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Aktueller Online-Flyer vom 24. November 2024  

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"Verfemte Kunst" im Solinger Museum Baden bis Juni 2006.
"Unser Weg durch die Nacht"
Von Georg Giesing

In Solingen entsteht, so Museumsleiter Dr. Rolf Jessewitsch, ein Ort, an dem ein "einmaliges kulturelles Gedächtnis" gesichert wird. Hier sollen auch, dies ist die Perspektive, andere Kunstgattungen Platz finden.

Die derzeitige Ausstellung "Unser Weg durch die Nacht" ist Teil einer Sammlung von Dr. Gerhard Schneider. Hunderte Gemälde und Grafiken von über 300 Künstlern mit einer erstaunlichen Motivvielfalt wurden von dem Kunstliebhaber gesammelt, die  er seit Jahren im Rahmen verschiedener Ausstellung der Öffentlichkeit zugänglich macht. Das Museum entwickelt sich so zu einem "Zentrum für verfemte Künste", besonders für Exponate der jüngeren Generation Künstler der modernen Bildgestaltung. In den nächsten Jahren wird auch eine Ausstellung über verfemte Musik und Musiker in Solingen zu sehen sein, so der Museumsleiter. Auch verspricht die Kooperation mit der "Else-Lasker-Schüler-Gesellschaft" Impulse für die Thematisierung geächteter Literatur.

Das Trägermodell dieses wertvollen Museums-Projektes  ist in NRW einmalig. Es gibt die "Bürgerstiftung für verfemte Künste", ein Zusammenschluss kunstinteressierter Bürger. Der Rat der Stadt Solingen unterstützt die Idee des Museums bisher einstimmig. Der Landschaftsverband Rheinland hilft  mit einer  kräftigen Finanzspritze. Des weiteren besteht eine Kooperation zwischen der "Bürgerstiftung für verfemte Künste" und der "Else-Lasker-Schüler Gesellschaft" aus dem benachbarten Wuppertal.

Wenig Interesse zeigte die ehemalige Rot-GRÜNE Landesregierung, die es, wenn überhaupt, bei warmen Worten beließ. Die neue, Gelb-Schwarze Mehrheit in Düsseldorf hat noch die Chance sich hier zu engagieren.

Sammlung: Gerhard Schneider
Otto Pankok: "Hoto II",  1932, Pinsel- und Federzeichnung
Dieses Bild wurde auf der Ausstellung "Entartete Kunst" 1937 in München gezeigt.
Sammlung: Gerhard Schneider.
Anmerkung: Hoto II war eine führende Roma-Persönlichkeit.


Als der Propagandaminister Goebbels 1937 den Kunstkritikern mitteilte, dass er ihnen nun schon vier Jahre Zeit gelassen hätte, die Kunstkritik "nach nationalsozialistischen Grundsätzen auszurichten", hatte die Verfolgung und Vernichtung von Kunst und Künstlern schon längst begonnen. Schon im Dezember 1936 vermeldete Goebbels, dass die Reichskulturkammer nunmehr "judenrein" sei. Für  Künstler und Kunstkritiker war dies ein  Signal, dem sich Verfemung, Verfolgung, Vertreibung und Vernichtung anschlossen. Der Staat selbst mutierte zu einem   Unrechtssystem, wie es weder vorher noch nachher in der Menschheitsgeschichte in dieser Dimension gegeben hat.

Im Juli 1937 gab es in München die berüchtigte Ausstellung "Entartete Kunst", die täglich von mehr als 20 000 Menschen besucht wurde. Kunst hatte germanisch zu sein. Die "Reichskammer der Bildenden Künste" hatte Maßstäbe entwickelt. Kunst wurde klassifiziert. Verboten wurden  Kunstwerke, die angeblich das "Form- und Farbempfinden" zersetzten. Als "entartetet" galten Werke, die sich mit Motiven wie "Bordell, Dirnen, Zuhälter" befassten. Verbotskriterien waren auch  "Politische Tendenzen", "Vollendeter Wahnsinn" oder "Dummheit der Stoffwahl". Ein weiteres Stigmatisierungskriterium hieß einfach: "Juden".

Sammlung: Gerhard Schneider
Carl Rabus: Devat le mur, 1945, Farbholzschnitt
Anmerkung : Titelblatt der Folge " Passion ". Das Bild verarbeitet Erfahrungen in der NS-Haft 1940/41.
Sammlung: Gerhard Schneider


Auf der Münchener Ausstellung "Entartete Kunst" wurden Werke von Adler, Marc, Nolde, Heckel, Kirchner, Pechstein, Kokoschka, Hofer, Grosz, Klee, Dix, Beckmann und andere angeprangert. Der Ausstellungsleiter  verstieg sich 1937 zu der Bemerkung: "Man sollte die Künstler neben ihren Bildern anbinden, damit ihnen jeder Deutsche in Gesicht spucken kann."

In den nachfolgenden Jahren wurden Malverbote ausgesprochen, Bilder verbrannt, Künstler geächtet, verschleppt, inhaftiert und ermordet. Es folgten Jahre der Rechtlosigkeit und Gewalt. Ein totalitäres Regime nutzte brutal seine Macht. Nicht selten wanderten die beschlagnahmten Kunstwerke auch in die Privatsammlungen gieriger NS-Bonzen und gelangten über diese Umwege in Deutsche Museen.

