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Aktueller Online-Flyer vom 29. März 2024  

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Kultur und Wissen
Gespräch mit dem Vorsitzenden der Neuen Gesellschaft für Psychologie NGfP am Rande der Tagung „Zur Zeit der Verleumder“
Du bist dieser Maschine nicht ausgeliefert
Klaus-Jürgen Bruder – interviewt von Anneliese Fikentscher

Bestandteil der Tagung „Zur Zeit der Verleumder“ im Februar 2018 in Berlin war eine Podiumsrunde unter Teilname des Vorsitzenden der Neuen Gesellschaft für Psychologie NgfP, Klaus-Jürgen Bruder, zum Thema „Rechtsopportunistische Linke als Avantgarde der Gesellschaft ohne Opposition. Was tun wider den Zeitgeist der Verleumder?“. Veranstalter war das im Juli 2017 gegründete „Projekt Kritische Aufklärung“, einem „Zusammenschluss für ideologiekritische Interventionen gegen rechte Tendenzen in Deutschland“, das sich besorgt zeigt „über antiemanzipative Bestrebungen, den fortschreitenden Verrat an kritischer Aufklärung und Verfall der politischen Kultur innerhalb linker Bewegungen, Parteien und Medien.“ Letzter Stein des Anstoßes bildeten die diffamatorischen Angriffe auf den israelischen Historiker Moshe Zuckermann anlässlich der KoPI-Friedenskonferenz "50 Jahre israelische Besatzung" in Frankfurt/Main. Begriffe wie Antisemit, Querfrontler und Verschwörungstheoretiker werden quasi in einem Anti-Diskurs als Keulen des verbalen Totschlags eingesetzt.


Klaus-Jürgen Bruder (Foto: arbeiterfotografie.com)

NRhZ: Herr Bruder, in Ihrem Buch Psychologie ohne Bewusstsein behandeln sie die Verhaltenspsychologie. Damit in Verbindung stehen Techniken der Verhaltenstheorie VT (Behaviorismus: Stichwort Kleiner Albert oder Pawlowscher Hund, der aufs Glöckchen mit Speichelbildung reagiert), was die Frage nahelegt, ob ein Begriff wie Verschwörungstheorie VT (und auch anderer wie Querfront und Antisemitismus) durch Konditionierung derart wirksam werden kann, dass, wenn man einen solchen Begriff benutzt, damit das gesamte Thema bzw. der Diskutant diskreditiert ist.

Klaus Jürgen Bruder: Dazu muss man den Begriff diskreditorisch benutzen. Nehmen wir ein Beispiel, das vielleicht leichter ist: Sozialismus. Wenn der in der Agitation des rechten oder des Mainstream-Mediums verwendet wird, oder wenn man noch Adjektive dazu fügt wie der gefährliche, der menschenverachtende, der elende Sozialismus, dann ist es klar. Man kann das eigentlich mit jedem Begriff machen, denke ich. Die Begriffe werden ja gebraucht. Ein guter Zeuge dafür ist Wittgenstein, der sagt: es kommt auf den Gebrauch der Begriffe an – auf den Gebrauch der Sprache sogar. Und ein Diskurs ist sozusagen eine Maschine, in der ständig die Begriffe umamalgamiert werden, umdefiniert, umfunktioniert werden. Und in dem herrschenden Diskurs werden natürlich die Begriffe der Herrschenden formuliert durch Umkonnotation. Daher kann man nicht sagen, der Begriff ist von vornherein kontaminiert. Der Begriff Verschwörungstheorie wurde ja deshalb diffamatorisch benutzt, weil man rekurriert auf die Verschwörungstheorie der Nationalsozialisten, also der Faschisten gegen die so genannte jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung. Das aber den Linken zu unterstellen, wir würden eine jüdisch-bolschewistische Weltverschwörung annehmen, ist Unsinn. Kompletter Unsinn.

Wird aber heute nicht der Begriff Verschwörungstheorie oder Verschwörungstheoretiker dazu benutzt, ein Thema oder eine Person zu isolieren?

Ja, es ist ein Diskursausschluss. Über die Medien kriegen wir nur eine gewisse Auswahl von Informationen. Und das, was hinter verschlossenen Türen läuft, bspw. hinter den Kabinettstüren, das kriegen wir nicht zu Gehör und zum Lesen. Wenn man weiß, dass der Begriff Verschwörungstheoretiker diffamieren soll, die Zusammenhänge zu suchen, die nicht offensichtlich sind und darauf zu rekurrieren und zu sagen, es könnte so gewesen sein, das als Verschwörungstheorie zu diffamieren, ist doch ein Tritt vors Schienbein. Deshalb finde ich, man soll sich gegen Begriff Verschwörungstheorie und Verschwörungstheoretiker wehren.

Das Glöckchen von Pawlows Hund wird auf eine andere Bedeutung gelötet

Abgesehen vom historischen Antisemitismus. Wie funktioniert der unbegründete Antisemitismus als Kampfbegriff heute?

