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Aktueller Online-Flyer vom 23. April 2024  

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Aktuelles
Gibt es einen Tiefen Staat? – Gedanken zum Jahreswechsel
Die Wächter des Imperiums
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann

Gibt es einen Tiefen Staat? Nein, sagt der Tiefe Staat. Und auch Arnold Schölzel hat die Antwort. Am 20. Dezember 2019 ist von ihm in der Wochenzeitung "Unsere Zeit" zu lesen: „Und der neuerdings öfter thematisierte 'tiefe Staat', von dem der arme Trump angeblich umstellt sein soll, hat wieder einmal keinen Beweis seiner Existenz abgeliefert.“ (1) Und schon ein paar Monate zuvor – am 21. September 2019 – schreibt Arnold Schölzel in der Tageszeitung "junge Welt", deren Chefredakteur er lange Zeit war: „Die These vom 'tiefen Staat' ist eine Art Gespensterglauben, immun gegen Argumente, ein Universalschlüssel zur Erklärung von allem, also von nichts, und lenkt wirkungsvoll vom Klassencharakter des geschäftsführenden Ausschusses der Herrschenden ab.“ So heißt es zumindest in der seitlichen Zusammenfassung als eine Art Quintessenz des Artikels mit dem Titel "Der umstellte Trump" in der Reihe "Der schwarze Kanal". (2)

Dieser Artikel in der "marxistischen" Tageszeitung "junge Welt" war auch dem Vorsitzenden des Deutschen Freidenker-Verbands, Klaus Hartmann, aufgefallen, als er die Stuttgarter Konferenz "Der Tiefe Staat" vorbereitete. (3) Aber ihm war noch etwas anderes aufgefallen – nämlich, dass in eben dieser "jungen Welt" eine ganz andere Sicht veröffentlich war, und zwar am 11. November 2019 in einer Kolumne von Mumia Abu-Jamal, in der mit dem Titel "Der wahre 'tiefe Staat'" zu lesen ist:

„Im Römischen Reich der Antike gab es die Prätorianergarde, die als Eliteeinheit des Heeres darauf eingeschworen war, dem Imperator zu dienen und ihn zu beschützen. Aber sie stand auch noch in einem anderen Ruf: Wenn der Imperator den Verstand verlor oder zu einer Gefahr für das Reich wurde, durften die Prätorianer ihn ohne Skrupel beseitigen. Die Geschichte Roms ist voller Beispiele dafür... Deshalb sind die Prätorianer weniger die Wächter des Imperators, sondern vielmehr die Wächter des Imperiums. Möglicherweise werden wir in den USA gerade Zeugen eines solchen imperialen Momentes der Geschichte... Es gibt Kräfte im Staat, die mächtiger sind, die länger Bestand haben und mit mehr Erfolg agieren als die Verteidiger des jeweiligen Präsidenten. Sie sind es, die politische Führer kaufen oder eliminieren, Regierungen stürzen und Marionettenregierungen auf den Thron ausländischer Nationen setzen. Diese Kräfte beobachten sehr genau das Kommen und Gehen von Präsidenten und Kongressabgeordneten. Und sie arbeiten so verlässlich wie ein Uhrwerk, leise machen sie ticktack, ticktack, ticktack. Wie wird wohl ihre Meinung über Donald Trump sein, der sie vom ersten Tag seiner Präsidentschaft an beschimpft und beleidigt hat?“ (4)

Was tun gegen einen Präsidenten, der „den Verstand verloren hat“?

Ein Präsident an der Spitze eines Staates, der in seinem Wahlkampf ein entscheidendes Instrument zur Führung eines verdeckten Krieges, den "Islamischen Staat" (IS), als von Obama und Hillary Clinton gegründet entlarvt und so aus den Angeln hebt; der das so genannte Freihandelsabkommen TTIP, über das jahrelang unter großem Aufwand geheim verhandelt und das von Organisationen wie attac verurteilt worden war, in einer seiner ersten Amtshandlungen vom Tisch wischt; der sich durch die Aufkündigung des Pariser Abkommens dem für die Weiterentwicklung des Kapitalismus so wichtigen Klima-Hype entzieht; und der nicht aufhört, davon zu reden, US-Soldaten aus verschiedenen Kriegsschauplätzen der Welt nach hause zu holen, und dies auch teilweise in die Tat umsetzt, der muss mit den Worten von Mumia Abu-Jamal den Verstand verloren haben.

