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Krieg und Frieden
Waren die Opfer und Investitionen umsonst?
Konsequenzen aus der Niederlage am Hindukusch
Von Jürgen Heiducoff (Huadian / VR China)
Seit vielen Jahren gibt es Bemühungen um eine Verhandlungslösung für die afghanische Tragödie. Jetzt gibt es Aussicht auf einen Durchbruch. Woran liegt das? Hauptgründe sind: Erstens: die Trump-Administration will nicht weiter für die verfehlte Afghanistanpolitik der Vorgängerregierungen aufkommen und sich aus der Pflicht zurückziehen, in den Topf ohne Boden am Hindukusch zu investieren. Zweitens: durch die operative Überlegenheit der landesweit agierenden afghanischen Talibanbewegung hält deren Führung einen Erfolg in einem Verhandlungsprozess um ein zukünftiges Afghanistan jetzt für möglich.
Deshalb haben sich diese beiden Konfliktparteien geeinigt, nach einem Kompromiss zu suchen. Der derzeitige intensive und mehrgleisige Verhandlungsprozess der Taliban mit den USA und anderen Parteien ist objektiv ein Zeichen der Stärke der Aufständischen und seitens der USA das Eingeständnis der Niederlage im Kampf am Hindukusch. Natürlich soll dieses Eingeständnis nicht offen publiziert werden. Man ist bemüht, den Abzug der US-Truppen als die erfolgreiche Erfüllung der Mission darzustellen. Die ursprünglichen Ziele der Intervention werden kaum noch artikuliert.
Bei den Verhandlungen treffen knallharte Interessen aufeinander. Es geht um Macht, Einfluss und Kapital der großen Player, nur nicht vordergründig um den Frieden, den die geplagten Paschtunen, Tadschiken und Hazara brauchen.
Niederlage der USA im Kampf gegen die Aufstandsbewegung in Afghanistan
Zur Lage: In Doha verhandelt der US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad, ein US-Bürger mit afghanischen Wurzeln, mit Vertretern der Talibanmilizen. Parallel dazu führen die Taliban Gespräche mit afghanischen oppositionellen politischen Kräften und Warlords, die sich von der Ghani-Administration verdrängt fühlen. Viele von ihnen leben im Ausland. Der ehemalige Präsident Hamid Karzai wohnte dem jüngsten Treffen dieser Kräfte in Moskau bei. Offensichtlich geht es darum, sich für künftige politische Strukturen in Stellung zu bringen.
Von den laufenden Verhandlungen sind sowohl die Regierung von Präsident Ghani, als auch die anderen internationalen Akteure in Afghanistan bisher ausgeschlossen. Wer vertritt deren Interessen? Es ist ein Deal zwischen den USA und den Taliban zu befürchten, der die Lage nicht nachhaltig entspannen kann.
Gegenwärtig sind die Kampfhandlungen der Taliban und des IS vor allem gegen die Sicherheitskräfte der Regierung Ghani (Afghanische Nationalarmee ANA und Afghanische Nationale Polizei ANP) gerichtet. Den etwa 40.000 Mann starken Talibanmilizen gelang es, die mehr als 350.000 Regierungskräfte in die Defensive zu drängen. Die Verhandlungen werfen einige Fragen auf. Diese betreffen zunächst die Verhandlungspartner, da die Verhandlungsgegenstände geheim gehalten werden. Seit dem Abzug der meisten internationalen Kampfeinheiten und der Reduzierung des Auftrages der NATO auf Ausbildung und Beratung tragen die afghanischen Sicherheitskräfte die Hauptlasten der Angriffe und Anschläge der Taliban und des IS. Die Aktivitäten der Taliban sind keineswegs mit denen des IS koordiniert, denn deren Einheiten bekämpfen sich gegenseitig.
Diese komplexe Lage spiegelt sich nicht in der Auswahl der Verhandlungsteilnehmer wider. Die Taliban verhandeln mit den USA, aber auch mit Teilen der afghanischen politischen Opposition, die nicht unmittelbar an den bewaffneten Kämpfen teilnehmen. Vertreter der Kabuler Regierung Ghani und der Koalitionspartner der USA mit Kontingenten am Hindukusch fehlen. Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen jedoch sollten vor allem die kämpfenden Seiten abbilden.
