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Globales
Interview mit dem Präsidenten des Moskauer Lateinamerikainstituts
»Venezuela und Rußland suchen neue Wege«
Von Harald Neuber
Neuber: Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat zu Beginn seiner Auslandsreise am Montag einen »Bruderpakt« mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko abgeschlossen. Ist eine solche Verbrüderung auch in Rußland zu erwarten?
Dawydow: Das weiß ich nicht, aber die Zusammenarbeit hat sich in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt, vor allem die wirtschaftliche Kooperation. Die Qualität der Kontakte zeigt sich auf daran, daß es ständige Beratungen und Absprachen gibt. Ich glaube also schon, daß es zwischen beiden Regierungen viel Übereinstimmung gibt.
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de
Vor allem in der Rüstungsindustrie, denn nach dem Kauf von 100.000 Maschinenpistolen hat Venezuela jüngst auch Kampfjets in Rußland bestellt. Aber welche Gemeinsamkeiten gibt es darüber hinaus?
Nun, beide Staaten versuchen den Energiemarkt zu stabilisieren. Es entspricht eben nicht der Realität, wenn in den USA behauptet wird, daß die venezolanische Erdölpolitik destabilisierend wirke. Ganz im Gegenteil. Die Regierung in Caracas versucht den Erdölreichtum zum Wohl der marginalisierten Schichten einzusetzen. Meiner Meinung ist es sogar eine tief humanistische Politik. Auf der anderen Seite ist Chávez' provokante Außenpolitik mitunter risikobehaftet. Darin unterschieden sich seine und die russische Regierung.
Das heißt?
Sehen Sie, die internationale Lage ist heute aus verschiedenen Gründen instabil. Ein Hauptziel in der Außenpolitik eines jeden Staates muß also sein, diese Risiken auszuschalten. Und dieses Ziel scheint für Moskau mitunter eine größere Rolle zu spielen als für Caracas.
Während einer Konferenz in Moskau haben Sie vor einigen Wochen gesagt, Lateinamerika befinde sich auf der Suche nach einem Modell, das den gesellschaftlichen Bedürfnissen eher gerecht werde als der Neoliberalismus. Wie wird diese Suche in Rußland gesehen?
Rußland ist in erster Linie der politischen und wirtschaftlichen Krisen müde. Rußland ist nicht länger bereit, die soziale Kluft in seiner Gesellschaft zu akzeptieren, die dank Putins Führung geschmälert werden konnte. Dieser Wunsch artikuliert sich in unserer Gesellschaft in sehr verschiedener Weise und in zunehmender Deutlichkeit. In diesem Ziel, der Etablierung einer neuen Sozialpolitik, stimmen wir mit den lateinamerikanischen Staaten überein, in denen Links- oder Mitte-Links-Regierungen gewählt wurden. Aber auch über diese Regionen hinaus ist doch inzwischen deutlich geworden, daß die Weltwirtschaft mehr Regulierung braucht. Schon ein flüchtiger Blick auf die soziale Realität weltweit macht deutlich, daß das Bretton-Woods-System versagt hat. Rußland sucht also ebenso wie Venezuela nach neuen Wegen zu einer gerechteren Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.
Es gibt aber einen Unterschied. Die venezolanische Regierung hat sich die Kontrolle über die Erdölindustrie gesichert, die vormals von einer Oligarchie ausgeplündert wurde.
Das stimmt, in Rußland hat es eine solche Renationalisierung nicht gegeben. Aber auch hierzulande wird inzwischen eine stärkere Kontrolle über die Schlüsselindustrien ausgeübt. Ich glaube auch nicht, daß Chávez die gesamte venezolanische Industrie verstaatlichen will. Er selber sagt ja, daß sein Sozialismus des 21. Jahrhunderts die Fehler der alten sozialistischen Systeme nicht wiederholen will.
Ein Sozialismus des 21. Jahrhunderts: Wäre diese Idee auch in Rußland mehrheitsfähig?
Das glaube ich nicht. Dafür sind die Erfahrungen beider Länder zu unterschiedlich.
In Westeuropa wird Chávez' Regierung unter Politikwissenschaftlern sehr kritisch gesehen, sein angeblicher Populismus scharf kritisiert. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Ich war anfangs auch recht kritisch und dachte, daß Chávez alte Ideen wieder beleben wolle. Aber die Realität hat meine Bedenken zerstreut. Die Regierung Chávez ist stabil, weil sie - offensichtlich aufgrund ihrer Politik - einen ungeheuren Rückhalt in der Bevölkerung genießt. Ich wäre deswegen sehr vorsichtig, seinen Stil von außen zu be- oder sogar zu verurteilen. Zumal wir Europäer mitunter ohnehin Probleme haben, die lateinamerikanische Realität zu richtig bewerten.
