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Aktueller Online-Flyer vom 28. März 2024  

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Inland
Veranstaltung "Rassismus und Situation der Flüchtlinge in Köln und der BRD"
Zum Flüchtlings-Kalkül der Großen Koalition
Von Wolfgang Reinicke-Abel

Der Begriff „Flüchtlingskrise“ kennzeichnet die momentane Situation in Deutschland nicht zutreffend. Zum einen befinden sich zur Zeit kaum mehr Flüchtlinge – um die eine Mio. Menschen – im Land als etwa 1997. Zum anderen ist die Lage in vielen anderen Ländern und Regionen der Erde bedeutend dramatischer als hierzulande.Weltweit sind etwa 60 Millionen Menschen (Quelle: UNHACR) auf der Flucht. Allein aus Syrien sind über vier Millionen Menschen ins Ausland geflohen, im Land selber sollen weitere acht Millionen auf der Flucht sein bei einer Gesamtbevölkerung von 21 Millionen Menschen. Das ist eine Flüchtlingskrise. 

Es sind Rüstungsexport und militärischer und wirtschaftlicher Interventionismus, die Kriege, mit denen vor allen anderen die USA, Deutschland und die Nato die Welt im Interesse der internationalen Konzerne überziehen. „Die Waffenproduzenten stützen korrupte Regime und damit Ausbeutung und Ausplünderung. Eure Fabriken verursachen Flucht“, so der aus Nigeria stammende Flüchtling Rex Osa in der taz v. 20.08.2015. 

Seit mehr als zwei Jahrzehnten leiden wir unter massivem Sozialabbau. Frau Merkel ist nicht die erste, die uns gebetsmühlenartig erklärt, dass es zur Austeritätspolitik keine Alternative gäbe. In dieser Situation lässt man einige hunderttausend Flüchtlinge ins Land und die Kanzlerin wird vor allem international als Humanistin gefeiert. Merkel öffnete die Grenzen für die in Budapest Gestrandeten – vorübergehend, versteht sich, wie Vizekanzler Gabriel sich beeilte zu versichern. Am Sonntag, den 13. September ließ der Innenminister de Maiziere Taten folgen und führte Grenzkontrollen zu Österreich ein. Das am Sonntag, den 6. September von der GroKo vorgeschlagene Paket ist alles andere als ein Umdenken in der Flüchtlingspolitik. Ulla Jelpke, MdB „Die Linke.“, schreibt völlig zu Recht, dass vieles darin den Flüchtlingen eher schade, als dass es ihnen nütze und dass unter dem Deckmantel der Flüchtlingshilfe weitere Verschärfungen im Asylrecht durchgedrückt würden. Letztendlich rückt die Bundesregierung keinen Millimeter von ihrer bisherigen repressiven Linie gegenüber Asylbewerbern ab und verschärft sie sogar. Das vielleicht einzig Neue ist eine Veränderung in der Frage der Arbeitsaufnahme von Migranten – offensichtlich auf Druck der Unternehmerverbände. Zwei Maßnahmen stechen hervor: Asylbewerbern wird eher erlaubt zu arbeiten, ebenso wie Arbeitsmigranten aus den Westbalkanländern, wenn sie einen Arbeits- oder Ausbildungsvertrag vorweisen. 