Zudem: die Talibanbewegung ist nicht von zentralistischen Strukturen dominiert. Daher bleibt abzuwarten, ob die Verhandlungsführer des afghanischen bewaffneten Widerstandes sich im operativen Kampf durchzusetzen vermögen und den entsprechenden Einfluss auf die Kämpfer haben werden.
Konsequenzen für die Koalitionspartner der USA
Kompetenten Beobachtern der Auseinandersetzungen in Afghanistan ist seit langem klar, dass auch dieser Waffengang wie alle bisherigen Interventionen am Hindukusch mit einer Niederlage der Invasoren enden wird. Dies ist ein hoher Preis. Die Trump-Administration möchte nun einen gesichtswahrenden Ausstieg aus diesem Dilemma. Unsummen an Hilfs- und Aufbaugeldern sowie Ausbildungs- und Beratungsprogramme für Politik, Militär, Polizei, Justiz und Verwaltung haben wenig gebracht. Es hat sich erneut gezeigt, dass auf Dauer mit Geld und Technologie eine solch komplexe Auseinandersetzung mit einem asymmetrisch agierenden Feind nicht zu gewinnen ist. Der Kampfmoral, Ausdauer und Durchhaltefähigkeit der Aufständischen haben die westlichen Truppen ohnehin wenig entgegen zu setzen.
Mit dem möglichen Beginn der Rückverlegung der US-Truppen erscheint auch die Forderung der Friedensbewegung nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan in einem neuen Licht.
Der aktuelle deutsche Afghanistaneinsatz mit einer Mandatsobergrenze von 1.300 Soldaten ist nicht nur der längste, sondern auch der verlustreichste und nach wie vor der größte Einsatz der Bundeswehr. Die Kosten der seit 17 Jahren andauernden NATO-Missionen ISAF und RESOLUTE SUPPORT betragen über 10 Milliarden Euro – fast die Hälfte der Gesamtkosten der mehr als 50 Auslandseinsätze der Bundeswehr seit Anfang der 1990er Jahre. (1) Das sind Summen, die einen gesunden Staatshaushalt völlig deformieren. Die verschiedenen operationellen Konzepte der NATO wie der provinzielle, flächendeckende Wiederaufbau oder die „vernetzte Sicherheit“ sowie die zivil-militärische Zusammenarbeit erwiesen sich als wenig hilfreich.
Die brutale Aufstandsbekämpfung in den letzten Monaten der ISAF-Mission vor allem durch amerikanische und britische Verbände erzeugte Hass und Ablehnung gegen die Besatzungstruppen und unterstützte die Rekrutierung junger Talibankämpfer. Ausländische Stabilisierungsgelder förderten die Korruption im Lande. Dies wiederum führte zum Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den staatlichen Stellen aller Ebenen.
Die US-Regierung hat den Abzug großer Teile seiner Truppen aus Afghanistan beschlossen. Es ist zwar anzunehmen, dass große US-Basen wie etwa Bagram weiter betrieben werden, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Operationsfähigkeit und Stationierung der Truppen der Koalitionspartner in Frage steht. Die NATO und die Truppenstellerstaaten müssen ihre eigene Strategie flexibel verändern. Das dürfte besonders den Deutschen schwer fallen. Mit deutscher Gründlichkeit und Konzept scheint sich die Bundeswehr für Jahrzehnte in ihren Lagern eingerichtet zu haben. Ein kostengünstiger Rückbau ist ausgeschlossen. Die Erwartung schneller Lösungen ist unrealistisch.
Im Alleingang gibt es für keinen der NATO- und Koalitionspartner eine Perspektive in diesem geschundenen Land. Niemand kann ausschließen, dass die Regierung Trump nach der Devise „Amerika First“ nach dem Abzug von Teilen ihrer Truppe auch den Dollarfluss in Richtung Kabul einschränkt. Dann würde ohnehin der ungesteuerte Zusammenbruch folgen.