Arnold Schölzel ist da auf einem anderen Dampfer. „Trump hat zwar“ – schreibt er in der "jungen Welt" – „keinen neuen heißen Krieg begonnen, aber die von seinen Vorgängern angezettelten auch nicht beendet.“ Trump wolle Venezuela und Kuba erwürgen. Und in seinem Artikel "Trump bleibt" in der Wochenzeitung "Unsere Zeit" wird Trump als "würdiger Vertreter des Imperialismus" bezeichnet. Trump habe die Rüstungsausgaben in neue Rekordhöhen geschraubt, die Axt an das System von Abrüstungsverträgen gelegt, die Konfrontation mit China und Russland vorangetrieben, habe die Kriegsgefahr in der Welt sprunghaft erhöht. Er sei somit ein "würdiger Vertreter des Imperialismus". Einiges trifft davon sicher zu und ist entsprechend zu verurteilen. Aber die Felder, auf denen der US-Präsident den "Verstand verliert" und damit zum Gegner des Imperiums wird, übersieht Arnold Schölzel geflissentlich.

Der Tiefe Staat, das Instrument Feindbild und die politischen Gefangenen

Aber lassen wir uns nicht ablenken von der Frage, ob es einen Tiefen Staat gibt und wo der zu finden ist. Dabei müssen wir gar nicht über den Atlantik in die Ferne schweifen. Es reicht, uns ganz in der Nähe umzuschauen. Und dann sehen wir: der Tiefe Staat zeigt sich in allen im Bundestag vertretenen Parteien, in der überwiegenden Zahl von NGOs, in der Friedensbewegung und – nicht zu vergessen – in den Medien. Wenn alle im Bundestag vertretenen Parteien sich hinter den Völker- und Menschenrecht brechenden Staat Israel stellen, indem sie die zivile Widerstandsbewegung BDS kriminalisieren, statt die systematischen Verbrechen eines rassistischen Staates anzuprangern. (5) Wenn NGOs wie so genannte Menschenrechtsorganisationen ihren Blick vorrangig in Richtung Russland, China oder Türkei richten, aber die politischen Gefangenen im "Westen" – wie Julian Assange oder Mumia Abu-Jamal – kaum zur Kenntnis nehmen. Wenn die Friedensbewegung sich Feindbilder wie Milosevic, Ahmadinedschad, Gaddafi und Assad zu eigen macht oder gegen den US-Präsidenten Trump mobil macht, wohingegen sie seinem Vorgänger Obama die Propaganda von einer Welt ohne Atomwaffen begierig abgenommen hat. Wenn die Medien von Springers "Welt" bis "junge Welt" auf den insbesondere vom "Spiegel" aufs Gleis geschobenen NSU-Zug aufspringen, ohne das angebliche Beweisvideo in Frage zu stellen. (6) Wenn die Medien von SpiegelTV bis "junge Welt" die "Montagsmahnwachen" der "neuen" Friedensbewegung verunglimpfen, die sich gegen den Putsch des Westens in der Ukraine stellen und die Rolle der FED bei der Finanzierung von Kriegen thematisieren. (7) Und wenn dann der Geschäftsführer der "jungen Welt" am 21. Dezember 2019 schreibt: „Neben zahlreichen politischen Angriffen von rechts mussten wir in diesem Jahr auch welche von links ertragen: So organisierte der Vorsitzende des Freidenkerverbandes gemeinsam mit einem Linkspartei-Abgeordneten einen offenen Brief mit Vorwürfen und Forderungen an die junge Welt. Mit einer zurückweisenden Stellungnahme von Verlag, Redaktion und Genossenschaft ist dieser seit fünf Jahren schwelende Konflikt im Zusammenhang mit den Montagsmahnwachen zum Abschluss gekommen.“ (8)

Der Tiefe Staat ist fast überall dort, wo es gilt, Protestpotential zu binden und zu kanalisieren. Wir finden ihn in der Rojava-Bewegung, die statt ganz Syrien gegen den Imperialismus zu verteidigen, gemeinsame Sache mit Kräften auf der Seite des Imperiums macht, denen es um die Zerschlagung Syriens geht. (9) Wir finden den Tiefen Staat in der Klima-Bewegung, mit der es nicht darum geht, den Planeten zu retten, sondern eine Notstandssituation zu schaffen (das EU-Parlament hat den Notstand bereits ausgerufen), in der das große Kapital endlich Maßnahmen ergreifen kann, die zu noch weniger Freiheit und noch mehr Kontrolle führen. (10) Wir finden den Tiefen Staat in der Anti-AfD-Bewegung, bei der es kaum darum geht, die Alternativlosigkeit der AfD deutlich zu machen, sondern vielmehr die anderen Parteien, die ihre kriminelle Energie schon längst zur Entfaltung gebracht haben, rein zu waschen.