Ich möchte auf das Beispiel mit dem kleinen Albert und dem Glöckchen zurückkommen. Ursprünglich war das Glöckchen mit einer realen Handlung, mit dem Futter für den Hund verbunden. Die „Bedeutung“ des Glöckchens wird definiert über das Futter durch die Konditionierung. Und dann kann man das Glöckchen als Signifikant, also als Zeichen für das Futter zu einem anderen Signifikat, (mit anderem Inhalt, anderer Bedeutung) verbinden. Das ist das, was ich gerade gemeint habe. Die Begriffe werden umfunktioniert und mit anderer Bedeutung unterlegt, als sie ursprünglich hatten. Und das wird mit dem Begriff Antisemitismus auch gemacht. Der Antisemitismus, so kann man sagen, ist die menschenverachtende Haltung gegenüber den semitischen Bevölkerungen, den semitischen Nationen, dem semitischen, jüdischen Glauben. Dieser wird verwendet, um Menschen und Gruppen zu diffamieren, die sich gerade gegen den Antisemitismus wenden. Das ist eine interessante Sache wie das funktioniert. Pawlow oder Verhaltenstherapie könnte man wieder anwenden. Es wird Antisemitismus als Bezeichnung für etwas verwendet, wobei klar ist, was es ist. Jetzt sagt man, du bist Antisemit, wenn du den jüdischen Staat oder die Regierung des jüdischen Staates, des israelischen Staates kritisierst. Da findet eine Umdefinition statt. Das Glöckchen von Pawlows Hund wird jetzt auf eine andere Bedeutung gelötet. Dass man das mit dem Begriff Antisemitismus so gut machen kann, hängt ja damit zusammen, was die gesamte – so oberflächlich sie auch gewesen sein mag – Auseinandersetzung mit dem Erbe der deutschen Bevölkerung, der Nation, was sie geerbt hat vom Faschismus, den historischen Faschismus oder auch Nationalsozialismus, im Bewusstsein der einzelnen bewirkt hat. Deshalb ist jeder, dem man das Etikett anhängt, in die Ecke eines deutschen Faschisten gestellt oder Anhänger des deutschen Faschismus. Und deshalb ist es so wirkungsvoll. Der klassische Begriff dafür ist Konditionierung, d.h. einen Begriff mit einer Bedeutung verbinden.

Wobei der Begriff National-Sozialismus die übelste und langanhaltende Diskreditierung des Begriffs Sozialismus darstellt. Vom Begriff national ganz zu schweigen, der als – widersprüchliche – Basis der „Antideutschen“ herhalten muss.
Bei der Konferenz Zeit der Verleumder wird auch der weltweite BDS-Aufruf (Boycott, Divestment, Sanctions, zu deutsch Boykott, Desinvestitionen und Sanktionen) des zivilen palästinensischen Widerstands thematisiert. BDS wird diffamatorisch in die Nähe von "Kauft nicht beim Juden" gerückt.


Das ist genau dasselbe...

Sie selbst wurden als Vorsitzender der Neuen Gesellschaft für Psychologie in einem offenen Brief im Dezember 2017 mit einigen dieser Begriffe attackiert...

In diesem offenen Brief wird erstmal behauptet, ich würde antisemitisches Querfrontdenken und Verschwörungstheorien vertreten. Alle drei Vorwürfe wurden gegen uns, die NGfP, genauer gegen mich als Vorsitzenden erhoben. Belegt wurden die mit Kontaktbeweisen. Das heißt, ich habe Kontakt mit Antisemiten, Querfrontlern, und Verschwörungstheoretikern. Als Antisemit bezeichnet  wurde Moshe Zuckermann. Den hab ich eingeladen zu einem Kongress 2015 (Der Krieg um die Köpfe). Drei Kontakte wurden genannt: Moshe Zuckermann, Ken Jebsen, dem ich ein Interview gegeben habe, und Jens Wernicke, Redakteur des Rubikon. Dann gab es Zitate, was ich gesagt oder geschrieben hätte. Das wurde aber verdreht, aus dem Zusammenhang gerissen oder vollkommen frei erfunden.

Ein Beispiel: sogar im Neuen Deutschland wurde das Interview mit Jens Wernicke inkriminiert, indem man eine Passage herausnimmt, wo ich die Pegida (vor drei Jahren hatte die noch eine andere Bedeutung als jetzt, da war noch nicht so klar, wie rechts die ist) als Produkt der Kriegspolitik bezeichnet habe. Womit die Pegida nicht gerechtfertigt wird. Aber es war mir wichtig zu sagen, dass sie ein Produkt der Kriegspolitik ist, dass man das sieht und nicht auf die Pegida als solche fokussiert und damit das Krebsgeschwür isolieren kann. Und dieses Zitat wird weggelassen, es wird nur gesagt, dass ich Verständnis hätte für die Pegida-Leute, und dann "muss er sich nicht wundern, wenn er – der Bruder – in Verdacht gerät, bei Pegida mitzulaufen und zu grölen“. In einer ganz ekelhaften diffamatorischen Weise. Wieso soll ich grölen, wenn ich sage, Pegida hat was mit dem Krieg zu tun. Oder bei Zuckermann, den ich zum Kongress Krieg um die Köpfe eingeladen habe, wird mir vorgeworfen, ich hätte bei der Vorstellung Zuckermanns als Redner beim Kongress gesagt, er nimmt uns die Kritik am Staat Israel ab. Das ist doch absurd. Gesagt habe ich: wir haben mit Moshe Zuckermann einen Mann, der etwas tut, was uns immer schwerer fällt, nämlich seinen eigenen Staat kritisiert. Damit meine ich natürlich, uns fällt es schwer, die deutsche Politik zu kritisieren. So werden die Argumente verdreht und dadurch erscheint – manchen wahrscheinlich – der Vorwurf gerechtfertigt: antisemitisches Querfrontdenken und Verschwörungstheorien. Bei Ken Jebsen wird mir glaube ich nur vorgeworfen, dass ich ein Interview gegeben habe. Und dass ich etwas zur vermeintlichen Annexion der Krim sage, wobei ich da auch nicht der alleinige Autor bin und es nach dem Völkerrechtler Merkel sehr fragwürdig ist, von Annexion zu sprechen.