Die Bundesregierung zielt einerseits erkennbar daraufhin, die syrische intellektuelle Elite „abzuschöpfen“, die als Folge des ausgezeichneten syrischen Bildungssystems entstanden ist. Konkurrenz machen da z. B. die USA und Großbritannien, die ankündigen 10.000 bzw. 20.000 Syrer aufnehmen zu wollen. Andererseits eröffnet man den Unternehmen die Möglichkeit, sich im Billiglohnbereich auf dem Balkan zu bedienen. In bewährter Weise geschieht dies so, dass man es den Unternehmen möglichst leicht, den Arbeits- und Ausbildungssuchenden möglichst schwer macht. Im Ergebnis wird mit all den neuen Euro-Milliarden keine wirkliche Integrationspolitik betrieben, sondern die neuen Lohnempfänger werden drangsaliert, gegeneinander ausgespielt und somit entweder zu willigen Arbeitssklaven deformiert oder ganz gebrochen. Und das sind nur die, die man – wie die Masse – nicht nach ein paar Monaten mit einem beschleunigten Asylverfahren aus dem Land drängt. Mit diesem Verfahren verschärft man gleichzeitig die Konkurrenz auf dem Arbeitsmarkt und versucht die Arbeiterklasse weiter zu atomisieren. Der rechte Rand kann dann lauthals und populistisch von Ausländern brüllen, die „uns“ die Arbeitsplätze wegnehmen.

Noch wissen die Allermeisten, dass das nicht wahr ist. Die Welle der Hilfsbereitschaft, die den Flüchtigen bei der Ankunft entgegenschlägt, wäre sonst kaum zu erklären. In vielen Städten und Stadtteilen entstehen Strukturen der Hilfsbereitschaft, die nicht ohne Folgen für Bewusstsein und Verhalten der Gesamtbevölkerung bleiben. Hier kann begriffen werden, dass Wohnungsnot und Armut, fehlende Infrastruktur und Behördenwillkür nicht nur Probleme der Neuankömmlinge sind, sondern ganz allgemein ein Krebsgeschwür dieser Gesellschaft. So verstanden und diskutiert, kann die ehrenamtliche Hilfe für die Flüchtlinge zur Selbsthilfe für alle werden, die das System der Austerität, den neoliberalen Kapitalismus abschütteln und an seine Stelle ein solidarisches Zusammenleben setzen wollen.

In Köln muss man von rund 500 zusätzlichen Flüchtlingen im Monat ausgehen. Dabei wird mit 1.400 fehlenden Plätzen für die Unterbringung von Flüchtlingen bis Ende 2015 gerechnet. Wir sagen entschieden Nein zur Unterbringung von Flüchtlingen in Zelten. Die Verwaltung muss ihre Überlegungen, Flüchtlinge in Zelte unterzubringen, beenden. Alternativ schlagen wir eine Beschlagnahmung von Wohnraum vor. Dabei greifen wir eine Überlegung des CDU-Bürgermeisters von Salzgitter, Frank Klingebiel auf, der leerstehende Wohnungen beschlagnahmen will, um dort Flüchtlinge unterzubringen. Wir müssen auch in Köln solche neuen Wege gehen. In Köln gibt es einigen Leerstand beispielsweise bei Bürogebäuden.

"Die geplanten Bildungsverbote machen alle Erfolge zunichte, die durch Jugendhilfe und Schulen bislang erreicht worden sind“, erklärt Ulrike Schwarz vom Bundesfachverband Unbegleitete Minderjährige Flüchtlinge UMF.e.V.. „Tausende junge Flüchtlinge müssten weiterführende und berufliche Schulen verlassen und würden nach der Jugendhilfe perspektivlos in Sammelunterkünften landen, statt eine Ausbildung beginnen zu können.“ Die fehlende gesetzlich vorgeschriebene Schulpflicht für die Minderjährigen führt dazu, dass für die meisten Kinder und Jugendlichen aus der Notunterkunft Herkulesstraße keine Schulplätze und adäquaten Bildungsangebote zur Verfügung stehen.

