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Inland
Al Jazeera-TV-Journalist Ahmad Mansur auf dem Flughafen Tegel festgenommen
Haftbefehl aus Kairo
Von Hans Georg

Internationale Proteste folgten der Festnahme des ägyptischen Journalisten Ahmad Mansur am Wochenende in Berlin. Mansur, ein prominenter TV-Journalist, der sich als Kritiker der aktuellen ägyptischen Regierung einen Namen gemacht hat, ist am Samstag nach einem Arbeitsaufenthalt in der deutschen Hauptstadt festgenommen worden, weil er von der ägyptischen Justiz zu 15 Jahren Haft verurteilt worden ist. Das Urteil wird international - ganz wie andere ägyptische Gerichtsentscheidungen auch - als politisch motiviert eingestuft und scharf kritisiert. Zudem besteht der Verdacht, dass die deutschen Behörden den Haftbefehl nicht - wie allgemein üblich - von Interpol, sondern unmittelbar von ägyptischen Partnerbehörden entgegengenommen haben.

Al Jazeera-Journalist Ahmad Mansur
Quelle: ARD-Tagesschau
 
Interpol habe seinerseits die Weiterleitung abgelehnt, heißt es; Berlin mache sich bereitwillig zum Handlanger des ägyptischen Regimes. Mansurs Festnahme erfolgte nur zweieinhalb Wochen nach einem Berlin-Aufenthalt des ägyptischen Staatspräsidenten Abd al Fattah al Sisi, der dem Ausbau der bilateralen Zusammenarbeit diente. Dazu zählt auch eine Intensivierung der Polizeikooperation.
 
Zugriff in Berlin
 
Internationale Proteste folgten der Inhaftierung des ägyptischen Journalisten Ahmad Mansur am Wochenende in Berlin. Mansur, ein in der arabischen Welt prominenter TV-Journalist, der für den qatarischen Sender Al Jazeera arbeitet, war am Samstag von den deutschen Behörden auf dem Flughafen Tegel festgenommen worden, als er nach einem Arbeitsaufenthalt in Berlin in die qatarische Hauptstadt Doha zurückkehren wollte. In Berlin hatte er unter anderem den bekannten Mittelost-Experten Guido Steinberg von der vom Kanzleramt finanzierten Stiftung Wissenschaft und Politik (SWP) interviewt.[1] Die Festnahme sei auf der Basis eines internationalen Haftbefehls erfolgt, erklärte die Bundespolizei zur Begründung. In der Tat ist Mansur im vergangenen Jahr in Ägypten in Abwesenheit verurteilt worden, weil er Anfang 2011 während der Proteste auf dem Kairoer Tahrir-Platz an der Folter an einem Anwalt beteiligt gewesen sein soll. Das Urteil wird international in höchstem Maße angezweifelt. Es reiht sich ein in eine Vielzahl offensichtlich politisch motivierter Entscheidungen der ägyptischen Justiz gegen Mitglieder der Muslimbruderschaft sowie gegen die säkulare Opposition, die in zahlreichen Fällen Todesurteile beinhalten. In der Vergangenheit sind unter anderem mehrere Al Jazeera-Mitarbeiter in weltweit scharf kritisierten Prozessen zu langjährigen Haftstrafen verurteilt worden.
 
"Eine Schande für Deutschland"
 
Mansurs Festnahme in Berlin erregt auch deswegen Aufmerksamkeit, weil sie womöglich nicht einmal auf der allgemein üblichen Grundlage eines Interpol-Haftbefehls erfolgte. Wie Mansurs Anwalt erklärt, habe Interpol es im Oktober vergangenen Jahres ausdrücklich abgelehnt, einem ägyptischen Ersuchen nachzukommen und einen Haftbefehl gegen seinen Mandanten auszustellen. Mansur gibt an, er sei darüber von Interpol in Kenntnis gesetzt worden; er habe ein entsprechendes Schreiben in seinem Besitz. Wie er berichtet, hätten ihn nach seiner aktuellen Inhaftierung "die Ermittler ... informiert, dass die Anfrage für meine Festnahme aus Deutschland kam und sie keine Reaktion auf eine Anfrage von Interpol war".[2] Dies deute darauf hin, dass die deutschen Behörden den ägyptischen Haftbefehl direkt entgegengenommen hätten und ihn nun eigenmächtig vollstreckten. "Wenn das stimmt, wäre es eine Schande für Deutschland", wird Mansur zitiert. Er soll inzwischen in die Justizvollzugsanstalt Moabit überstellt worden sein. Am Montag sollte ein Richter über das weitere Vorgehen entscheiden.
 
Acht Milliarden Euro
 
Unabhängig von der Entscheidung der Berliner Justiz konstatieren Beobachter, dass die Festnahme durch die deutschen Repressionsbehörden in einer Phase der erneuten Annäherung zwischen Berlin und Kairo erfolgte. Erst vor zweieinhalb Wochen hatte sich der ägyptische Staatspräsident Abd al Fattah al Sisi in Berlin aufgehalten und war dort zu Gesprächen unter anderem mit der Bundeskanzlerin und dem Bundespräsidenten zusammengekommen. Berlin hatte in Reaktion auf Al Sisis Putsch vom Sommer 2013 und auf die darauf folgenden Massaker des Regimes, bei denen allein in der zweiten Jahreshälfte 2013 mutmaßlich über 1.400 Regimegegner zu Tode kamen, zunächst Distanz zu Kairo gehalten, um sich nicht allzu offenkundig zum Komplizen blutiger Repression zu machen.