Von wem kam dieser offene Brief? Aus einem inneren Kreis...

Der Brief ist unterschrieben von Kollegen, jungen Kollegen teilweise in Ausbildung, teilweise an Universitäten als Assistenten, jedenfalls junge Leute, auf die das wirkt, was wir heute (beim Verleumder-Kongress) schon gehört haben. Die Antideutschen infiltrieren, dringen ein in die Universitäten, ins akademische Milieu, schon mit dem zündenden Argument, wir müssen angenommene faschistische Tendenzen von vornherein verunmöglichen. Würde ich ja sagen, das ist vollkommen richtig. Aber dass sie damit sich fangen lassen für tatsächlichen Antisemitismus, das merken die gar nicht.

Sie sagten, dass Sie erschrocken seien, weil der Brief aus ihrem unmittelbaren Umfeld kam...

Ja, das trifft anders, als wenn ich sagen kann, was hab ich mit denen zu tun. Das ist besonders schlimm. Das grenzt eben nicht nur an Verleumdung, sondern an Verrat. Und Verrat ist etwas, was einen persönlich viel mehr trifft.

Und sie kritisieren das Niveau des Briefes...

Ja, ich habe ja ein Beispiel genannt. Das mit dem Grölen... Da versteckt sich der Schreiber und geht in die Reserve. Er sagt ja nicht, ich marschiere mit und gröle, er sagt, er, Bruder, muss sich nicht wundern, wenn er in den Verdacht gerät...

Gab es irgendetwas Vorausgegangenes, woraus Sie sich erklären können, wie es zu diesem Brief kam?

Fünf oder sechs Sachen. Das erste war, als wir Moshe Zuckermann eingeladen haben – interessanter Weise zu einem Anti-Kriegs-Kongress und nicht zu einem Kongress, der sich mit Israel beschäftigt.

Es gibt kaum etwas Vergleichbares wie unsere Kongresse

Das war 2015 der Kongress "Der Krieg um die Köpfe"...

Zu diesem Kongress habe ich Moshe Zuckermann eingeladen. Und typischer Weise waren drei, vier Leute im Saal verteilt – das ist ein großer Hörsaal gewesen, wo Moshe Zuckermann gesprochen hat – die sich gegenseitig die Bälle zugeworfen haben. Zuckermann ist in der Auseinandersetzung geübt, hat gut parieren können, hat sofort den Punkt getroffen, worum es hier geht. Die Angriffe waren nicht sehr elaboriert, nur ganz kurz, er habe sich zu weit vorgewagt, gegen Israel hier aufzutreten. Das wird zum Anlass genommen, einen Brief an die Neue Gesellschaft für Psychologie zu schreiben, worauf wir auch geantwortet haben, dass wir nicht sehen, warum man uns das vorwerfen sollte, Moshe Zuckermann einzuladen.

Das war das eine. Dann kamen im Frühjahr 2017 mehrere an den Vorstand gerichtete Initiativen mit der Frage, ob es im Sinn des gesamten Vorstandes ist, wenn Klaus-Jürgen Bruder solche Sachen verbreitet. Was wir heute – beim Kongress "Die Zeit der Verleumder" – gehört haben: Versuch der Spaltung, dass es ganz wichtig ist, dass man nicht die Neue Gesellschaft frontal angeht, sondern bei Herrn Bruder als Vorsitzendem könnte man ja sagen Neue Gesellschaft ja, aber Herr Bruder...
Dann war es so: dieser offene Brief wurde nicht an uns – den Vorstand – geschickt. Er kursierte im Kollegenkreis, sozusagen hinter unserem Rücken. Und erst als sie glaubten, die Unterschriften zusammen zu haben – sie haben etwa so 15 bis 18 Unterschriften gefunden – haben sie uns den Brief geschickt. Aber wieder nicht mir, sondern an einzelne Leute aus der Neuen Gesellschaft, und da wieder mit der Spaltungstendenz: wir wollen euch vorbereiten, wir schicken jetzt diesen Brief. Wir wollten nur mit denen korrespondieren, von denen wir annehmen, dass wir mit ihnen kooperieren können und denken, dass ihr uns unterstützt. Also eine üble Methode. Und ich wurde zwischendurch einmal angeschrieben von einem der Autoren, ob ich denn wirklich dabei bleiben will, was ich da mache. Bevor der Brief mich erreicht hat, habe ich ihn von einem Kollegen erhalten mit der Bemerkung: kennst du das, ich habe nicht unterschrieben. Nachdem wir unseren Kommentar dazu verteilt haben, kamen in kurzer Zeit an die 50 Solidaritätsadressen und es wurden immer mehr. Es ist so, wie auch heute gesagt wurde: diese Antideutschen, Verleumder haben keine Massenbasis.

Und der Kongress von 2015 war der Hauptauslöser? Wenn von Psychologenseite die Mechanismen der Verführung aufgedeckt werden, hat das ja genügend kritisches Potenzial. Wie weit ist ihnen die Aufklärung über die Verführbarkeit oder Manipulation zur Kriegszustimmung gelungen?