Zum Konzept der Ausbildungs- und Beratungshilfe
Nach den Jahren der Aufstandsbekämpfung und der Taktik der groß angelegten offensiven Kampfhandlungen der Amerikaner vor allem im Süden und Osten Afghanistans wurde mit der Mega-Bombe, der „Mutter aller Bomben“ ein Zeichen der operativen Überlegenheit gesetzt. Es folgte der massive Einsatz von Kampfdrohnen in der Fläche. Die nahezu lautlos aus dem Nichts erscheinenden Vernichtungswaffen verfehlten ihre psychische Nebenwirkung nicht. Eine tiefgreifende Angst überkam die Menschen. Und dennoch, vielleicht gerade deshalb verstärkte sich der Zulauf zu den Aufständischen.
Als Gegenmaßnahme wurde die Ausrüstung und Ausbildung der afghanischen Truppen und Polizei stark gefördert. Das langfristig und breit angelegte Projekt der Ausbildungs- und Beratungshilfe, in das auch die Bundeswehr sehr stark eingebunden ist, sollte gleichzeitig als Feigenblatt der militärischen Aktivitäten herhalten. Dieses Konzept soll das militärische Engagement als defensive Maßnahme der Entwicklungshilfe darstellen, das nichts mit Intervention, bewaffnetem Einsatz und infanteristischem Kampf zu tun habe.
Ausbildungs- und Beratungshilfe, die nicht nur in Afghanistan immer nur einer der Kriegsparteien zuteil wird, dient jedoch der Destabilisierung der Lage und dem Anheizen von Konflikten. Diesem Konzept liegt ein gehöriges Maß an Realitätsfremdheit und Arroganz zugrunde.
Wie kann es sein, dass Militärs aus einer völlig fremden Kultur mit Unkenntnis der Sitten und Gebräuche, der gesellschaftlichen, ethnischen und religiösen Besonderheiten im Einsatzland annehmen, sie seien in der Lage, effektiv auszubilden und zu beraten? Zu unterschiedlich sind die Auszubildenden und die Ausbilder. Da passt nichts zueinander. Das beginnt bei der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, setzt sich bei Einstellung zu Frauen, Kindern und Familie fort und endet bei den Gebetsritualen. Der Ausbilder kann noch so fromm sein – er bleibt in den Augen des Afghanen immer der Ungläubige. Wenn die Werte, die Ausbilder und Auszubildende, Berater und zu Beratende vertreten so unterschiedlich sind, wenn das gegenseitige Vertrauen Grenzen hat, dann kann eine Ausbildung und Beratung nicht effektiv sein.
Die Ausbilder beherrschen zwar ihr Fachgebiet unter Friedensbedingungen in der Heimat, verfügen aber zumeist über unzureichende Erfahrungen im asymmetrischen Gefecht. Zudem ist die Beratung und Ausbildung immer nur einer der Seiten im komplexen bewaffneten Kampf wenig zielführend. Sie ist ungeeignet zur Beendigung bewaffneter Auseinandersetzungen beizutragen. Statt dessen führt sie zum Aufflammen neuer Kämpfe und nicht selten zur Niederlage der unterstützten Seite. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Vietnamkrieg der USA.
Gewinner und Verlierer
Einer meiner Sprüche in Afghanistan war: „Man braucht keinen Krieg zu führen, um die Afghanen zu gewinnen!“ Das Vertrauen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung am Hindukusch konnte der Westen nicht gewinnen. Und dennoch stellt sich nach einer so tragischen Niederlage immer die Frage nach den Gewinnern und Verlierern. Zu den Gewinnern zählen in erster Linie die Rüstungskonzerne, deren Aufträge und Umsätze wuchsen. Zu den Verlierern gehört vor allem die Zivilbevölkerung im Kriegsgebiet, die unendliches Leid hinnehmen musste. Viele Afghanen flohen nach Deutschland, wo sie nicht selten auf Distanz und Unverständnis stoßen. Aber zu den Verlierern gehören auch viele der westlichen Soldaten.