Ägyptischer Staatspräsident Abd al Fattah al Sisi
NRhZ-Archiv
 
Zu Jahresbeginn hatte die Bundesregierung dann eine Wiederbelebung der bilateralen Zusammenarbeit in die Wege geleitet, die Anfang Juni in Al Sisis Besuch in der deutschen Hauptstadt mündete. Dabei ging es auch um lukrative Aufträge für die deutsche Industrie (german-foreign-policy.com berichtete [3]). Unter anderem konnte der Siemens-Konzern am 3. Juni den Abschluss eines Rekordgeschäfts vermelden: Er wird gemeinsam mit ägyptischen Unternehmen drei Erdgaskraftwerke sowie bis zu zwölf Windparks mit rund 600 Turbinen bauen und zudem in Ägypten ein Werk zur Herstellung von Rotorblättern für Windräder errichten. Das Gesamtvolumen wird mit acht Milliarden Euro beziffert - wie es heißt, der größte Einzelauftrag in der Firmengeschichte.[4]
 
Anti-Terror-Kooperation
 
Die Vermutung, die deutschen Repressionsbehörden könnten den Haftbefehl gegen Mansur nicht von Interpol, sondern direkt aus Kairo entgegengenommen haben, führt unter anderem zu der Frage, welche Perspektiven die Bundesregierung mit der neu gestarteten deutsch-ägyptischen Kooperation auf dem Feld von Polizei und Geheimdiensten verfolgt. Berlin verhandelt seit einiger Zeit mit Kairo über ein bilaterales Polizeiabkommen - und hat darüber hinaus eine Zusammenarbeit in der Praxis längst eingeleitet (german-foreign-policy.com berichtete [5]). Zu den geplanten oder auch bereits durchgeführten Maßnahmen zählen ein "Expertenaustausch" zur "Terrorismusbekämpfung", wobei selbst die Bundesregierung einräumt, die ägyptischen Behörden legten "Terrorismus" so weit aus, dass sich fast jede unerwünschte Handlung darunter subsumieren lasse. Darüber hinaus umfasst die neue Kooperation auch eine Schulung zum Thema "Grenzkontrolle und Rückführungen"; das Kairoer Willkürregime wird damit auch für die deutsch-europäische Flüchtlingsabwehr in Anspruch genommen.[6] Sollte es zutreffen, dass Kairo den Haftbefehl gegen den Journalisten Mansur direkt an Berlin weitergeleitet hat, dann wäre dessen Festnahme, gegen die inzwischen unter anderem "Reporter ohne Grenzen" protestiert, eine Gefälligkeit unter werdenden Freunden.
 
Menschenrechte
 
Nebenbei bestätigt die Festnahme einmal mehr die Bedeutung, die Äußerungen der Bundesregierung in Sachen Menschenrechte zukommt. Das Auswärtige Amt hat in den letzten Wochen gleich mehrfach gegen offenkundige Willkürentscheidungen der ägyptischen Justiz protestiert und insbesondere die zahlreichen Todesurteile scharf kritisiert. In ähnlicher Weise hat sie sich über die Bestätigung des Urteils gegen den saudischen Blogger Raif Badawi empört gezeigt, der eine Strafe von 1.000 Stockhieben, zehn Jahren Haft und einer hohen Geldsumme sowie eine anschließende zehnjährige Ausreisesperre hinnehmen muss - weil er vom Recht auf freie Meinungsäußerung Gebrauch gemacht hat, das Saudi-Arabien freilich nicht gewährt. Am Samstag, dem Weltflüchtlingstag der Vereinten Nationen, hat die Bundesregierung sogar verlauten lassen, es sei "unsere ethische Verantwortung", Flüchtlingen "zu helfen, ihr Überleben zu sichern und ein Leben in Würde zu ermöglichen".[7] Sämtliche Äußerungen verhöhnen die Opfer: Während der Berliner Menschenrechtsbeauftragte sich zur Würde von Flüchtlingen äußerte, setzte die Regierung ihren Kampf zur Abschottung Europas fort [8]; während das Auswärtige Amt sich offiziell auf die Seite des Oppositionellen Badawi schlug, ging die Aufrüstung des Regimes in Riad weiter; und während es sich über Urteile der ägyptischen Justiz demonstrativ empörte, schritt die Bundespolizei mit der Verhaftung des in Kairo missliebigen Journalisten Mansur zur Tat. (PK)
 
Mehr zum Thema: Sisi in Berlin (I) und Sisi in Berlin (II).
[1] Prominenter Al-Jazeera-Journalist festgenommen. www.spiegel.de 20.06.2015.
[2] "Wenn das stimmt, wäre es eine Schande für Deutschland". www.handelsblatt.com 21.06.2015.
[3] S. dazu Sisi in Berlin (II).
[4] Siemens erhält Milliarden-Aufträge in Ägypten. www.faz.net 03.06.2015.
[5] S. dazu Sisi in Berlin (I).
[6] Antwort der Bundesregierung auf eine Kleine Anfrage des Abgeordneten Andrej Hunko und der Fraktion Die Linke. Berlin, 15.05.2015.
[7] Menschenrechtsbeauftragter Strässer zum Flüchtlingstag. www.auswaertiges-amt.de 20.06.2015.
[8] S. dazu Krieg gegen Flüchtlinge, Krieg gegen Flüchtlinge (II) und Der deutsche Weltvertriebenentag.
 
 
Diesen Artikel haben wir mit Dank am 22.6. von German Foreign Politics übernommen, als die Kollegen, die ihn uns zugemailt hatten, noch nicht wissen konnten, dass Ahmad Mansur aufgrund der zahlreichen Proteste bereits wieder frei gelassen worden war. 
http://www.german-foreign-policy.com/de/fulltext/59140


Online-Flyer Nr. 516  vom 24.06.2015



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