Das ist schwer zu sagen. Wir machen ja Kongresse explizit nicht zum Thema Krieg, sondern zu Krieg im weiteren Sinn. Also, ich betrachte es auch als Krieg, wenn man die Bevölkerung für den Krieg gewinnen will, die eindeutig mehrheitlich dagegen ist. Unsere Kongresse behandeln immer aktuell gesellschaftlich relevante Themen. Wir hatten 2017 einen Kongress zur gesellschaftlichen Spaltung (Gesellschaftliche Spaltungen – Erfahrung von Ungleichheit und Ungerechtigkeit), 2016 einen zu „Migration und Rassismus. Politik der Menschenfeindlichkeit“. Und gleichzeitig versuchen wir möglichst viele Positionen dazu zu gewinnen. Diese müssen nicht explizit marxistisch sein, postmodern ist auch eine Möglichkeit, sich kritisch zu äußern, obwohl die Postmoderne inzwischen sehr in Verruf geraten ist, gerade die Anhänger der Postmoderne sich entpolitisiert haben und theoretisch nicht so sicher sind gegen die neuen Machtdiskurs-Versuche. Ich denke insofern ist es uns gelungen, indem immer wieder neue Leute zu unseren Kongressen kommen, aber auch ein großer Kreis von Stammpublikum. Und vor allem, dass wir immer wieder ReferentInnen gewinnen, die bereit sind, sich zu äußern.  Also es gibt kaum etwas Vergleichbares wie unsere Kongresse. Es gibt ja in Berlin die kritische Psychologie. Der sind wir insofern auch verbunden, als kritische Psychologen auch bei uns in der Neuen Gesellschaft sind, es ist eine bestimmte Theorierichtung, die wir nicht ausschließen wollen, die wir aber nicht als die einzig mögliche ansehen. Wir haben ein sehr viel stärkeres psychoanalytisches Fundament und, ja, sollte man vielleicht dazu sagen: Peter Brückner, der ist für uns ein sehr wichtiger Theoretiker, der sehr klar und scharf ist in seiner gesellschaftskritischen Perspektive.

Baut die Neue Gesellschaft für Psychologie auf den Theorien Peter Brückners auf?

Brückners theoretische Arbeiten kriegen einen breiten Raum, und wir haben 2012 auch einen eigenen Kongress zu seiner Theorie gemacht. (Sozialpsychologie des Kapitalismus heute –  Zur Aktualität Peter Brückners)

Die Arbeit in der Bundeswehr darf grundsätzlich nicht in Frage gestellt werden

Was gab es zum Kongress "Der Krieg um die Köpfe" außer den kritischen Anwürfen an weiteren Reaktionen von Seiten der Teilnehmerschaft und auch von außen?

Außer den kritischen gab es ermunternde Reaktionen, dass diese Kongresse sowohl vom Thema her, von der Auswahl der Referenten, von der Möglichkeit frei zu diskutieren, geschätzt werden. Es gibt kaum etwas Kritisches, es sei denn, dass sie neue Themen vorschlagen. Es ist auch eine schöne Atmosphäre...

Was war der große Strang an Erkenntnis beim Kongress "Der Krieg um die Köpfe"? Menschen wollen immer gerne wissen, was können wir jetzt tun...

Bei dem Kongress hat sich aus der Diskussion heraus eine Initiative gebildet gegen den Versuch der Bundeswehr, im Feld der Therapeuten zu rekrutieren. Wir haben kritisiert, dass diese Therapie, die man traumatisierten Soldaten angedeihen lassen will mit dem expliziten Ziel, sie möglichst schnell wieder an die Front zu schicken, also dahin, wo sie sich ihre Traumatisierung geholt haben, dass diese Therapie eine Grundbedingung therapeutischer Arbeit nicht erfüllt, wenn nicht die Unabhängigkeit gewährleistet ist. Die Bundeswehr und die Therapeuten stehen in einem sehr engen Zusammenhang (nicht direkt, aber eine Behandlung läuft z.B. nur über die Bewilligung durch die Truppenärzte). Vor allem dürfen diese Therapien nicht den wunden Punkt berühren, dass die Arbeit in der Bundeswehr grundsätzlich in Frage gestellt wird. Das auf keinen Fall. Und das ist natürlich keine Therapie mehr. Es soll schon eine Hilfestellung sein, aber nur im Rahmen dessen, was die Soldaten sowieso schon getan haben, wieder bestärkt. Es gibt damit  kaum eine Möglichkeit, die Entscheidung der Soldaten, z.B. in Afghanistan kämpfen zu wollen, zu revidieren oder in Frage zu stellen.

Ist Militär-Seelsorge ähnlich zu kritisieren?

Da kenn ich mich nicht so aus. Ich weiß, dass die Seelsorge sich damals um die Kriegsdienstverweigerer gekümmert hat. Bei den Militär-Seelsorgern ist es letztlich nicht viel anders, als dass sie das Weihwasser auf die Kanonen versprüht haben. Das ist ja ungeheuerlich.

Die Initiative gegen die Einbindung von Therapeuten in die Ziele der Bundeswehr hat dann einen offenen Brief an die Bundespsychotherapeutenkammer BPtK verfasst…

70 Unterschriften unter diesen Brief ist für den großen Anteil an Therapeuten, die es gibt, schon sehr mager. Von daher kann man sagen, haben wir noch viel Arbeit vor uns.

Sehen sie da Chancen...?