Der Afghanistaneinsatz hat die Bundeswehr verändert. Und er hat auch die Gesellschaft geprägt. Was haben die Politiker gelernt, die Teile unserer Streitkräfte ins Verderben geschickt haben? Das Leid der Hinterbliebenen unserer Gefallenen und das Schicksal der physisch und psychisch Geschädigten und deren Angehörigen dauern an. Nicht wenige von ihnen kämpfen im Alltag um ihre Rechte gegen einen bürokratischen Apparat. Nicht zu vergessen auf der Verliererseite aufzuführen: die fleißigen Steuerzahler, die diese Fehlinvestitionen aufbringen mussten.
Lehren aus der Niederlage
Die wichtigste Lehre sollte sein, sich künftig nicht an militärischen Interventionen und Angriffskriegen zu beteiligen! Es gibt genügend Probleme wie Klima, Umwelt und Soziales. Doch die Münchner Sicherheitskonferenz zeigt, dass diese Lehre unrealistisch zu sein scheint. Eine völlig neue Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung mit weniger Gewichtung des Militärischen ist erforderlich. Aber während ihrer Eröffnungsansprache kündigte Bundesverteidigungsministerin von der Leyen an, den deutschen Militärhaushalt entsprechend der Forderungen Washington systematisch weiter aufzustocken. Von den USA forderte sie im Gegenzug indirekt, die Entscheidung über den Abzug der Truppen aus Afghanistan zu überdenken. „Für unsere Missionen pflegen wir den Grundsatz: Gemeinsam rein, gemeinsam raus“, erklärte die Ministerin mit Blick auf die Ankündigung von US-Präsident Trump, die US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen. In der Allianz gelte es, „das Prinzip der Fairness und der transatlantischen Freundschaft hochzuhalten“. Und dazu gehöre, etwa mit Blick auf Afghanistan, auch der Grundsatz: Gemeinsam rein, gemeinsam raus. (2)
Waren die Opfer und Investitionen umsonst?
Dies ist ein emotionales Thema, vor allem für die Betroffenen. Und dennoch muss man sich der Frage stellen, um ähnliche Schicksale und Fehler künftig zu vermeiden.
Nein – Opfer und Investitionen waren nicht umsonst, wenn künftig in der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik militärische Lösungen von Konflikten keine Rolle mehr spielen, wenn Kooperation Konfrontation ersetzt und ein System der kollektiven Sicherheit angestrebt wird.
Ja – die Opfer waren leider umsonst, wenn die bisherige verantwortungslose Politik unverändert fortgesetzt wird. Neue Opfer und Fehlinvestitionen sind dann unvermeidlich.
Alles liegt nun in der Verantwortung der politischen Elite. Es kann in einer Demokratie nicht sein, dass sich die Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr durch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nicht in der Realpolitik widerspiegelt.
Fußnoten
1 Zahlenangaben aus dem Bericht des Wehrbeauftragten 2019
2 https://www.faz.net/aktuell/politik/sicherheitskonferenz/sicherheitskonferenz-kein-politisches-tauwetter-in-muenchen-16043596-p2.html
Der Autor Jürgen Heiducoff ist Veteran der Bundeswehr. Er war fast drei Jahre in Afghanistan und vorher acht Monate als OSZE-Militärbeobachter im Tschetschenienkrieg. Sehr früh erkannte er aus eigener Erfahrung die Ineffizienz militärischer Interventionen, die stets mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen. Darüber und über den oft aussichtslosen Kampf regulärer Truppen gegen Aufständische publizierte er zeitnah.
Frühere Publikationen des Autors zum Thema „Verlorener Krieg in Afghanistan“:
„Afghanistan ist für den Westen verloren - wie weiter?“ Schattenblick 17.08.2018
http://schattenblick.org/infopool/politik/meinung/pmsp0793.html
„Warum die NATO den Krieg am Hindukusch verloren hat?“ Friedensforum 5/2012
https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/warum-die-nato-den-krieg-am-hindukusch-verloren
Online-Flyer Nr. 693 vom 20.02.2019
Waren die Opfer und Investitionen umsonst?