Innenminister Thomas de Maizière wollte hunderttausende Geflüchtete auf die Straße setzen. Nach viel Gegenwehr musste er den furchtbaren Plan kippen. Trotzdem beschließt die Koalition, das Asylrecht zu verschärfen. Innenminister Thomas de Maizière plante Unmenschliches: Nach seinem Willen hätten Flüchtlinge, die auf ihrer Flucht zuerst ein anderes EU-Land als Ungarn betreten haben, keinen Anspruch auf staatliche Unterstützung gehabt. Zehntausende Menschen, die bereits in Deutschland sind, wären auf der Straße gelandet. Gemeinsam mit Pro Asyl wuchs der öffentliche Widerstand. Mit deren Appell im Rücken stellte sich die SPD quer. Am Montag kam die Nachricht: Der Innenminister hat seine Pläne aufgegeben. Ein rascher Erfolg, der wohl auch dadurch möglich wurde, dass die vielen Aktiven und Pro Asyl so schnell reagierten. Doch was gestern im Kabinett beschlossen wurde, wird dennoch die Rechte von Flüchtlingen weiter einschränken. Flüchtlinge sollen bis zu sechs Monate lang in Erstaufnahme-Einrichtungen festgehalten werden können: ein Leben in Zeltstädten oder riesigen Hallen – ohne jede Privatsphäre. Das schürt Konflikte und erschwert die Integration von Flüchtlingen.

Zudem will das Kabinett die Liste sicherer Drittstaaten ausweiten. In Zukunft gilt auch das Kosovo als sicher – obwohl die Menschenrechtslage dort prekär ist. Leistungen für manche Gruppen von Asylbewerber/innen sollen außerdem gekürzt werden, einige nur noch Unterkunft und Essen erhalten. Busfahren oder Telefonieren wäre dann nicht mehr möglich. Ob das verfassungsmäßig ist, muss bezweifelt werden.

Der „Rat für Migration“, ein bundesweiter Zusammenschluss von über 100 Migrationsforscherinnen und -forschern, bewertet die Pläne als höchst problematisch: Sie verschlechterten nicht nur die Situation der Flüchtlinge, sondern erstickten auch die Bereitschaft vieler Bürgerinnen und Bürger, sich aktiv für Schutzsuchende einzusetzen. Der Wunsch nach Abschreckung führt zu paradoxen Ergebnissen: Während die Verfahren beschleunigt werden sollen, werden gleichzeitig neue bürokratische Maßnahmen zur Kontrolle von Flüchtlingen beschlossen, die für die Behörden in den Ländern und Kommunen eine stärkere Belastung und mehr Kosten bedeuten.

Dabei ist die Situation nicht beispiellos: 400.000 Menschen haben seit Jahresbeginn in Deutschland Schutz gesucht – mehr als in den vergangenen Jahren. Aber allein 1992 waren es 700.000, zwischen 1988 und 1993 wurden mehr als 3,1 Millionen Menschen aufgenommen.

Aktuell erleben wir eine Welle an rassistischem Terror auf der Straße, fast täglich kommt es zu Anschlägen auf Geflüchtetenunterkünfte. Von den weltweit 60 Millionen Menschen ist nur ein minimaler Bruchteil in der BRD angekommen. Die Abschottung der Grenzen Deutschlands und Europas sorgt dafür.

Rassismus ist weder ein Problem der „neuen“ Bundesländer noch irgendwelcher bildungsfernen Spinner, Rassismus ist eine Haltung die sich durch alle gesellschaftlichen Schichten zieht. Ob die von der BRD geschürte Abschottung der EU-Außengrenzen (Frontex, Dublin, ...) bei gleichzeitigen Waffenlieferungen in Konfliktgebiete, die faktische Abschaffung des Asylrechts, die Hetzkampagnen von BILD gegen die „faulen Südländer“, literarische Größen wie Sarrazin und Buschkowsky oder eben der PEGIDA-nahe Stammtischrassist mit seinen organisierten Faschisten-Freunden, sie alle eint die chauvinistische Überhöhung des eigenen Selbst. Aber wo immer Faschisten und Rassisten versuchen, öffentlichen Raum einzunehmen, versuchen Antifaschistinnen und Antifaschisten sich dem entgegen zu stellen. Auch, wenn die Strategien sich über die verschiedenen Jahrzehnte und politischen Spektren unterscheiden.