Denk ich schon. Die, die unterschrieben haben, finden ohnehin, es muss etwas getan werden. Und auf diese Idee, dass etwas getan werden muss, kommen diejenigen, die noch nicht unterschrieben haben, aufgrund von zwei Bedingungen. Einmal, sie machen Erfahrungen damit, die sie zum Denken anregen. Entweder in ihrem Bekannten- oder Freundeskreis gibt es traumatisierte Kolleginnen oder Freunde, Bekannte. Oder sie haben das Gefühl, dass die öffentliche Diskussion, die Befürwortung von Kriegseinsätzen widersprüchlich ist, oder dass die nicht ihren Vorstellungen von Friedenspolitik entspricht – die kriegerischen Aktionen werden ja immer als friedensfördernde dargestellt. Wenn die das durchschauen, dann werden die sich überlegen, was kann ich tun in meinem Arbeitsbereich. Das ist eigentlich das, was wir mit unseren Kongressen erreichen wollen. Die Psychologen und Psychotherapeuten zu gewinnen, ist, wenn man das Verhältnis sieht – 70 zu einigen tausend, die noch unterschreiben müssen, ein weiter Raum, aber dringend notwendig.

Sehen Sie einen Zusammenhang zwischen dieser Aktion und dem offenen Brief? Wie war die zeitliche Abfolge?

Der offene Brief ist ja Ende 2017 erschienen. Die beschriebene Aktion stand im Zusammenhang mit dem Kriegskongress 2015/16. Also im Nachtrag. Explizit sagen die Verfasser des offenen Briefes, dass sie diese Aktion gegen die Bundeswehr-Therapie gut finden.

Sie und der Vorstand haben aber auch bemerkt, dass die Verfasser des offenen Briefes die NGfP sehr gelobt haben, aber dann kam ein paar Zeilen später um so heftiger der Generalangriff, der erhoffte vernichtende Schlag...

Das könnte auch so ein taktischer Schlenker gewesen sein. Das ist ja die Taktik der Spaltung. Sie sagen, die Neue Gesellschaft war ursprünglich gut, hat gute Sachen gemacht, aber der Klaus-Jürgen Bruder hat sie in die falsche Richtung geführt. Die kennen aber die Neue Gesellschaft nur unter meiner Leitung, meiner Vorstandsführung. Was sie ausführen als gut, ist auch unter meiner Verantwortung gemacht worden. Von daher ist das Vorbringen nicht korrekt, arbeitet mit gezinkten Karten.

Prof. Mausfeld aus Kiel befasst sich mit der Manipulation der Gesellschaft und erntet damit großen Zuspruch. Er öffnet vielen Menschen die Augen. Erkennen sie darin für die Psychologen und Psychotherapeuten eine Möglichkeit zur Anknüpfung?

Mausfeld find ich gut. Was er macht, find ich großartig. Ich sehe keine großen Unterschiede... In meinem Zentrum der Überlegungen steht der "Diskurs der Macht". Das ist mein Ausgangspunkt, während Mausfeld mehr wahrnehmungspsychologische Betrachtungen anstellt. Das ergänzt sich. Mit Diskurs der Macht – wir diskutieren ja ständig miteinander, jeder mit jedem, jeder mit seinen Bekannten, seinen Freunden, seinen Kindern – und was wir da an Meinungen austauschen, das ist nicht unabhängig von dem, was die Macht uns sozusagen zu diskutieren anbietet über Medien, Funk, Fernsehen, Printmedien. Und die Auseinandersetzung mit diesen Vorgaben läuft zwischen dem Angebot, das aufnehmen zu können bis hin zu Zumutungen, wie, du musst, wenn du mitreden willst, das denken und reden – von den Rezipienten her mit kritischer Auseinandersetzung bis hin zu Nachplappern. Und dieses ganze für uns erst einmal undifferenzierte Meer von Reden, von Diskursen, von Erzählungen, das bestimmt unseren Umgang mit allen möglichen Problemen der Welt, Lebensprobleme, Alltagsprobleme bis hin zu politischen Problemen. Das ist ein Steuerungsfeld. Die Menschen werden ja nicht wie die Hunde – wie die Pawlowschen Hunde – mit Glockentönen und Futter gesteuert, sondern mit Sprechen, mit Bildern, mit Reden, mit Erzählungen...

Und mit Tabubegriffen... Und mit dazugehören zu wollen...

Ja. Dieses Diskursmilieu bietet ja zugleich die Möglichkeit, kritisch einzusteigen, auch zu denken: was fehlt, was ist Lüge. Kritische Medien machen das ja auch. Sie machen das auch, indem Sie eine andere Sicht auf die Dinge zeigen und andere Informationen geben. Das muss einfach selbstbewusst und offensiv gemacht werden. Was gleichzeitig dahinter steckt, ist die Barriere: das große Geld bestimmt den Diskurs der Macht, während wir kein Geld, wenig Geld haben, was wir dagegen setzen können. Wir können nur sagen, was dieser Diskurs der Macht bietet ist einseitig, nicht pluralistisch genug, und damit entspricht es nicht der Wahrheit. Es ist nur ein Ausschnitt, und die Ausschnitte sind absichtlich gewählt, sind so gewählt, dass sie etwas bewirken, das die Geldgeber der Macht wollen. Nur durch größtmögliche Breite und Offenheit der Information können wir etwas bewirken.

... zum Beispiel ...

Ihre NRhZ-Seite ist wichtig, die Nachdenkseiten, Rubikon, die Rationalgalerie, auch Printmedien ...

... wie man den Diskurs der Macht durchbrechen kann? Durch Öffentlichkeit einerseits...