Konsequenzen aus der Niederlage am Hindukusch
Von Jürgen Heiducoff (Huadian / VR China)
Seit vielen Jahren gibt es Bemühungen um eine Verhandlungslösung für die afghanische Tragödie. Jetzt gibt es Aussicht auf einen Durchbruch. Woran liegt das? Hauptgründe sind: Erstens: die Trump-Administration will nicht weiter für die verfehlte Afghanistanpolitik der Vorgängerregierungen aufkommen und sich aus der Pflicht zurückziehen, in den Topf ohne Boden am Hindukusch zu investieren. Zweitens: durch die operative Überlegenheit der landesweit agierenden afghanischen Talibanbewegung hält deren Führung einen Erfolg in einem Verhandlungsprozess um ein zukünftiges Afghanistan jetzt für möglich.
Deshalb haben sich diese beiden Konfliktparteien geeinigt, nach einem Kompromiss zu suchen. Der derzeitige intensive und mehrgleisige Verhandlungsprozess der Taliban mit den USA und anderen Parteien ist objektiv ein Zeichen der Stärke der Aufständischen und seitens der USA das Eingeständnis der Niederlage im Kampf am Hindukusch. Natürlich soll dieses Eingeständnis nicht offen publiziert werden. Man ist bemüht, den Abzug der US-Truppen als die erfolgreiche Erfüllung der Mission darzustellen. Die ursprünglichen Ziele der Intervention werden kaum noch artikuliert.
Bei den Verhandlungen treffen knallharte Interessen aufeinander. Es geht um Macht, Einfluss und Kapital der großen Player, nur nicht vordergründig um den Frieden, den die geplagten Paschtunen, Tadschiken und Hazara brauchen.
Niederlage der USA im Kampf gegen die Aufstandsbewegung in Afghanistan
Zur Lage: In Doha verhandelt der US-Chefunterhändler Zalmay Khalilzad, ein US-Bürger mit afghanischen Wurzeln, mit Vertretern der Talibanmilizen. Parallel dazu führen die Taliban Gespräche mit afghanischen oppositionellen politischen Kräften und Warlords, die sich von der Ghani-Administration verdrängt fühlen. Viele von ihnen leben im Ausland. Der ehemalige Präsident Hamid Karzai wohnte dem jüngsten Treffen dieser Kräfte in Moskau bei. Offensichtlich geht es darum, sich für künftige politische Strukturen in Stellung zu bringen.
Von den laufenden Verhandlungen sind sowohl die Regierung von Präsident Ghani, als auch die anderen internationalen Akteure in Afghanistan bisher ausgeschlossen. Wer vertritt deren Interessen? Es ist ein Deal zwischen den USA und den Taliban zu befürchten, der die Lage nicht nachhaltig entspannen kann.
Gegenwärtig sind die Kampfhandlungen der Taliban und des IS vor allem gegen die Sicherheitskräfte der Regierung Ghani (Afghanische Nationalarmee ANA und Afghanische Nationale Polizei ANP) gerichtet. Den etwa 40.000 Mann starken Talibanmilizen gelang es, die mehr als 350.000 Regierungskräfte in die Defensive zu drängen. Die Verhandlungen werfen einige Fragen auf. Diese betreffen zunächst die Verhandlungspartner, da die Verhandlungsgegenstände geheim gehalten werden. Seit dem Abzug der meisten internationalen Kampfeinheiten und der Reduzierung des Auftrages der NATO auf Ausbildung und Beratung tragen die afghanischen Sicherheitskräfte die Hauptlasten der Angriffe und Anschläge der Taliban und des IS. Die Aktivitäten der Taliban sind keineswegs mit denen des IS koordiniert, denn deren Einheiten bekämpfen sich gegenseitig.
Diese komplexe Lage spiegelt sich nicht in der Auswahl der Verhandlungsteilnehmer wider. Die Taliban verhandeln mit den USA, aber auch mit Teilen der afghanischen politischen Opposition, die nicht unmittelbar an den bewaffneten Kämpfen teilnehmen. Vertreter der Kabuler Regierung Ghani und der Koalitionspartner der USA mit Kontingenten am Hindukusch fehlen. Waffenstillstands- und Friedensverhandlungen jedoch sollten vor allem die kämpfenden Seiten abbilden.