Online-Flyer Nr. 55 vom 02.08.2006
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Interview mit dem Präsidenten des Moskauer Lateinamerikainstituts
»Venezuela und Rußland suchen neue Wege«
Von Harald Neuber
Neuber: Venezuelas Präsident Hugo Chávez hat zu Beginn seiner Auslandsreise am Montag einen »Bruderpakt« mit dem belarussischen Präsidenten Alexander Lukaschenko abgeschlossen. Ist eine solche Verbrüderung auch in Rußland zu erwarten?
Dawydow: Das weiß ich nicht, aber die Zusammenarbeit hat sich in den vergangenen Jahren sehr positiv entwickelt, vor allem die wirtschaftliche Kooperation. Die Qualität der Kontakte zeigt sich auf daran, daß es ständige Beratungen und Absprachen gibt. Ich glaube also schon, daß es zwischen beiden Regierungen viel Übereinstimmung gibt.
Karikatur: Kostas Koufogiorgos
www.koufogiorgos.de
Vor allem in der Rüstungsindustrie, denn nach dem Kauf von 100.000 Maschinenpistolen hat Venezuela jüngst auch Kampfjets in Rußland bestellt. Aber welche Gemeinsamkeiten gibt es darüber hinaus?
Nun, beide Staaten versuchen den Energiemarkt zu stabilisieren. Es entspricht eben nicht der Realität, wenn in den USA behauptet wird, daß die venezolanische Erdölpolitik destabilisierend wirke. Ganz im Gegenteil. Die Regierung in Caracas versucht den Erdölreichtum zum Wohl der marginalisierten Schichten einzusetzen. Meiner Meinung ist es sogar eine tief humanistische Politik. Auf der anderen Seite ist Chávez' provokante Außenpolitik mitunter risikobehaftet. Darin unterschieden sich seine und die russische Regierung.
Das heißt?
Sehen Sie, die internationale Lage ist heute aus verschiedenen Gründen instabil. Ein Hauptziel in der Außenpolitik eines jeden Staates muß also sein, diese Risiken auszuschalten. Und dieses Ziel scheint für Moskau mitunter eine größere Rolle zu spielen als für Caracas.
Während einer Konferenz in Moskau haben Sie vor einigen Wochen gesagt, Lateinamerika befinde sich auf der Suche nach einem Modell, das den gesellschaftlichen Bedürfnissen eher gerecht werde als der Neoliberalismus. Wie wird diese Suche in Rußland gesehen?
Rußland ist in erster Linie der politischen und wirtschaftlichen Krisen müde. Rußland ist nicht länger bereit, die soziale Kluft in seiner Gesellschaft zu akzeptieren, die dank Putins Führung geschmälert werden konnte. Dieser Wunsch artikuliert sich in unserer Gesellschaft in sehr verschiedener Weise und in zunehmender Deutlichkeit. In diesem Ziel, der Etablierung einer neuen Sozialpolitik, stimmen wir mit den lateinamerikanischen Staaten überein, in denen Links- oder Mitte-Links-Regierungen gewählt wurden. Aber auch über diese Regionen hinaus ist doch inzwischen deutlich geworden, daß die Weltwirtschaft mehr Regulierung braucht. Schon ein flüchtiger Blick auf die soziale Realität weltweit macht deutlich, daß das Bretton-Woods-System versagt hat. Rußland sucht also ebenso wie Venezuela nach neuen Wegen zu einer gerechteren Verteilung des gesellschaftlichen Reichtums.
Es gibt aber einen Unterschied. Die venezolanische Regierung hat sich die Kontrolle über die Erdölindustrie gesichert, die vormals von einer Oligarchie ausgeplündert wurde.
Das stimmt, in Rußland hat es eine solche Renationalisierung nicht gegeben. Aber auch hierzulande wird inzwischen eine stärkere Kontrolle über die Schlüsselindustrien ausgeübt. Ich glaube auch nicht, daß Chávez die gesamte venezolanische Industrie verstaatlichen will. Er selber sagt ja, daß sein Sozialismus des 21. Jahrhunderts die Fehler der alten sozialistischen Systeme nicht wiederholen will.
Ein Sozialismus des 21. Jahrhunderts: Wäre diese Idee auch in Rußland mehrheitsfähig?
Das glaube ich nicht. Dafür sind die Erfahrungen beider Länder zu unterschiedlich.
In Westeuropa wird Chávez' Regierung unter Politikwissenschaftlern sehr kritisch gesehen, sein angeblicher Populismus scharf kritisiert. Wie ist Ihre Haltung dazu?
Ich war anfangs auch recht kritisch und dachte, daß Chávez alte Ideen wieder beleben wolle. Aber die Realität hat meine Bedenken zerstreut. Die Regierung Chávez ist stabil, weil sie - offensichtlich aufgrund ihrer Politik - einen ungeheuren Rückhalt in der Bevölkerung genießt. Ich wäre deswegen sehr vorsichtig, seinen Stil von außen zu be- oder sogar zu verurteilen. Zumal wir Europäer mitunter ohnehin Probleme haben, die lateinamerikanische Realität zu richtig bewerten.
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