Es reicht wahrscheinlich nicht, die Vielfalt der Medien zu erhöhen, sondern auch Aktionen sind wichtig. Es gibt den wunderbaren Spruch: man muss den Verhältnissen ihre Melodie vorsingen, um sie zum Tanzen zu bringen. Da gibt es gute und schlechte Möglichkeiten. Gutes Beispiel in der Vergangenheit war 1967 die Aktion gegen den Schah-Besuch in Berlin. Die war phantastisch. Die Organisatoren – wir kennen einige davon – hatten sich das nicht so vorgestellt, dass es so gut läuft. Das ist wichtig zu wissen, man kann das nicht so genau planen. Aber es war schon gut gedacht, dass dieser Schah, der bei uns als der Pfauenthron-Besitzer vorgestellt wurde, in seiner Realität als Hündchen der USA und als Unterdrücker des eigenen Volkes und als Ausbeuter dargestellt wurde. Und was skandalisiert wurde, dass die Bundesregierung diesen Menschen einlädt, in die Oper einlädt. Gut, das hat man jetzt bei dem G20-Gipfel in Hamburg auch gehabt, den Opernbesuch der Verantwortlichen für die Misere der Welt. Wie würde Jean Ziegler sagen? Die kannibalistische Weltordnung. Die kommen in die Oper und draußen prügelt die Polizei die eigene Bevölkerung. Das alles zu skandalisieren ist gut, aber zu sagen, das genau ist die Aktion, die dazu führt – wie 1967 zum Beginn der Studentenbewegung – das kann man nicht sagen.

Aus psychologischer Sicht. Aufklärung ist eine Basis, überhaupt zu wissen, die Verhältnisse sind so, und ich stecke drin in diesem Dilemma. In der Therapie ist Erkenntnis ein entscheidender Schritt, aber dann muss es zum Moment der Umsetzung kommen...

Erkenntnis reicht nicht. Was machen sie dann?

Das ist eine Technik der Psychologen, Fragen zu reflektieren. Von der Erkenntnis bis zur Umsetzung (eines Plans) ist ggfs. ein weiter Weg, an dessen Rand die ständigen Fallen locken. Ist der Berichterstattung der "Tagesschau" und selbstverständlich anderer – auch linker Medien – nicht doch zu vertrauen... Gibt es eine Hilfestellung?

Marcuse hat in seinem Buch "Der eindimensionale Mensch" von 1964 die These des eindimensionalen Denkens aufgestellt. Die Dimension der Widersprüche ist aus dem Denken gelöscht. Es gibt nur noch eine Dimension, die zur Affirmation der Zustände, wie sie herrschen, führt. Da hat er gesagt, wer diese Theorie bestätigt haben will, soll sich nur einige Tage lang das durchschnittliche Fernsehprogramm anschauen, soll auch nicht abschalten, wenn die Werbesendungen kommen, und soll ab und zu den Sender wechseln. Als Therapeut habe ich zwei verschiedene Ebenen. Ich weiß, es kommt darauf an, dass der andere nicht nur kognitiv nachvollziehen kann, aus A folgt B, sondern dass es ihn berührt. Und wie ich dieses Berühren, dieses Berührtsein herstelle, kann ich nicht wissen, weil letztlich geht es um die Dimension des Unbewussten, und zwar meine und auch die des Gegenübers. Die Dimension des Unbewussten heißt ja nicht zufällig unbewusst, sondern weil sie nicht bewusst ist. Ich kann ja Schritte, Strategien nur auf der Ebene des Bewusstseins durchführen. Mir bleibt als Therapeut nur übrig, geduldig zu warten, mit dem Sprechenden zu assoziieren und selber möglichst ohne Wenn und Aber diesem Sprechen zu folgen. Und irgendwann – meistens unerwartet – gibt es sozusagen eine erhellende Erkenntnis. Das ist das, was die Psychoanalyse, die Psychotherapie vorschlagen kann. Deshalb komme ich auch wieder darauf zurück: Unsere Kongresse sollen möglichst viele Positionen bringen, weil wir nicht wissen, welches die richtige ist. Wir wissen zwar, dass ohne marxistische Analyse es keine Gesellschaftsanalyse geben kann. Vielleicht gibt es die irgendwann mal mit einer anderen Theorie, aber im Moment ist das die einzige, die wirklich tiefschürfend die Zusammenhänge analysiert. Die Psychoanalyse ist auch nicht so tiefgreifend wie der Marxismus. Aber die Psychoanalyse hat ein paar Momente, die die marxistische Diskussion befruchten könnten. Peter Brückner hat es ja versucht, und auch andere... Aber ich schweife ab.

Ohne marxistische Analyse gibt es keine Gesellschaftsanalyse

Es wäre interessant zu erfahren, was für Beispiele es seitens des Marxismus gibt...

Marx analysiert das Kapital als Maschine, die aber von Menschen in Gang gesetzt wird und auch gestoppt werden kann. Wir sind diesem Kapital ja nicht ausgeliefert, sondern wir bedienen es ja immer wieder von Neuem. Und "wir" ist schlecht ausgedrückt, weil da spielt die Machtposition schon eine Rolle. Wenn ich als Arbeiter am Fließband stehe, bediene ich auch die kapitalistische Maschine, aber in ganz anderem Ausmaß als jemand, der die Fabrik dirigiert. Der Marxismus hat noch weitere Zuspitzungen: Rosa Luxemburg, Karl Korsch, Antonio Gramsci usw., es gibt noch viele, die man nennen könnte. Eigentlich werden nur Fragen, die Marx angestoßen hat, expliziert. Darüber hinaus gehen diese Ansätze auch nicht. Aber was die Psychoanalyse natürlich bringt – das hat Marx auch schon angesprochen – dass die Maschine durch Menschen in Gang gesetzt wird und deshalb gestoppt werden kann. Durch Psychoanalyse wird es immer wieder eingehämmert: du bist dieser Maschine nicht ausgeliefert. Du bist selber der, der mitmacht. Du versuchst dieser Situation zu widerstehen, bist gleichzeitig ungeheuer machtlos als kleiner Professor oder als kleiner Therapeut oder als kleiner Bandarbeiter. Und diese Machtlosigkeit ist unerträglich. Die ist sehr kränkend, kränkt den eigenen Narzissmus. Und deshalb muss ich die verleugnen. Und deshalb muss ich sagen, ich bin – da gibt es verschiedene Möglichkeiten – ich bin, was ich bin, aber jedenfalls bin ich nicht ohnmächtig. Das geht überhaupt nicht. Das verkrafte ich nicht. Das verkraftet mein Stolz nicht. Marx hat schon Andeutungen gemacht, wenn er in den Frühschriften vom aufgeschlagenen Buch der Psychologie spricht. Oder wenn er von der Illusion des automatischen Subjekts spricht, von der Gans, die goldene Eier legt usw.; er formuliert das ironisch, dieses Manko der Psychologie.