Zudem: die Talibanbewegung ist nicht von zentralistischen Strukturen dominiert. Daher bleibt abzuwarten, ob die Verhandlungsführer des afghanischen bewaffneten Widerstandes sich im operativen Kampf durchzusetzen vermögen und den entsprechenden Einfluss auf die Kämpfer haben werden.
Konsequenzen für die Koalitionspartner der USA
Kompetenten Beobachtern der Auseinandersetzungen in Afghanistan ist seit langem klar, dass auch dieser Waffengang wie alle bisherigen Interventionen am Hindukusch mit einer Niederlage der Invasoren enden wird. Dies ist ein hoher Preis. Die Trump-Administration möchte nun einen gesichtswahrenden Ausstieg aus diesem Dilemma. Unsummen an Hilfs- und Aufbaugeldern sowie Ausbildungs- und Beratungsprogramme für Politik, Militär, Polizei, Justiz und Verwaltung haben wenig gebracht. Es hat sich erneut gezeigt, dass auf Dauer mit Geld und Technologie eine solch komplexe Auseinandersetzung mit einem asymmetrisch agierenden Feind nicht zu gewinnen ist. Der Kampfmoral, Ausdauer und Durchhaltefähigkeit der Aufständischen haben die westlichen Truppen ohnehin wenig entgegen zu setzen.
Mit dem möglichen Beginn der Rückverlegung der US-Truppen erscheint auch die Forderung der Friedensbewegung nach dem Abzug der Bundeswehr aus Afghanistan in einem neuen Licht.
Der aktuelle deutsche Afghanistaneinsatz mit einer Mandatsobergrenze von 1.300 Soldaten ist nicht nur der längste, sondern auch der verlustreichste und nach wie vor der größte Einsatz der Bundeswehr. Die Kosten der seit 17 Jahren andauernden NATO-Missionen ISAF und RESOLUTE SUPPORT betragen über 10 Milliarden Euro – fast die Hälfte der Gesamtkosten der mehr als 50 Auslandseinsätze der Bundeswehr seit Anfang der 1990er Jahre. (1) Das sind Summen, die einen gesunden Staatshaushalt völlig deformieren. Die verschiedenen operationellen Konzepte der NATO wie der provinzielle, flächendeckende Wiederaufbau oder die „vernetzte Sicherheit“ sowie die zivil-militärische Zusammenarbeit erwiesen sich als wenig hilfreich.
Die brutale Aufstandsbekämpfung in den letzten Monaten der ISAF-Mission vor allem durch amerikanische und britische Verbände erzeugte Hass und Ablehnung gegen die Besatzungstruppen und unterstützte die Rekrutierung junger Talibankämpfer. Ausländische Stabilisierungsgelder förderten die Korruption im Lande. Dies wiederum führte zum Vertrauensverlust der Bevölkerung gegenüber den staatlichen Stellen aller Ebenen.
Die US-Regierung hat den Abzug großer Teile seiner Truppen aus Afghanistan beschlossen. Es ist zwar anzunehmen, dass große US-Basen wie etwa Bagram weiter betrieben werden, aber das ändert nichts an der Tatsache, dass die Operationsfähigkeit und Stationierung der Truppen der Koalitionspartner in Frage steht. Die NATO und die Truppenstellerstaaten müssen ihre eigene Strategie flexibel verändern. Das dürfte besonders den Deutschen schwer fallen. Mit deutscher Gründlichkeit und Konzept scheint sich die Bundeswehr für Jahrzehnte in ihren Lagern eingerichtet zu haben. Ein kostengünstiger Rückbau ist ausgeschlossen. Die Erwartung schneller Lösungen ist unrealistisch.
Im Alleingang gibt es für keinen der NATO- und Koalitionspartner eine Perspektive in diesem geschundenen Land. Niemand kann ausschließen, dass die Regierung Trump nach der Devise „Amerika First“ nach dem Abzug von Teilen ihrer Truppe auch den Dollarfluss in Richtung Kabul einschränkt. Dann würde ohnehin der ungesteuerte Zusammenbruch folgen.