Daher fordern wir:

• dezentrale Unterbringung in Wohnungen oder leerstehenden Immobilien

• Aufhebung des Schulverbotes für Flüchtlingskinder

• gesetzliche Schulpflicht für Minderjährige

• normalen Zugang zur Krankenversorgung

• Zugang zum Arbeitsmarkt

• Wiederherstellung des Asylrechts

• Aufhebung der Aufenthaltsbeschränkungen

• kein Aufweichen der Sozialstandards (Mindestlohn etc.)

Wir rufen dazu auf, in der Region, im Betrieb, der Schule, wo auch immer, sich gegen Rassismus gerade zu machen, nicht wegzusehen, einzuschreiten und die hier ankommenden Flüchtlinge tatkräftig zu unterstützen. (PK)

Die erste Veranstaltung »Rassismus und die Situation der Flüchtlinge in Köln und der BRD« findet Donnerstag, 15.10.2015, um 19:00 Uhr im Bürgerzentrum Alte Feuerwache, Großes Forum, Melchiorstraße 3, 50670 Köln statt.

Bislang ist folgender Ablauf geplant:
Die Besucher der Veranstaltung, die wir erwarten, sind Deutsche, Migranten, die schon seit Generationen in Deutschland leben und zahlreiche Flüchtlinge, die aktuell in den Flüchtlingsunterkünften untergebracht sind.
Als Initiator der Veranstaltung werde ich eine kurze Vorstellungsrunde und Einführung geben sowie über den Ablauf der Veranstaltung informieren.
Reiner Schmidt wird zu Beginn zu den Aktionen gegen Rechts berichten.
Michael Sünner als Vertreter der Deutsche Friedensgesellschaft-Vereinigte KriegsdienstgegnerInnen (DFG/VK), wird zum Thema Asylpolitik und zu den Zusammenhängen von Fluchtursachen und EU-Politik - insbesondere den Zusammenhang von Politik, Konzerninteressen und Waffenlieferungen - referieren.
Nawaf, Biologie-Student aus dem Irak und als Asylbewerber seit 4 Monaten in Köln, wird über seine Erfahrungen, sich als Flüchtling politisch zu organisieren und für seine Rechte zu kämpfen, berichten.
Der Fraktionsvorsitzende der Partei Die Linke.Köln, Jörg Detjen wird über Fakten und Daten bezüglich Asylverfahren und der Situation der Flüchtlinge in Köln berichten.
Die Vertreterin der Integrationsagentur des AWO Bezirksverbandes Mittelrhein e.V., Frau Mercedes Pascual Iglesias, wird sich mit einem Statement zur Schulsituation der minderjährigen Flüchtlingskinder äußern.
Der Verein Kinderhilfe Mesopotamien wird einen Beitrag zu seiner aktiven Flüchtlingshilfe im Rahmen der Initiative "Kölner helfen" mit dem Menschenrechtsverein Türkei / Deutschland e.V. (Tüday) leisten. Es werden Herr Koca und Herr Akter zum Thema sprechen, Herr Koca mehr zu der Situation der Flüchtlinge in Köln und Herr Akter zum Thema Flüchtlingshilfe in der Türkei / Kurdistan.

Außerdem rufen wir zur Teilnahme auf:
• an der Aktionskonferenz – "Kein Veedel für Rassismus" am Samstag, 17 Oktober 2015

• zur Demo „No Go! - Kein Comeback von Rassist*innen“ in Köln am Samstag, 24 Oktober 2015

• zur Gegendemonstration „No go HoGe 2.0 – Kein Comeback von Rassist*innen“ in Köln am Sonntag, 25 Oktober 2015

Mehr Informationen:

Wolfgang Reinicke-Abel, M.A. phil. päd.
Severinstraߟe 57a
50678 Köln
Tel.: 0171-6432606
Mail: wolfgang.reinickeabel@yahoo.de



Online-Flyer Nr. 531  vom 12.10.2015



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