Was als das Verdienst von Marx erkannt wird, ist es, einer Klasse, der Arbeiterklasse, das Bewusstsein über ihre Situation und die Veränderbarkeit zu geben, nennen wir sie die Klasse der scheinbar Machtlosen...

... ihr Selbstbewusstsein zu geben, dass sie nicht nötig hat, zu verleugnen, dass sie eine machtlose, subalterne, ausgebeutete Klasse ist – das würde ja der unaufgeklärte Teil, Mitglied dieser Klasse verleugnen. Marx gibt ihnen das Selbstbewusstsein: du musst dich nicht verleugnen, das ist deine Position, und du bist Teil einer Klasse, die das ändern kann.

Jetzt gibt es ja aktuell ganz andere Kämpfe innerhalb der "Klasse", wenn man es so nennen will (was hier bei der Tagung "Die Zeit der Verleumder" auch Thema ist). Linke, oder scheinbar Linke, die letztlich natürlich gar keine sind (um nur z.B. die berüchtigten so genannten "Antideutschen" zu nennen) machen Jagd auf andere Linke, um einmal in dem Umfeld zu bleiben. Was ist da zu tun?

Als Linker würde ich sagen, ich streng mich sehr an, alles zu analysieren, zu durchschauen. Und da ist das Ergebnis, das ja immer nur vorläufig sein kann. Marx hat ja sein ganzes Leben auf die Analyse eines Teils des Kapitalismus – das Kapital ist ja nicht der Kapitalismus insgesamt, sondern ist nur die Maschine, die den Kapitalismus vorantreibt – deren Wirkungsweise zu analysieren, wenn nicht eingegriffen wird – keynesianisch oder revolutionär – dann funktioniert es so, wie das „Kapital“ es beschreibt. Insofern ist das immer vorläufig, weil die Eingriffe, die die Menschen machen, die herrschende oder die beherrschte Klasse, die Maschine in eine andere Richtung lenken, stoppen oder sabotieren kann. Und die Aktionen sind ja als Aktionen von Menschen  nicht voraussehbar.  Von daher ist es ein Irrweg zu sagen, ich hab alles analysiert, deshalb kann ich zu dem Punkt kommen, dass ich den andern, der nicht meiner Meinung ist, bekämpfen kann, weil der falsch sein muss, statt zu sagen, der hat sich an einem anderen Feld des Problems bewegt. Ich muss gar nicht sagen, er ist noch nicht so weit wie ich, sondern er ist an einem anderen Punkt. Man muss sich überlegen, wie die Inhaber der verschiedenen Punkte kooperieren können. Gleichzeitig gibt es natürlich auch die Möglichkeit des Renegaten, des Verleumders, des Verräters. Das kann man auch nicht ausschließen. In den linken Diskussionen können sich Leute bewegen – und dafür haben wir immer wieder Beispiele –

... wie der "linke" Senator Lederer....

oder wie Joschka Fischer...

... oder "Linke", die plötzlich Kriege legitmieren, weil sie gern an die Macht kommen wollen…

Wissenschaft sollte der Aufklärung dienen und nicht Konzernen

Jetzt sind Sie als NGfP mit der Macht des Kapitals in der Weise konfrontiert, dass Sie Ihre Kongresse in den Räumen der Universität kaum mehr durchführen können, weil diese unbezahlbar wurden. Fühlt sich eine Instanz durch Ihre Inhalte gestört?

Man könnte sich das denken. Wir bewegen uns da natürlich auf der Ebene der hypothetischen Annahmen. Die Universität begründet es ja damit, dass sie – neoliberal orientiert – für ihre Räume kassieren muss, weil es eine Möglichkeit ist, das Geld zu bekommen, das ihr der Staat vorenthält. Anstatt dass der Staat eine Universität ausreichend ausstattet, sind die Universitäten verpflichtet, jetzt selber Geld zu akquirieren. Und da ist eine Gelegenheit, die schönen Räume zu vermieten. Sie haben mir das Angebot gemacht, als Teil der Universität kriegen sie es um die Hälfte billiger. Aber das ist ja auch für uns untragbar. Damit wäre das gesamte Budget, über das wir als Verband verfügen, mit einem Mal verbraucht. Das geht also nicht. Ich habe den Standpunkt vertreten, die Universität hat die Aufgabe, im breitesten Maße Aufklärung zu betreiben, Wissenschaft sollte der Aufklärung dienen und nicht Konzernen oder sonstigen Interessen. Und wenn sich so eine Gruppe wie die Neue Gesellschaft oder ein anderer Verband anbietet, aus reinem Engagement, ohne Geld zu verlangen, Aufklärung zu unterstützen, dann sollte die Universität die Räume dafür zur Verfügung stellen. Ganz klar. Das müsste eigentlich selbstverständlich sein. Und noch dazu, dass die Frage der Wissenschaftlichkeit durch die einzelnen Referenten vollkommen belegt ist. Auch die Zuhörer sind wissenschaftlich Gebildete und Teilnehmer auch an anderen Kongressen. Alles keine Frage, das ist nicht universitätsfremd.