Sammlung: Gerhard Schneider
Valentin Nagel: "Frau mit blauem Hut", um 1926/28
Anmerkung: V. Nagel lebte unter den Repressalien der Nazis in totaler Zurückgezogenheit.
Sammlung: Gerhard Schneider


Die juristische und moralische Aufarbeitung der nationalsozialistischen Verbrechen, die Verwicklung der Täter, Mitläufer und Profiteure, ist auch über 60 Jahre nach Ende des Krieges noch nicht abgeschlossen. Aktuell dazu gehört die Debatte über die Rolle des Zeitungsverlegers Kurt Neven DuMont in Köln. In Wuppertal wird noch im Jahre 2006  ein Kulturpreis mit dem Namen Eduard von der Heydt ausgestattet, ein strammer "Stahlhelm-Mann", NS-Parteigenosse und Finanzier des NS-Staates.

Der Schriftsteller Walter Benjamin sagte einmal: "Wer sich der eigenen Vergangenheit zu nähern trachtet, muss sich verhalten wie ein Mensch der gräbt. Vor allem darf er sich nicht scheuen, immer wieder auf einen und denselben Sachverhalt zurückzukommen - ihn auszustreuen, wie man Erde ausstreut, ihn umzuwühlen, wie man Erdreich umwühlt."

Sammlung: Gerhard Schneider
Valentin Nagel: "Italienischer Offizier", um 1928/14
Anmerkung: Der kubistische Einfluss des Malers galt bei den Nazis als "entartet".
Sammlung: Gerhard Schneider



Nach dieser Erkenntnis sammelte der Studienrat, Antiquar und Sozialwissenschaftler Gerhard Schneider die Kunst der Verfemten und Vergessenen. Geschick, Wissen und Leidenschaft ließen seine Sammlung "Expressive Gegenständlichkeit" anwachsen, so dass daraus das Herzstück der gegenwärtig in Solingen gezeigten Ausstellung entstand. Es ist eine beeindruckende Präsentation über "Schicksale figurativer Malerei und Graphik im 20. Jahrhundert", zu der auch der bestehende Fundus früher Arbeiten Georg Meistermanns und Skulpturen von Milly Steger gehören.

In der Ausstellung "Unser Weg durch die Nacht" sind 40 Werke von Künstlern zu sehen, die in der erwähnten Ausstellung "Entartete Kunst" 1937 verfemt wurden. Das ist verdienstvoll. Doch werden auch Bilder von Künstlern gezeigt, die so zu sagen in der "zweiten Reihe" standen. Hier wird deutlich gezeigt, wie lang die Schatten des NS-Staates waren und wie sehr er die Biografien und die künstlerische Entwicklung  beeinflusste.

Das besonders Wertvolle der Sammlung besteht darin, dass hier erstmalig in dieser Dimension Bilder von Künstlern gezeigt werden, die auch nach der Verfemung, Verfolgung und Vernichtung in beiden Nachfolgestaaten (BRD/DDR) vernachlässigt und vergessen wurden.

Sammlung: Gerhard Schneider
Erna Schmidt - Caroll: "Flucht", 1947
Anmerkung: Eines der seltenen Bilder welches die Flucht aus Schlesien thematisiert.
Sammlung: Gerhard Schneider


Sind die Werke von Kirchner, Grosz, Nolde, Klee oder Kokoschka bekannt, gewürdigt und erforscht, trifft das bei weitem nicht für Künstler wie Gerd Böhme, Oscar Zügel, Georg Netzband, Henri Epstein, Robert Liebknecht, Carl Rabus, Käthe Löwenthal, Elfriede Lohse-Wächtler, Erna Schmidt-Caroll, Hubert Rüther oder Leo Haas zu. Das sind nur einige Künstler, deren Bilder und Biografien durch die Ausstellung "Unser Weg durch die Nacht" gewürdigt werden.

Die Neue Rheinische Zeitung wird die "Bürgerstiftung für verfemte Künste mit der Sammlung Gerhard Schneider" unterstützen, aus dem Solinger Museum einen "Ort der Aufklärung" und des kollektiven Gedächtnisses zu machen. In loser Folge wird die NRhZ Kunst und Schicksale verfemter Künstler vorstellen.


Siehe auch den NRhZ Filmclip "Verbannte und verbrannte Kunst"

MUSEUM BADEN
Wuppertaler Straße 160
42653 Solingen (Gräfrath)
Tel.: 0212-25 81 40

Museum-baden@t-online.de
www.museum-baden.de

Öffnungszeiten:
Di. bis So. 10 bis 17 Uhr. Mo. geschlossen.
Führungen nach Anmeldung: 0212-258 14 17


Katalog:
Expressive Gegenständlichkeit, Schicksale figurativer Malerei und Graphik im 20. Jahrhundert aus der Sammlung Dr. Gerhard Schneider. 616 Seiten, 5 Textbeiträge, 704 Abbildungen, davon 344 in Farbe. 24,5 X 31 cm, Paperback, 43, 50 Euro + Versand.


Online-Flyer Nr. 37  vom 28.03.2006



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