Zum Konzept der Ausbildungs- und Beratungshilfe
Nach den Jahren der Aufstandsbekämpfung und der Taktik der groß angelegten offensiven Kampfhandlungen der Amerikaner vor allem im Süden und Osten Afghanistans wurde mit der Mega-Bombe, der „Mutter aller Bomben“ ein Zeichen der operativen Überlegenheit gesetzt. Es folgte der massive Einsatz von Kampfdrohnen in der Fläche. Die nahezu lautlos aus dem Nichts erscheinenden Vernichtungswaffen verfehlten ihre psychische Nebenwirkung nicht. Eine tiefgreifende Angst überkam die Menschen. Und dennoch, vielleicht gerade deshalb verstärkte sich der Zulauf zu den Aufständischen.
Als Gegenmaßnahme wurde die Ausrüstung und Ausbildung der afghanischen Truppen und Polizei stark gefördert. Das langfristig und breit angelegte Projekt der Ausbildungs- und Beratungshilfe, in das auch die Bundeswehr sehr stark eingebunden ist, sollte gleichzeitig als Feigenblatt der militärischen Aktivitäten herhalten. Dieses Konzept soll das militärische Engagement als defensive Maßnahme der Entwicklungshilfe darstellen, das nichts mit Intervention, bewaffnetem Einsatz und infanteristischem Kampf zu tun habe.
Ausbildungs- und Beratungshilfe, die nicht nur in Afghanistan immer nur einer der Kriegsparteien zuteil wird, dient jedoch der Destabilisierung der Lage und dem Anheizen von Konflikten. Diesem Konzept liegt ein gehöriges Maß an Realitätsfremdheit und Arroganz zugrunde.
Wie kann es sein, dass Militärs aus einer völlig fremden Kultur mit Unkenntnis der Sitten und Gebräuche, der gesellschaftlichen, ethnischen und religiösen Besonderheiten im Einsatzland annehmen, sie seien in der Lage, effektiv auszubilden und zu beraten? Zu unterschiedlich sind die Auszubildenden und die Ausbilder. Da passt nichts zueinander. Das beginnt bei der Pünktlichkeit und Zuverlässigkeit, setzt sich bei Einstellung zu Frauen, Kindern und Familie fort und endet bei den Gebetsritualen. Der Ausbilder kann noch so fromm sein – er bleibt in den Augen des Afghanen immer der Ungläubige. Wenn die Werte, die Ausbilder und Auszubildende, Berater und zu Beratende vertreten so unterschiedlich sind, wenn das gegenseitige Vertrauen Grenzen hat, dann kann eine Ausbildung und Beratung nicht effektiv sein.
Die Ausbilder beherrschen zwar ihr Fachgebiet unter Friedensbedingungen in der Heimat, verfügen aber zumeist über unzureichende Erfahrungen im asymmetrischen Gefecht. Zudem ist die Beratung und Ausbildung immer nur einer der Seiten im komplexen bewaffneten Kampf wenig zielführend. Sie ist ungeeignet zur Beendigung bewaffneter Auseinandersetzungen beizutragen. Statt dessen führt sie zum Aufflammen neuer Kämpfe und nicht selten zur Niederlage der unterstützten Seite. Ein klassisches Beispiel dafür ist der Vietnamkrieg der USA.
Gewinner und Verlierer
Einer meiner Sprüche in Afghanistan war: „Man braucht keinen Krieg zu führen, um die Afghanen zu gewinnen!“ Das Vertrauen der überwiegenden Mehrheit der Bevölkerung am Hindukusch konnte der Westen nicht gewinnen. Und dennoch stellt sich nach einer so tragischen Niederlage immer die Frage nach den Gewinnern und Verlierern. Zu den Gewinnern zählen in erster Linie die Rüstungskonzerne, deren Aufträge und Umsätze wuchsen. Zu den Verlierern gehört vor allem die Zivilbevölkerung im Kriegsgebiet, die unendliches Leid hinnehmen musste. Viele Afghanen flohen nach Deutschland, wo sie nicht selten auf Distanz und Unverständnis stoßen. Aber zu den Verlierern gehören auch viele der westlichen Soldaten.