Sie plädieren aber andererseits auch dafür, dass nicht nur wissenschaftlich gebildetes Publikum kommt, sondern dass die Teilnahme an den Kongressen auch für "normale" Menschen offen ist.

Das ist eine praktische Realisierung der Aufgabe, dass Wissenschaft auch für die da sein soll, die nicht die Gelegenheit, nicht die Ressourcen haben, selber Wissenschaft betreiben zu können, also Wissenschaft auch für die anders arbeitende Bevölkerung. Auf jeden Fall.

Du bist Teil einer Klasse, die das ändern kann

Der Kongress in diesem Jahr (2018) hat zum Thema "Gesellschaft ohne Opposition". Was machen wir da. Wo kommt die Opposition her und wo führt sie hin?

Ich habe von manchen den Einwand gehört: Es gibt doch Opposition. Auch die Tagung "Zur Zeit der Verleumder" ist eine oppositionelle Veranstaltung. Es gibt viele Initiativen. Was mit Gesellschaft ohne Opposition gemeint ist, ist nicht nur, dass es ein Zitat von Marcuses Gesellschaftsanalyse der 60er Jahre ist, sondern dass die Situation der 60er Jahre – da gab es Marcuse und andere, die oppositionelle Gedanken hatten – hat er trotzdem zu Recht gesagt "Gesellschaft ohne Opposition", weil es keine wirkmächtige, die Politik beeinflussende grundlegende Opposition gab, die ein anderes Gesellschaftsmodell oder die eine grundsätzlich andere Politik vorschlägt. Es gab an Opposition immer nur eine Opposition ihrer Majestät, d.h. eine Opposition, die einzelne Durchsetzungsschritte derselben Politik anderes vorschlägt... Gesellschaft ohne Opposition meint grundlegende, fundamentale Opposition. Bei Marcuse heißt es, dass diese Spaltung der Gesellschaft in Klassen aufgehoben werden muss zugunsten einer – ja letztlich – klassenlosen Gesellschaft. Das heißt, eine Gesellschaft darf nicht aus einer kleinen Gruppe von Profiteuren und einer großen Gruppe von blutenden Menschen bestehen, sondern man muss kooperativ die Geschicke bewältigen und lösen. Das ist eigentlich das Modell einer demokratischen Gesellschaft, das nirgendwo realisiert ist. Mit dem Begriff Demokratie wird ja genauso Schindluder getrieben wie mit den Tabu-Begriffen, über die wir vorhin sprachen. Es ist ja keine Demokratie, die hier stattfindet, sondern unter dem Lable der Demokratie wird die Oligarchie praktiziert und aufrecht erhalten. Das meint Marcuse mit "ohne Opposition". Es gibt keine wirkmächtige Gegenbewegung, die den Oligarchen und der oligarchischen Politik die Stirn bieten und diese in ihre Schranken zurückweist...

Da sind wir wieder beim Thema Spaltung. Wenn diese mögliche Kraft, diese denkbare Opposition gespalten wird oder sich spalten lässt, verspielt sie ihre Wirkmächtigkeit...

Das ist ja auch das Fatale, dass in den Zeiten der Wirkungslosigkeit der Opposition gerade da die Spaltungstendenzen Raum greifen. Es klingt, als würde sich die Katze in den Schwanz beißen. Die Opposition muss erfolgreich sein, dass sie die Spaltung überwindet. Aber die Spaltung hindert sie daran, erfolgreich zu sein.

Erich Fromm hat seinen nachfolgenden Generationen vorausgesagt, dass sie in einer großen Depression enden werden. An welchem Punkt befinden wir uns demnach?

Daneben können wir den Satz der Prophezeiung von Rosa Luxemburg stellen: Sozialismus oder Barbarei. Also die große Depression wäre die Zeit der Barbarei oder der Barbarei vorausgehend. Rosa Luxemburg hat sich aber geweigert zu sagen, wir werden in der Barbarei enden. Und darum geht es. Entweder – oder. Sie hat es formuliert, um alle Kräfte aufzurütteln, alle Kräfte, die in der Lage sind, die große Barbarei zu verhindern. Ich habe die Hoffnung, dass die Menschen zur Besinnung kommen im Sinne eines optimistischen Illusionisten.


Siehe auch:


Gesellschaft ohne Opposition?
Fotogalerie zum Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP), Berlin, 8.-11.3.2018
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 651 vom 21.03.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24695

Heraus aus der Paralyse der Kritik
Video-Grußworte vom Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP), Berlin, 8.-11.3.2018
Von Christoph Bialluch und Norbert Andersch
NRhZ 651 vom 21.03.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24692

Worauf bereitet der Anti-Semitismus-Diskurs uns vor?
Referat von Klaus-Jürgen Bruder beim Kongress der Neuen Gesellschaft für Psychologie (NGfP), Berlin, 9.3.2018
NRhZ 651 vom 21.03.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24678

Konferenz "Zur Zeit der Verleumder", Berlin, 10. Februar 2018
Verleumdungsstrategien durchkreuzen!
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 648 vom 21.02.2018
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=24600

Online-Flyer Nr. 651  vom 21.03.2018



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