit im Bereich der Hochenergie-Physik von 1984 bis 2005 Betriebsratsvorsitzender im Forschungszentrum Karlsruhe (jetzt KIT Campus Nord). 2008 gründete er mit anderen in Karlsruhe die Initiative gegen Militärforschung an Universitäten (WebDoku www.stattweb.de/files/DokuKITcivil.pdf). Er ist Beiratsmitglied der NaturwissenschaftlerInnen-Initiative für Frieden und Zukunftsfähigkeit sowie in der Initiative „Hochschulen für den Frieden – Ja zur Zivilklausel“ und publizistisch tätig.


Online-Flyer Nr. 514  vom 10.06.2015



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