Der Afghanistaneinsatz hat die Bundeswehr verändert. Und er hat auch die Gesellschaft geprägt. Was haben die Politiker gelernt, die Teile unserer Streitkräfte ins Verderben geschickt haben? Das Leid der Hinterbliebenen unserer Gefallenen und das Schicksal der physisch und psychisch Geschädigten und deren Angehörigen dauern an. Nicht wenige von ihnen kämpfen im Alltag um ihre Rechte gegen einen bürokratischen Apparat. Nicht zu vergessen auf der Verliererseite aufzuführen: die fleißigen Steuerzahler, die diese Fehlinvestitionen aufbringen mussten.
Lehren aus der Niederlage
Die wichtigste Lehre sollte sein, sich künftig nicht an militärischen Interventionen und Angriffskriegen zu beteiligen! Es gibt genügend Probleme wie Klima, Umwelt und Soziales. Doch die Münchner Sicherheitskonferenz zeigt, dass diese Lehre unrealistisch zu sein scheint. Eine völlig neue Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesregierung mit weniger Gewichtung des Militärischen ist erforderlich. Aber während ihrer Eröffnungsansprache kündigte Bundesverteidigungsministerin von der Leyen an, den deutschen Militärhaushalt entsprechend der Forderungen Washington systematisch weiter aufzustocken. Von den USA forderte sie im Gegenzug indirekt, die Entscheidung über den Abzug der Truppen aus Afghanistan zu überdenken. „Für unsere Missionen pflegen wir den Grundsatz: Gemeinsam rein, gemeinsam raus“, erklärte die Ministerin mit Blick auf die Ankündigung von US-Präsident Trump, die US-Truppen aus Afghanistan abzuziehen. In der Allianz gelte es, „das Prinzip der Fairness und der transatlantischen Freundschaft hochzuhalten“. Und dazu gehöre, etwa mit Blick auf Afghanistan, auch der Grundsatz: Gemeinsam rein, gemeinsam raus. (2)
Waren die Opfer und Investitionen umsonst?
Dies ist ein emotionales Thema, vor allem für die Betroffenen. Und dennoch muss man sich der Frage stellen, um ähnliche Schicksale und Fehler künftig zu vermeiden.
Nein – Opfer und Investitionen waren nicht umsonst, wenn künftig in der Außen- und Sicherheitspolitik der Bundesrepublik militärische Lösungen von Konflikten keine Rolle mehr spielen, wenn Kooperation Konfrontation ersetzt und ein System der kollektiven Sicherheit angestrebt wird.
Ja – die Opfer waren leider umsonst, wenn die bisherige verantwortungslose Politik unverändert fortgesetzt wird. Neue Opfer und Fehlinvestitionen sind dann unvermeidlich.
Alles liegt nun in der Verantwortung der politischen Elite. Es kann in einer Demokratie nicht sein, dass sich die Ablehnung von Auslandseinsätzen der Bundeswehr durch die überwiegende Mehrheit der Bevölkerung nicht in der Realpolitik widerspiegelt.
Fußnoten
1 Zahlenangaben aus dem Bericht des Wehrbeauftragten 2019
2 https://www.faz.net/aktuell/politik/sicherheitskonferenz/sicherheitskonferenz-kein-politisches-tauwetter-in-muenchen-16043596-p2.html
Der Autor Jürgen Heiducoff ist Veteran der Bundeswehr. Er war fast drei Jahre in Afghanistan und vorher acht Monate als OSZE-Militärbeobachter im Tschetschenienkrieg. Sehr früh erkannte er aus eigener Erfahrung die Ineffizienz militärischer Interventionen, die stets mit Menschenrechtsverletzungen einhergehen. Darüber und über den oft aussichtslosen Kampf regulärer Truppen gegen Aufständische publizierte er zeitnah.
Frühere Publikationen des Autors zum Thema „Verlorener Krieg in Afghanistan“:
„Afghanistan ist für den Westen verloren - wie weiter?“ Schattenblick 17.08.2018
http://schattenblick.org/infopool/politik/meinung/pmsp0793.html
„Warum die NATO den Krieg am Hindukusch verloren hat?“ Friedensforum 5/2012
https://www.friedenskooperative.de/friedensforum/artikel/warum-die-nato-den-krieg-am-hindukusch-verloren
Online-Flyer Nr. 693 vom 20.02.2019