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Aktueller Online-Flyer vom 20. April 2024  

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Arbeit und Soziales
Zum Buch "Verbietet das Bauen" von Daniel Fuhrhop
Neubau paradox: Bauboom vertreibt Berlinerinnen
Von Elisabeth Meyer-Renschhausen

Vielleicht müsse er im Winter dann in eine Pension auf dem Land erzählt mir ein Arbeitsloser aus dem Berliner Schillerkiez. Seit anderthalb Jahren sucht er vergeblich eine Wohnung. Vertreiben die deutschen Großstädte ihre Armen? Neulich stand der Wohnungsnot-Beratungs-Bus für Menschen, die ihre Wohnung nicht mehr zahlen können, in Berlins reichstem Bezirk: in Zehlendorf. Sogar dort können viele ihre Mieten nicht mehr zahlen. Z.B. viele Frauen mit ihren im Durchschnitt bei lediglich 600,- Euro liegenden Renten. Sie werden so zu Hartz-IV-Empfängerinnen, dürfen „Aufstocken“. Aber jetzt klettern sogar die kleinen Wohnungen in den Nachkriegesneubauten überall auf über jene 450,- Euro, die die Sozialbehörden bereit sind zu übernehmen.

Das Problem ist hausgemacht. Beispielsweise in Berlin hat der Senat hat mit seiner Politik der letzten Jahre, besonders mit dem Verkauf von Brachen durch die landeseigene Liegenschaftsgesellschaft ausschließlich „an Meistbietend“ die Baukosten so hochgetrieben, dass an erschwinglichen Wohnraum in Neubauten defacto nicht mehr zu denken ist. Es sei denn, man erstellte lediglich Rohbauten und ließe zumindest jene Betroffenen, die es könnten, den Innenausbau selbst machen. Ohnehin entstehen die meisten Neubauten nicht wirklich, weil sie der Wohnungsnot abhelfen sollen, sondern weil Banken ihr viel zu vieles virtuelles Geld in Reales verwandeln wollen. Die Bauindustrie freut sich über die Investoren resp. deren Aufträge. Die regierenden Parteien erliegen den Einflüsterungen der Baulobby. Sie bilden sich wider besseren Wissens ein, dergestalt die Wohnungsnot beheben zu können. Und hoffen, auf diese Art und Weise zumindest Arbeitsplätze schaffen zu können. So gibt es beispielsweise in Berlin Tausende von Menschen, die keine für sie bezahlbaren Wohnungen mehr finden. Nahezu alle Sozialhilfe-Empfänger sind betroffen, sobald sie sich eine neue Wohnung suchen müssen.

Gegen das Hereinfallen auf das Gerede von der „Notwendig“ des Bauens hilft übrigens das Buch von Daniel Fuhrkop "Verbietet das Bauen!" Er zeigt Schritt für Schritt, dass und wie die Kommunen ihr Geld in unverantwortliche Prestigebauten wie Elbphilharmonie und Flughäfen verbuddeln. Die beginnen sie gewissermaßen in betrügerischer Absicht, da sie in der Regel wissen, dass das Ergebnis wahrscheinlich das Doppelte oder sogar das Zehnfache von der ursprünglich veranschlagten Summe kosten wird. Wie im Falle der Elbphilharmonie. Manchmal schaffen Bürgerinitiativen es rechtzeitig unsinnige Neubauten zu verhindern und sparen so der jeweiligen Bürgerschaft viel Geld. So z.B. im Oldenburger Gerichtsviertel wo Abriss und Neubau scheiterten oder am Berliner Landwehrkanal, wo die Bürger Bund und Land unsinnige Renovierungen ersparten. Dennoch überall in der Republik gibt es Flughäfen, die nicht gebraucht werden wie etwa in Kassel / Hessen oder in Hahn / Rheinland-Pfalz, oder leerstehende Shopping-Malls und leere Läden in Innenstädten. Gerne versuchen Politiker wie beispielsweise in den USA oder in Spanien einer kriselnden Wirtschaft aufzuhelfen, indem sie Neubauten fördern. Und sogar zulassen, dass auch Gelegenheitsarbeiter oder Geringverdiener dazu überredet werden, Wohnungen und Häuser zu kaufen. Wenn dann aber infolge steigender Erwerbslosigkeit die Kredite nicht gezahlt werden können, ist – wie wir seit 2007/2008 wissen – der Kladderadatsch umso gewaltiger. Die Städte der USA leiden unter gewaltigen Obdachlosenzahlen. In Spanien verschandeln halbfertige Reihenhäuser die Landschaften…

Und wir haben Millionen leerer Büroflächen. Wir brauchen also keinen Neubau. Allein in Frankfurt am Main standen 2014 anderthalb Millionen Quadratmeter Büros leer. In ganz Deutschland stehen 8 Millionen Quadratmeter Büros leer. Und nicht nur in Hannover kann man verwaiste Schulen zu Wohnungen umbauen. Und es stehen sogar Wohnungen und ganze Wohnhäuser leer, übrigens gerade auch in Berlin, weil sie sich so besser verkaufen lassen. Problem: Diesen Leerstand bekommen die Kommunen meistens nicht mit. Die wenigstens kennen den Leerstand in ihrer Stadt. Erst die virtuellen "Leerstandsmelder" von Hamburger oder Berliner Künstlerinnen und Aktivisten erbrachten, wie viel Leerstand es tatsächlich gibt. Manche Kommunen reagierten schon darauf, wie z.B. in Rotterdam: die Stadt kauft die verfallenen Gebäude und gibt sie an (halb-)arbeitslose Instandbewohner weiter, die sie reparieren und bewohnen. Das Beispiel erinnert uns daran, dass es auch in Berlin die Hausbesetzer waren, die Anfang der 1980er Jahre zur Umkehr hin zu einer "behutsamen Stadterneuerung" brachten und ihre Häuser teilweise selbst reparierten. In Amsterdam bekämpft man den Leerstand erfolgreich, indem man die Hausbesitzer zwingt, Leerstand anzumelden und notfalls ihn zwingt, bestimmte Mieter zu akzeptieren…

"Wir müssen eigentlich nicht mehr bauen"… "Die Städte sind schon fertig gebaut"... Wissen auch viele aus der Branche. Ihnen ist durchaus klar, dass neue Büros auf Kosten der Verdienstchancen der älteren Bürogebäude gehen. "Die Konkurrenz des Neubaus setzt im Altbau eine Abwärtsspirale in Gang. Dass trotz dieser schädlichen Folgen immer weiter neu gebaut wird. Liegt an den Profiteuren des Bauens: kurzfristig denkende Projektentwickler, die eine Immobilie bereits weiterverkauft haben, bevor sie fertig gestellt wurde, Banken, die um so mehr verdienen, je kurzlebiger das Geschäft und je zahlreicher die Verkäufe." stellt Daniel Fuhrhop fest (S. 159). Eigentlich, so Fazit des Autors, ist es heute sozial, teuren Neubau abzulehnen. Und es wäre im guten Sinne konservativ, die Städte mit ihren gewachsenen Stadtbildern zu erhalten. Und auch die Umwelt gewänne durch den Verzicht auf den Ressourcenfressende Neubau. Sozial und ökologisch wäre es also, wenn die Politik sich um behutsames Umbauen bemühte und damit auch die Freiheit der Geringverdienenden und Rentnerinnen zu erhalten, zu wohnen, wo sie möchten…




Daniel Fuhrhop
Verbietet das Bauen – Eine Streitschrift
oekom Verlag, München 2015
192 Seiten, 17,95 Euro

Online-Flyer Nr. 575  vom 17.08.2016



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