Und wenn sich echte (authentische) Bewegungen wie die "neue" Friedensbewegung bilden, dann tritt der Tiefe Staat auf den Plan. Dann gilt es, die Bewegung gegen die Wand zu fahren und zu "entgraten", wie sich ein führender "Friedensstratege" ausgedrückt hat. Wenn sich rund um die US-Airbase Ramstein eine Initiative unter dem Motto "USA go home" bildet und damit die Beseitigung aller US-Militärbasen zur Forderung erhebt (11), müssen die Forderungen entschärft und die Initiative neutralisiert werden, indem eine Kampagne geschaffen wird, deren Protest sich im Kern nur gegen die per Ramstein gesteuerten Drohnen richtet. (12)

Der Tiefe Staat führt einen Klassenkampf von oben, als käme er von unten

„Es herrscht Klassenkampf, aber es ist meine Klasse, die reiche Klasse, die den Krieg führt. Und wir sind dabei zu gewinnen.“ (13) Mit diesen Worten zitiert die New York Times bereits 2006 den US-Multi-Milliardär Warren Buffett. Die Operationen des Tiefen Staates sind ein essentieller Teil des Klassenkampfes von oben, bei dem der Eindruck erweckt wird, als käme er von unten. Ist das nicht raffiniert und perfide? Sollte es nicht darum gehen, das zu erkennen und gegenzusteuern? Die Operationen des Tiefen Staates sind verdeckte Operationen der herrschenden Klasse. Große Teile, zu große Teile der Linken und der Friedensbewegung gehen ihm auf den Leim und spielen mit.


Fußnoten:

1 Weil er seine Pflichtaufgaben erfüllt - Trump bleibt
Arnold Schölzel am 20.12.2019 in "Unsere Zeit"
https://www.unsere-zeit.de/trump-bleibt-121964/

2 Der umstellte Trump
Arnold Schölzel am 21.09.2019 in "junge Welt" in der Rubrik "Der schwarze Kanal"
https://www.jungewelt.de/artikel/363299.der-umstellte-trump.html

3 Filmclip
Freidenker-Konferenz "Der Tiefe Staat" (1)
Klaus Hartmann: Einführung zur Freidenker-Konferenz "Der Tiefe Staat"
NRhZ 729 vom 11.12.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26424

4 Der wahre "tiefe Staat"
Mumia Abu-Jamal am 11.11.2019 in "junge Welt"
https://www.jungewelt.de/artikel/366504.der-wahre-tiefe-staat.html

5 Dem Kampf gegen Apartheid und Völkerrechtsbruch in den Rücken gefallen
Rassistische Querfront im Reichstag
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 707 vom 29.05.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=25936

6 Dr. Seltsams 275. Wochenschau mit Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
Interview zum Kampfbegriff Querfront
Von Clara Klemperer
NRhZ 471 vom 13.08.2014
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20663

7 Gedanken zur Frage, was thematisiert werden darf und was nicht
FED – das absolute Tabu
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 464 vom 25.06.2014
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=20484

8 In eigener Sache: Vergiftete Verhältnisse
Wie junge Welt auch in diesem Jahr überleben konnte
Dietmar Koschmieder am 21.12.2019 in "junge Welt"
https://www.jungewelt.de/artikel/369247.in-eigener-sache-vergiftete-verh%C3%A4ltnisse.html

9 Überall dieselben Maßstäbe anlegen? Ja! dann aber konsequent! Eine Replik
Eine falsche Idee
Von Eva und Markus Heizmann (Bündnis gegen Krieg, Basel)
NRhZ 731 vom 01.01.2020
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26471

10 "World War Zero" – Die Klima-Kampagne wird zum Weltkrieg
Der Tiefe Staat taucht auf
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 728 vom 04.12.2019
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=26400

11 Rede bei den Protesten gegen den US-Imperialismus, Kaiserslautern, 27.6.2015
USA go home! – Gegen US-Verbrechen
Von Dr. Ansgar Klein
NRhZ 518 vom 08.07.2015
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=21796

12 Ein kleiner Einblick in die Strukturen der Friedensbewegung
Imperialismus braucht Gatekeeper
Von Anneliese Fikentscher und Andreas Neumann
NRhZ 532 vom 14.10.2015
http://www.nrhz.de/flyer/beitrag.php?id=22132

13 In Class Warfare, Guess Which Class Is Winning
"There’s class warfare, all right," Mr. Buffett said, "but it’s my class, the rich class, that’s making war, and we’re winning."
Ben Stein in New York Times vom 26.11.2006
http://www.nytimes.com/2006/11/26/business/yourmoney/26every.html?_r=0

Online-Flyer Nr. 731  vom 01.01.2020



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